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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

unseres Körpers offenbart sich deutlich die Mechanik, und zu ihrer Erklärung möchte ich in den nach stehenden Zeilen etwas ausführlicher die Gehirn flüssigkeit betrachten.

Noch immer ist die Ansicht ziemlich weit ver­breitet, daß in den fest aneinander gefügten Schädel­fnochen das eingeschlossene Gehirn unbeweglich ruhe, die Möglichkeit jeglicher Bewegung durch die um­schließenden Knochen ausgeschlossen sei; es nehme ja den ganzen Schädelraum ein. Und doch weiß Jeder, daß man an den offenen Stellen" des findlichen Schädels, den sogenannten Stirnfontanellen, deutlich ein rhythmisches Heben und Senken des Gehirns durch den darauf gelegten Finger fühlen kann. Sollte denn diese Bewegung, nachdem in späteren Jahren der Schädel auch an jenen Stellen sich fest geschlossen, aufgehört haben?

An den Gehirnen unserer Schlachtthiere oder an Abbildungen menschlicher Gehirne sehen wir deutlich, daß die Hirnoberfläche nicht glatt ist, sondern Wülfte  und zwischen diesen Furchen besitzt, auch an der unteren Fläche neben diesen Windungen noch andere Partien über die Ebene hervorragen, welche die Anatomen Brücke, Schenkel, Lappen usw. nannten. Die weiche Gehirnmasse und ihre Fortseßung, das Rückenmark, werden von einer Haut umschlossen, die sich dicht und innig der unebenen Oberfläche an= schließt. Weil in dieser Haut sich zahlreiche Blut­gefäße befinden, die von hier in das Gehirn und Rückenmark sich einsenken, beide mit Blut speisen, das dann wieder abfließt, hat man sie Gefäßhaut genannt. Ueber ihr liegt lose und nicht in die Furchen dringend eine zweite wie ein zarter, nasser Schleier um Gehirn und Rückenmark  , so dünn wie das Goldschlägerhäutchen, durchsichtig und ohne Blut­gefäße, die Spinngewebehaut. Am ganzen Rücken­marf steht sie weiter ab von der ersten Haut, als am Gehirn, schafft also einen größeren Zwischen raum, der zylindrisch ist. Die dritte umschließende Haut ist hart und derb und vollendet den Abschluß aller Zugänge. Zwischen ihr und der zweiten, welche beide mit glatten, feuchten Flächen sich berühren, befindet sich keine Flüssigkeit, wohl aber zwischen

der zweiten und ersten, und diese Flüssigkeit, welche des langen wissenschaftlichen Namens Gehirn- Rücken­mark- Flüssigkeit, Subarachnoideal- Flüssigkeit, Liquor cerebrospinalis, sich erfreut, enthält nur etwa 2 Prozent feste Stoffe( Eiweiß und Kochsalz) und be= trägt beim gesunden Menschen im Durchschnitt nur 60 ccm. Beim sogenannten Wasserkopf ist sie be­trächtlich vermehrt, auch bei sehr alten Leuten ist ihre Menge oft größer, als bei Personen mittleren Alters.

Nach diesen etwas langen, aber nöthigen Vor­bemerkungen wollen wir nun die Bewegung dieser Flüssigkeit betrachten und wir werden dann erkennen, daß auch hierin die Mechanik des menschlichen Körpers im höchsten Grade bewundernswerth ist.

An den Fontanellen des Kinderkopfes beobachten wir stärkere und schwächere Erhebungen. Die ersteren, wir stärkere und schwächere Erhebungen. Die ersteren, man nennt sie respiratorische, treten ein mit jeder Ausathmung, die schwächeren, die pulsatorischen, werden bedingt durch das Pulsiren der Gehirnarterien. werden bedingt durch das Pulsiren der Gehirnarterien. Beim Ausathmen stößt der Rückfluß des Blutes aus dem Kopfe( also auch aus dem Gehirn) auf bedeutende Widerstände, die erst aufhören beim Ein­athmen. Beim Husten, Schreien, Singen, beim Aufheben schwerer Lasten, bei Zornausbrüchen ver­größert sich die Stauung, das Gesicht wird roth, die Venen stroßen von Blut. Hört das Singen, Schreien usw. auf, dann leeren sich die Blutgefäße, der Weg zum Herzen wird mit dem Einathmen völlig frei, das Gehirn, vom Druck erlöst, sinkt zusammen. Hierbei tritt nun die Gehirnflüssigkeit regulirend in Thätigkeit. Hebt sich das Gehirn, so entweicht der Ueberschuß der Flüssigkeit in das vergrößerungsfähige Reservoir am Rückenmark ent­lang; sinkt es wieder ein, so steigt sie wieder nach oben. Wie oft in 24 Stunden diese Hebungen und Senkungen stattfinden, läßt sich leicht ausrechnen, weil wir durchschnittlich in einer Minute 16 mal ausathmen und in gleicher Zeit durch die Thätigkeit des Herzens, den Herzschlag, 70mal Blut dem Gehirn zugeführt wird in den oben erwähnten schwächeren, pulsatorischen Erhebungen. Nicht Ruhe ist folglich im Gehirn und um dasselbe, sondern stete Bewegung, und diese dauert bis zum letzten

Rus dem Papierkorb der Zeit

Athemzuge, bis zum letzten schwachen Pulsschlag. Der weitere Sack der Spinngewebehaut am Rücken­ mark   ist eine sinnreich konstruirte Sicherheitsröhre, die das Ausweichen des Gehirnwassers gestattet, es aber sofort zurücktreibt, wenn ini Schädelraum dafür auf einen Augenblick wieder Platz geworden.

Das Hirnwasser leistet aber noch mehr. Es ist ein bekanntes physikalisches Gesez, daß ein Körper in einer Flüsigkeit so viel von seinem Gewichte ver­liert, als das Gewicht der verdrängten Flüssigkeit beträgt. Folglich muß auch das in die Gehirnflüssig­keit hineingesenkte Gehirn so viel von seinem Ge­wichte verlieren, als das gleiche Volumen dieser Flüssigkeit haben würde. In der Luft wiegt ein Ge­hirn durchschnittlich 1350 Gramm, in der Flüssigkeit jedoch berechnet sich seine Schwere, mit der es auf dem Boden der Schädelhöhle aufliegt, nur auf 20 Gramm, und solch geringes Gewicht behindert nicht die Blut­zirkulation an der Basis des Gehirnes, wo vier große Schlagadern in dasselbe eintreten. Wäre noch ein Druck von 1350 Gramm vorhanden, dann ständen dem freien Einströmen des Blutes bedeutende Hinder­nisse entgegen, und es würde sofort Bewußtlosig­feit eintreten. Verwundungen und Experimente liefern den schlagenden Beweis dafür. Ist durch einen un­glücklichen Schuß derartig das Rückgrat getroffen, daß der Spinnewebesack zerrissen, so fließt natürlich die Gehirnflüssigkeit heraus. Das Gehirn senkt sich, drückt mit voller Schwere auf die Adern, komprimirt sie, verhindert den nöthigen Blutzufluß, und Bewußt­losigkeit ist die Folge. Das Experiment liefert dasselbe Resultat, und die plößliche Wirkung ist überraschend. Sticht man bei einem Hunde derartig in den Rücken, daß das Rückenmark selbst nicht die geringste Ver­legung erfährt, so spritzt sofort die Flüssigkeit her­aus, die Beine werden gelähmt, Koth und Urin werden abgesondert, das Thier macht vergebliche Ver­suche zu entfliehen. Nur durch seine eigene Schwere bewirkt dies Alles das Gehirn; wird die kleine Wunde verstopft, heilt sie, dann schwinden alle diese Sym­ptome nach Wiederersatz der Flüssigkeit.

Gedankensplitter.

Unsere Feinde vermögen Nichts über uns, denn sie können uns nicht verwehren, zu denken und ehrenhaft zu handeln.

Von Herrn von Regniere, bei dem alle Welt zu Tafel ging, sich aber entjeßlich langweilte, sagte man: Man beschmaust ihn, aber man verdaut ihn nicht."

Chamfort.

Ich fühle, was ich schreibe und rede; ich hasse den Schreiber und Schwäger, dem ewige Lügen aus der Feder und von den Lippen sprudeln, weil er nicht fühlt oder nicht weiß, was er sagt.

Nur die Gebirgshöhe der Freiheit weitet die Seele, und der Knechtschaft Geklüft verengt sie. Schubart.

Vor unseren Augen soll beständig die Kunst stehen, wie sie, einer Andromeda gleich, an den Felsen der heutigen Wirthschaftsordnung angeschmiedet, umgeisert wird von dem gefräßigen, trostlosen Scheusal Profit, und sehnsüchtig harrt, daß ihr endlich ein Retter erscheine.

Syrische Ecke.

Walter Crane  .

Schranken des Glücks.

Von Otto Ernst  .

Durch die Seelen der guten Menschen Bebt ein Seufzer geheimen Wehes, Gellt ein Schrei verborgener Schmerzen Selbst in der Stunde des höchsten Glückes.-

Wohl umfangen auch sie in berauschter, Stammelnder Wonne das Glück der Erde, Und sie vergessen, darein versinkend, Alles Vergangenen düstre Beschwerde. Sie auch pressen in nächtlicher Kammer Das Geliebte ans schauernde Herz, Sie auch taumeln im Tanz des Lebens Von der Verzweiflung zum lächelnden Scherz. Und, als lebte mit ihnen im Glücke Alles, was sie lebendig umkreist, Senden im Glück sie dankende Seufzer Zu dem allgütigen Weltengeist". Aber sie tragen die stille Mahnung An das ewige Leid in der Brust; Werden doch immer sich des gemeinen Erdenloses die Guten bewußt! Sie mögen allein

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Nicht glücklich sein.

Mitten im Freudebeben erfaßt sie's: Daß sie einsam jauchzen im Glücke, Daß, indem sie Hoffnungen bauen, Tausend Hoffnungen brechen in Stücke, Daß sie schwelgen im Trank des Lebens, Während in gleicher, enteilender Stunde Millionen den Becher des Todes Schlürfen mit faltem, erbleichendem Munde. Will auch im Jubeldrange die Lust Ihnen zersprengen die wogende Brust Es ist ein Staub nur, der sich freut; Die Menschheit blutet morgen wie heut. Es sind nur Würmter, die sich sonnen In ihren kleinen, kurzen Wonnen, Judes die Noth umschattet die Welt Und Leben um Leben dem Tod verfällt. Trauernd senken die Guten ihr Antlig, Und sie erglühen in schmerzlicher Scham Vor dem strengen, düsteren Weltgesichte,

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Das ihnen im Flug der Träume kam. Den eignen Glücksstern sehn sie erblinden In einer Nacht von fremdem Leid; In gleicher Sekunde jauchzt ihr Herz Und zittert in weinender Einsamkeit.

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Ach, durch die Seelen der guten Menschen Bebt ein Seufzer geheimen Wehes, Gellt ein Schrei verborgener Schmerzen Selbst in den Stunden des höchsten Glückes.-

Räthsel- Ecke. Bilder Räthsel.

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Auflösung des Bilder- Räthsels in Nr. 5: Festbankette.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmiten Sendungen wolle man an Edgar Steiger  , Leipzig  , Oststr. 14, richten.

Berantwortl. Redakteur: Edgar Steiger  , Leipzig  . Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: Mar Bading, Berlin  .