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Die asiatische Cholera und ihre europäischen Verwandten.

I.

Von Bruno Geiser.

[ Name und Geschichte. Erscheinungsformen der Krankheit.- Cholera­durchfall. Cholerine.- Ausgebildete Cholera.- Ungeheurer Feuch­tigkeitsverlust. Cholera sicca.- Blutverdickung. Atmungs- und Blutkreislaufverhinderung. Krämpfe, Lähmung. Nervenschwäche, Sinnes­täuschungen. Dauer der Krankheit. Tod oder Besserung.- Choleratyphoid. Schuzmittel: Flucht, Vorsicht und Sauberkeit, Diät, Warmhalten. Maßregeln wider Abtritt- und Ausgußausdünstungen. Behandlung der ausgebrochenen Krankheit.]

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Wie es scheint, ist einer der furchtbarsten Feinde des Menschen­geschlechts wieder im Anzuge nach dem Innern unsres ohnehin eigentlich von Krankheiten und Elend zurgenüge heimgesuchten Erdteils; die Cholera ist da! tönt es von Toulon   und Marseille  , den großen französischen   Mittelmeerhäfen, zu uns herüber.

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Solch drohendem Verhängnis gegenüber ist es sicherlich wohlgetan, wenn wir zunächst zwei Bundesgenossen der schlimmen Krankheit, die nicht minder gefährlich sind, als sie selbst, mutig zu Leibe gehen: der Unwissenheit und der Furcht.

Was die Wissenschaft über die Cholera erforscht hat bis zur neuesten Zeit, wollen wir darum unsern Lesern in furzen Zügen darlegen und damit zugleich die Schuzmaßregeln bezeichnen, welche den einzelnen in der Erhaltung seiner Gesundheit und die Gesammtheit in der möglichsten Beschränkung und festen Ein­grenzung der etwaigen Seuchenherde zu unterstüzen geeignet sind.

Xolega( Cholera) hieß im Altgriechischen   die Dachrinne; weil sich nun beim Menschen zuweilen Krankheitserscheinungen zeigen, bei denen aus dem Leibe Flüssigkeit durch Erbrechen und durch Stuhlgang, wie aus einer Dachrinne das Regenwasser, hervorstürzt, so nannte man nach der Meinung einiger Erklärer diese Krankheiten gleichfalls Cholera*).

Andere meinen freilich, daß die altgriechische Dachrinne weniger mit dem Namen der verschiedenen Brechdurchfallskrank­heiten zu tun hat, als die altgriechische Galle, chole, weil bei jenen Krankheitsformen die gesammelte oder ausgetretene Galle abgeführt" werde, oder cholas, das Eingeweide, als haupt­sächlichster Siz der Krankheit**).

Wie über viele derartige Fragen, so werden auch über diese die Aften wahrscheinlich nicht so bald, vielleicht niemals, ge­schlossen werden. Wir, denen es weit mehr um das Wesen dieser Krankheit, als um ihren Namen zu tun ist, begnügen uns die verschiedenen Ableitungen hier aufgeführt zu haben.

Das Heimatland der als asiatische Cholera bezeichneten furchtbarsten aller Brechdurchfallkrankheiten ist Ostindien, wo sie schon seit mehreren Jahrtausenden vor Christi Geburt haust und hauptsächlich an den Mündungen der gewaltigen Ströme des Ganges   und des Brahmaputra   zahllose Menschenschaaren dahingerafft hat.

Genaueres über das Wüten der Cholera in Indien   in früheren Jahrhunderten ist uns nicht bekannt, erst von der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an kann man ihr Auf­treten und ihren Verlauf mit einiger Sicherheit verfolgen.

Am Anfang der siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts trat sie in Bengalen   ganz besonders verheerend auf; und im Mai 1817 brach an den Mündungen der beiden oben genannten Riesenströme die erste gewaltige Epidemie aus, von der wir genaue und zuverlässige Beweise befizen. Mehr als ihre Vor gängerinnen zeigte sich die diesmalige Seuche verderblich und aus­breitungsfähig; den Flußläufen folgend ging fie nach allen Seiten landein und am Ende des Jahres 1818 hatte sie die 3750000 Quadratkilometer von ganz Ostindien durchmessen. Und auch die Grenzen ihres Heimatlandes hielten die Furchtbare diesmal

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*) Siehe Payne, Griechisch- Deutsches Handwörterbuch. Dritte Auflage 1880. Bd. II. Xolio. ** Ef. Erich u. Gruber, Allg Encyklopädie der Wissenschaften 11. Künste. 17. Teil. Leipzig   1828 Art. Cholera.

nicht in ihrem Vernichtungszuge auf; von den Inseln des indisch­chinesischen Archipels drang sie in China   ein und durch das Reich der Mitte unaufhalsam nach Westen weiter, bereits 1821 Doch an der Küste des persischen Meerbusens ankommend. selbst auf Asien   beschränkte sie sich nicht; zum erstenmal auf europäischem Boden erschien sie 1823 in Astrachan   an der Mündung der Wolga  . Doch damit hatte sie für eine Reihe von sieben Jahren eine Grenze erreicht, die sie nach dem Innern Europas   hin nicht überschreiten konnte.

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Dagegen war sie 1829 im südostlichen Rußland wieder auf dem Plan, dem Plan, diesmal in Orenburg  , und 1830 hielt sie von neuem ihren Einzug in Astrachan  , um von da einen schreckens­vollen Siegesgang oder vielmehr Siegesflug nach Eurapa hinein zu unternehmen. Innerhalb zweier Monate, im September 1830, hatte sie Moskau   erreicht, und von da weiter nach Westen dringend, traf sie auf einen tatkräftigen Bundesgenossen, dem die Torheit und Roheit der Kulturmenschheit auch heute noch nicht für immer den Garaus gemacht hat, den Krieg. Ohne den russisch  - polnischen Krieg von 1831 wäre die Cholera wahrscheinlich auch diesmal nicht in das Innere des zivilisirten Europas   hineingekommen,- aber so heftete sich die Seuche an die Fersen der russischen Armee, zog mit ihr in Polen   ein und war schon im Mai 1831 auf deutschem Gebiet nämlich in Danzig   angelangt. Und nun gings mit rasender Eile durch Deutschland   hindurch, im August war die Cholera in Berlin  und im September in Wien  . Zu allem Ueberfluß brach sie auch noch von Persien   her über Konstantinopel   zur selben Zeit in Europa   ein, und nun gab es fein europäisches Land mehr, das sich vor dem entsezlichen Feinde hätte retten können. Noch 1831 trat die Cholera in England auf, 1832 in Frank­ reich  , 1833 in Spanien  , 1834 in Schweden  , 1836 in Italien  und Tyrol, 1837 in Baiern  . Amerika   hatte sie bereits mit Hülfe von Auswandererschiffen aus England 1832 erreicht.

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Nach 1837 erlosch das Cholerasterben endlich wieder in Europa  ; aber noch war nicht ein Jahrzehnt verflossen, so war sie auch schon wieder von neuem 1846 und 47 von Persien  her einbrechend- da. 1848 langte sie in Deutschland   an und breitete sich von hier wieder über ganz Europa   aus.

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Seitdem suchte sie uns in jedem Jahrzehnt wenigstens ein­mal heim.

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Im Wesen der Cholera machen sich drei Abstufungen be­merklich, erstens die leichteste Art der Vergiftung, welche nur den sogenannten Choleradurchfall hervorruft, zweitens die schwerere Vergiftung der Cholerine und drittens die schwerste, die sich in der ausgebildeten Cholera darstellt*).

Der Choleradurchfall unterscheidet sich von gewöhnlichen Durchfällen nicht erheblich, nur fördert er gemeinhin größere Mengen von Fäkalien zutage. Die sehr wässerigen Entleerungen zeigen sich meist noch gallig gefärbt und verlieren diese Färbung erst dann, wenn die Entleerungen, deren sechs, acht und mehr an einem Tage auftreten, besonders rasch aufeinander folgen. Durch die häufige Wiederkehr des Stuhlgangs fühlt sich der Kranke schr ermattet, er empfindet Durst, im Leibe macht sich das bekannte Kollern bemerklich und der Appetit schwindet. Zu­weilen, wenn die Choleravergiftung an Boden gewinnt, wird auch die Stimme des Kranken heiser und es stellen sich Waden­främpse ein; dagegen fehlen bei diesem geringsten Grade der Choleraerkrankung fast immer Leibschmerzen und Harnzwang ( Tenesmus).

Nicht selten, aber keineswegs immer, tritt der Choleradurch fall nur als Vorbote der wirklichen Cholera auf, hauptsächlich

*) In dem patologischen Teile dieser Abhandlung folge ich haupt­sächlich der Darstellung des Artikels über die Cholera in der Real­encyklopädie der gesammten Heilkunde, herausgegeben von Professor Dr. Eulenburg, Band III, Wien   1880.