Die Bacquerie.

Geschichtliche Skizze von A. Volker.

II.

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ie politischen, wirthschaftlichen und gemüth lichen Beweggründe der bäuerlichen Empörung der Jacquerie haben wir min kennen gelernt. Wir holen noch nach, daß die Bauern zu ihrer Selbsthilfe gegenüber den ,, Briganten", d. i. den als Räuber umherziehenden entlassenen Söldnern, aus­drücklich von der Krone ermächtigt und befehligt waren. In einer föniglichen Ordonnanz vom März 1356 steht wörtlich: Wir wollen und verordnen, daß Jedermann ihrer( der Briganten) Gewalt thät­lichen Widerstand entgegensezen darf mit allen Mitteln und auf allen Wegen, so gut er nur kann." Weitere Ordonnanzen folgten dieser in noch schärferer Fassung.

Als die Bauern aber sich sammelten und den Widerstand gegen die landsfeindlichen Engländer und Briganten organisirten, erwogen sie die ihnen Allen sehr bekannte Thatsache, daß sie vom Adel ihres eigenen Landes genau dasselbe erleiden mußten und seit Jahrhunderten fortwährend erlitten hatten, wie von Jenen, ohne von der zu ihrem Schuße ver­pflichteten Regierung und ihrer Gerechtigkeitspflege etwas geschehen zu sehen.

Ihre Nache war blutig, ja, nicht selten grausam. Sie tödteten ihre Peiniger, brachen, plünderten und verbrannten ihre Zwingburgen und vor Allem, sie hausten, dem niedrigen Stand ihrer Erfahrung und Bildung angemessen, so recht eigentlich plan- und ziellos.

Die Kämpfe der Jacquerie währten nur vom 21. Mai bis zum 24. Juni 1358; von dieser Zeit kommt nur die Hälfte auf die Rachethaten der Bauern, den Rest nahm die Rache der Edelinge in Anspruch, die entseßlicher noch, brutaler und blutiger war als Alles, was die zu wahnsinniger Ver­zweiflung getriebenen Bauern gethan hatten: wie gewöhnlich bei Niederwerfung von Empörungen der gefnechteten Völker. Diese der Rache der Adeligen gewidmeten Mezeleien hat der französische Geschicht schreiber Luce( Lühs) passend als die Contre- Jacquerie, die Gegen- Jacquerie, bezeichnet.

Die ganze Jacquerie ist also in ihrem ersten Theil die Folge jahrhundertelanger Sünden der herrschenden Stände, in ihrem zweiten eine furcht bare Erneuerung jener alten Verbrechen unter dem Aushängeschilde eines Kampfes für Recht, Ordnung und Sitte; in Wahrheit jedoch ist auch dieser zweite Aft des gräßlichen Geschichtstrauerspieles ebenfalls eine Reihe bestialischer Racheafte der adeligen Sieger gegen ihre empörten Opfer.

Wie in dem deutschen Bauernkriege des 16. Jahr­hunderts, finden wir in den Heeren der Jacquerie nicht nur Bauern, sondern auch Bürger, ja sogar Adelige und Priester, leztere Beiden theils freiwillig theilnehmend, theils von den Bauern dazu gezwungen.

Unter den bürgerlichen Elementen, welche mit der Jacquerie in engste Berührung gebracht werden, befindet sich eine geschichtsbekannte Persönlichkeit, von der etwas ausführlicher gehandelt werden muß. Es war dies Etienne Marcel ( Ehtienn Marsell), der Prevot( Vorsteher) der Pariser Kaufmannsgilde. Wir wollen hier nicht die Geschichte dieses bürger­lichen Kommunarden und seinen Untergang bei dem Aufruhr des Volkes zu Paris am 31. Juli 1358 beschreiben, von seinen Beziehungen zur Jacquerie wollen und müssen wir aber hier Notiz nehmen.

Schon öfter ist die Frage von Geschichtsforschern erörtert worden, in welchem Grade Marcel Antheil gehabt hat an der Jacquerie. Hat man ihn doch geradezu für einen der Anstifter der Bauernempörung erklärt! Das ist aber nach dem gegenwärtigen Stande der Erkenntniß jener Zeiten nicht mehr möglich. Marcel hat sich des schon entbrannten Bauernauf standes bedient, um ihn zur Erreichung gewisser Zwecke auszubeuten im Interesse seiner Klasse, des Bürgerthums.

Den letzten Anstoß zur Bauernerhebung der Jacquerie gab allerdings ein Ereigniß, bei dem der Vorsteher der Pariser Kaufmannsgilde ganz wesent lich betheiligt war.

Marcel war die Seele der Bewegung des dritten Standes, der Stadtbürger, welche ebenfalls starke Ursache hatten, sich über Krone, Adel und Geistlich­feit zu beschweren. Der König von Navarra, Karl der Böse , stellte sich, da er nach der Krone Frank­ reichs strebte, auf die Seite der Unzufriedenen und wollte mit ihrer Hülfe den rechtmäßigen Thron­folger, den Dauphin Karl, bei Seite drängen.

Dieser ward gezwungen, seine Räthe zu ent lassen und eine von den Ständen gewählte Kont­mission von vierunddreißig Mann neben sich zu dulden, mit der er sehr bald in Konflift gerieth.

Marcel, eines der Häupter dieser Kommission, und die Seinen drangen in das königliche Palais und tödteten vor den Augen des Prinzen zwei Marschälle, wodurch der Bruch vollständig wurde.

Der Regent plante nun die Einschließung und Aushungerung von Paris , und zu diesem Zwecke mußten die drei Zufuhrwege, die Flüsse Seine , Marne und Oise , gesperrt werden. Deshalb erging der Befehl an alle fönigstreuen Großen und Städte der Umgebung, alle festen Plätze und Schlösser in wehrhaften Stand zu setzen.

Diese Befestigungen aber waren zugleich die Stüßpunkte der Bauernunterdrücker. Die Ordonnanz vom 14. Mai 1358 machte auf dem flachen Lande furchtbar böses Blut.

Zu Compiegne ( andere Quellen nennen Beauvais ) beriethen zwanzig bis dreißig erbitterte Bauern über ihre und des gesammten Staates Lage und kamen zu dem Beschlusse, ihre ärgsten Peiniger, die Adeligen, auszurotten. Mit Heugabeln, Aerten oder nur mit Kuütteln oder eisenbeschlagenen Stöcken schlecht genug ausgerüstet, zerstörten sie das Schloß eines Edel­mannes der nahen Umgegend und tödteten diesen sammt Frau und Kind. Der anfangs kleine Haufe vereinigte sich mit den Bewohnern der Nachbardörfer und wuchs schnell auf sechs Tausend, endlich auf zehn Tausend Köpfe an und zog in fast ganz Nord­frankreich Schlösser plündernd, verbrennend und Adelige mordend umher.

Man nimmt nun an, Marcel habe in seiner Bedrängniß durch die drohende Einschließung der Stadt Paris jenen ersten Zornausbruch der Bauern veranlaßt. Daß die Jacquerie ihm sehr gelegen fam, ist nicht zu leugnen. Aber jene oben angeführte Ordonnanz konnte allein schon genügen, die Land­bevölkerung in den Harnisch zu bringen. Unerweis lich aber scheint, daß der Vorsteher der Pariser Kauf­mannsgilde besondere Sympathien gehegt hat für die Bauern; die Wahrheit ist jedenfalls, daß Marcel Bundesgenossen und Hülfsmittel nahm, wo er sie fand, um sie wieder fallen zu lassen, wenn er glaubte, sie entbehren zu können. Man bedenke, daß der ganze französische Staat in Auflösung und Zerseßung begriffen war, und daß es zu einem innigen und ehrlichen Zusammenwirken zwischen der Pariser Kom­ mune und der Jacquerie von 1358 eigentlich nie gekommen ist.

Der Prinzregent hätte sich nun, wie einige Quellen wissen wollen, an die Spitze der Bauern­bewegung stellen und die Engländer und die Räuber­banden aus dem Lande treiben und die ruchlosen Adeligen in ihre Schranken weisen wollen. Zwar sammelte er bei Compiegne ein Heer von siebentausend Manu, aber der Adel warf sich in die festen Städte, um sich der Bauern zu erwehren, und rief neue, fremde Söldner, Deutsche, Flamländer und Böhmen ins Land. Der Regent suchte sich, wie gesagt, der Hauptstadt zu bemächtigen, namentlich um zu ver= hindern, daß die Bürger sich mit den Bauern ver­einigten.

Da die Bauern zu einer einheitlichen Aktion unter einer Gesammtleitung sich nicht organisirten, gelang es einzelnen Adeligen mit ihren Rittern, hier und dort einen wüthenden Bauernhaufen vermöge ihrer besseren Waffen und größeren Kriegsübung zu vernichten. Täglich fielen solche Kämpfe vor und Dußende von Bauern sollen an den Bäumen der Landstraßen gehängt haben.

Ein anderer Bauernhaufen von zehn bis zwölf Tausend Mann suchte sich der Festung von Meaux Dort ( spr. Moh) nahe bei Paris zu bemächtigen. waren die Frau des Regenten, deren Tochter und

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Schwester, und eine Menge anderer Edelfrauen unter dem Schuße des Herzogs von Orleans und weniger Ritter. Zu diesen stießen auf die Kunde von der Bedrängniß der Edelfrauen der Captal von Buch und der Graf Gaston von Foir( spr. Gastong von Foa), die eben von einem Kreuzzug gegen die heid­nischen Preußen heimgekehrt waren.

Sie wagten mit einer ganz geringen Zahl ge­harnischter Ritter, etwa sechzig Mann, einen Aus­fall aus dem festen Schloß, tödteten alle Bauern, denen sie in den Straßen begegneten, audere trieben sie in den Maruefluß, und auf alle Bauern der Umgegend und die mit diesen einverstandenen Bürger der Stadt Meaur wurde eine wilde Jagd veranstaltet, bei der siebentausend Mann zur Strecke gebracht worden sein sollen. Die Stadt wurde angezündet und soll vierzehn Tage gebrannt haben.

Bei dem Handstreich der Bauern gegen Meaur, das auch Marcel in seine Gewalt zu bekommen ein starkes Interesse hatte, müssen wir noch einen Augen­blick verweilen. Die Bürger der Stadt waren der Kommune von Paris günstig gesinnt; der Prinz­regent hatte die Feste der Stadt, schnell zugreifend, genommen, sehr zum Verdruß der Bürger, und hatte sich selbst sofort wieder entfernt. Marcel schrieb ihm einen geharnischten Brief, aber jener verlangte die Auslieferung von zehn oder zwölf, oder doch wenigstens fünf oder sechs der am meisten Schuldigen bei den Thaten zu Paris ," und erneuerte und ver schärfte den bekannten Befestigungsbefehl.

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Die Bauern des flachen Landes mußten, wie die Dinge lagen, einsehen, daß derartige Maß­nahmen auch ihnen höchst gefährlich werden konnten, ja mußten. Diese Stimmung zu fördern, und nicht abzuschwächen durch den Hinweis, daß der Befehl der Krone sich zunächst gegen die Kommune von Paris richtete, lag durchaus im Jnteresse der lez­teren. Es ist wahrscheinlich auch das Gegentheil geschehen. Marcel selbst stellt es freilich in einem Schreiben an die Kommunen der guten Städte" von Flandern eifrig in Abrede. Einer der später aus­gestellten Begnadigungsbriefe( lettres de remission) erwähnt auch, daß Derjenige, dem dieses Schreiben ausgestellt ward, zu Marcel gegangen sei mit der Aufforderung, dem Wüthen der Bauern Einhalt zu thun.

Thatsache aber ist, daß Marcel in Interesse der Kommune von Paris feste Burgen brechen ließ und so natürlicherweise zugleich auch der Jacquerie Vor­schub leistete.

Weiter ist ein Zusammenwirken von Streitern der Pariser Kommune mit dem Bauernführer Wil­helm Cale und den Seinen erwiesen bei Zerstörung einer festen Burg in Beauvaisis, deren Besitzer dem Adel absagte und schwor: die Bürger und die Kommune von Paris mehr zu lieben als die Adeligen," wodurch er sein Leben und das seiner Frau und seiner Kinder rettete. Solche Züge werden dann, von den bürgerlichen Geschichtschreibern emsig be= nußt, um dagegen die Jacquerie in den schwärzesten Farben erscheinen zu lassen.

Marcel hat sich der Bauern als Helfer bedient; glaubte er ihrer nach Erreichung seiner bürgerlichen, allerdings klaren Ziele, wie deren die Bauern offen­bar nicht hatten, Herr zu werden und ihrer Em­pörung Halt gebieten zu können? Fest steht, daß er dann mit dem König von Navarra , dent grim­migen Bauernschlächter und Gegner der gefeßmäßigen Königsgewalt, paktirte, der seinerseits wieder mit den Landesfeinden, den Engländern, Näufe spann. Einer dieser Rebellen und Revolutionäre hatte wahrlich dem Anderen wenig vorzuwerfen! Hatten aber die Bour­geois von Paris Ursache und Anlaß, sich zu empören, so die armen, gequälten Bauern zehnmal mehr. Daß auch die Stadtbürger sich über den Ackerbauer hoch erhaben dünkten und ihn ausbeuteten, wenn sie in der Lage dazu waren, ist auch mehr als nur wahr­scheinlich.

Doch wenden wir uns zur Schilderung der Schlußereignisse des Bauernaufstandes der Jacquerie. Der König von Navarra, Karl der Böse , der Kronprätendent, konnte von den Bauern nichts er­warten: was sollten ihm die undisziplinirten, schlecht­bewaffneten Haufen nügen? Er suchte also den Adel