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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Dies schreckte ihn aber nicht ab, sondern er setzte sich hin und begann eine Abhandlung über Die Berechtigung des Volkes zur Erziehung" zu schreiben, die er aber mangels an Stoff und Wissen unter­brechen und unvollendet lassen mußte.

Er suchte leichter zu behandelnde Themata und befaßte sich der Reihe nach mit mehreren. Zuerst schrieb er über Die Erziehung der Kinder durch den Anschaungsunterricht". Er verlangte, man möge in den armen Stadttheilen Theater mit freiem Ein­tritt für kleine Kinder errichten. Die Eltern würden dieselben schon im zartesten Alter dahin führen und die Kinder mit Hülfe einer Laterna magica Bilder aus sämmtlichen menschlichen Wissenschaften zu sehen bekommen. Dies könnte zu förmlichen Lehrkursen ausgebildet werden. Die Augen würden den Geist belehren und die vorgeführten Bilder im Gedächtnisse haften bleiben, die Wissenschaft auf diese Weise so zusagen greifbar und sichtbar machend. Kann man fich demnach ein besseres Mittel denken, um den Unterricht in der Weltgeschichte, Geographie, Natur­geschichte, Botanik, Zoologie, Anatomie usw. usw. zu bewerkstelligen?

Diese Arbeit ließ er drucken und versandte die­selbe in je einem Gxemplar an jeden Abgeordneten, zehn Exemplare an jeden Minister, fünfzig an den Präsidenten der Republik, ebenfalls zehn an jede Pariser Zeitung und je fünf Exemplare an jedes Provinzblatt.

Sodann behandelte er die Frage der Straßen­bibliotheken, indem er auseinandersezte, der Staat folle kleine, mit Büchern gefüllte Wagen, ähnlich den Wagen der Orangenverkäufer, durch die Straßen fahren lassen. Jeder Einwohner der Stadt sollte monatlich zehn Bände gegen eine Entschädigung von einent Sou entlehnen dürfen.

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, Das Volk," sagte Herr Sacrement   unter An­derem, unterzieht sich nur Mühen und Kosten, wo es sich um seine Vergnügungen handelt, und da es nicht selbst zur Erziehung kommt, so muß die Er­ziehung zu ihm kommen usw."

Seine schriftstellerischen Versuche erregten feinerlei Aufschen, was ihn aber nicht hinderte, seine Ein­gabe zu machen. Man erwiderte ihm, daß man von seinem Anliegen Notiz genommen habe und Er­hebungen pflegen werde. Er wähnte bereits am Ziele angelangt zu sein und wartete. Es fam aber nichts.

Nun beschloß er, seine Sache persönlich zu ver fechten. Er suchte um eine Audienz beim Unter­richtsminister an und wurde von einem ganz jungen, jedoch sehr ernst und wichtig aussehenden Secretair empfangen, der wie auf einem Piano auf einer ganzen Serie kleiner, weißer Knöpfe spielte, um die Diener und untergeordneten Beamten zu sich zu be­scheiden. Diese wichtige Persönlichkeit versicherte dem Gesuchsteller, daß seine Angelegenheit in guten Hän­den sei, ihrer Erledigung zugeführt werde, und rieth ihm, in seinen sehr bemerkenswerthen Arbeiten fort­zufahren.

Und Herr Sacrement   begab sich neuerdings aus Werk.

Herr Rosselin, der Abgeordnete, schien sich jetzt ganz ungemein für den Erfolg seines Freundes zu interessiren und ertheilte ihm selbst eine Menge der vortrefflichsten, praktischen Rathschläge. Im llebrigen trug er gleichfalls ein Ordensband, ohne daß man zu sagen vermocht hätte, welchem Umstande er diese Auszeichnung verdanke.

Er wies Sacrement an, neuerliche Studien zu unternehmen, stellte ihn gelehrten Gesellschaften vor, die sich mit Vorliebe den unbekanntesten Wissenschaften widmen, von der Absicht geleitet, hierbei zu Ruhm und Anerkennung zu gelangen, und führte ihn sogar beint Minister ein.

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Eines Tages wendete sich Nosselin vor dem Früh­Stück seit einigen Monaten speiste er sehr häufig in dem Hause seines Freundes- zu diesem, und indem er ihm bedeutungsvoll die Hände drückte, sagte er: Ich habe Ihnen soeben eine besondere Aus­zeichnung erwirkt. Der Verein für historische Ar­beiten betraut Sie mit einer Mission. Es handelt sich um Nachforschungen, die in verschiedenen Biblio­theken Frankreichs   angestellt werden sollen."

Im höchsten Grade erregt, vermochte Sacrement weder zu essen noch zu trinken. Acht Tage später reiste er ab.

Er wanderte von einer Stadt zur anderen, studirte die Kataloge und durchwühlte mit staub­bedeckten Kalbslederbänden gefüllte Speicher zum nicht geringen Verdrusse der in ihrer beschaulichen Nuhe gestörten Bibliothekare.

Er weilte gerade in Nouen, als ihn eines Abends die Lust anwandelte, seine Frau, die er seit einer Woche nicht gesehen, zu umarmen. Er bestieg also den um neun Abends abgehenden Zug und war um Mitternacht daheim.

Da er seinen Schlüssel stets mit sich führte, so trat er geräuschlos in das Zimmer, bebend vor Aufregung und ganz entzückt über die Frende, die er seiner Gattin bereiten würde. Die hatte sich aber in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen; wie ärger­lich! Es blieb ihm daher nichts Anderes übrig, als durch die geschlossene Thür zu rufen: Jeanne, ich bin da!"

Sie mochte wohl sehr ängstlich sein und große Furcht haben, denn er hörte, wie sie aus dem Bette sprang und wie im Traume mit sich selbst zu sprechen begann. begann. Daun   rannte sie zu ihrem Badezimmer, öffnete und verschloß es wieder, eilte mehrmals bar­fuß durch das Zimmer, wobei sie wiederholt gegen die Möbel austieß, und endlich fragte sie: Bist Du es denn wirklich, Alerander?"

Aber ja, so öffne dech schon," erwiderte er ungeduldig.

Die Thür ging auf, und seine Frau sank ihm an die Brust, wobei sie stammelte:" O, welcher Schrecken! Welche lleberraschung! Welche Freude!"

Nun begann er sich zu entkleiden, langsam und methodisch wie Alles, was er machte. Daun   nahm er seinen lleberzieher, den er gewöhnlich an den Kleiderrechen im Vorzimmer hing, vom Stuhl, um ihn hinauszutragen. Mit einem Male aber blieb er wie versteinert stehen. In dem Knopfloch des Ueberziehers leuchtete ein rothes Bändchen! In diesem- zieher zu stammeln.

in diesem- lleber= ist ein Orden!" vermochte er endlich

Mit einem Saß war seine Frau bei ihm, und mit beiden Händen an dem Kleidungsstück zerrend, sagte sie: Nein, nein Du irrst Dich gieb

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gieb­

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Er aber hielt den Ueberzieher an einem Aermel fest, ließ sich ihn nicht aus den Händen zerren und schrie:" Wie?- Weshalb? Erkläre mir Wem gehört dieser Ueberzieher? Mir nicht, da er mit dem Kreuz der Ehrenlegion geschmückt ist."

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Sie ließ das Kleidungsstück noch immer nicht los, schien wie von Sinnen zu sein und stotterte: Aber, so höre doch

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gieb her

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Ich kann es Dir nicht erklären Geheimniß So höre doch

-

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es ist ein

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Er wurde zornig und ganz bleich im Gesicht, als er sagte: Ich will wissen, wieso dieser Ueber= zieher hier ist, denn der meinige ist es nicht."

Nun aber schrie sie ihm die Worte zu: Doch, aber schweige; schwöre es mir- höre- Damit Du es also wissest: Du hast einen Drden bekommen!"

Er wurde von einer solchen Erregung erfaßt, daß er den Ueberzieher losließ und in einen Fan­teuil sant.

Ich habe- Orden bekommen?" " Ja großes Geheimniß

-

sagst Du

--

einen

doch ist dies ein Geheimniß, ein

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Sie hatte das glorreiche Kleidungsstück in einen Schrank gesperrt und kehrte jetzt, noch immer bleich und zitternd, zu ihrem Gatten zurück, indem sie sagte: Ja, dies ist ein neuer Ueberzieher, den ich Dir Labe machen lassen. Doch hatte ich geschworen, daß ich Dir nichts verrathen würde, da die Sache erst in vier bis sechs Wochen offiziell werden sollte. Du mußt Deinen Auftrag zuvörderft zu Ende geführt haben, und war Dir diese lleberraschung erst nach Deiner Rückkehr zugedacht. Herr Rosselin hat dies für Dich durchgesetzt---"

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Ganz aufgelöst vor Entzücken stotterte Sacre­ment: Rosselin ein Orden Er hat mir einen Orden verschafft-

er

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ach!"

mir

Er mußte ein Glas Wasser trinken, um sich zu beruhigen.

Ein kleines, weißes Papierblatt, welches aus der Tasche des Ueberziehers geglitten war, lag auf der Erde. Sacrement hob es auf. Es war eine Visiten= farte, und auf derselben stand: Armand Rosselin, Abgeordneter."

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Du siehst es nun selbst," sprach die junge Frau. Und der Gatte begann vor Freude zu weinen. Acht Tage später meldete das Amtsblatt, daß Herr Alerander Sacrement außerordentlicher Dienst­leistungen halber zum Ritter der Ehrenlegion   ernannt worden sci.

Ein Vielgereifter.

Von Manfred Wittich.

Ich han Lande viel gesehen. Walther von der Vogelweide.

enn irgend Einer dies von sich sagen konnte, und noch dazu in einer Zeit, die weit hinter uns liegt und wo das Wandern

und Landfahren gar beschwerlich ins Werk zu setzen war, im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, so war es der ritterliche Minne­fänger Oswald von Wolkenstein  , von dem wir hier berichten wollen.

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Am 24. August 1890 haben ihm die Mannen von der Alpenvereins- Sektion Bozen   auf der Ruine Hauenstein seinem einstigen Wohnsize draußen im Tirol, wo schon zwei Sängern des Mittelalters, dem großen Walther von der Vogelweide   im Lajaner Nied, am Vogelweidhof, und dem Lenthold v. Säven bei Clausen( alle drei Orte liegen im Eisackthal), Merfzeichen errichtet worden sind, eine Gedenktafel enthüllt. Der Mann, von dem wir hier reden, ist einer der größten Dichter deutscher Zunge gewesen, und wie gar wenig ist er bekannt, und wärs doch mehr werth, als Hunderte von Anderen! In ihm flammte, nachdem des Minnegesangs Frühling längst abgeblüht hatte( Oswald lebte von 1367 bis 1445), noch einmal das Feuer ritterlicher Dichtkunst hoch empor. Das aber kam daher, weil unser Poet die alten ausgetretenen Bahnen verließ und mit feckem Griff hineinlangte ins volle Menschenleben und in Worte und Weisen einkleidete, was er genießend und leidend wirklich selbst erlebte.

Und ein stark bewegtes Leben wars, das er ge=. führt hat! Mit seinen Brüdern, dem älteren Michael und dem jüngeren Lienhard, lebte er zur Sommers­zeit mit den Eltern auf Schloß Wolfenstein in Gröden  , ein trußiges Söhnlein eines trußigen Edelings­geschlechtes. Bei einem Fastnachtsvergnügen verlor er durch einen Bolzenschuß das rechte Auge und hieß nun, zum Unterschied von anderen gleichnamigen Vettern, Oswald mit einem Auge. Da lernte er in Stall und Küche sich tummeln und allen Dienst eines gemeinen Reiterknechts, aber auch harfen, geigen, trommeln, paufen und pfeifen, wie anch seine metallreine Stimme kunstmäßig zum Singen zu brauchen. Kopfüber versenkte er sich zugleich in das Geles der Ritterbücher, die frühe knabenhaften Abenteurermuth in ihm wachriefen.

Drei Pfennige und ein Stück Brot im Sack, schloß sich der zehnjährige Bube einer Schaar tiroler Nitter an, die Hugo II. von Montfort- Bregenz dem Herzog Albrecht III  . von Oesterreich   zuführte, auf dessen Kriegsfahrt gegen die heidnischen Preußen ( 1377), die gar kläglich endete.

Acht Jahre blieb Oswald im Preußenland und fernte zu seinem geliebten Deutsch und dem romanischen Dialekt Welschtirols die slavischen Sprachen so gut, daß er, den Reden nach, für einen Eingeborenen gelten fonnte; er lerute dabei auch den nachmaligen Kaiser Sigismund   kennen, mit dem er eng befreundet

wurde.

Nach buntbewegten, gefährlichen Zügen durch Preußen, Littauen, Polen   und Nothrußland, auf