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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
blicb. Die furzen, der Erholung gewidmeten Augenblicke, die der Gesundheit, ja, dem Leben des Kindes so nothwendig waren, wurden ganz und gar von dem Griechisch, dem Lateinisch, dem Französisch und dem Deutsch in Anspruch genommen. Das Herz schnürte sich mir Morgens zusammen, wenn ich seine mageren Schultern unter dem Gewicht der Schulmappe sich beugen sah, in die er seine Bücher ge= packt hatte. Ich bat oft seine Lehrer, ihn milde zu behandeln, doch sie antworteten mir, ich wäre zu nachsichtig gegen das Kind, ich verzöge es, denn es stände ganz außer Zweifel, daß Michel nicht genug lerne. Außerdem hätte er eine sehr schlechte Aussprache und weine oft ohne ersichtlichen Grund. Diese Vorwürfe rührten mich tief; und mein einsames und trauriges Leben, das schon durch eine schwere Lungenkrankheit vergiftet wurde, wurde dadurch noch trüber und elender.
Besser als irgend Wer mußte ich wissen, ob Michel genug arbeitete oder nicht! Er war ein etwas beschränktes Kind, sehr sanft von Charakter, aber dafür mit einer solchen Ausdauer und Energie begabt, wie ich sie in ähnlicher Weise bei einem Schüler seines Alters nie getroffen habe. Der arme Michel betete seine Mutter an; man hatte ihm gesagt, sie wäre unglücklich und krank, und wenn er nicht tüchtig lerne, so würde das hinreichen, sie zu tödten. Dieser Gedanke machte ihn erzittern; daher saß er auch ganze Nächte und arbeitete, um seine liebe Mutter nicht zu betrüben. Wenn er eine schlechte Note bekam, so brach er in Thränen aus; aber es ist sicher, daß Niemand die Ursache dieser Thränen erkannte.
Ich verzog ihn nicht, auch schmeichelte ich ihm nie; doch ich verstand ihn besser als die Anderen; und anstatt ihn auszuschelten, wenn er nichts er= reichte, that ich mein Möglichstes, ihn zu trösten.
Die Sache ging mich ja auch persönlich an, denn ich habe in meinem Leben viel gearbeitet, habe gefämpft, Hunger gelitten, im Elend gelebt; ich bin nie glücklich gewesen und werde es niemals sein. Großer Gott, das sind vergangene Dinge, an die ich nicht mehr denke. Ich mache mir auch nichts mehr aus dem Leben; aber in Michels Alter hatte ich wenigstens einige glückliche Stunden, und der Hunger quälte mich noch nicht.
Wenn man mich schlug, so weinte ich, wie jeder Andere, so lange der Schmerz dauerte; kaum aber hatte man aufgehört, mich zu schlagen, so dachte ich nicht mehr daran. Im llebrigen lebte ich frei wie der Vogel in der Luft, ohne daß je eine Sorge mich quälte.
Michel war nicht einmal das beschieden. Später konnte ihn das Leben ja in die Zange nehmen und und ihn nach Herzenslust kneifen. Aber wenigstens in der Kindheit hätte es ihn lachen lassen sollen; es hätte ihm gestattet sein müssen, in der frischen Luft herumzulaufen, frei aufzuathmen und in der Sonne zu spielen.
Statt dessen sah ich den armen Kleinen stets nachdenklich, unter der Last seiner Bücher erliegend, vor Müdigkeit umfallend und mit entzündeten Augen, als bemühe er sich fortwährend, seine Thränen zurückzuhalten, zur Schule gehen und zurückkommen. In solchen Augenblicken hätte ich ihm zu Hülfe kommen und ihn trösten mögen. Ich bin auch Lehrer, und ich weiß wahrhaftig nicht, was aus mir werden sollte, wenn ich den Glauben an das Studium verlöre und die Wohlthaten der Arbeit nicht mehr zu schäßen wüßte. Aber ich bin der Ansicht, daß die Schule nicht die Gestalt einer Tragödie für die Kinder annehmen darf; ich behaupte, daß die frische Luft und die Gesundheit nicht durch Griechisch und Latein ersetzt werden dürfen, und bin der Meinung, daß das Schicksal, ja, das Leben dieser schwachen Geschöpfe nicht von einer mehr oder weniger reinen Aussprache abhängen darf.
Ich erkläre ferner, daß das Ziel des Unterrichts viel leichter zu erreichen ist, wenn das Kind mit leiser Hand dahin geleitet, als wenn es durch ein Riesengewicht niedergedrückt wird, das ihm die Brust zerquetscht.
Ich bin und werde stets ein so beschränkter Mensch bleiben, daß ich meine Ansicht in dieser Hinsicht nie ändern werde; und der Gedanke an den
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armen Michel, den ich so innig geliebt habe, be= stärkt mich nur in seiner Anschauungsweise.
Sechs Jahre hindurch bin ich sein Lehrer gewesen; und seit er in die zweite Klasse gekommen ist, bin ich sein Repetitor. Ich hatte also Zeit, ihn ist, bin ich sein Repetitor. Ich hatte also Zeit, ihn fennen zu lernen... Und außerdem, warum sollte ich mich selbst täuschen? Ich liebte ihn, weil er der ich mich selbst täuschen? Ich liebte ihn, weil er der Sohn der Frau war, die mir theurer war, als Alles auf der Welt... Sie hat es nie geahut, und wird es niemals erfahren... Ich weiß nur zu gut, daß ich... Herr Wolski bin, ein armer Lehrer, ein franker Mensch während sie einer alt= adligen Familie angehört. Sie ist eine große Dame, eine sehr große Dame, daß es mir kaum gestattet ist, meine Augen zu den ihren zu erheben. Und doch muß sich das einsame Herz, von den Kämpfen des Lebens ermüdet, an irgend Jemanden anschließen, wie gewisse Muschelarten, die von den Wellen hin und her geschleudert werden, sich schließlich an den Felsen klammern....
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So habe ich auch den Kleinen lieb gewonnen... Ich verübrigens, was kann ihr das schaden?... lange nicht mehr von ihr, als ich von der Sonne verlange, deren wohlthätige Strahlen meine armen, franken Lungen im Frühling fräftigen.
Sechs Jahre lebte ich in ihrem Hause und sah sie lange allein, unglücklich, ihre Kinder liebend, stets gütig wie ein Engel, fast eine Heilige während ihrer Wittwenschaft. Es war also ganz natürlich, daß ich sie liebte. Und dann ist das Gefühl, das ich empfinde, nicht Liebe, es ist Religion.
Michel hatte viel Aehnlichkeit mit seiner Mutter, und oft glaubte ich sie zu sehen, wenn er die Augen zu mir erhob. Es waren dieselben zarten Züge, dieselbe Feinheit der Linien, derselbe Klang der Stimme. Sie gehörten Beide jener edlen Art von nervösen, empfindlichen, liebevollen Geschöpfen an, die zu den größten Opfern fähig find, aber stets im Voraus mehr ausgeben, als sie dafür empfangen können und dafür in der nüchternen Wirklichkeit des Lebens nur ein mäßiges Glück genießen.
Die Naturen dieser Art fangen an auszusterben; ich glaube sogar, die Psychologen der Zukunft werden ich glaube sogar, die Psychologen der Zukunft werden versichern, diese Wesen seien von vornherein zum Tode verdammt, denn sie kommen mit einem or= ganischen Herzfehler zur Welt, sie lieben zu stark. Michels Eltern hatten früher ein großes Vermögen besessen, doch auch sie hatten ein zu großes Herz gehabt. Daher hatten mancherlei Schicksalsschläge sie in eine Lage gebracht, die man gerade nicht Armuth nennen konnte, die aber, namentlich im Vergleich mit der Vergangenheit, hart an die Mittelmäßigkeit streifte.
Michel war der letzte Sproß der Familie; daher liebte ihn Frau Marina nicht nur als ihren Sohn, sondern auch als ihre einzige Hoffnung für die Zufunft. Unglücklicherweise hielt sie ihn mit der allen Müttern eigenen Verblendung für ausnehmend klug. Es fehlte ja dem Kinde auch nicht an Intelligenz; aber er war einer jener Knaben, deren zuerst mäßige geistige Eigenschaften sich mit den Körperkräften entwickeln. Unter anderen Lebensbedingungen hätte er seine Studien mit leichter Mühe zu Ende führen können; aber bei dem augenblicklichen Stande der Dinge und in Anbetracht der hohen Meinung, die seine Mutter von seinen Eigenschaften hegte, quälte und marterte er sich nur in fruchtlosen Bemühungen ab.
Ich habe schon Vielerlei in der Welt gesehen, und habe mich entschlossen, mich über nichts mehr zu wundern; doch gestehe ich, daß es mir schwer wurde, zu begreifen, wie Beharrlichkeit, Arbeit und Energie eine Quelle des Leidens für dieses Kind werden konnten. Es ist traurig zu sagen, aber wenn Worte mich über Schmerzen und Bitterfeiten trösten könnten, so würde ich gern mit Hamlet sagen: ,, Es giebt mehr Ding' im Himmel wie auf Erden, Als unsere Schulweisheit sich träumt!"
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Ich arbeitete mit Michel, als hinge meine Zukunft von den guten oder schlechten Zensuren, die er bekam, ab. Es ist wahr, wir hatten nur ein Ziel, das liebe Kind und ich,„ sie" nicht zu be= trüben, ihr eine gute Note zeigen zu können und ein Lächeln des Glückes auf ihre Lippen zu zaubern.
Wenn es ihm gelang, eine gute Note zu erhalten, dann kehrte er ganz glückselig aus der Schule nach und nach Hause zurück. In solchen Augenblicken konnte man glaubte glauben, er sei plößlich gewachsen. Seine gewöhnlich Gleichzei so traurigen Augen lachten mit der offenen Freude quälte s der Kinder und seine Augäpfel glänzten wie auge schlaflos zündete Kohlen. Schnell entledigte er sich seiner manchma Büchermappe, die seine schmalen Schultern bedrückte, und sagte zu mir:„ Herr Wolski! Mama wird zufrieden sein.. Heute habe ich in der Geographie... rathen Sie einmal, wie viel?"
Und wenn ich so that, als könnte ich es nicht errathen, dann lief er auf mich zu, warf mir seine kleinen Hände um den Hals und schrie mir zu: Eine Fünf! Eine richtige Fünf!"
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Das waren die glücklichen Momente unseres Lebens.
Wenn der Abend hereinbrach, wurde Michel ganz träumerisch; er suchte sich vorzustellen, was wohl geschehen würde, wenn er den ersten Plaz erhielte. Dann wandte er sich halb zu mir, halb zu sich selbst und murmelte:
Zu Weihnachten werden wir nach Talesino reisen. Natürlich wird Schnee fallen, denn es ist ja Winter. Dann werden wir Schlitten fahren und in der Nacht ankommen. Mama wird uns erwarten, wird mich umarmen und zu mir sagen: und die Zensuren?" Dann werde ich absichtlich ein trauriges Gesicht machen.... Und nun wird Mama lesen: Religion gut, Französisch gut, Deutsch gut.... Ach, Herr Wolski."
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Dabei füllten sich die Augen des armen Kindes mit Thränen. Und ich, der ich mich wohl hütete, ihn zur Wirklichkeit zurückzuführen, sah in Gedanken das ruhige, würdige Haus von Talesino; ich sah die edle Frau, die darin lebte, und erfreute mich an ihrem Glücke, an ihrer Freude.
Ich benuzte diese Augenblicke, um Michel zu erklären, daß seine Mutter ihn nicht nur fleißig, sondern auch gesund wiederzusehen wünschte, daß er infolgedessen nicht mehr weinen, wenn ich ihn spazieren führte, und daß er nicht mehr die Nächte durch wachen dürfte. Da umarmte mich das Kind tief gerührt und erwiderte:
,, Ach, ja, mein lieber, guter Herr Wolski, ich werde gesund, schrecklich gesund sein, und werde so groß werden, daß weder Lina noch meine liebe Mama mich erkennen sollen!"
Madame Marina schrieb mir oft und bat mich, über die Gesundheit ihres Sohnes zu wachen; aber zu meiner größten Verzweiflung mußte ich täglich erkennen, daß es fast unmöglich, die Gesundheit mit dem Studium Schritt halten zu lassen. Hätten die Hindernisse in den Gegenständen gelegen, die Michel lernen sollte, so wäre es mir möglich gewesen, dem abzuhelfen, indem man ihn in die vorige Klasse zurückversetzte. Aber er verstand die verschiedenen Unterrichtsgegenstände vollkommen, und nur das Lernen wurde ihm schwer, das Gedächtniß versagte. Dagegen ließ sich nichts thun; und darum flammerte ich mich an die Hoffnung, daß die fehlenden Kräfte durch die Nuhe der Ferien wieder hergestellt werden würden. Hätte Michel einen leichtlebigeren Charakter besessen, ich wäre seinetwegen nicht so besorgt ge wesen. Doch das Vergnügen, das er empfand, wenn er eine gute Note bekam, wog den Kummer nicht auf, den ihm seine Mißerfolge bereiteten; und die Augenblicke des Glückes waren leider sehr selten. Ich las so dentlich in seinem Gesicht, daß ich, wenn er nach Hauſe tam, ganz genau wußte, was in der Schule vorgefallen war. So sagte der kleine Ostrowski, der Erster in seiner Klasse war, ein hübscher Junge, den ich oft mit Michel zusammen arbeiten ließ, daß Michel hauptsächlich darum schlechte Noten bekam, weil er eine etwas schwere Zunge hatte. Je be drückter sich der Kleine sowohl förperlich wie moralijch fühlte, desto häufiger wurden seine Mißerfolge. Manchmal jezte er sich, nachdem er lange Zeit ges weint, an seinen Arbeitstisch, anscheinend still und ruhig; und doch nahm ich in diesem angestrengten Fleiße etwas Fieberhaftes, Heftiges, Verzweifeltes wahr.
Manchmal ging er in irgend eine Ecke, nahm den Kopf in beide Hände und blieb dort lange still
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