Luise Lademann nicht

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

selbst Luise Lademann! Das mußte etwas ganz Außergewöhnliches sein. Auch in der Küche war Alles wie umgewechselt. Ulrike, die mich sonst immer auf den Schooß nahm und sich sogar noch frente, wenn ich sie in die Nase fuiff, hatte mich heute garnicht beachtet, trotz all meiner Anstrengungen, mich bemerkbar zu machen, und mich endlich sogar wieder zu meiner Luise hinauf geschickt, und die brachte mich einfach in's Bett. In's Bett aber ich war ja noch garnicht

müde?!

,, So Georg, jetzt legst Du Dich auf die andere Seite und schläfft!" Und ich zog die Decke über das eine Ohr, lag mäuschenstill, that als ob ich schlief, stupste nur manchmal den großen Zeh vom linken Fuß gegen das Bettende, um zu prüfen, ob ich noch wach wäre.

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Nach einer halben Stunde hörte ich draußen eine Thür gehen. Luiſe ging hinaus. Ich horchte scharf auf, man sprach ziemlich laut im Nebenzimmer, aber trotzdem konnte ich nicht verstehen, unt was es sich handelte. Ich hörte nur deutlich Luisens Stimme:

Madame, Sie wollen mir wohl beleidigen?! Ich nehme et nicht, det können Sie doch nu besser brauchen! Ne, un ich nehme et nicht!"

,, Aber Luise, Du siehst doch, wir müssen uns jetzt auf's Aeußerste einschränken, ich kann unmöglich zwei Mädchen halten."

"

,, Un ich nehme et nicht! Un glauben Sie viel= leicht, Frau Geiger, ich werd hier wegjehn, wo ich mir hier so an die Kinder jewöhnt habe? Ne!" Aber Luise, Du mußt doch selbst einsehen

"

" Un ich sage Ihnen, ich nehme et nicht! Ne, wo ich mir so an die mehr

Det wär' ja wirklich

Kinder gewöhnt habe" fonnte ich nicht verstehen.

'

Luise kam wieder herein, setzte sich vor mein Bett und weinte.

Sie wollte mir beleidigen! uh! Sie wollte mir beleidigen, uh und wo ich dabei so gut zu sie wollte mir beleidigen

die Kinder biu-- uh

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1th-"

Luise Lademann, unsere Luise weinte! Aus drei Betten erflang plößlich ein Jammergeheul. Na, stille, schlaft man weiter.

wollte mir beleidigen!"

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Aber ich konte nicht einschlafen.

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Uh! Sie

Nach einiger Zeit hörte ich vorn meinen Vater sehr heftig sprechen.

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,, Diese Lumpen! Ich schlage ihm übern Kopf! die Nicht werth sind sie von mir zu machen

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mit dreißigtausend ist die Sache noch er hats genau gewußt, wie ich mich da hereinreite. Red nicht, Frau, genau hat ers gewußt, der Lump!! Ich halts nicht aus, ich halts nicht aus! Ich glaube, ich werde verrückt ein nein ich halts nicht aus!

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"

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Mit dreißigtausend wär Alles zu retten ge­wesen. Du weißt, wie ich mich bemüht habe, wie ich gearbeitet habe, mein Lebtag!

"

Aunchen, ich kanns nicht mehr, ich halts nicht aus! Aengstige Dich nicht, ich werde ja wieder ruhig werden. Hab keine Angst Kind, ich bin nur dieser augenblicklich so erregt, dieser, dieser

Lump, dieser Gauner!"

Leises Weinen.

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Von da au wurde das Gespräch ge­dämpft geführt. Ich lauschte, lauschte, aber ich ver­stand nichts mehr und schlief ein.

Einige Stunden später saß Herr Geiger allein vorn im Arbeitszimmer, vor ihm ein Blatt Papier  , über und über mit Zahlen befrißelt. Da war multi­plizirt und dividirt, addirt und subtrahirt, und immer, immer das Defizit, wie es gedreht und gewendet, welche Möglichkeit auch angenommen, immer, immer das uuregulirbare Defizit auf dem Grundstückkonto. Unabwendbar!

Und da lagen sie nun vor ihm, die letzten zwei Jahre, und mit einem Blick übersah er sie, als ob sie eine Seite seines Hauptbuchs wären. Seit jenem Tag, seit jenem unglückseligen Hauskauf, keine ruhige

Stunde mehr.

Der plötzliche Umschlag: Grund und Boden ver­

lieren den Werth, Niemand wagt mehr, ihn zu be= leihen, und an Käufer ist garnicht zu denken.

Woher Geld nehmen? Das, was noch geblieben, reichte nicht aus. reichte nicht aus. Es mußte vermehrt werden. Er betheiligte sich an Gründungen, und verlor; er speku­lirte in scheinbar sicheren Papieren, und verlor.

Gutwillig opferte der Aristokrat hunderttausend. Sie wurden verschlungen.

Gutwillig gaben Freunde und Verwandte, was in ihren Kräften stand. Es verrauchte im Augen­blick, wie Wassertropfen, die auf einen heißen Stein fallen.

Aber er konnte nicht mehr zurück, es war für ihn zur Eristenzfrage geworden; es müßten ja auch bessere Zeiten kommen, und dann wäre ja Alles ge= rettet, dann könnte er ja an dem Haus wieder zum reichen Mann werden.

In seiner Herzensangst hatte er sich an Rewald gewandt, trotzdem er vor ihm ein geheimes Grauen hatte, und Rewald hatte ihm wider Erwarten drei­mal mit kleinen Summen ausgeholfen, aber dann war auch diese Quelle versiegt.

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wie war er umhergelaufen in den letzten Tagen von Einem zum Anderen; fast überall buch­stäblich verschlossene Thüren, und die Wenigen, die ihn vorließen, zuckten mitleidig die Achseln. Ja, wenn sie ihm helfen könnten, sie würden es ja gern thun und hundert Gründe.

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Mit dem Aristokraten war er aufs Heftigste zusammengerathen er konnte ihn retten, und warum that ers nicht! und er bedachte garnicht, daß Jener schon ein Vermögen an ihn gewandt hatte, sondern ging in seinem Jähzorn so weit, handgreif­lich zu werden. Der Aristokrat wies ihn, schäumend vor Wuth, aus der Wohnung.

Ueberall verschlossene Thüren! Ueberall nur ver­schlossene Herzen!

Und dann hörte er, daß Rewald einen Theil der Forderungen an sich gebracht habe, um als Haupt­gläubiger gegen ihn aufzutreten. Er stürzte zu ihm - Newald wäre verreist, hieß es.

Unabwendbar bankerott! Was nun? Was nun? Vielleicht ist doch noch die Möglichkeit, es zu reguliren, und wenn auch nur für einige Tage.

Er rechnet, rechnet wieder und wieder, immer das Defizit! Er öffnet den eisernen Schrank. Fast leer! Nur ein Zahlbrett, eine Mappe, das Geheimbuch! Er schlägt es auf. Per Kassa- Konto an Grundstück- Konto: immense Summen. Er rechnet und rechnet. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn; feine Möglichkeit das Defizit!

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Er zerknittert wüthend das Blatt, reißt es in Feßen, wirft sie zur Erde und stampft mit dem Fuß darauf. Umsonst! Das Defizit bleibt. Wo er hin sieht Zahlen, Zahlen, nichts wie Zahlen. Defizit!!!

Was nun?

Das

,, Gott  , ich hab ja mein Leben gearbeitet wie'n Wozu? Wozu? Alles Hund, und jetzt

zu nichte!!"

Was nun?

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Er sieht in das obere Fach des Spindes. Leer die Tasche, wo sonst die Wechsel darin waren, alle schon zu Geld gemacht! Nicht einen Pfennig! Da in der Ecke der Revolver!

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" Was hab ich denn noch zu verlieren? Aber so wie ein Dieb sich fortsichlen, ohne Abschied zu nehmen?"

Er schreibt:

"

Da ich geistig und körperlich zu sehr an­gestrengt und eine gefährlich ausgehende Krankheit befürchte, so ist es das Beste, wenn ich so von Euch gehe. Wenn Ihr diese Zeilen left, meine Lieben, bedauert mich nicht, wenigstens nicht meinen frühen Tod. Ich habe furchtbare Sorgen bei Tag und bei Nacht gehabt, und manche schlaf­lose Nacht verbracht, doch eine solche wie die ver­gangene noch nie, die wünsche ich dem niedrigsten Verbrecher nicht. Lebt wohl, meine Lieben! Du vor Allen, mein liebes, gutes Annchen! Wenn ich Dich manchmal gekränkt, verzeih mir, ich war stets gut und aufopfernd für Dich und unsere Kinder.

-

" 1

3

, Was vermag nicht Sorge?! Adieu! Ich wünsche mehr Frohsinn und Heiterkeit Allen, die mir lieb und theuer sind!!!

Hermann Geiger."

Plößlich schien es ihm, als stände hinter ihm eine graue, vermummte Gestalt und reiche ihm die Waffe über die Schulter. Er wandte sich um, seine Frau stand hinter ihm.

Sie sagte kein Wort, aber dem Gesicht sah man es an, daß sie es wußte, um was es sich hier handelte. Und seit langer Zeit wieder das erste Mal, beugte sie sich über ihren Mann und küßte ihn.

*

*

*

Ja, er war mit einem Schlag eine traurige Berühmtheit geworden, der große Geiger!

Das Geschäft, das wäre ja überhaupt niemals zu ruiniren gewesen, aber da mußte sich dieser Mann natürlich in großartige Spekulationen einlassen, Grund­stücke kaufen, Häuser bauen, ausbauen, sich an faulen Aktiengesellschaften betheiligen, ein großes Haus führen, ja, ja, lieber Geiger, die Bäume wachsen nicht in den Himmel, dafür ist gesorgt!

Sogar die Börse, die doch damit garnichts zu thun hatte, war darüber in Aufregung.

Wissen Sie schon, der Geiger ist pleite!" " So? Der hübsche?"

" Ja!"

Sewald trat herzu.

"

Er hat sich in verfehlte Spekulationen ein­gelassen, mit dem Haus da bekauft. Wissen Se, was hab' ich mit ihm gered't! Geiger, hab' ich ge= sagt, Geiger lassen Se sich nicht auf so was ein, Geiger, Se ruiniren sich, Sie ruiniren Ihre Familie! Er hat nicht auf mich hören wollen. Nu hat er's!"

Ich denke, er hat wohlhabende Anverwandte, konnten die ihm denn nicht mehr helfen?"

Was glauben Sie, haben die schon verloren?!" , Aber, ich denke, es ist nur ein geringes Defizit von fünfzigtausend?"

"

Fünfzigtausend?! Ich sag Ihnen, zweimal­hunderttausend reichen nicht"

Rewald ging achselzuckend weiter. Die beiden Anderen blickten ihm nach.

Ich möchte darauf schwören, der alte Lump hat wieder seine Hand mit im Spiel. Es ist nicht der Erste, den er auf dem Gewissen hat, dieser Gurgelabschneider!"

*

*

*

Bei der Subhastation erstand Rewald das Haus um einen Spottpreis, da außer ihm fast Niemand zu bieten wagte. ( Fortsetzung solgt.)

Die Madonna im Rosenhag  .

Von Dr. John Schikowski.

ie Anfänge aller bildenden Künste sind rea­listisch, d. h. die Wirklichkeit( Realität) wider­spiegelnd. Das noch ungeschulte Auge be­müht sich, die Gegenstände der Natur möglichst deutlich zu sehen, und die ungeübte Hand ist bestrebt, in der künstlerischen Wiedergabe dieser Gegenstände eine möglichst vollkommene Naturwahrheit zu erreichen. Der Maler der Urzeit, der ein Bild des Mondes geben wollte, und ihn nicht viereckig, sondern rund zeichnete, war ein Realist. Der allmälig schärfer werdende Blick enthüllte unaufhörlich neue künst= lerische Probleme, und die Technik des Malers und Zeichners bemühte sich, ihnen gerecht zu werden. Die feinere Beobachtung lehrte ihn z. B., daß die Gegenstände durch die größere und geringere Ent­fernung des beschauenden Auges und durch den Wechsel des Standpunkts, von dem aus man sie betrachtet, in ihren Größenverhältnissen und in ihrer Gestalt scheinbare Verschiebungen erleiden, und daß derselbe Gegenstand, aus der Nähe betrachtet, eine andere Farbe zu haben scheint, als wenn man ihn in weite Ferne rückt: das Problem der Linien­und Luftperspektive war entdeckt.

Erst dann, wenn die Kunst in der realistischen