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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Fahrten durch Schlesien   und ins Neich, nach Polen  und Böhmen  , wobei ihm Schweinichen ein steter Begleiter und gar getreuer Diener war. Sein Amit eines Marschalls und Hofmeisters   bettete ihn nicht auf Nosen, denn die ihm obliegende Leitung des Hofhaltes bei steter Ebbe in Ihro Fürstlichen Gnaden Kasse, der wüsten Wirthschaft und großen Schulden­last war keine Kleinigkeit, da ja dem getreuen Diener seines Herrn oblag, die Mittel zur Bestreitung des Hofhaltes aufzutreiben.

Hans legte darin nun ein wahrhaft seltenes Genie an den Tag, ließ sich auch durch die er­staunliche Anhänglichkeit an das fürstliche Haus in eigene Noth und Bedrängnisse aller Art verstricken und lehnte doch mehrere verlockende Anerbieten zu weniger aufreibenden und mit weniger Kosten, Ver luften und Gefahren verbundenen Stellungen ab.

Für seine Beamtung brachte Schweinichen, wenn auch keine sonderlich tiefe Bildung oder gar Schul­gelehrsamkeit, dafür aber praktischen Blick, Umsicht und Geschick mit; auch als Landwirth mag er tüchtig gewesen sein, ebenso läßt sich ihm eine Art Unteroffiziersfrömmigkeit nicht abstreiten.

Daneben besaß Schweinichen auch alle Tugenden, welche ein Adeliger und Hofmann jener Tage be= sizzen mußte: er verstand es namentlich ganz vor= züglich, bei Ihro Fürstlichen Gnaden vor den Trunk zu stehen", d. h. er ließ sich bei dem damals stark üblichen Zutrinken ganz bedeutender Mengen von Wein von Keinem werfen, was damals nicht nur dem ausgezeichneten Trinker selbst, sondern auch seinem Herrn zu hoher Reputation zu gereichen pflegte.

Schweinichen hat Tagebücher und eine Schilde­rung der von ihm als Hofmeister angeordneten und geleiteten Prozesse", d. h. Hoffestlichkeiten, hinter­lassen, welche für die Sittengeschichte jener Zeit, namentlich für die Zustände der guten Gesellschaft", d. h. der adeligen Kreise, sehr lehrreich sind. An der Hand dieser Aufzeichnungen wollen wir dem Leser ein Bild fürstlichen und adeligen Lebens im 16. Jahrhundert zu zeichnen suchen.

Friedrich III.   von Lieguig, der Aeltere, später auch der Tolle genannt, huldigte einem unſtäten, rastlosen Leben und war immer auf Reisen, so daß er selbst beim Tode seines Vaters erst im Auslande gesucht werden mußte. Er überraschte gleich bein Antritt seiner Regierung die geliebten und getreuen Landstände des Fürstenthums mit dem allergnädigsten Anfinnen, nicht nur seines Herrn Vaters, sondern auch seine eigenen recht erheblichen Schulden, etwa 63 000 fl ungarisch, zu übernehmen.

Dagegen war besagter Reisefürst sehr wenig geneigt, die Rechte der Landstände und der Städte zu respektiren, und ließ sich häufig eigenmächtige und gewaltsame Eingriffe in die Verwaltung und Rechts­pflege zu Schulden kommen.

Als die Mißwirthschaft ihren Gipfel erreichte und im Jahre 1551 der tolle Friedrich eben wieder auf Reisen nach Frankreich   war, ward das Regiment des Fürstenthums im Auftrage des römischen Königs durch Georg von Brieg und die Räthe des Bischofs von Breslau   mit Beschlag belegt und bis auf weitere Verfügung zum Besten des unmündigen Prinzen Heinrich Stadt und Fürstenthum Liegniß in Ver­waltung genommen. Begründet wurde diese Maß regel mit dem trefflich bösen Leben" des Herzogs Friedrich, der, wie es in einem späteren Befehl hieß, bei Einsetzung einer geordneten Regierung, welche Otto von Zedliz auf Parchwiz führen sollte, ,, nun eine gute Zeit allerlei bösen, sträflichen Lebens und Thaten gebrauchet, sich Uns widerseßlich und ungehorsam erzeiget, meßliche Schulden gemacht, auch, als er in Frankreich   gezogen, eine meßliche Summe aufgebracht und mitgenommen und seinen Unterthanen allerhand Beschwerung zugefüget, da= durch anders nicht zu gewarten, wo dem nicht zeit­lich vorkommen( vorgebeugt würde), denn Ver­armung und Verderbung seines Sohnes, Gemahls, Land und Leute."

Es gelang indeß später Friedrich, seine Wieder­einfegung gegen hochtheure Versprechungen, sich zu bessern, zu erlangen. Sehr bald aber ging das alte Leiden wieder los. Als die Landstände sich

weigerten, dem Fürsten   seine 300 000 Gulden be­tragenden Schulden zu bezahlen, überwarf dieser sich mit den Landständen und löste sie in Ungnaden auf. Das zwecklose Verschwenden und Herumreisen ward trefflich fortgesetzt.

Dazu kamen Familienzwiste Friedrichs mit seinem Bruder Georg, dem er 52000 Gulden schuldete, ja mit seinem eigenen Sohne Heinrich, der floh und endlich am kaiserlichen Hofe Dienste nahm.

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Endlich wurde der tolle Friedrich nach Breslau  geladen, verstrickt"( d. H. verhaftet) und 1560 im Rosengemache des Schlosses zu Liegniß gefangen gesetzt und das Regiment dem inzwischen mündig gewordenen Prinzen Heinrich überwiesen. Dessen Vater starb als Gefangener 1570.

Der Sohn zog wenig gute Lehre aus dessen Schicksal. Der Apfel fiel in diesem Falle that sächlich nicht weit vom Stamme. Heinrich XI.  , der 1560 die vier Jahre ältere, nicht eben sanftmüthige Prinzessin Sophie von Ansbach heirathete, trat ganz und gar in die Fußstapfen seines würdigen Herrn Vaters.

Ehe wir Hans von Schweinichen   in dessen Dienſte begleiten, noch ein paar Züge aus dem Jugendleben des Vasallen. Als er einst nach der Schule Gänse hüten sollte, liefen diese Thiere oft auseinander, der " gute Hirt" nahm nun fleine Stäbchen und steckte sie den Thieren in die Schnäbel, da blieben sie stille stehen und wären alsobald erdürstet." Aus der Zeit seiner gemeinsamen Studien mit seinem späteren Herrn berichtet Schweinichen, daß er die " Mit- Heller" seiner Mutter, die Muttergroschen, wie wir heute sagen, dazu verwendet habe, den ge­strengen Herrn Präzeptor zu bestechen, um keine Schläge zu bekommen, denn der gute Mann ging gern an die Buhlschaft zu schönen Frauen und hatte nicht Geld. Darum ließ er oft Fünfe grade mit sein, damit ich ihm nur aufwarte und Geld gab."

Im Pagendienste des verstrickten" alten Her­zoges, dem Schweinichen auswarten mußte als " Kellerherr" und in dessen Stube er schlafen mußte, wenn Ihro Fürstlichen Gnaden einen Rausch hatten. und nicht im Bette liegen mochten, gings ihm auch recht merkwürdig. Er hatte dessen Rappier zu ver­wahren, das der Fürst seine Jungfer Käthe" nannte; wenn er es dem Herzog brachte, machte es diesem Spaß, seinem jungen Dienstmann eine Ohrfeige zu geben mit den Worten: Wie gefällt Dir die, war es nicht eine gute fürstliche Maul­schell?" Schweinichen fügt dann hinzu: Wenn ich Solches lobet, so gab IFG( Ihro Fürstliche Gnaden) mir einen Silbergröschen zu Semmeln, aber die Maulschell war viel besser als 20 Silber­groschen, und sollte doch groß Gnade sein, der ich lieber entrathen hätte wollen."

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Gar lustig schildert er weiter, wie IFG sich mit Blasrohrschießen erlustiret, auch voll oder nüchtern" damals in der Eustudio als Gefangener gottesfürchtig gewesen und allzeit lateinisch ge= betet habe.

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Gegen seinen Sohn sei der gefangene alte Herr nicht sonderlich gut gesinnt gewesen, aber so oft ihn derselbe besuchte, stellten IFG Alles beiseit und tranfen einen guten Rausch mit." Defter aber hörte Schweinichen, wie der Alte sagte:" Sohn, wie Du mich izo gefänglich hältst, als( ebenso) wird man Dich wieder gefänglich halten."

Einst mußte Schweinichen im Auftrage des alten Herrn dem von diesem arg gehaßten Hofprediger einen Zettel auf die Kanzel legen, auf dem stand ein Spottvers, den der tolle Friedrich gedichtet hatte, des Inhaltes:

Alles Unglück und Zwietracht

Zwischen mein Sohn Herzog Heinrich hochgeacht, Das richt( et) alles der Suppen- Pfaffe an, Der verlaufene, fränkische, lose Mann. Herzog Heinrich untersuchte den Fall und der alte Schweinichen bat seinen Sohn los von dem Dienst auf Schloß Lieguiz.

Aus der Zeit der Hof- und Amtsreisen mit seinem Vater berichtet Schweinichen eine Geschichte, die für einen angehenden Höfling sehr lehrreich gewesen sein muß. Sein Vater, ein guter Renner und Stecher", d. i. Turnierreiter, ward einmal zu Dresden   von

Kurfürst Augustus   zu einem Gang aufgefordert, der " gar heimlichen", nur vor, fur- und fürstlichen Per­sonen" stattfand. Der Kurfürst mußte den Sattel räumen, der alte Schweinicheit aber, der ivohl hätte fizzen bleiben können, begab sich auch in den Fall, sone es das Ansehen hätte( damit es schiene), Ihro Kurfürstliche Gnaden hätten ihn runter gerannt, welches hernach dem Kurfürsten eine sonderliche Freude gewesen." Vater und Sohn Schweinichen erhielten auch eine entsprechende Verehrung", der Alte eine goldene Kette, der Sohn einen Doppelflorin.

Auf der Schule zu Goldberg bekam Schweinichen der Jüngere das Studienwesen bald satt. Weil allbereit," sagt er, in meinem Haupte das Hof­wesen steckte, hatte ich nur mehr Lust zu Reiterei, als zu Büchern; derwegen machte ich allerlei Au­schläge, wie ich möchte von Goldberg wegkommen."

( Schluß folgt.)

Das schwanzlose Kalb  .

Eine lehrreiche Geschichte aus Finland. Nach Santeri Jugman. Von L. Brausewitter.

ie fleine Stadt P. war durchaus kein so unbe­deutendes Nest. Sie hatte sogar eine eigene Zeitung und eine eigene Druckerei, und es giebt Orte, welche das nicht haben.

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Wie gesagt sogar eine Druckerei, eine ganz neue und nach moderustem Muster. Nur einen Fehler hatte dieselbe: sie hatte nichts zu drucken. Die Zeitung nahm sie zwei Abende und zwei Morgen wöchentlich in Anspruch; aber im Uebrigen stand die Maschine still und versauerte in ihrem Del, und die Sezer und Drucker schlenderten ohne Beschäftigung umher, indem sie den Lohn für ihre nicht zur Verwendung gekommene Kunstfertigkeit einsteckten, herumbumiel­ten, kneipten und allgemeines Aergerniß erregten.

Die Druckereigenossenschaft hatte bereits mehrere Berathungen abgehalten, um herauszubekommen, was in aller Welt man wohl drucken könnte. Man hatte hin- und hergeredet, hier und dort nachgehört, Vor­schläge waren gemacht und Angebote geprüft worden; aber man war zu keinem Resultate gekommen. Die Druckerei stand nach wie vor vier Tage in der Woche still.

Abermals wurde eine Versammlung abgehalten, die beinahe ebenso wie die bisherigen verlaufen wäre. Da erhob sich der Gerber des Ortes, der auch einen Antheilschein besaß, aber bisher nicht gewagt hatte, in literarischen Fragen dreinzureden, und meinte: Ich weiß nicht, wieso alle bisherigen Vorschläge verworfen wurden. Aber ich erlaube mir nun etwas vorzuschlagen, wogegen Niemand etwas zu sagen haben dürfte. Strönen wir unser. Werk damit, daß wir mit dem Anfang beginnen und ein Ab- Buch drucken."

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Ein Abc- Buch! Das war eine Idee! Alle waren sofort dafür.

Der Postmeister empfahl den Vorschlag sogleich zur allgemeinen Annahme und meinte, man solle die Bilder dazu aus Deutschland   beziehen.

Auch der Händler vom Marktplaß war derselben Meinung. Dieser Vorschlag könne keine Verluste verursachen, aber allmälig ganz hübsche Einnahmen abwerfen. Die Druckkosten könnten sich nicht zu hoch stellen, und ein allzu hohes Honorar brauche man ja dem Verfasser auch nicht zu zahlen. Das Buch würde aber gehen, wie warme Semmel.

Der Oberlehrer, der im Allgemeinen die Dinge von einem höheren, ideelleren Standpunkt, als die Anderen, zu betrachten pflegte, unterſtüßte ebenfalls den Vorschlag, der eine weittragende ideelle Be­deutung" hätte. Auch der Rektor und der Land­richter traten dieser Meinung bei, selbst der Doktor widersprach nicht, sondern lachte nur ein wenig in seinen Bart hinein.

Der Vorsitzende der Gesellschaft, der einzige Kommerzienrath des Ortes, hörte die langen Neden geduldig an, und der Apotheker führte fleißig das Protokoll. Schließlich, als die Diskussion ihr Ende erreicht hatte, konstatirte der Vorsitzende in wohl­gesetzter Rede, daß ein beachtenswerther Vorschlag