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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Abschüttelung des auch für das Bürgerthum unerträglichen reaktionären Jahres bildete. Die Anfänge einer der ganzen Sachlage nach der ganzen Sachlage nach politisch gearteten Arbeiterbewegung finden wir merkwürdig, aber begreiflich genug unter den im Auslande, in Frankreich und der Schweiz lebenden deutschen Arbeitern, richtiger vielleicht Handwerksgesellen, von denen viele Tausende alljährlich wandernd über den Rhein zogen. In diesen Ländern mit modernem öffentlichen Leben, mit politischer Bewegungsfreiheit mußte ihnen die dumpfe Stickluft ihres Heimathlandes, der sie soeben entronnen waren, doppelt drückend erscheinen, doppelt brennend mußte in ihnen der Wunsch werden, auch Deutschland in die Reihe der Kulturvölker hinaufgerückt zu sehen. llud es blieb nicht bei dem Wunsche, derselbe ver dichtete sich zum Wollen, zum energischen Handeln; man that sich in großen, weitverzweigten Geheimbünden zusamnten, deren bekanntester der 1834 zu Paris gegründete" Bund der Geächteten " war, von den sich zwei Jahre später viele, unter ihnen die tüchtigsten und einflußreichsten Mitglieder abzweigten, um in dem Bunde der Gerechten " eine neue Organisation der im Auslande lebenden, für das Vaterland Freiheit und Einheit erstrebenden deutschen Arbeiter zu schaffen.
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In diesen Bund trat 1837 Wilhelm Weitling ein. Sein Verdienst nun ist es in erster Linie, in den rein republikanischen Bund mit seinen vorwiegend politisch- radikalen Endzielen das soziale, sozialistische Moment hineingetragen, der Bewegung den Charakter einer allgemeinen politisch- patriotischen Freiheitsbewegung genommen und ihr den Stempel einer kommunistisch- revolutionären Arbeiterklassenbewegung aufgedrückt zu haben. Weitling wurde der erste deutsche Theoretiker des Kommunismus und zugleich sein erster praktischer Agitator. Es fann nun nicht Aufgabe dieser Skizze, die ja nur in ein paar furzen Strichen ein Lebensbild Weitlings entiverfen will, sein, eine ausführliche Darlegung seines theoretischen Lehrgebäudes zu geben. Jeden, der sich näher für die Sache interessirt, müssen wir schon auf die sehr instruktive Kaler'sche Schrift,* vor Allem aber auf die in jüngster Zeit sehr er= freulicherweise von dem rührigen Ernst' schen Verlage in München neu herausgegebenen Werke unseres Weitling selbst verweisen, die von ihrem hohen historischen und parteigeschichtlichen Interesse einmal ganz abgesehen auch heute noch durch ihre klare, zwingende Logik und besonders durch die glühende Begeisterung, die uns aus jeder Zeile entgegenathmet, im Stande sind, den Leser mit sich fortzureißen, sein Herz höher schlagen zu lassen.
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Die erste dieser Schriften erschien 1838, ein Jahr nach Weitlings Eintritt in den Bund der Gerechten, unter dem Titel„ Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte." Unsere heutigen deutschen Arbeiter werden sich nur schwer einen Begriff davon machen können, unter wie unsäglichen Schwierigkeiten die Herstellung und Verbreitung jener Schrift überhaupt erst ermöglicht wurde. Wie sie im Auftrage der Pariser Sektion des Bundes ver= faßt war, so mußte sie unter den größten Entbehrungen von den Genossen selbst gesezt, auf einer geheimen Presse gedruckt, von ihnen selbst gefalzt und broschirt werden. Zweitausend Exemplare der Broschüre wurden so hergestellt und verbreitet, eine größere Partie gelang es auch in Deutschland einzuschmuggeln. 1845 erschien in Bern eine zweite Auflage der Schrift, die schon 1840 in das Ungarische übersetzt worden war.
Eine charakteristische Eigenthümlichkeit der ganzen Weitling'schen Lehre ist deren enge Verquickung mit dem Christenthum, ist das Bestreben, den Kommunismus in Einklang zu bringen mit den Lehren Christi, oder vielmehr, ihn direkt aus diesen abzuleiten; auch seine Sprache lehnt sich eng an die der Bibel an. Wir begegnen dieser Erscheinung auch
in Weitlings Erstlingsschrift.
„ Die Ernte ist groß und reif, heißt es da," und Arbeit giebt es vollauf; also herbei ihr Ar
beiter, damit die Ernte beginne," so hebt Weitling au. Was aber ist diese Erute? Das ist die zur irdischen Vollkommenheit reifende Menschheit, und die Gemeinschaft der Güter der Erde ist ihre erste Frucht."
Wie liegen aber die Verhältnisse heute? Ihr arbeitet früh und spät, ein geseguetes Jahr folgt dem anderen, alle Magazine sind vollgespeichert mit den Gütern, die ihr dem Boden abgewonnen habt; und doch entbehren die Meisten von Euch der für Nahrung, Wohnung und Kleidung nothwendigsten Gegenstände, doch wird gerade Denen von den Gütern der Erde am fargften zugetheilt, welche sie derselben mühsam im Schweiße ihres Angesichts Das kommt von der unabgewinnen müssen. gleichen Vertheilung der Arbeit und der durch sie hervorgebrachten Güter
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Wir haben uns bei dieser Schrift, bei deren Abfassung Weitling dreißig Jahre alt war, etwas länger aufgehalten, unt über seine späteren Arbeiten desto schneller hinweggehen zu können; finden sich in ihr doch die meisten der später, besonders in Weitlings großem Hauptwerk Garantien der Harmonie und Freiheit" entwickelten Gedanken schon keimartig vor. Das ist ja auch so ein besonders hervorstechender Zug bei Weitling , wie bei allen Utopiſten überhaupt, daß sie an den einmal gewonnenen Ideen starr festhalten, daß diese Ideen sich in ihnen zu Dogmen verdichten, an denen sie nicht rütteln lassen, daß sie jeder Weiterentwickelung durchaus unfähig sind.
Und Weitling ist ein Utopist, ebenso wie Fourier und Cabet, die wohl den Haupteinfluß auf ihn ausgeübt haben, und deren Werke er mit ebenso großem Eifer wie Verständniß studirt hatte. Wie Jene, er=
Woher aber stammt diese? Die Einen geben kennt auch er im Kommunismus nicht jene Geselldiesen, die Anderen jenen Grund an.
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Andere schieben die Schuld auf die ganz unschuldigen Maschinen, die ein Glück für die Mensch heit sein werden, wenn sie einst wie eine große Familie in Gütergemeinschaft lebt, denn sie leihen der Menschheit die Kraft und Geschwindigkeit, welche ihre Natur nicht zu erreichen im Stande ist, und mit deren Hülfe so viele Arbeiten und Mühen erspart werden." Nein: Die Ursache dieser immerwährenden schlechten Zeiten ist aber nur die ungleiche Vertheilung und Genießung der Güter, sowie die ungleich vertheilte Arbeit zur Hervorbringung derselben, und das Mittel, diese gräßliche Unordnung zu erhalten, ist das Geld."
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Demgegenüber, meint Weitling , gilt es, einen neuen Gesellschaftszustand zu erstreben, den Kommunismus, den er auf folgende zehn Thesen gründet, ohne deren Verwirklichung„ kein wahres Glück für die Menschheit möglich ist":
1. Das Gesetz der Natur und christlichen Liebe ist die Basis aller für die Gesellschaft zu machenden Gesetze.
2. Allgemeine Vereinigung der ganzen Mensch heit in einem großen Familienbunde, und Wegräumung aller engherzigen Begriffe von Nationalität und Seftenwesen.
3. Allen gleiche Vertheilung der Arbeit und gleichen Genuß der Lebensgüter.
4. Gleiche Erziehung, sowie gleiche Rechte und Pflichten beider Geschlechter nach den Naturgefeßen. 5. Abschaffung alles Erbrechtes und Besißthums des Einzelnen.
. Hervorgehung der leitenden Behörden aus den allgemeinen Wahlen.
7. Kein Vorrecht derselben sei bei der gleichen Vertheilung der Lebensgüter, und Gleichstellung ihrer Amtspflicht mit der Arbeitszeit der Uebrigen.
8. Jeder befigt, außerhalb des Rechts Anderer, die größtmögliche Freiheit seiner Handlungen und Neden. 9. Allen Freiheit und Mittel der Ausübung und Vervollkommnung ihrer geistigen und physischen Anlagen.
10. Der Verbrecher kann nur an seinem Rechte der Freiheit und Gleichheit bestraft werden; an seinem Leben nie, und an seiner Ehre nur durch Ausstoßung und Verbannung aus der Gesellschaft auf Lebenszeit.
Diese Grundsäße lassen sich in wenig Worte zusammenfassen; sie lauten:„ Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst".
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Dann beginnt eine detaillirte Schilderung des Weitlingschen Zukunftsstaates", bei der die Anlehnung an die Ideen Fouriers, die jedoch selbst ständig weiter gebildet werden, unverkennbar ist. Endlich, nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick auf kommunistische Vorschläge und Versuche früherer Armes, Zeiten, ein prophetischer Schluß: Schlafe fort, betrogenes, aber gutmüthiges Volt!- bis Dich die Trompeten und Sturmglocken zum jüngsten Gericht rufen. Dann kehre sie weg, die Männer von Wittenberg und Rom , die den Thronen und Geldsäcken zum Hohne Deiner Blöße das Wort reden. Dann wird Einheit die Standarte der Nächstenliebe in Deinen Gauen aufpflanzen, Deine Jüng linge werden mit ihr in der Welt Enden fliegen und die Welt wird sich in einen Garten und die Menschheit in eine Familie verwandeln."
schaftsform, die sich mit Naturnothwendigkeit aus der kapitalistischen Wirthschaftsweise herausringen muß, aber sich eben auch nur aus ihr herausringen fann, sondern er sieht im Kommunismus den Stein der Weisen, den eben zufällig gerade er, Weitling , gefunden hat, den aber ebenso gut ein Anderer vor Jahrhunderten schon hätte entdecken und dessen Verwirklichung nur Bosheit, Dummheit oder Gleichgültigkeit verhindern können. Wenn sich die Gütergemeinschaft bisher unter den Christen kein dauerndes Reich gründen konnte, so hat das, wie immer, an der Verdorbenheit der Mächtigen und Priester gelegen." legen."(„ Menschheit.") So gründet Weitling , gleich den französischen Utopisten, seinen Sozialismus so ist er gleich ihnen eben auf die Moral,- ein Utopist.
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Und doch welch Unterschied zwischen unserem Schneidergesellen und allen seinen berühmten Vorgängern! Welch gewaltiger Fortschritt von Jenen bis zu ihm! Bei ihm treffen wir, wie sein Biograph Kaler sehr treffend sagt, zum ersten Male nicht blos eine zusammenhängende, auf das gesammte gesellschaftliche Leben der Menschen ausgedehnte Anwendung der kommunistischen Gedanken, sondern auch den Versuch, auf dem Wege der mündlichen und schriftlichen Agitation und durch die Organisation des Proletariats, als des modernen Trägers fommunistischer Ideen, die Verwirklichung derselben in .. Erst großem Maßstabe herbeizuführen.
mit ihm beginnt eine zielbewußte, flare, entschieden revolutionäre und auf die Arbeiter gestützte fommunistische Propaganda, die vor Allem in Bezug auf ihre theoretische Basis unvergleichlich höher steht als Alles, was bis dahin der deutsche Kommunismus fragmentarisch zu Tage gefördert hatte."
Der Schauplatz, auf dem Weitling die Propaganda in erster Linie entfaltete, war die Schweiz , wohin er im Auftrage des Bundes 1841 definitiv übersiedelte, nachdem er schon ein Jahr vorher zu Propagandazwecken vorübergehend dort gewesen war. Es würde eine bedeutende Ueberschreitung des uns zur Verfügung stehenden Raumes erheischen, wollten wir hier versuchen, diese hoch bedeutsame Schweizer Thätigkeit Weitlings, von der aus man den Beginn der modernen Arbeiterbewegung überhaupt datiren kann, in ihren Einzelheiten zu schildern.* Nur die Hervorhebung der wesentlichsten Richtungen, nach denen sie sich bethätigte, sei ge= ſtattet.
In der richtigen Erkenntniß, daß ohne eine umfassende Organisation der Arbeiter an eine planvolle Propaganda nicht zu denken sei, richtete Weit ling sein Hauptaugenmerk darauf, überall in der Schweiz Sektionen des Bundes der Gerechten" zu gründen, eine Thätigkeit, die in fast allen bedeutenderen Orten von Erfolg gekrönt war. Daß nach Lage der Dinge auch hier der Gharakter eines Geheimbundes beibehalten werden mußte, liegt auf der Hand.
Man ging dabei in ähnlicher Weise vor, wie es auch die deutschen Arbeiter später zur Zeit des Ausnahmegesetzes zu thun gezwungen waren: man gründete
* Wir müssen hier wieder auf die mehrfach erwähnte Kalersche Schrift verweisen. Auch Georg Adler bringt in seiner Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland" hierzu manches werthvolle Material