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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

es ganz genau zu erzählen, aber ohne von Vater so lange ohne sie gegangen, und wenn er nicht be­so lange ohne sie gegangen, und wenn er nicht be­dabei auch nur einen Blick zu verwenden. dächte, daß drin die Leiche läge, würde er noch ganz etwas Anderes sagen.

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" Hermann, fehlt Dir auch wirklich nichts?!" " Nein, nein, nur ein wenig Kopfschmerzen!" Schlürfende Schritte nähern sich der Thür. Im Augenblick schweigen meine Eltern und sehen sich be­troffen an. Jene Bangigkeit legt sich wieder auf mich. Der Aristokrat im blauen, rothseiden gefütterten Schlafrock die eine Ecke hatte sich unten etwas umgeschlagen mit hängender Kordel, lederge­preßten Morgenschuhen; der Scheitel ist mit einer bewunderungswürdigen Akkuratesse gezogen, und die Haare an den Schläfen hinter die Ohren gebürstet. Der Schnurrbart starrt empor; der Aristokrat ist etwas blaß und übernächtigt, vielleicht hat er auch geweint. Er hat aber jetzt den Ausdruck eines Mannes, der sich darein ergeben hat und sein Ge­schick mit Anstand und Würde erträgt. Anders sein Sohn, der ihm folgt. Hat er auch viel von den Eigenschaften seines Vaters geerbt, so doch nicht jene kalte, unnahbare Vornehmheit. Der Schmerz hat sein Antlig zerwühlt, und so sehr er auch gegen ihn anzukämpfen versucht, rinnen ihm doch fort­während Thränen über die Wangen und hängen sich an die Spizen seines Schnurrbartes.

Er hatte ja seine Mutter von jeher mehr ge= liebt als seinen Vater, denn sie war trop geistiger Unbedeutendheit doch gemüthvoll und weich gewesen und ähnelte hierin vollkommen dem Sohn. Der war ja auch keine Leuchte der Wissenschaft, sondern nur ein gutmüthiger, etwas beschränkter Mensch, mit einem Wort ein braver Sterl!

Der Aristokrat bleibt stehen und mustert Vater mit einem gleichgültigen Blick. Vater wird roth wie ein Krebs, die Adern der Stirn treten wieder prall und blau hervor. Mutter flammert sich an ihn und flüstert ihm leise etwas zu.

Jezt geht Vater auf den Aristokraten ernst und ruhig zu und streckt ihm die Hand entgegen, wort­los, ohne jede Phrase, wie es unter Männern sein muß. Jener mustert ihn noch einmal, diesesmal etwas mißtrauisch und ängstlich und legt dann seine Hände auf den Rücken, als ob er die Bewegung ganz übersähe.

" Sie wünschen?" schnarrt er in blechernem, rasselndem Ton.

Vater fährt zurück und wird verwirrt. Auf eine derartige Anrede hatte er sich nicht gefaßt gemacht. Er will etwas sagen, stottert aber nur:" Ich wollte

"

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Er wußte nicht, sollte er nun Dir" oder " Ihnen" sagen?

Die Anderen stehen wie versteinert.

weint, Ewald faut an den Nägeln.

ich

Ich wollte ich komme, um zu

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Mama

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- ich-

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" Ich begreife nicht, was Sie hier wünschen," schreit der Aristokrat." Glauben Sie vielleicht, mit meinem gerechten Schmerze spekuliren zu dürfen? Das gesellschaftliche Tischtuch" er sprach dieses Wort affettirt, stolz, diesen guten Ausdruck gefunden zu haben ,, ist zwischen uns zerrissen, und ich für mein Theil fühle mich nicht verpflichtet, es wieder

"

Papa", unterbrach ihn Ewald.

, Schweig! Ja, und glauben Sie, daß man zugefügte Beleidigungen

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,, Nein ich bin fein kleiner Junge, ich will nicht schweigen. Bei meiner todten Mutter

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Der Aristokrat und sein Sohn stehen sich gegen­über wie zwei fauchende Kater.

Da braust mein Vater los

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Er brauche sie nicht, und wenn er wie ein Hund im Ninnstein verrecken solle und er brauche sie nicht er sei sein Lebtag ein ehrlicher Mensch gewesen, ihm könne man nichts Schlechtes nach sagen; dafür, daß er Gaunern in die Hände ge­fallen sei, könne er nichts! Almosen wolle er nicht haben und Mitleid lasse er sich auch nicht schenken. Er solle ja nicht glauben, daß er deswegen ge­kommen sei; er wäre aus Mitgefühl gekommen, da aber Jener jegliches Gefühl verleugne, habe er feinen Grund, Beileid zu zeigen. Mit Gottes Hülfe würde er auch ohne ihn auskommen; es wäre ja

Und er geht ganz dicht an den Aristokraten heran, der schen zurückweicht.

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" Du- u- u- u" er sucht nach einem Ausdruck Lump!!!!" brüllt er hervor und in dieses eine Wort legt er die ganze Verachtung, die er gegen alle kokottenhafte, patschuliduftende Hohlheit in sich trägt. Dieses Wort gleicht einem furzen, mit aller Kraft geführten Dolchstoß.

Verlassen Sie sofort mein Haus!" freischt der Aristokrat in der höchsten Fistellage seiner Stimme. " Papa", wirft sich Ewald dazwischen, be­denke doch meine arme todte

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"

Aber Karl," schluchzt meine Mutter. Schweigt! Soll ich mich in meinem eigenen Hause beleidigen lassen?"

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,, Nein, nein, ich gehe schon ich- will nicht mehr- auch nur", vor Zorn scheint Papa zu ersticken die Augen treten aus ihren Höhlen, er ist puterroth, so daß man fürchtet, jeden Augenblick müsse ihm das Blut irgendwo hervor sprizen.

" Aber das sage ich

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der

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wenn nicht Die drin läge, die viel besser war, wie der- der sie je verdient hat" wieder vollendet er den Satz nicht. Nein, nein, ich gehe schon-

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"

" Hermann! Ich bitte Dich! Du weißt, wie Dir das schaden kann! Nein wie kannst Du aber nur?" jammert Mutter." Du bist doch hier in einem Trauerhause!"

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Plötzlich wendet Papa sich um und eilt aus dem Zimmer. Man hört draußen die Thür zu­schlagen.

Diese Wendung kam uns so unerwartet, daß wir Alle wohl eine Minute betroffen schwiegen.

Mamta aber, welche Angst hatte, daß Papa im Zorn sich irgend etwas anthun könnte, übersah so­fort die Bedenklichkeit der Lage, und daß sie jetzt Vater um keinen Preis allein lassen dürfte, ergriff meine Hand und stürmte, ohne nur ein Wort des Abschieds zu sagen, so schnell sie ihre kurzen Beine tragen konnten, aus dem Zimmer, die Treppe hinab. ,, Lauf mal, ob Du Papa noch einholst, und sag ihm, er möchte warten!"

Und ich rannte, als ob der Teufel und die wilde Jagd hinter mir wären. Alle Leute sahen sich erstaunt nach mir umt, und zwei Bäckergesellen zeigen nicht übel Lust, mir nachzulaufen. Richtig! Da vorn geht er!

Papa! Papa!!"

Der Herr sieht sich erstaunt um. Nein, er ist es doch nicht aber der da vorn. Ich laufe, daß ich fast auf die Nase falle.

" Papa! Papa!!"

Er scheint nicht zu hören. Er macht große Schritte und tattirt mit den Händen.

Papa!! Papa!!!"

Er dreht sich uni.

,, Warte doch, Mama kommt ja auch gleich!" Richtig, da hinten kam sie auch schon. Sie hatte ihre Lippen aufeinander gebissen, der Schweiß stand ihr in dicken Perlen auf der Stirn. So schnell wie es ihr nur irgend möglich sie ist etwas schwerfällig bewegte sie sich vorwärts.

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Als sie uns erreicht hatte, schlug Papa die Augen nieder, wie ein Schuljunge, der eine Rüge bom Lehrer erwartet.

Sein Benehmen von vorhin that ihm jezt leid. Er sah ein, daß er in seinen Zorn wohl zu weit gegangen war, und erwartete nun, mit Vorwürfen von seiner Frau überschüttet zu werden. Er hatte sich wieder einmal so recht gehen lassen, seinem Un­muth gegen diese Lumpenwelt Luft gemacht. Er war wieder einmal der Unfeine gewesen. Der Andere war wenigstens immer noch in den Grenzen des An­standes geblieben, aber er

Mutter sagte kein Wort, sondern fuhr nur fort, Vater ängstlich von der Seite anzusehen, zeitweise ihn fragend, ob ihm auch nichts fehle, oder ihn bittend, er möchte nicht so schnell gehen, es wäre ja unmöglich, mitzukommen.

Papa ging dann einige Schritte langsam, ver­

fiel aber gleich wieder in ein hastigeres Tempo. Es war, als ob ihu seine Gedanken trieben. Mama stöhute und schwißte.-

Ein herrlicher Morgen, Alles so munter und frisch! Maurer mit alten Soldatenmüßen und Drillich­jacken gehen zum Bau, pfeifen und lachen. Die Schwalben jagen dicht über dem Asphalt dahin. Auf den thaublißenden, grünen Rasenflächen einer öffent­lichen Anlage laufen die Staare, in den Linden zanken sich die Spazzen. Langsam füllen sich die Straßen. Das Klingeln der Pferdebahnen tönt nachhallend scharf und deutlich, ohne sich mit anderen Geräuschen zu ver­mischen; hier und dort öffnet sich schon ein Laden. Barfüßige, mehlbestaubte Bäckerburschen schieben Hand­wagen voll brauner, knusperiger Brote; Asphalt­arbeiter räumen ihr Handwerkszeug zusammen; der Sonnenschein lagert sich breit auf dem Pflaster, be= leuchtet scharf die Gesimse der Häuser, hebt sie gegen den noch ungetrübten Himmel ab, zeichnet jedes Schnörkelchen, jede Linie der Säulenköpfe, Karya­tiden und Arabesken.

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Und trotzdem wird mir so ängstlich zu Muth. Die Luft scheint mir unerträglich schwül. Ich ver­suche an irgend etwas fest und bestimmt zu denken, es gelingt mir nicht. Da fällt mir durch eine merkwürdige Jdeenverbindung ein Vers ein, den ich einmal lezthin gelesen hatte, und sofort paßt er sich meinen Schritten an. Ich muß ihn hersagen, ein - zwei zehn zwanzigmal- ich muß er geht mir fortwährend im Kopf herum. Ich bin nicht fähig, irgend etwas zu bemerken, an irgend ein Ereigniß der letzten Stunden zu denken. Immer wieder dieser Vers! Alles bewegt sich nach dem­selben Rhythmus. Die Pferde traben darnach, die Maurer pfeifen ihn, die Spaßen piepen ihn von den Dächern, unsere Schritte flirren auf dem Pflaster. Soviel ich mich mühe, ihn loszuwerden, er verfolgt mich wie mein Schatten.

,, Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer, Erloschen sind unsere Sterne.

Island , du eisiger Fels im Meer, Steig' auf aus nächtiger Ferne!"-

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Als wir zu Haus angekommen waren, ging ich in mein Zimmer, warf mich angekleidet auf mein Bett und schlief ein schlief wie ein Todter vollkommen traumlos, in dumpfer Betäubung. Ich mochte ziemlich lange so dagelegen haben, als mich Jemand an der Schulter rüttelte, ich solle aufstehen.

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" Was ist denn los, Louise?"

Ach, lauf doch' mal schnell zum Arzt!"

"

"

Was ist denn?! Was ist denn?!"

Ach, der Herr liegt zu Bette und kann nicht aufstehen! Ganz puterroth ist er und lauter Unsinn redt er Ach Gott ! Ach Gott ! Ach Gott ! Lauter Unsinn redt er!"

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Ich schnelle hoch wie ein Gummiball und starre Louise an. Eine Todesangst packt mich ein Schlaganfall!!! Das ist ein Schlaganfall!!! Nein, nein, nein,- das ist nicht möglich das ist nicht wahr

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Nu jeh' doch man schon!" sagt Louise ganz ruhig, det is janich so leicht zu nehmen, Georg!" Ich stürze in Papas Zimmer. Schon draußen höre ich ein Röcheln oder richtiger, ein Schnarchen, einen unmodulirten Kehllaut.

Papa liegt ruhig da, puterroth im Gesicht. Schlaff hängt der rechte Mundwinkel, das rechte Auge ist fast geschlossen, die Lider dick und geschwollen. Er sieht mich erstaunt an, giebt aber durch nichts zu verstehen, daß er mich erkennt. Seine Gedanken find verwirrt.

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, 3weiundfünfzig Buben spiel den jüngsten aber so spielen Sie ihn doch aus Deutsch­ land solch Lump solche he he fünfzigtausend Mark. Anna!! Frau?" freischt er plößlich auf, so daß ich entsetzt aus dem Zimmer laufe.

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Wo ist meine

Wie ich zum Arzt kam, weiß ich heutigen Tags noch nicht. Die Angst hatte mir die Besinnung ge­raubt. Ich war mir nicht mehr klar über das, was ich that, aber ich that unwillkürlich das Richtige.

Jene schrecklichen Tage, wo außer der Krankheit noch die Noth und der Hunger bei uns zu Gast