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Interessant war die Affäre Rotenburgs mit dem famosen Kaiser und König Wenzel. Diesen hatten die böhmischen Großen als einen unnüzen Entgliederer des Reichs" zu Prag eingesperrt. Für dies Martyrium" ließ sich Wenzel ent­schädigen und verlangte auch von Rotenburg 6000 Gulden. Den rotenburger Gesandten, die dies zu hoch fanden, drohte er die Köpfe abschlagen zu lassen. In seiner Wut schrieb er von Nürnberg an die Rotenburger folgenden Brief:

Adresse: Vnser vngetrewen zu Rotenburg , die dem Reich vngehorsam sein.

Text: Der Teufel hub an zu scheren ein Saw vnd sprach also vil geschreyes vnd wenig wolle. die Weber konnen nicht sten on wolle. Vngehorsamkeit macht vil. dat. sabbo p. VIII. scop. hora vespere Nur einbergo.

Rex p. etc.

Er drohte mit einem Heere vor Rotenburg zu ziehen. Allein die Rotenburger wußten, daß er dazu kein Geld hatte und blieben fest. Nach einer Quittung aus dem Jahr 1398 haben sie an den faulen Wenzel" im ganzen 1100 Gulden bezahlt.

Die Verteidigung Rotenburgs gegen Tilly war die lezte heroische Tat der Rotenburger . Im siebenjährigen Krieg nahm in preußischer Lieutenant, Stirzenbecher, der durch Franken Streifte, mit siebenundfünfzig Husaren die alte berühmte Festung ein und brandschazte sie um große Summen, nahm auch zwei Satsherren als Geiseln mit. So weit war man in Rotenburg gekommen. Im Jahr 1800 wollten siebenzehn französische Chas­seurs die Stadt brandschazen. Sie wurden mit Heugabeln an gegriffen und vertrieben. Die dies wagten, sollen übrigens die demokratisch gesinnten Handwerker Rotenburgs gewesen sein, die von den Ideen der französischen Revolution erfaßt, 1796 eine Umänderung der Verfassung Rotenburgs, jedoch vergeblich er­strebt hatten. Die alte Verfassung datirte von 1455(!!). Am 2. September 1802 besezte ein bairisches Jägerbataillon die Stadt; sie ward auf dem Reichstag zu Baiern geschlagen.

Der Verfall Rotenburgs, dieses einst so stolzen und kräf­tigen Gemeinwesens, wurde durch die Patrizierherrschaft herbei­geführt. Vielleicht hatte Stefan von Menzingen nicht so un­recht, als er gegen die Ratsgeschlechter konspirirte und ihnen die städtische Gewalt zu entreißen versuchte. Von jener Zeit ab aber, nachdem Menzingen und sein Anhang gestürzt und ver­nichtet waren, herrschten die alten Ratsgeschlechter unumschränkt und drückten die Stadt ärger, als sie vielleicht ein mittelalter­licher Fürst gedrückt haben würde. Es trat eine politische Stag nation ein, die alten Formen verknöcherten völlig, die Bürger

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gingen aller Selbständigkeit verlustig. Die demokratischen Hand­werker Rotenburgs, die im Jahr 1796 eine Veränderung der Verfassung erstrebten, haben in einer höchst interessanten Dent­schrift die Zustände Rotenburgs geschildert. Die Patrizier­geschlechter hatten sich darnach eine so unumschränkte Herrschaft angemaßt, daß die Bürger von den Einnahmen und Ausgaben ihres kleinen Staatswesens gar nichts mehr erfuhren. Die Staatsstellen wurden um Geld vergeben, so daß die Beamten nur Gehilfen des Rats waren. Wir wollen einige Stellen aus der Denkschrift zitiren.

Eine Anzahl Familien, eng unter sich verknüpft durch die Bande der Verwandtschaft, regierte jezt den Staat. Oft geschah es, daß selbst Geschwisterkinder sich vermählten, um nur das Vermögen und den alten Einfluß zu bewahren. Familienrück­sichten beherrschten jezt die Ehebündnisse wie die Wahlen, die Rechtssprüche wie die Polizeiverfügungen. Die Erstgeburt gab fast immer auch die Ratsfähigkeit. Eine geringe juristische Vorbereitung machte zu allen Aemtern geschickt, als wenn die Jurisprudenz eine Fundgrube aller administrativen Kenntnisse wäre. Regelmäßig und gedankenlos rückte der junge Ratsherr vor. Kaum daß noch bei der Bürgermeisterwahl das bessere Talent und die größere Kenntnis entschied. War aber einer zu einem ihm zugefallenen Amt ganz untauglich, so übernahm ein anderer seine Arbeiten. Man nannte dieses Vikariren. Die Ratsgeschlechter begannen sich als souveräne Herren der Stadt und des Gebietes anzusehen. Dem entsprach es, daß sie ihre Man fing Grundbesizungen steuerfrei zu machen suchten. an, die Beleidigung der Amtsehre zu einer Art von Majestäts­beleidigung auszudehnen."

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Die kostspieligen öffentlichen Mahlzeiten" auf Staatskosten nahmen überhand; die Ratsherren veranstalteten sich solche auch auswärts und nahmen ihre Familien mit, daher der Name " Frauenreisen". Die Ratsherren beanspruchten die Jagd, den Wein des Staats und die Gelder der öffentlichen Stiftungen für sich. Die Bürger wurden aus einer wehrhaften Gemein­schaft zu Phäaken, denen die Uebung in den Waffen nur kin­dische Spielerei war*).

So versant das alte Rotenburg in einen Zustand, der seine Auflösung notwendig erscheinen ließ. Möge die neue Zeit dem neuen Rotenburg auch neue Blüte bringen!

*) Wie groß der eingerissene Schlendrian war, geht daraus hervor, daß der einzige Plan zu den verborgenen Wasserquellen, deren für die Kriegszeiten mehrere angelegt waren, verloren ging, so daß die ge­heimen Quellen nicht wieder aufgefunden werden konnten.

Mund und Aug'.

O kind, dein Mund, dein troz'ger Mund,

Wie konnt er einst verwunden!

Seit Jahresfrist bis heut zur Stund'

Nie hab' ich's überwunden.

Doch jezt

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wär's wahr, was ich erschau? O nein! es kann nicht trügen: Dein süßes Aug' im Tränentan Den Mund straft's endlich Lügen.

Du sprachft: ich geh' den Lebensgang Dir Bursch zum Troy alleine.

Das Aug', es flüstert mild und bang: Im Geist war längst ich deine.

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Und raubte er in schlimmer Stund' Mir auch ein Jahr vom Leben, Sei doch dem Mund, dem troz'gen Mund Dem Aug' zulieb vergeben.

Jans Eckhart.