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" Gelehrte Hungerleiderei," hatte er unwillig vor sich hin gebrummt, überhaupt dummes Zeug, dieses Biblioteken­staubschlucken als Lebensberuf,-ins volle praktische Menschen leben hinein, Lehrer werden, Gymnasialprofessor,- dann Direktor, vortragender Rat im Unterrichtsministerium, das ist noch allenfalls etwas, wenn einer schon einmal ver­nagelt genug war, die dumme Philologie zum Beruf zu erwählen." Gegenwärtig nun war's wie Christian mir berichtete sicher, daß sein Dufel die Hand von ihm abziehen werde, für den Fall, daß er- Christian auf seinem Willen beharre, als Universitätslehrer eine minder zukunftssichere Laufbahn ein­zuschlagen.

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Und du kannst dir denken, Hans," sezte er mit einem Gesichte, wie ein zum Tode Verurteilter hinzu: daß ich jezt, wo ich aus der Preiskonkurrenz ganz sicher ohne jeden Erfolg hervorgehe, am allerwenigsten Aussicht und auch Lust habe, den Ohm um weitere Unterstützung zur Erfüllung meiner Wünsche zu drängen, überhaupt bin ich zu alt, um länger von Unter­stüzungen leben zu fönnen, auch habe ich nicht mehr den auch habe ich nicht mehr den Lebensmutweder um dreist und auf gut Glück einer zweifel­haften forgenvollen Zukunft entgegenzugehen, noch um mich in die Misère eines Schulmeisterdaseins, die mir das Beispiel meines armen Vaters nur allzusehr verleidet hat- zu stürzen. Mit mir ist es aus, che es noch so recht angefangen hat, sage ich dir, Hans." Aber Christian, das ist ja doch toll, du haft nicht mehr den Lebensmut, wer hat dir ihn geraubt, doch doch nicht die im Grunde blos komische Geschichte der allerdings ziemlich hoffnungslosen doppelten Liebe zu dem unbekannten Schwesterpaar?"

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Er seufzte, daß es einen Stein hätte erbarmen können. Mir ist diese Sache gewiß nicht komisch, du weißt, wenn mich einmal ein Gedanke oder gar ein Gefühl gepackt hat, so läßt es mich nimmer los. Und so ist's hier erst recht die Mädchenbilder umgaukeln mich bei Tag und bei Nacht, sic sind jezt noch mein einzig Glück und doch auch mein größtes Leid.

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Ich nahm ihn bei der Schulter und schüttelte ihn derb. , Mensch, raffe dich auf, zunächst hinaus aus deiner

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| düsteren Klause- düsteren Klause da draußen lacht ein wunderbarer Sommer­tag, hinaus in Wiesengrün und Waldesduft und unter frohe, lebenslustige Menschen."

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Er folgte widerwillig.

Die Menschen wollen von mir armem Schlucker nichts wissen, mein trübseliges Gesicht und meine hoffnungslose Zukunft lassen. sie kalt und in vornehmer Nichtachtung an mir vorübergehen, und wenn einer es der Mühe wert hält, bei mir flüchtig still­zustehen, so geschieht es fast immer mur, um über meinen Un­glücksnamen einen möglichst schlechten Wiz zu reißen."

" Schweig mir nur von diesem Tema, die Menschen sind nicht so schlecht und so gleichgültig gegen dich, die Welt ist nicht so düster und trostlos, als du dir einredest.

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Inzwischen waren wir auf der Straße angekommen und schritten langsam fürbaß dem nächsten Tore zu.

Wie um meine Worte zu bestätigen und Christians ver­zweifelte Auffassung zu widerlegen, lachte die Sonne so strahlen­hell und ohne alle sengende Glut, nur wohltuend, nicht belästigend hernieder, und die Menschen, welche wir gleich uns der frischen Parklust vor dem Tore zustrebend trafen, zeigten alle frohe Gesichter, lachten und scherzten, daß es eine Lust war.

Wie wird dir, Christian?" fragte ich.

" Immer übler zu Mut," entgegnete er. Der Kontrast dieses glänzenden Sonnenlichts und dieser lachenden Menschen­gesichter zu meiner Stimmung ist zu grell. Dazu das Bewußt­sein, daß sich von all den frohen Menschen der ganzen Welt kein einziger um mich fümmert

Ei guten Tag, mein verehrter Herr Gutenbier," tönte eine wahre Donnerstimme in Christians Worte hinein.

Aeußerst überrascht schauten wir beide uns um. Hinter uns stand ein älterer Offizier, der Major von Zahlen; das allezeit wetter und weingerötete Gesicht war in die jovialsten Falten gelegt und seine mächtige, weißbehandschuhte Rechte Christian entgegengestreckt.

Christian stotterte in höchster Ueberraschung ein paar un­verständliche Worte. Er hatte alle Ursache überrascht zu sein, der Major, Vater von sechs als Schönheiten berühmten Töchtern, hatte sich fast nie um ihn gefümmert, obgleich Christian ihm auf einem Universitätsballe vorgestellt worden war.

( Fortsezung folgt.)

Die blaue Blume.

Eine Sommernachtsphantasie. Von Dr. Albert Lindner.

Es war einmal wer hat es gesehen? Wer hat es erlebt? Nie­mand. Und doch war es einmal! Wenn du es findest, wenn's dir " passirt", untersuch es nicht! Deut' es nicht! Sonst neckt es und äfft es und ärgert dich lange drüber hinaus. Du mußt es hinnehmen gläubig mit Kindesherzen, und wär's mit weit aufgerissenen Augen und offenem Munde. Es ist wie der Regenbogen, den du von fern an einer Felswand siehst; kommst du näher, so schwindet's weg und du bemerkst am Felsen nur lichten, wolkigen Dunst. Es ist wie die Libelle, die über dem Dache flattert: in allen Regenbogenfarben spielt sie vor deinem entzückten Auge. Muß das ein schönes Geschöpf sein," denkst du. Die willst du doch einmal näher betrachten!" Du fängst das schillernde Tierchen mit der hohlen Hand, und was hast du nun? Ein traurig­graues, beinah ekelhaftes Insekt! Nur wer sie glaubt, dem leben die Götter, dem werden die Wunder wahr. Bist du das nicht imstande, dann lege das Blatt weg und vertiefe dich lieber in die Lösung einer algebraischen Aufgabe. Denn was ich dir anbiete, ist citel unnüze Flunkerei, nüzt keinem was und ist auch nicht geschrieben für einen ernsthaften, trocknen, logischen Denker wie du es bist. Du würdest nur irre an mir und an dir, weil ich dazu eine so ernste und aufrichtige Miene mache. Das liegt eben daran, weil mir die Sache Wahrheit ist, die dir eine Phantasterei zu sein scheint. Ich führe dich in den Mond­schein hinaus, in die schwüle, quellende Juninacht. Seze dir eine Kappe auf, damit du den Mondstich nicht bekommst, und wenn Gespenster erscheinen sollten, so sprich dein Stoßgebet:" Zweimal zwei iſt vier," oder: Es regnet. Was folgt daraus? Mein Rock wird naß. O ge­heimnisvolle, wunderbare Wahrheit, beschüze mich!" Ich kenne dich. Du bist einer von denen, welchen man kein Glas 1868ger Hochheimer Domdechanei vorsezen darf, wenn man dir nicht zu sagen weiß, wieviel Prozent Alkohol, Zuckerstoff, Sprit und Wasser dabei sind, denen man keine duftende Blume unter die Nase halten darf, wenn man dich nicht

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zu benachrichtigen weiß, in welche Unterabteilung einer Linné'schen Hauptabteilung sie gehöre. Gehe du in den hintersten Winkel deines Studirzimmers, wohin kein Sonnenstrahl fällt, nimm einen schweins­ledernen Folianten herbei und laß dir durch die Magd ein Glas Brunnenwasser zur Stärkung holen. Mit dir bin ich fertig.

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Dieser Mensch sieht mich so hochmütig an im überlegenen Bewußt= sein seines Wissens. Ich will ihm doch etwas Erlebtes erzählen. Wenn er soviel gelernt hat, wird er mir die seltsame Geschichte zu deuten wissen. Ging ich da neulich durch eine Waldschlucht, an deren Eingang eine fleine blaue Blume ihren schmachtenden Kelch zu den Sternen hob. Höchstens indische Lotos," schnarrt es hinter mir, sonst wüßt' ich nicht, welche Spezies des Nachts ihren Kelch nicht schlösse oder wenigstens Die Blume duftete stundenweit, und ein Klingen zur Erde senkte!" und Singen schwoll um sie her, je näher der einsame Wanderer an sie herankam. Dummheit! Phantasterei! Einbildung!" murmelte es hinter mir. Ich versenkte mein Auge in den Kelch, und wie ich es wieder hob, schien mir die Umgebung verwandelt. Alles hatte Sprache, Gestalt gewonnen. Von allen Seiten lachten, lächelten, grinsten Ge­sichter zu mir her, winkten Finger mich heran, rauschten Lieder mir zu Ohr. ,, Lassen Sie mich zufrieden!" schreit der Kerl hinter mir. " Das können Sie Narren weiß machen. Die Zeiten des romantischen Dusels, der Tieck , Brentano, Novalis sind vorüber, wir leben im Zeit­alter der Aufklärung und der Wissenschaft."

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Ich achtete nicht weiter auf den Philister, der mir folgte, sondern betrat die Schlucht. Finsternis lagerte sich, wohin der Fuß trat, feuchtes Moos quoll unter der Sohle, als schritt ich über den Rücken des schlafenden Lindwurm, den Siegfried schlug. Kleine lichte Pünktchen schimmerten zahllos über meinem Haupte an Stellen, die der ragende Wuchs der Tannen auf beiden Wänden der Schlucht nach oben freiließ. Plözlich blieb ich stehen und schauderte. Siehst du nichts?" fragte ich leise nach hinten. Was, Verehrter?" frug es falt und spöttisch zurüd. Aus der Felswand reckt sich ein Arm, dürr und mager, spreizt die Finger nach uns, glüht mich unheimlich von oben an ich erkenne deutlich das scheußliche Profil der Waldheye, die über den Wald sich

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