lieb. Als er nun nicht kam, da zerrauste sie zwar nicht ihr Raben­haar und warf sich auf die Erde mit wütiger Geberde", wie Bürgers Leonore, aber sie beweinte seinen Verlust bitterlich. Der Hoffnungs­schimmer, der Vermißte werde eines Tages wiederkehren, erblaßte mehr und mehr und verlosch endlich gänzlich, als der junge Nachbar sich bei der vermeintlichen Witwe manchmal einfand, um sie zu trösten. Homers   Odyssee kannte sie leider nicht, um der treuen Penelopeia nach­zueifern, welche zwanzig Jahre lang alle Freier abwies und auf die Heimkehr ihres Odysseus   harrte. Dazu hatte sie offen gestanden auch gar kein Genie; ihr hätte Mephistos Rat viel eher eingeleuchtet: Wär ich nun jezt an eurem Plaze, Betrauert' ich ihn ein züchtig Jahr, Visirte dann unterweil' nach einem neuen Schaze." Und Magdalena brauchte nicht lange visiren. da sich der Nachbar von selbst einstellte und seine Besuche immer häufiger wurden. Kann man es ihr ver­denken, daß sie ihn ab und zu zur Tafel zog? Was hätte es auch dem Seligen" genizt, wenn die blühende Witwe ihre Reize freudlos verwelken ließ. Homer   malt uns zwar seine Penelopeia zwanzig Jahre nach dem Beginn des trojanischen Kriegs noch ebenso hübsch wie vor­dem, aber ich kann's ihm nicht recht glauben; überhaupt darf man es bei den Alten mit der Chronologie nicht genau nehmen, sonst müßten wir uns auch die holdselige Iphigenie auf Tauris als alte Jungfer vorstellen. Item, die Pseudowitwe und ihr junger Nachbar lebten bereits auf sehr vertraulichem Fuße, und während sie eines Mittags in schönster Gemütlichkeit den Beweis liefern, daß auch die Liebe nicht von Luft lebt, da- geht die Türe auf und wie ein deus ex machina taucht der Vermißte vor den entsezt starrenden Augen des Paares auf, nicht als schemenhaftes Gespenst, sondern in leibhaftiger Lebendigkeit. Eine freudige Ueberraschung mochte diese Erscheinung bei keinem der drei Beteiligten hervorgebracht haben. Hoffen wir, daß der Heim­gefehrte die Sache nicht allzu tragisch nimmt und sich schließlich alles in Wohlgefallen auslöst. Jedenfalls kann er sich damit trösten, daß er glimpflicher wegkam, als Seine Majestät Agamemnon  , der als Sieger von Troja   heimkehrte und von seiner Gattin Klytämnestra   und ihrem Interim- Schaz Aegistheus meuchlings im Bade in den Hades befördert wurde.

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St.

Der große Straßenelevator in Stockholm.  ( S. 565.) Ein Eisen­bahnzug, der mit Windeseile auf der Ebene dahinsaust, ist für den Be­wohner zivilisirter Länder nichts Merkwürdiges mehr. Eine Eisenbahn aber, die ihre Passagiere senkrecht in die Höhe führt, als ob sie geraden Wegs in den Himmel fahren wollte, werden unsere Leser schwerlich jemals gesehen haben und sie werden auch kaum glauben, daß eine solche möglich ist. Es ist indes, beiläufig bemerkt, ratsam, derartige Möglichkeiten nicht so rasch und entschieden abzuweisen. Unser Zeitalter der Erfindungen hat Dinge möglich gemacht, welche in alten Zeiten, wenn sie jemand für möglich erklärt hätte, diesem zeitlebens eine Unter­funst im Narrenhaus gesichert hätten. Und wenn einmal die soziale Erfindungskraft sich ebenso wird betätigen können wie die technische, wird sie sicherlich ebenfalls Dinge möglich machen, welche heutzutage von dummpfiffigen Waschweibern in Männerhosen als utopistisch ver­lacht werden. Daß es nun in der Tat eine solche vertikal aufsteigende Eisenbahn gibt, zeigt dem geschäzten Leser unser Bild. Eine Eisenbahn in gewöhnlichem Sinne ist es allerdings nicht, und wer schon in großen Hotels mittels eines Aufzugs, welche das mühsame Treppensteigen erspart, mit der Schnelligkeit des Blizes vom Erdgeschoß in das oberste Stockwerk aufgefahren ist, der kann sich von der Eisenbahn unseres Bildes eine lebhafte Vorstellung machen. Kommt aber der eine oder andere unserer Leser nach Stockholm  , so versäume er nicht, das merk­würdige Werk in Augenschein zu nehmen und es zu benüzen. Denn nicht nur die Fahrt selbst, sondern auch das Ziel der Fahrt ist hoch­interessant. In der mit der eigentlichen Stadt durch Brücken verbundenen Südvorstadt Södermalm ist auf einer ziemlich steilen Felsfuppe der Stadtteil Mosebacke( Mosesberg) erbaut, so genannt von der ent­zückenden Fernsicht, die sich hier( wie dem greisen Moses auf dem Berg Nebo  ) über die Hauptstadt und ihre fels, wald- und seenreiche Um­gebung öffnet. Ein in seltener Schönheit und Großartigkeit angelegter Garten macht den Stadtteil zum beliebten Vergnügungsort der Stock­ holmer  . Bis zum Jahre 1883 durfte, wer die Freuden dieses Paradieses genießen wollte, die Anstrengung und den Schweiß des mühevollen Auf­steigens nicht scheuen. 1881 unternahm der Kapitän Knut Lindmark die Herstellung eines entsprechenden Kommunikationsmittels, das auch finanziell zu prosperiren versprach und bereits am 19. März d. I. konnte die von ihm konstruirte und unter seiner Leitung ausgeführte Brücke mit Elevator, welche den Transport von Personen in vertikaler Richtung ermöglicht, dem öffentlichen Berfehr übergeben werden. Das eigentümliche Hebewerk, von den Schweden   Hissen" genannt, ist aus schmiedeeisernen Stäben hergestellt. Als Hauptteile des Baues, der bei aller Festigkeit den Eindruck der Leichtigkeit, sogar der Eleganz macht, treten die horizontale Laufbrücke und die vier Pfeiler hervor, welche die Lausbrücke tragen. Innerhalb des vordersten Pfeilers, der die respek table Höhe von 35 Meter hat, bewegen sich zwei zimmerartig einge­richtete Behälter abwechselnd auf und nieder, deren jeder 15 Personen aufnehmen kann. Das Heben und Senken dieser Behälter erfolgt mittelst eines mächtigen Windewerks, das durch eine Dampfmaschine und eine mit ihr verbundene hydraulische Presse mit einer Geschwindigkeit von. einem Meter in der Sekunde in Bewegung gesezt wird, so daß die Auf­wie die Abfahrt kaum mehr als eine halbe Minute erfordert. Der

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untere Teil des Hauptpfeilers ist von einem Stationsgebäude umgeben, das die Wohnungen für Kondukteur und Maschinisten enthält. In luftiger Höhe, oberhalb des Pfeilers, ist ein Restaurant angelegt, von dessen zwei übereinander befindlichen Balkonen man die herrlichste Aus­sicht genießt, ungestört von irgend welchem Vordergrund. Bis jezt wurden täglich durchschnittlich 3000 Personen auf- und ebensoviel ab­wärts befördert. Das Fahrgeld aufwärts beträgt 5, abwärts 3 Der ( 8 Der 9 Pfennige).

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St.

Arbeitsnachweis in Berlin.  ( S. 569.) Wer gegen Abend durch die Zimmerstraße in Berlin   geht. wird immer um dieselbe Zeit vor demselben Hause eine Menschenmenge angesammelt finden Man weiß gleich, wer die Leute sind, es sind Arbeiter und Arbeiterinnen, die Be­schäftigung suchen. Sie warten alle auf das Berliner Intelligenzblatt", das bekanntlich ein reines Inseratenblatt ist und den größten, Arbeits­markt" enthält. Endlich lommen sie, die ersehnten, noch druckfeuchten Blätter; man reißt sie den Verkäufern förmlich aus der Hand. Einzelne sind schon nicht mehr im Besize der paar Pfennige, die ein Exemplar des Blattes kostet; sie bitten die anderen, das Blatt auch lesen zu dürfen. Wenn ihnen dies gestattet wird, rennen die glücklicheren Kollegen, die noch fünf Pfennige besessen haben, längst davon, um ihnen in den Ge­schäften, wo Arbeiter gesucht werden, zuvorzukommen.

Ja, mit der Not wird noch ein tüchtig Geschäft gemacht. Hunderte von Budifern" in den Destillationen( Destillen" sagt der berliner Volkswiz im Anklang an Bastille"), den Mehl- und Vorkost- Hand­lungen und sonstigen Lokalen haben Zettel an die Fenster ihrer Keller geflebt, auf denen geschrieben steht:" Für fünf Pfennige kann das " Intelligenzblatt" gelesen werden." Das ist in den meisten Fällen für den Arbeitslosen ganz wertlos. Wer nach den Arbeitsangeboten im Intelligenzblatt" gehen will, der muß laufen, sowie das Blatt er= schienen ist, sonst kommen ihm zehn andere zuvor. Aber Tausende, die zugereist sind und diese Dinge nicht kennen, opfern ihre lezten fünf Pfennige und werfen dann einen Blick voll trauriger Enttäuschung auf das Blatt. Da reut es sie, für die fünf Pfennige nicht eine Schrippe gekauft zu haben.

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Der behäbige Bürger, dessen Blick am Stammtisch von der kühlen Blonde" abends ganz gleichgiltig über die einförmigen kleinen ein- und zweizeiligen Anzeigen im Intelligenzblatt" hinweggleitet, wo die an­gebotenen Arbeitskräfte und die Nachfragen nach solchen enthalten sind

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er ahnt nicht, wie jeden Abend Hunderte, Tausende von Männer-, Frauen- und Mädchenaugen voll fieberhafter Erregung auf diese kalten und öden Zeilen gerichtet sind. Welche Hoffnungen, welche Enttäusch­ungen! Für den armen Arbeitslosen ist solch ein kleines Inserat ost ein strahlender Stern in dunkler Nacht. Aber was weiß der Philister hiervon! Da sind die Tagesneuigkeiten ja viel interessanter.

Arbeitsnachweise bureaux gibt es in Berlin   in großer Menge. Unser Bild zeigt ein solches Nachweisbureaux, das ein Privatunter­nehmen ist; es ist eine einfache Agentur. Wer hier Arbeit nachgewiesen erhalten will, zahlt zwanzig Pfennige und wird in die Liste eingetragen; die zwanzig Pfennige erhält er nicht wieder, auch wenn ihm keine Ar­beit nachgewiesen wird. Also auch eine Spekulation auf die Not der Arbeitslosen! Der Beamte liest die eingegangenen Gesuche vor; er zeigt an, in welchen Branchen Arbeit vorhanden ist und die Adressen werden nach der Reihe immer denen übergeben, die am längsten eingezeichnet sind.

Man rühmt diese Arbeitsnachweisbureaux oft, weil man die Sache nicht kennt. Vor allen Dingen sind diejenigen Arbeitsnachweisbureaux zu rühmen, welche die Fachvereine der Arbeiter selbst errichtet haben und von denen die Arbeit unentgeltlich nachgewiesen wird. In allen Wirtschaften, wo Arbeiter verkehren, besteht die schöne und brüderliche Einrichtung, daß gedrudte Plakate angeschlagen sind, auf denen angezeigt ist, wo sich der unentgeltliche Arbeitsnachweis für Schuhmacher, Schneider, Tischler, Sattler, Zigarrenarbeiter u. s. w. be­findet. Die Arbeiter haben damit gezeigt, wie sehr sich der Gemeinsinn bei ihnen entwickelt hat. Wenn nur die Arbeitgeber diese Bureaux genügend berücksichtigten, so würden die Agenturen sammt dem In­telligenzblatt" für die Arbeitsuchenden bald überflüssig werden.

Wir behalten uns vor, gelegentlich einmal zu beleuchten, wie der Arbeitsnachweis seitens der Behörden in den kleineren Städten ge­handhabt wird. W. B.

Thebanisches Mädchen.( S. 573.) Ein Schönheit in gar leichter Kleidung, die sich aber durch den heißen Himmel Griechenlands   ent­schuldigen läßt. Ohnehin handelt das Mädchen mit Früchten und man weiß nicht, ob der Plaz, wo sie sich den ganzen Tag aufhalten muß, auch schattig genug ist. Sie ſieht schläfrig und träumerisch vor sich hin; an was sie wohl denkt? An ihren Liebsten? Wir wissen es nicht. An was denkt sie vielleicht sonst? Vielleicht an gar nichts. Daß sie an die große Vergangenheit ihrer Vaterstadt denkt, ist kaum anzunehmen; sie wird kaum etwas wissen von Epaminondes und Pelopidas und wofür sie gestritten; sicherlich hat sie auch noch nichts gehört von der ,, heiligen Schaar" der Thebaner, die in der großen Schlacht von Chäro­nea vernichtet worden ist. Sie weiß auch nicht, daß die ersten An­siedler in Theben resp. Böotien der Sage nach aus den Drachenzähnen, die Kadmos säete, entstanden sind. Vielleicht weiß sie auch nichts von der Sphing und von Oedipus  , der seine Mutter heiratete, und sogar nichts von dem berühmten Seher Tiresius  , der von den Göttern erst