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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Etwas, ich kann es nicht vertragen, Vormittags etwas zu trinken."

" Herr Geiger, Se werden mir doch gestatten, daß..." sagte Newald im liebenswürdigsten Tone seines Registers.

Der Aristokrat unterbrach ihn.

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Nun, wie geht's Anuchen, wie geht's den Kinderchen? Den Jüngsten müßten Sie wirklich mal sehen, Herr Rewald ein kluger Junge sag ich Ihnen ein hübscher Junge Ihnen!"

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sag ich

ob Jener einen ausgezeichneten Wiß gemacht habe einmal das Vergnügen gehabt, seine intimere Be­und schlug mit der Hand auf den Tisch..

,, Entschuldigen Se, lieber Herr, aber das hätt ich Ihnen doch wirklich nicht zugetraut. Ein Mann soll mit seiner Frau von Geschäften sprechen!"

Er hielt sich den Bauch vor Lachen. Kostbar, kostbar! Das Beste, was ich seit Langem gehört habe! Kostbar! Kellner, noch einen Sherry Cobler! Nun gut, ich will Sie ja nicht dazu bestimmen, was hab ich fürn Nußen oder Schaden davon? Aber ich sag Ihnen, Se schneiden

Das hat er nur vom Vater, so Etwas vererbt sich in Ihr eigenes Fleisch, wenn Se das Geschäft sich stets." Rewald lachte.

Der Sherry Cobler fam. Man sprach über die politische Lage, über Bismarck , über Strousberg , über die Bochumer , Norddeutsche Lloyd , Differenz­ geschäfte und ihre Unmoral, Familienangelegenheiten, Stadtklatsch, ja sogar auch über die Oper und die Kunstausstellung, für welche beide der Aristokrat ein scharfsinniges Urtheil und ein tiefes Verständniß zeigte. Besonders lobte er jene herrliche, ja herr liche Oper, wie hieß sie doch gleich? Ja, der Frei­schütz von Meyerbeer,* und pfiff sogar nicht ohne Gehör aus ihr mehrere besonders schöne Stellen, welche sicher gepaßt hätten, wenn sie nicht aus dem Troubadour gewesen wären. Dann sprach er noch über Kaulbach und über die Bildhauerei der italie­ nischen Renaissance, die besonders unter Dante, Petrarca und Claude Lorrain ** geblüht hätte. Und die Anderen, die wirklich blutwenig von derartigen Dingen verstanden, hörten diesem Wortschwall zu, mit Gesichtern, auf denen deutlich zu lesen war: Ja, ein kluger Mensch! Ja, ein gebildeter Mensch! Und welche rednerische Begabung! Der wird es doch noch bis zum Stadtverordneten bringen!

Plöglich fam Rewald ganz unvermittelt auf Ge­schäfte zu sprechen; daß doch jetzt der Grund und Boden so billig sei und man leicht so viel- so viel verdienen könne, und-:

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" Ich habe Ihnen ein Geschäft, ein Geschäft er spizte die Lippen wie ein Weintrinfer, legte den Kopf auf die Tischplatte und schlug die Arme zurück, daß er wirklich in diesem Augenblick an einen auf­fliegenden Geier gemahnte.

,, Verdienen, verdienen könnten Se daran vierzig­tausend Mark, sag ich Ihnen, fünfzigtausend Mart, sag ich Ihnen, hunderttausend Mark, sag ich Ihnen!"

Und er wies mit Zahlen haarscharf nach, welchen ungeheuren Vortheil man nur mit einem verhältniß­mäßig geringen Anlagefapital aus diesem Unter­nehmen ziehen könnte.

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Das wär ä Geschäft! Das wär ä Geschäft!" schloß er wieder lippenspizend seine Rede.

Nun, Herr Rewald, weshalb machen Sie es dann nicht?"

Warum? Warum? Nu, weil Sie's machen sollen, lieber Geiger!" Er flopfte ihm vertraulich auf die Schulter." Sehen Se, diese beiden Häuser lassen Se einfach niederreißen und bauen darauf ein neues, großes Haus auf"

Sie wissen, Herr Rewald, so gut wie ich, daß ich mich auf Derartiges nicht einlassen kann, ich habe schon die anderen Häuser. Meinem Geschäft, Meinem Geschäft, wenn es sich auch ganz gut rentirt, kann man nicht so viel zumuthen."

Ich sag Ihnen, es wird Ihnen leid thun, greifen Se ßu, greifen Se Bu, eh's zu spät ist. ' s wird Ihnen leid thun, sag ich Ihnen, und warum sollen Se's nicht nehmen, warum nicht? A junger Mann muß Glück im Leben haben! Was haben Se dabei zu ristiren?! Häso ä reicher Mann wie Sie nachher werden nachher werden Se sagen, der Rewald, das ist Einer, der meints noch gut mit mir."

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Herr Newald, Ihr Neden nüßt augenblicklich garnichts, ich werde darüber einmal mit meiner Frau sprechen!"

Mit Ihrer Frau?" schrie Newald, lachte, als

* Der gebildete" Aristokrat verwechselt hier Alles. Bekanntlich ist die Oper Freischütz von Weber. Und was er angeblich aus ihr trällert, stammt aus dem Trou­badour, einem Werke Verdis.

** Dante und Petrarca sind bekanntlich keine Bild­hauer, sondern Dichter, wie Lorrain ein Maler!

nicht machen! Piccolo, ein paar Zigarren!" Und wieder begann das Gespräch.

Man stritt über die Größe Bismarcks, sprach über die Bedeutung des Krieges von siebzig- einund­siebzig, über Moltke, Roon, Mac Mahon , Napoleon, Eugenie , Nochefort. Der Aristokrat hielt eine feurige Ansprache, lobte das energische Vorgehen Bismarcks, welchen er persönlich zu fennen vorgab, sprach von Beziehungen Deutschlands mit denen des Auslands, besonders mit Zentral- und Südamerika dann von der Zukunft der Wissenschaft im Dienste der Industrie, und dieses Alles mit einer so wichtigen Miene, als ob jedes Wort der Nachwelt überliefert werden müßte, dieses Alles mit einem liebens­würdigen, gezierten Lächeln, das einer Primadonna Ehre gemacht hätte, dieses Alles mit einer solchen stolzen Bestimmtheit, als ob er, er, der Aristokrat und Niemand anders, die Fäden des Weltgetriebes leite.

Gerade wie ein Blutegel, den man einmal ab­gestreift, von Neuem lautlos auf sein Opfer los schießt und sich festzusaugen versucht, so begann Rewald plötzlich unvermittelt wieder von Geschäften zu reden. Wie der Grund und Boden so billig, so billig sei, und wie man jetzt auf so leichte und an­ständige Art und Weise dies betonte er beson ders ders viel, sehr viel Geld verdienen fönne, er ging sogar noch einen Schritt weiter:

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Und sehen Se, hier habe ich die Pläne. Diese günstige Lage, fein Winkelchen, kein Eckchen, direkt beim Rathhaus. A Million, ä Million ist damit zu verdienen, und als ob fünfhunderttausend Mark für ä Millionär wie Sie"- er wußte nur zu Geld ist! genau, daß Jener es nicht war Hunderttausend Mark zahlen Se an, die erste Hypothek dreihunderttausend, die zweite hundert­tausend. Vier Prozent, sechzehntausend Mark, als ob sechzehntausend Mark für Sie ä Geld ist! Fürs Baugeld lassen Se mich nur sorgen. Und wenns fich nicht rentirtes ist nur ein Fall, den ich hier annehme, verkaufen Se's wieder. Riskiren thun Se feinesfalls etwas verlieren können Se nischt dran, es ist unmöglich- unmöglich, sag ich Ihnen!"

" Ich will mit meiner Frau darüber sprechen!" ,, Aber lieber Geiger, ein Mann soll nicht einmal so viel Urtheilskraft haben, allein ohne seine Fran etwas beschließen zu können? Ich begreife Se nicht, Se sind doch sonst so'n verständiger, gescheuter Mensch!"

,, Herr Newald, ich werde erst mit meiner Frau sprechen."

,, Nu, sprechen Se mit Ihrer Frau," sagte Rewald in einem Tone, als ob ihn diese ganze Sache nichts anginge.

" Piccolo, drei Echte!"

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Aber Herr Newald, Sie wissent

Aber Herr Geiger, Se werden mir doch ge­statten, ich nehme es Ihnen wirklich übel, wenn Se mir Se können sich ja immer wieder re­vanchiren."

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Und wieder begann das Gespräch. Der Aristokrat zeigte erstaunliche landwirthschaftliche Kenntnisse, sprach über die Bereitung des Rohzuckers aus Mohrrüben, über die Angoraschafzucht in Spanien , Australien und der Lüneburger Haide, dann über die Victoria Regia , die er was schadet es mit der Königin der Nacht verwechselte, den Peloponnesischen Krieg, den er in das sechste Jahrhundert vor Christi legte, ver­sicherte den Anderen mit ausgezeichneter Liebens­würdigkeit, daß er, er persönlich, gegen den Grafen Arnim garnichts hätte, und daß derselbe sogar ein sehr lieber, anständiger Mensch sei er hätte früher

fanntschaft zu machen. Dann ließ er sich, leider nur etwas zu orakelhaft, über die Zukunft der deutschen Tertilbranche aus, die mit der finanziellen Lage Australiens auf's Engste zusammenhinge. Herr Geiger, wir gehen."

Man wollte zahlen.

, Aber bitte, bitte, bemühen Sie sich nicht, meine Herren, wir können es ja ein anderes Mal reguliren. Ich werde mir gestatten

,, Adieu, Schwager, adien Herr Rewald!"

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Aber Herr Geiger, Se werden doch noch nicht nach Hause gehen. Kommen Se, Herr Geiger, wir wollen uns einmal das Haus ansehen, komment Se!"

Herr Rewald, ein anderes Mal, meine Frau wartet mit dem Mittag."

,, Sie kommen doch so wie so schon zu spät. Sie essen doch sonst immer um halb drei und jetzt ist es schon ein Viertel auf vier."

Eben deswegen muß ich schnell nach Haus." Ach, sie werden doch auch zu Hause einmal Kommen Se nur, wir ohne Sie fertig werden. find ja gleich dort."

Ja," setzte der Aristokrat hinzu ,,, ansehen können wir es uns ja!"

Geiger gab nach.

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Als er endlich am Spätnachmittag heim fam, fühlte er einen eigenthümlichen, dumpfen Druck zwischen den Augen, und die Geschehnisse begannen sich in seinem Kopf zu verwirren. Er wußte nur, er war noch irgendwo gewesen, hatte sich irgend Etwas angesehen, und irgend Etwas so halb und halb zugefagt; was es aber war, um was es sich handelte, darauf konnte er sich trotz aller Anstrengung nicht besinnen. Als er die Treppe hinaufstieg, ver­sagten die Füße, er begann zu taumeln und wäre sicher gefallen, hätte er nicht noch schnell das Ge­länder umklammert. Dann schloß er auf und wankte, indem er sich bemühte, möglichst leise aufzutreten, den Flur entlang zum Schlafzimmer. Dort fiel er angezogen, wie er war, auf das Bett, wühlte sich in die grüne Steppdecke und das weiße Kantentud) und lag nun da mit großen, offenen Augen, nach­sinnend, was eigentlich mit ihm passirt set.

,, Was war denn das nur? Was war denn das nur?"

Seine Frau, die ihn hatte kommen hören, trat zu ihm. Als sie die verglasten, stieren Blicke sah, als der scharfe Bier- und Weindunst, den er aus­athmete, ihr entgegenschlug, da wurde es ihr klar.

Ihr Mann, zu dem sie aufblickte wie zu einem Heiligen, der ihr Ein und ihr Alles war, betrunken, betrunken wie der verkommenste Arbeiter, der Sonn­abend seinen Wochenlohn bekommen! Wenn das die Mädchen erführen! Wenn das die Kinder sähen! Die Schande, die Schaude!

Was blieb ihr Anderes übrig, sie mußte ihren Mann ausziehen, zu Bett bringen wie ein Baby. Es war ein schweres Stück Arbeit, und wie sie das anefelte!

Als sie endlich damit fertig war, setzte sie sich au's Bett, hörte auf sein ruhiges, tiefes Schnarchen, und das erste Mal in ihrer Ehe, das erste Mal seit acht Jahren weinte sie, sie schämte sich für ihren Mann. Er, der sonst so enthaltsam, war betrunken!

Die Geburt ihrer drei Kinder hatte ihr nicht. solchen Schmerz bereitet wie das. Ihr Mann, ihr Heiliger ihr- - ihr- ihr ihr Ein und ihr Alles betrunken Pfui!

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Was der kleine Georg erlauscht.

Wir Kinder wurden heute früher zu Bett ge­bracht und wunderten uns, daß wir nicht wie soust den Gutenachtfuß bekamen. Mutter, die kleine, dicke, lustige Frau war überhaupt in der letzten Zeit für uns wenig zu sprechen gewesen, ja es war sogar uns aufgefallen, daß sie schlecht aussah und dicke, verschwollene, rothgeweinte Augenlider hatte. Heute Abend hatte sie in allen Fächern ihres Mahagoni­Spindes umhergeframt und war dann mit einem Packet weggegangen. Wohin? Das wußte selbst