Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Werber zu gleichem Zweck nach dem Often, nach Polen und Galizien , wo die Arbeiter noch willig und billig sind.

Wo der Agent ins Dorf kommt, da gehts hoch her. Im Wirthshaus wird Hof gehalten. Da sizt der Menschenfänger beim Schnapsglas und um ihn herum, dicht gedrängt, daß die kleine Schaukstube sie kaum faßt, die Jugend des Dorses, Burschen und Mägde, halbe Kinder oft noch. Denn auch dies hat die moderne Landwirthschaft von der Schwester Jndustrie gelernt, daß Frauen und Kinder den Vorzug verdienen, wo einmal ungelernte Arbeit Plaẞ gegriffen hat. Und dieser Zuhörerschaft, die an und für sich schon gläubig genug beanlagt ist, weil sie das intellektuelle llebergewicht des Fremden fühlt und weils schlimmer als in der Gegenwart ja cigentlich überhaupt nicht werden kann, erzählt er eifrig vom fernen Westen; er schildert ihuen, wie stolz sie heimkehren werden im Herbst, den Sack voll ersparten Geldes, denn die Löhne dort sind höher, als sie sie je gekannt haben; er verspricht ihnen goldene Verge und blaue Wunder, und er ist so ein lieber, freundlicher Herr vorläufig-, er vertheilt freigebig Bier und Schnaps, Tabak und Zigarren, und Jeder, der sich auwverben läßt, be­kommt eine blaufe Mart im Voraus. Und der Alkohol thut auch seine Wirkung. Mit glänzenden Augen und vor Erregung gerötheten Gesichtern hört die leicht empfängliche Jugend das neue Evangelium; und wenn der Abend dämmert, dann zeigt die Liste eine stattliche Anzahl Namen auf, und zwei Leute legen sich zufrieden ins Bett: der neue Ratienfänger von Hameln , denn er hat eine anständige Provision verdient, und der Schankwirth, denn er ist an einem Tage mehr los geworden, als sonst in Wochen. Jm. Dorfe aber träumen ein bis zwei Dußend junge Menschenherzen den alten, ewigen Menschentraum, der uns immer wieder beligt und dem wir doch immer wieder glauben: von der Zukunft, die uns das Glück bringt, vom Lande Kanaan , drin Milch und Honig fließt.

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Freilich, wenn der 1. April, der gewöhnliche Reisetermin, erst da ist, dann sieht sich die Sache schon anders an. Der Ton, den der freundliche Herr" jest anschlägt, ist schon ein bedeutend rauherer geworden; Ordre pariren muß man, korporalschafts­mäßig eingetheilt ist Alles, wie beim Militär, streng wird Aufsicht gehalten; und wenn die Schaar der Wanderer, eng zusammengepfercht, erst auf großen Leiterwagen, dann in der vierten Klasse der Eisen­bahn, die Heimath ein Weilchen im Rücken hat, dann fängt das Gelächter hier und da schon zu ver­stummen au und an Stelle der kritiklosen Hoffnung tritt bei Manchem wohl eine uneingestandene bange Enttäuschung ein, wenn er zum ersten Mal in der plumpen, improvisirten Kaserne des neuen Arbeits­hofes, die sie zusammengedrängt wie eine Heerde Vich lange Monate gefangen halten soll, auf seinem Strohsack, oft auch auf bloßer Streu, sich zum Schlummer bettet.

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Mit gemischten Gefühlen sehen auch die Juſt leute diese neuen Arbeitsfameraden anrücken, soweit sie ihnen noch nicht eine gewohnte Erscheinung sind. Sie ahnen instinktiv in ihnen die Vertreter einer neuen Arbeitsorganisation und Zerstörer des alteni Justverhältnisses. Zwar, so lange der Sommer dauert, können sie sich nicht sonderlich beklagen über den Einfluß der fremden Wanderarbeiter. Die Löhne zeigen eine unverkennbare Tendenz, sich den höheren Löhnen Jener anzunähern und ihre Behandlung ist meist nachsichtiger, als sie es foust vom Herrn" gewohnt waren. Er weiß wohl, warum er die Zügel locker läßt; Streit und Mißhelligkeiten, Störrischkeit und Trägheit oder gar ein Streif in der Erntezeit sind Dinge, vor denen er allen ,, Dampf" hat; und die Wanderarbeiter, die nicht mit dem Wohl und Wehe ihrer ganzen Familieneristenz an sein Wohlwollen gefnüpft sind, wie die Komorniks, lassen sich lange nicht so leicht auf der Nase herum­tanzen wie Jene.

Anders, wenn die Ernte hinter ihm liegt. Wenn die Schwalben heimwärts ziehen, thun es auch die Sachsengänger. Das letzte Fuder ist eingefahren; die lezte Mandel ausgedroschen, der Winter naht

die arbeitslose Zeit. Die Sachsengänger werden abgelohnt und in ihre Heimath abgeschoben: Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr fann gehn." Aber der Komornik geht nicht. Er bleibt nach der alten Arbeitsverfassung jahraus, jahrein mit Kind und Kegel auf dem Gut fißen und frißt den nothleidenden" Agrarier fahl, obwohl er bei der heutigen Betriebsart den Winter über fast ganz faullenzt. Womöglich wird das Volk krank, man muß Arzt und Apotheker bezahlen, wohl gar den Arbeitsunfähigen bis zum Tode durchfüttern.

Das wurmt unseren Junker gewaltig und er sinnt auf Abhülfe. Es ist, wenn man sichs uur recht überlegt, auch unglaublich, was dieses Volk im Sommer Alles verbrochen hat, was man ihm viel zu nachsichtig hat durchgehen lassen: Der Eine hat dem Inspektor widersprochen, der Andere hat einen Pflugschlüssel verloren, der Dritte gar eine Handvoll Mohrrüben gestohlen. Mit solchem Pack kann sich doch ein anständiger Mensch nicht auf die Dauer abgeben. Und es ist nur sittliche Pflicht, solchen Menschen schleunigst das Instverhältniß zu fündigen. Daß die Leute zum Winter nicht nur Arbeit und Verdienst verlieren, sondern gleichzeitig auch aus Wohnung und Landbesiz hinausgetrieben werden, ist ja traurig, aber daran sind sie doch nur selbst schuld, und auf schwangere Frauen und kleine Kinder, die dadurch nackt auf die Straße gesetzt werden, kann man natürlich nicht Rücksicht nehmen, wenn sich der Untergebene so schwer verschuldet hat. Dabei sind die Leute so störrisch; sie können es garnicht begreifen, daß es das gute Recht des Herru ist, gegen ihren Willen den langjährigen Vertrag zu lösen; sie gehen meist einfach nicht aus der Wohnung heraus, weil sie nicht wissen, wo sie bleiben sollen", und der Herr Großgrundbesiver ist thatsächlich so und so oft genöthigt, sie gerichtlich ermittiren zu lassen.

Dem Kläger andere, materielle Gründe zu imputiren, als sein beleidigtes Gerechtigkeitsgefühl, wäre ja auch höchst frivol. Einen unangenehmen Eindruck macht es nur, daß die oder der Entlassene gar so oft auch noch Rückstände an Lohn und Deputat einklagen muß; aber dann werden meist so viele unberechenbare Gegenforderungen aus zu lange benutztem Instland, zu viel gelieferten Kar­toffeln, beschädigten Werkzeugen u. dergl. geltend gemacht, daß ihm die Klage oft nur Kosten ein­bringt, zumal der Arbeiter den Vertrag wohl gar nur mündlich eingegangen und sich der juristischen Konstruktion desselben vielfach garnicht flar bewußt ist.

Wenn aber die Saatzeit herankommt, dann kommen regelmäßig, wie die Schwalben, auch die Klagen wieder über die Tausende, die in der Landwirthschaft leicht Arbeit und zeitgemäßen Lohn finden können," aber frivoler Weise in die Städte drängen, um dort ihr Glück zu machen."(" Reichs­bote" Nr. 233,96.)

Wir wollen es hier noch einmal ausdrücklich festnageln: Es ist einfach unwahr, wenn behauptet wird, die Entvölkerung der Gutsbezirke und das Fortziehen der Justleute nach der Stadt mit der bäuerlichen Bevölkerung mag es anders stehen- sei eine Folge erwachter Genußsucht und Unzufriedenheit des Volkes. Diese ist( leider!) noch sehr gering ent­wickelt; der Gutsherr ist es, welcher aus öfv­nomischen Rücksichten seine Komornits, welche in der Regel gerne ihre zwar minderwerthige, aber doch sichere Stellung behalten würden, plaumäßig vertreibt. Es sind uns Fälle befannt geworden, daß man( namentlich alt werdenden) Komorniks zwei Jahre lang die Miethe in der Stadt bezahlt hat, damit sie auf diese Weise ihren angeborenen Unter­stübungswohnsiz verlören und die Stadt unter­stübungspflichtig würde. Es kann daher nur eine Frage der Zeit sein, daß das veraltete Arbeits­verhältniß der Justverfassung völlig beseitigt und der Gegensatz von Agrarkapitalist und besiglosem, freiem ländlichen Lohnproletariat an seine Stelle getreten ist.

Diese Entwickelung wird noch dadurch verstärkt, daß, wie bereits erwähnt, die moderne Agrartechnik ein zwar ungelerntes, aber förperlich wie geistig höher qualifizirtes Material von Arbeitern erfordert,

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ein Material, wie es die Komorniks nicht nur nicht heute, sondern überhaupt niemals stellen werden; denn ihre leibliche Verpflegung wie geistige Erziehung ist ja lediglich abhängig vom Gutsherrn, der nach preußischem Recht oberste( und im Effekt einzige) Verwaltungsbehörde seines Gutsbezirks ist, sie geht nicht nur aus der Tasche desselben Mannes, der ihre Zeit und Arbeitskraft nach Möglichkeit aus zubeuten suchen muß, sondern untersteht auch seiner Kontrole und Begutachtung. Das sind Interessen­Widersprüche, die sich nie werden vereinigen lassen.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist cs eine wohlthätige Entwickelung, die den auf dem Gute seines Arbeitgebers seßhaften Komornik ablöst durch den freien, proletarischen Landarbeiter. Aber auch auf die Instleute selbst, soweit sie noch vor­handen sind, übt sie einen nachhaltigen Einfluß aus.

So lange die gute, alte Zeit" noch herrschte, eristirte zwischen Gutsherrn und Gutsarbeiter eine natürliche Interessengemeinschaft. Fiel die Ernte gut aus, so stieg auch der auf den Komornik ent fallende Bruchtheil desselben und damit seine Lebens­haltung, brachte der Markt einen hohen Erlös und ging es dem Herrn gut, so konnten auch die Just­Ieute auf bessere Verpflegung und Rücksichtnahme rechnen. Auch gingen sie noch mit eigenem Intereſſe au die Arbeit, denn das Land, das sie bestellten, war ja zum Theil Leuteland", trug ja auch für sie die Erute, auf der Wiese weideten ja ihre Kühe mit, der Wald gab ja ihnen von seinem Holz und Früchten. Baargeld erhielten fie fast garnicht und founten es auch kaum verwenden. Heute ist das Der Justmann ist zum Theil vom umgekehrt. Deputat"( Naturalverpflegung) auf Geldlohn und Geldabfindung gesezt, Brotkorn bekommt er wenig mehr zu sehen, was er in Natur erhält( z. B. Kar­toffeln), muß er größtentheils verkaufen, um Lebens­mittel dafür zu erstehen, auch Textilwaaren, Möhel u. dergl., was er ehemals aus dem auf dem Gut erzeugten Rohstoff selbst erzeugte. Der Gute herr umgekehrt ist durch die niedergehende Marktkonjunktur, die steigenden Produktionskosten und die gesellschaft­liche Konkurrenz des Geldbürgerthums mehr als je darauf angewiesen, baar Geld möglichst viel aus dem Gut herauszupressen und möglichst wenig für den Gutsbezirk auszugeben. Die wirthschaftlichen Interessen beider Theile divergiren jezt: Der eine wünscht hohe, der andere niedrige Preise der Lebens­mittel, der eine hohe, der andere niedere Geldlöhne, der eine hat ein sehr lebhaftes, der andere ein äußerst geringes Interesse am Ertrage des Gutes 2c. Das bedeutet, daß die Instleute zum ersten Male die Gutsbesizer als eine soziale Gruppe mit einer ihnen nothwendig feindlichen Tendenz erkennen. Der Klassengegensaz auf dem Lande kommit zum erstmaligen lebhaften Ausdruck.

Und dazu kommt nun der Einfluß der Wander­arbeiter. Diese fühlen natürlich den Klassengegensatz in einem noch viel stärkeren Maße und ziehen bereits auch die Konsequenzen daraus bez. Forderung an­ständiger Behandlung, höherer Löhne 2c., vor Allem aber erzieht sie das von Heimath, Familie und Besitz losgelöſte, fasernenartige Zusammenwohnen und-ar­beiten in der Arbeitsperiode sehr schnell zu einer starken Solidarität, zu einem ausgesprochenen Korps­geist, der sich unwillkürlich den noch in der Inst­verfassung lebenden Arbeitsgenossen überträgt, um­somehr, als sich unter den Sachsengängern" strich­weise ein nicht unbedeutender Prozentsaz arbeitsloser Städter befindet, die ihnen proletarischen und vielfach sozialistischen Geist einflößen. Durch Vermittelung der Wanderarbeiter lernt der Komornit neben dem Klassen gegensatz zum Grundbesitzer auch seine Klassen gemeinschaft mit dem besiglosen Proletariat in Stadt und Land erkennen und empfinden. Sozia listische und demokratische Ideen finden hier einen aufnahmefähigen und fruchtbaren Boden, ein ziel­bewußter und klarer Sachsengänger thut wirkungs­vollere Arbeit für die geistige Revolutionirung Ost­elbiens als zehn berufsmäßige Agitatoren, die hier, wo der Junker König ist, in der Regel werden mit blauem Auge abziehen müssen.

Der Komornit, welchem aber erst einmal das Wesen des kapitalistischen Arbeitsverhältnisses auf­