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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
gegangen ist, dem flar geworden ist, daß die Inter: essen und Bestrebungen der Großgrundbesitzer unter heutigen Verhältnissen den seinigen nothwendig zuwiderlaufen, daß dafür aber hinter ihm die ganze Masse der Enterbten steht, mit der Wucht ihrer moralischen Macht, der nimmt auch praktisch dem Arbeitgeber gegenüber eine andere Stellung ein. Er fühlt sich als gleichberechtigter Mensch und empört sich gegen die noch immer gegen ihn geübte menschen unwürtige Behandlung.
Daß eine solche eristirt, kann heute garnicht abgestritten werden. Uns ist beispielsweise ein Landjunfer bekannt, der nach den allgemeinen Erzählungen seiner Lente die liebenswürdige Gewohnheit hat, jeden Komornik, der irgend welche Ansprüche gegen ihn geltend zu machen wagte, die fraglichen Objekte auf des Gutsherrn Privatzimmer selbst abholen zu lassen. Ehe er sie ihm aber ausliefert, verdrischt er ihn bei verschlossener Thür mit der Reitpeitsche unbarmherzig, während eine riesige Bulldogge ihm bei jeder verdächtigen Bewegung an die Gurgel fährt. Privatklage anzustellen wagen die Leute nicht, theils aus Rücksicht auf ihre öonomische Abhängigkeit, theils, weil sie aus Rechtsunkenntniß hier überall glauben, ohne Zeugen keinen Beweis führen zu können. Ich habe selten so den Eindruck der bête humaine des wilden Thieres im Menschen gehabt, als beim Anblick dieser Komornits, wenn sie in Zivilsachen vor Gericht ihrem Arbeitgeber Auge in Auge gegenüberstanden und lauernd und gehässig seinen umfangreichen Rechtsausführungen folgten. Wenn auch dieser Fall besonders extremt ist, so zeigt er doch charakteristisch, wie schnell und intensiv sich der Klassenhaß hier bereits entwickelt, ohne alles Zuthun sozialdemokratischer Verhezung".
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Eine ländlich- fittliche Gewohnheit, die in gleicher Richtung wirkt, ist der seruelle Mißbrauch der Arbeiterinnen. Nicht als ob dieser Brauch neuen Datums wäre, im Gegentheil. Es ist ein offenes Geheimniß, daß seit jeher nicht nur der Herr Rittergutsbesiter und seine eventuellen Herren Söhne, sondern auch der Herr Juspektor, der Vogt und sonstige Vorgesezte es für ihr angestammtes Recht ansehen, sich aus den ihnen untergebenen Arbeiterinnen einen zuweilen recht umfangreichen Harem anzulegen. Die blonden Haare und blauen Augen, welche stockpolnische Komorniks zuweilen aufweisen, reden auch eine deutliche Sprache, und ich bin sogar geneigt, dieser generationenlang geübten Rassenverbesserung" durch Junkerblut ein gut Theil Schuld an dem höheren Niveau der Komorniks gegenüber den ökonomisch eigentlich viel besser gestellten polnischen Bauern zuzuschreiben. Was hierin aufheßend wirkt, das ist das erwachende Selbstbewußtsein der ländlichen Arbeiterklasse. Deskalb richtet sich der Haß auch weniger gegen die Thatsache an sich, als die Art und Weise, wie dieselbe erzwungen wird und welche Behandlung das Mädchen dabei erfährt.
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Die Vorgesezten theilen sezusagen ihre Unter gebenen in zwei Klassen: Diejenigen, welche von vorne herein willig sind, und die, welche es noch nicht sind. Um die Letzteren firre zu machen, wird ihnen zunächst die schwerste, längste und innangenehmste Arbeit auferlegt, die nicht selten thatsächlich über ihre Kräfte geht. Erklärt die Betreffende nun, daß sie die fragliche Arbeit allein nicht bewältigen fönne, wird sie nicht fertig, leistet sie Minderwerthiges, oder ist sie gar zu erschöpft zum Weiterarbeiten, dann tritt die mit Recht so beliebte Gesindcordnung in Kraft; d. h. zunächst kommt der Aufseher, Vogt oder dergleichen und prügelt sie, nicht etwa mit Fäusten, nein, in der Regel mit seinem eisen beschlagenen Handstock. Darauf stattet er dem Herrn Juspe tor Meldung ab, ter das Naturheilverfahren -besonders auch gegen fimulirte" Krankheit sehr beliebt in verbesserter und vermehrter Auflage wiederholt; spezielle Arten des gütlichen Zuredens, als welches diese Behandlung nachher vor Gericht zu erscheinen pflegt, sind auch das Würgen und das 3erren an den Haaren. Dann wird die Angelegenheit den Herrn" gemeldet, der u. A. seinen Einfluß noch einmal in gleicher Richtung versucht, und das Ende vom Liede ist ein Strafantrag gegen die Thäter? Gott bewahre! Gegen das Mädchen, wegen
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Ungehorsams, Widersetzlichkeit, Kontraftbuch oder dergleichen. Unter irgend einen Paragraphen läßt sich die Sünde schon bringen. Laßt sich die GeLaßt sich die Geschlagene oder Gewürgte gar dazu fortreißen, den Arm zur Abwehr zu erheben, dann ist die Anzeige wegen Körperverlegung am Vorgesezten fertig. Unter allen Umständen wandert das Mädchen ins Loch, denn Geldstrafen kann sie nicht bezahlen, und so milde die dem Kleinbürgerſtand entstammenden Schöffen in der Regel sind, gegen widerseßliche Arbeiter und Dienstmädchen sind sie äußerst streng, viel strenger meist als der vorsitzende Richter. Auf diese Weise wird sie mit einiger Geduld meist ganz militärfromm.
Giebt das Mädchen aber, um allen diesen Eventualitäten zu entgehen, ihre Ehre preis, dann hat sie die gerühmte gute Behandlung freilich, so lange die Liebe dauert; das ist aber in der Regel nur so lange, bis sich die Folgen einstellen. Denn dann droht eine Alimentenklage, und um der Zahlung von 7 Mark 50 Pf. oder gar 9 Mark monatlich zu entgehen, giebt es ja ein sehr einfaches Mittel: Fünf zig Pfennig an den ersten besten Knecht. Ist dann die Geschwängerte so thöricht, sich auf eine Stlage einzulassen, so ist sie ja eine Person von nachweis lich schlechtem Lebenswandel, oder es tritt gar die treffliche exceptio plurium concumbentium des Preußischen Landrechts( die Verweigerung der Alimente, weil das Mädchen mit mehreren Männern geschlechtlichen Umgang hatte) in Kraft. Für die junge Viutter aber sind die schönen Tage von Aran juez vorüber. Denn selbst wenn der Vater zu Alimenten und Entbindungskosten verurtheilt werden sollte, ist der Nuzen gering; erstens zahlt er in der Regel nichts, weil er nichts hat und die Pfändung „ fruchtlos" bleibt; zweitens bleibt die Einforderung gegenüber einem Vorgesezten, in dessen autonomer Gewalt man ist, immer eine prekäre Sache; daher der so oft wiederkehrende, natürlich unerfüllbare Autrag, das Gericht solle die jemalige fällige Rate von Amtswegen einziehen und der Klägerin überweisen, ein Zeichen, daß die" Autorität" doch noch nicht so ganz gebrochen ist, wie die Herren immer flagen.
Traurige und düstere Zustände sind es zum größten Theil, die wir auf unserem Streifzug kennen gelernt haben, und Mancher, dem das Herz sehr zuversichtlich und zukunftsfreudig schlug, mag vielleicht von der trüben Ahnung beschlichen sein, daß der Tag der freien sozialistischen Gesellschaft denn doch noch nicht so überaus nahe sei, wenn große Theile des Reiches, ja, der politisch augenblicklich schwer wiegendste Theil desselben noch Lebensformen zeigt, aus denen dumpfiges Mittelalter athmet. Und dennoch fönnen wir guten Muthes sein, denn wir haben gesehen, die Art ist den Bäumen schon an die Wurzel gelegt;" im Kreise der Elendesten gährt ein neues Leben, und es kann kein Zweifel mehr darüber walten, daß troz aller Vorsichtsmaßregeln auch im Junkerparadies der Kampf bereits begonnen hat, der diese kapitalistische Weltordnung dereinst in Trümmer stürzt.
Spielkinder.
( Fortsetzung.)
N
0.ania!
Ein großer, heller Saal mit weißgetünchten Wänden, goldiger Stuffatur und Schlag lichtern auf dem blanken Parkettboden. Zur Zierde lichtern auf dem blaufen Parkettboden. Zur Zierde gereichen ihm noch ein paar kalkige Kaiserbisten und ein großer, riesengroßer Epiegel, welcher aber zu breit zeichnet.
Die Sigung hatte noch nicht ihren Anfang genommen und noch wogte Alles durcheinander, hier und da bildeten sich auch wohl Gruppen.
Die Gesellschaft! Ja, die haben wir nicht so schnell beieinander. Menschen verschiedenen Alters, Menschen verschiedenen Alters, verschiedenen Geschlechts und von verschiedener Begabung. Jedoch möchte ich sagen, daß die Jugend zwischen achtzehn und zweiundzwanzig Jahren hier vorherrschend war, daß jedes junge Mädchen ein Talent, jeder junge Mann ein Original, ein Genie war.
Ah! Da drängt man sich um zwei in jeder Beziehung offenherzige junge Damen, mit etwas breitgetretenen Gesichtern, einem Schlangennest von Stirnlocken und straff sitzenden, scheinbar unsichtbaren Haarneßen. Ein junger Kerl mit verschrammtem Gesicht dienert höflich um sie herum, ein anderer junger Mensch mit wallenden Locken( Maler oder Friseur?) teehrt sie mit einer gefühlvollen Ansprache. Ein blutjunges Bürschchen mit tadellos gescheiteltem, glan;- schwarzen Haar und einem Gesichtchen wie Milch und Blut wiegt sich verlegen in den Hüften und lächelt zärtlich. Dort sigt eine Mutter mit zwei Töchtern, ernst und bewegungslos, gleich einer versteinerten Niobe. Dort werden in einem Hümpel junger Dandies dem Anzug nach zu urtheilen- durch einen Buckligen flüsterud Mikoschwitze zum Besten gegeben.
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Es glückte mir nicht, mir ein End- Urtheil über die Gesellschaft zu bilden, auch fing ich an, etwas mißgestimmt zu werden. Erstens war Eugen nirgends zu sehen, und ich war vollkommen fremd, zweitens wurde Lies von allen Seiten mit so unverhohlener Neugier und nicht mißzuverstehender Vewunderung angegafft, daß ich nicht übel Lust verspürte, wieder umzukehren.
Glücklicherweise entdeckte Lies eine frühere Schulfreundin und Spielkameradin, Grethe Schramm, der sie in faßenfreundlicher Anwandlung fast um den Hals gefallen wäre, und im Augenblick war sie mit ihr in so eifrigem Gespräch, hatte ihr so hunderterlei Wichtiges mitzutheilen, daß ich ihren Arm losließ und meine Entdeckungsreise allein fortsetzte.
Von dem Gedanken ausgehend, daß nicht Jeder, der einen guten Rock trägt, deswegen gleich ein schäbiger Kerl sein müsse, begab ich mich zu dem Hümpel Dandies.
„ Jotte doch, Jeorj! Wie kommst Du denn hierher? Wat machst De denn?"
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Albertchen! Na das ist ja famos! Du siehst ja wie ein Graf aus! Was hast Du denn aber da an der Hand gemacht?" Er trug sie dick verbunden. „ Ach," der Ton schien aus dem Magen zu kommen, so tief war er. leberhaupt sprach Albert mit belegter, etwas heiserer Stimme, wie alle Menschen, die gern und viel trinken ,, ick hab' mir nämlich eben' n Thaler verdient. Also ich jehe so die Straße lang und denk da so bei mir Jott is det langweilig, denk ich, wenn doch man uur wo ein fleines Fenerchen wär', und da mit einmal schlagen ooch schon die hellen Flammen aus ein' Keller' raus. Ick n haste was kannſte-geloofen nach' m Feuermelder. Eins, zwei, drei. Scheibe injchauen, und da hab' ich mir blos ein bißchen in die Hand geschnitten. Ick nu jleich nach die Sanitätswache jerannt und mir verbinden lassen und dann nach de Polezei, meinen Thaler jeholt. Na, den versaufen wir heute noch!"
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Da trat ein junger Mensch auf mich zu. ,, Georg! Lebst Du noch, Georg?"
Wie erstaunte ich, das war ja Ernst Sauer!
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Erust! Bist Du aber groß geworden! Was
machst Du denn? Was bist Du denu?"
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„ Ich ich bin Schuhmacher," sagte er gedrückt ,,, aber vielleicht sattle ich doch noch um." Schuster, bleib bei Deinem Leisten, schwebte mir auf der Zunge, aber, wie ich in sein trauriges Gesicht sah, schwieg ich.
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Jaja," seufzte er, irgend ein Kunsthandwerk, aber," er rieb Daumen und Zeigefinger, da, da fehlts!!- O, so arbeiten zu können, wie man will und mag! Eigene Gedanken, Linien, Figuren! Ach prächtig!"
,, Und bei de Post bin ich, Jeorje. Wat sagste De dazu?" unterbrach uns Albert.„ Aber, nu weil wir uns so lange nicht jesehu haben, komin her, trinken wir eins zusammen. Gruste fomiuit coch mit." Da eilte Eugen auf mich zit.
,, Ach, mein lieber Georg, das ist ja sehr reizend, daß Du erschienen bist. Es fehlt uns gerade für unser Stück ein tüchtiger und umsichtiger Regiffeur.. Bei Deinem geläuterten Geschmack und Deinem seinen Gefühl Du fannst es uns nicht ausschlagen, Georg!"
„ Nein! Nein! Nein! Eugen, es geht nicht, ich