Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ich hatte sowieso noch die Absicht, eine ficine Charakter­rolle einzuflechten, und dann kann ja Ihr Fräulein Tochter dieselbe übernehmen."

Niobe erklärte sich einverstanden und sank in die alte Lethargie zurück.

Wie sie tanzten, diese Bacchantinnen der Lebens­freude, ja Bacchantinnen, wie sie sich auch mastiren mochten!.

Einige legen ihren Kopf an die Schulter der meist größeren Herren mit einem Ausdruck religiöser Ertase, die Anderen biegen ihren Oberkörper zurück und drehen sich so, als ob sie aufgezogen wären. Ihr Gesichtsausdruck ist starr und leblos, um der Welt durch vornehme Gleichgültigkeit zu zeigen, daß

Ja! Ja! Aber wen übergeben wir jetzt die Nolle?" und er ließ seine Blicke im Zimmer umher­schweifen. Ich wüßte wirklich nicht-", sagte er entmuthigt, welcher von den Damen sie läge " Ah, Fräulein Weise, wären Sie vielleicht dazu sie nur tanzen, weil es eben sein muß. Wieder zu bewegen?"

Andere taktiren frampfhaft mit weitausgestreckten Armen, als ob sie nicht schnell genug vorwärts känten. aber ich habe noch niemals Theater In ihren Zügen spiegelt sich ein wilder Geschlechts­

Lies sprang entsetzt auf. Ich

gespielt!"

,, Aber, Fräulein, nein! Das können Sie mir doch nicht einreden! Ihnen sieht man ja das Talent an der Nasenspize an!"

Lies lächelte geschmeichelt.

Ja, Herr Salle, wenn es einmal sein muß-, aber ich sage Ihnen vorher, Sie werden viel Mühe mit mir haben."

" O, die wird sich der Regisseur schon nicht ver­drießen lassen," sagte Eugen mit einem verständniß­innigen Seitenblick, der mich in Harnisch brachte.

, Und nun, verehrte Anwesende, gehen wir zum geselligen Theil des Abends über."" Tanzen! Tanzen!" rief es." Ich glaube, wir fangen aber noch nicht gleich mit dem Tanzen an, sondern widmen noch eine halbe Stunde anderen gesellschaftlichen Unter­haltungen. Denn§ 15 der Statuten sagt: Das Tanzen soll nur ein Nebenzweck sein, und die Haupt­sache die Hebung des geistigen Niveaus der Mit­glieder."

Nur ungern fügte man sich diesen diktatorischen Worten.

Die Herren gaben Kraftproben im Heranbringen von Stühlen, Wegtragen von Tischen; man bildete einen großen Kreis und begann mit Gesellschafts­spielen.

Man trank ziemlich viel, und die Stimmung wurde eine animirte. Grundlos begannen junge Mädchen zu lachen, daß man fürchtete, sie würden ersticken und ebenso grundlos begannen andere zu schmollen und sich beleidigt zu fühlen. Diese sangen, Jene deklamirten:

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Lebt wohl ihr Berge, ihr gelübten Trüften', Johanna sagt euch ewig Lebewohl-"

,, Sein oder nicht sein, that is the question*-"

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Durch diese hohle Gasse muß er kommen Und Lies ich hatte sie den ganzen Abend nicht mehr gesprochen war mitten in diesem Strudel, wie ihre Wangen glühten, wie ihre Augen leuchteten; Das war ja Leben! Das war ja Lust! Tauzen! Tanzen!" brach es plötzlich los.

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Ich selbst tanze nicht, aber ich schaue geru zit. Ich liebe diese hellen, flittrigen Kleider, dieses Schwir ren und Zittern des rauschenden Tanzgewühls. Ich liebe die schlanken, weißen Hälse, die flimmernden Tüllkrausen, die zu Boden gesenkten Köpfe mit den vorlauten Locken im Nacken, den sich blähenden Nasen­flügeln und den fast geschlossenen Augenlidern. Jede Faser athmet Genuß und Lebensfreude.

Ich gesellte mich, um nicht allein aufzufallen, 311 einem jungen Mädchen und begann mich mit ihr zu unterhalten, denn Lies war für mich ja doch nicht 311 haben. Die Tänzer zerrissen sich beinahe um sie, besonders Engen tanzte fortwährend mit ihr. Mich ergriff plötzlich eine so rasende Eifersucht, daß ich Eugen hätte erdrosseln mögen, und in meiner Wuth begann ich dem jungen Mädchen, das mir ganz gleich­gültig war, allerhand Zärtlichkeiten und Schmeiche leien zu sagen, begann zu lachen und sogar zu pfeifen. Da kam Ernst Sauer zu mir heran und warnte mich, ich solle vorsichtig sein, die Mutter beobachte mich, das wäre eine ganz gefährliche, die glaube schon, wenn man zweimal mit ihrer Tochter tanzt, daß man sie heirathen wolle. Ich wurde von Minute zu Minute eifersüchtiger, um mich drehte und wir­belte Alles.

Plötzlich begann ich, es aus einem ganz anderen Gesichtspunkt anzusehen.

hunger. Ich weiß, ich sah Alles genau und trotz­dem drehte es sich mir vor den Augen, als ob ich trunken wäre.

Da tam Lies auf mich zu. O, wie war sie schön! Leben! Leben! Ihre Wangen glühten, ihr Athem flog, ihre Augen glänzten.

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Aber, Georg, warum tanzt Du denn garnicht? Komm!"

,, Nein, ich gehe jetzt," sagte ich falt. Ach, Du mißgönnst mir auch die kleinste Freude," und ihre Augen füllten sich mit dicken Thränen.

Was sollen denn die Leute von mir denken, angesehen hast Du mich vorhin, wie ich vorüber= tanzte, grad als ob Du mich fressen wolltest. Soll ich nicht mal mit Anderen tanzen, ich will doch auch tanzen, und Du tanzt ja nicht, Georg!" sagte Lies mit gepreẞter Stimme.

Ich gehe jetzt, Lies, kommst Du mit? Hier nicht hier vor allen Leuten reden wir nachher darüber."

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Da fam Engen.

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" O, Fräulein Weise, Sie wollen schon gehen? Nein! Aber da protestire ich energisch, mein verehrtes Fräulein, Sie hatten mir ja noch den nächsten Walzer versprochen. Und Ihr Versprechen ein Königs= wort, darf man nicht drehen noch deuteln

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Nein, Herr Salle, es thut mir aufrichtig leid, aber ich muß fort. Das nächste Mal- sicher! Sehen Sie, ich muß morgen so früh auf.&% geht beim besten Willen nicht!"

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Ach, der Herr Regisseur wird schon auch noch ein wenig hierbleiben."

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Die feinen Vorwurf ich habe Dich ja so lieb so lieb

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Wir wurde unendlich wehmüthig zu Muth. Ich biß mir auf die Lippen, aber trotzdem rollten auch mir die Thränen fortwährend über die Wangen.­Das erste Mal seit dem Tode meines Vaters, daß ich weinte.

All das, was Lies mir da sagte, hatte ich mir ja hundertmal selbst gesagt, es mußte ein Eude haben, aber jetzt nicht, jetzt nicht später einmal Wie sollte ich denn ohne nur jetzt nicht.

sie leben?

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Aber es mußte ja sein also

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Lics, meine liebe, gute Lies- ja, wir müssen stark sein-wie schwer es uns auch fällt Dut fannst Dir ja garnicht denken, Lies, wie sehr ich

ach

Du weißt ja nicht Du weißt ja nicht

niemals mehr werde ich

- noch heute

ach irgend Jemand auf der Welt so lieb haben. Aber Du hast recht, wir müssen gehen wir

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"

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" Georg!!" schrie sie so laut, daß es durch die öden Straßen gellte. Verlaß mich nicht, bleib bei mir, ich hab' ja Niemand wie Dich, Georg! Verlaß mich nicht, nur jetzt nicht! Ich habe ja feinen Menschen außer Dir! Du mußt bei mir bleiben!

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Sie lag in meinen Armen und zitterte am ganzen Körper, und ich füßte ihr die Thränen vom Gesicht, füßte sie so lange, bis ihr Antlig sich aufhellte, bis fie wieder lächelte.

,, Nein, nein, Lies! Du mußt nicht an all das denken, was wir eben miteinander gesprochen haben! Ich bleibe bei Dir, ewig bleibe ich bei Dir, Lies!!"

Piëtà.

( Fortsetzung folgt.)

Von Hans Ostwald .

r war gestern Abend gegen acht Uhr gestorben. Man hatte ihn auf seinem Bett aufgebahrt, bis der Sarg fam. lleber dem weißen Leinen, das ihn bedeckte, zog ein schmaler Streifen der Morgensonne, der sich an den herabgelassenen Vor­

Nein, Georg, wir gehen jetzt," und zwei Perlen hängen vorbeidrängte, hinunter bis zu den Händen, rollten ihr über die Backen.

Nun, Fräulein, zwingen fann ich Sie nicht. Also Donnerstag! Die Rolle schicke ich Ihnen in den nächsten Tagen zu, oder ich bringe sie Ihnen eines Abends vor das Geschäft. Adieu, lieber Georg, adieu, mein Fräulein, die Pflichten des Vereins rufen mich!"

Wir gingen. Es war unfreundliches Wetter. In den ersten fünf Minuten sprach Keines von uns Beiden ein Wort. Mir that mein Benehmen von vorhin leid und Lies weinte.

Lies", begann ich endlich kleinlaut. Georg

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Wie der Ton zitterte und nachhallte ganz Liebe, ganz Hingebung. Da überkam es mich wie­der. O, wie ich ihr gut war, mehr als der Mutter und den Geschwistern, mehr als Allen, Allen auf der Welt! Und dieser Einen hatte ich so begeguen können! Ich hätte ihr zu Füßen stürzen mögen und abbitten.

"

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Und

,, Georg-", und es flang so unendlich traurig, ich weiß ja, lange wirst Du mich nicht mehr be= halten, dann werden wir auseinandergehen. es wird grad so sein, als ob wir so sein als ob wir uns nie gekannt hätten." Wie sie weinte!" Ich sehe ja täglich, daß ich Dich stets hemme und aufhalte. Wir sind so grundverschieden. Sieh einmal, Du bist so ganz anders wie all die Menschen, die ich bisher kennen gelernt habe, und ich Du wirst Du mußt Deinen eigenen ich- Weg gehen, Georg, und ich Gott wer weiß, Weg gehen, Georg, und ich wo ich einmal verkommen werde.

"

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Sieh einmal, Georg, ich hab' Dich ja so lieb gehabt, von Kind an! Wie ich noch ein kleines Mädchen war und mit Dir umhergelaufen bin, wie ich Dich das erste Mal gefüßt habe, Nächte lang

* Das ist die Frage.( Ein Vers aus Shakespeares habe ich Dir nachgeweint!

Hamlet ".)

Meine Ehre nein, nein Georg, ich mache

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die sich deutlich unter dem Tuch martirten. Danu fingen ihn draußen die in Blüthe stehenden Zweige einer großen Linde auf und es herrschte wieder gleichmäßiges, mattes Zwielicht im Zimmer.

Links, neben den weißen Kachelofen, hing ein großer, mit Flor verdeckter Spiegel und gegenüber dem einfachen, birkenen Bett, in dem der Verstorbene achtzehn Jahre geschlafen, stand ein viereckiger, un­förmiger Raften der Geldschrank. Alles leicht Fortzuschaffende hatten ehrfurchtsvolle Hände hinaus­gebracht. Es war auch noch nichts mit Blumen und Pflanzen ausgeschmückt, so daß das Zimmer in seiner Leere mit den grautapezirten Wänden einen un­angenehmen Eindruck auf das Gemüth machte.

Die Flügelthür wurde aufgedrückt und die junge Wittwe trat herein, eine volle Erscheinung von fünf unddreißig Jahren im schwarzen Stleid, über dessen Brustpuffen eine mattgoldene Sette fiel. Ihr folgten ein altes Mädchen, die Schwester des Verstorbenen, und seine beiden ältesten Söhne.

Die Wittwe ging langsam zum Bett und hob einen Zipfel des Tuches hoch:" Sieh ihn dir an," sagte sie.

Tante Rosa sah eine Weile stumm in das ein­gefallene Todtengesicht. Sie suchte nach den Zügen des Lebenden. Dann liefen ihr die starren Augen über und sie schluchzte: So früh schon, so früh schon!-"

Die beiden Söhne standen an der anderen Seite des Bettes und blickten gedrückt von dem Todten zu den Frauen und dann wieder zu dem Todten hin. Der Jüngere nahm seine Hand an die Lippen und nagte an den Nägeln. Die junge Frau sah un­verwandt in das Gesicht des Todten. Jetzt zeigte sich wieder ein kleiner Streifen des Sonnenscheins, der Staub spielte in ihm, gerade über den gefalteten Händen der Leiche; dann blinzelte dem jungen Weibe ein Strahl in die Augen. Sie trat zur Seite und