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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

es fiel ihr ein, daß sie noch vor einigen Tagen heiter und übermüthig im Badeort die Sonnenkönigin in einem Sommernachtsfest gespielt, das ihr Freund, der Schauspieler, inszenirt hatte.

Mit solchen kostspieligen Vergnügungen würde es nun vorbei sein, wenn ihr fleißiger Mann nicht doch etwa mehr hinterlassen, als sie annehmen konnte. Er hatte immer so brav für sie und die Kinder ge­sorgt. Ach, daß er so plöglich sterbent mußte!" sagte sie und umschlang laut schluchzend die Schwägerin, die sie heftig an sich drückte.

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,, Sichst Du, ich sagte ja immer, er arbeitet zu viel;" sprach diese. Aber er konnte nicht hören. Er hatte keine Ruhe, feine Ruhe.-Wenn Ihr auf der Reise war't, hat er immer Nachts bis zwölf, ja bis ein Uhr gerechnet. Er hat sich für seine Familie aufgerieben. Und dann sein Amt als Kirchenältester

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du lieber Gott ! Nimm ihn in Gnaden auf, denn er war ja so fromm!"

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,, Er, er wird doch nichts der Kirche hinter­lassen haben?" fragte die junge Wittwe schüchtern die fromme Dame.

" Oh!" meinte diese, da hätte er nicht recht an seiner Familie gehandelt. Er hat ja bei Lebzeiten genug für die Kirche gethan. Seine Arbeiter blieben alle fromm und mußten in die Kirche gehen. Sie sind doch alle recht brave, zufriedene Leute. Und nun muß er sein Lebenswerk so verlassen. Du willst es auch nicht weiter führen?"

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Nein; sieh' mal, ich verstehe davon nichts und Paul ist noch zu jung, unt einem so großen Unter­nehmen vorstehen zu können."

Ich will auch garnicht Krämer werden!" sprach Paul unwillig, ein junger Mann mit idealem Blick und zynischen Zügen um den Mund. Dabei strich er sich mit seinen Händen, deren Nägel scharf und spitz zugeschnitten waren, die wirren Haare aus der Stirn.

,, Nein, nein! Du sollst ja Schauspieler werden," beschwichtigte die Mama. Ich hoffe, Du wirst den Namen des Todten zu Nuhm und Ehren bringen, damit sein arbeitsvolles Leben wenigstens im Tode belohnt wird." Indessen bedeckte sie die Leiche.

Tante Rosa reichte ihr die Hand; man stand sich schweigend gegenüber in dem stickig nach Keller riechendem Zimmer. Die Wittwe mußte an die reine, lebensschwangere, erfreuende Luft im Bade­reine, lebensschwangere, erfreuende Luft im Bade­orte denken.

Eine große Fliege stieß wüthend mit Surren an das Fenster; sie sah draußen Gefährten sich jagen und paaren und wollte zu ihnen.

Der zwölfjährige Willy trat hinzu und schlug nach ihr.

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Willst Du nicht die Papiere des Todten durch sehen?" fragte die Tante.

Ach ja!" sagte die junge Frau und schloß seufzend den schweren Tresor auf.

Da lagen die vielen Hauptbücher, an denen der Verstorbene so rastlos gerechnet hatte, immer zum Wohle seiner Familie, rücksichtslos gegen sich und Andere. Er war niemals frank gewesen, hatte sich nie eine Ruhepause gegönnt, nun war er in der großen, endlosen Ruhe.

Die junge Wittwe ward ganz wehmüthig, als sie sah, mit welcher Sorgfalt er Alles geordnet hatte. Ach ja, sie hätte ihn liebevoller pflegen sollen, dann könnte sie noch solche schöne Badereisen machen. Daß man auch immer erst an seine Pflichten denkt, wenn es zu spät ist! Ja, nun mußte einfacher gelebt werden.

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Baul hatte eine kleine Schachtel herausgenommen und sie geöffnet.

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Aber Kinder!" rief die nervöse Tante Rosa; Ihr werdet Euch doch nicht zanken! Bedenkt, wo Ihr seid!"

" Solch dummer Junge!" sagte Paul und hatte sich die Kette cin, worüber Willy heulte.

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Willychen, sei nur ruhig," tröstete die Mama, Du bekommst ja auch etwas." Damit framte sie alle Schachteln und Kästchen aus, in denen der Verstorbene voll sorgendem Cifer kostbaren Inhalt gesammelt hatte. Willy stellte sich vor seine Mutter und nahm einen alten, schwarzgoldenen Ring an fich die Wittwe und ihr Aeltester waren emsig au dem Auskramen der vielen Sächelchen beschäftigt. Ganz hinten stand ein sammetgepolstertes Kästchen. Das ist etwas Besonderes!" flüsterte erwartungs­voll fiebernd die Frau. Bei ihrem hastigen Oeffnen fielen alte vergilbte Briefe heraus.

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" Solch Quart!" sagte Paul verächtlich und wühlte die Umschläge mit den Staatspapieren hervor. Denk' mal, die Liebe!" sagte die Mama zu Tante Nosa . All die Briefe aus unserer Braut­zeit und all die Bänder und Schleifen!"

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Dann griff sie schnell nach den Geldbriefen: Aber Paul! Welch eine Unordnung richtest Du dort an!"

Tante Rosa schlug die Hände zusammen: Wenn das der gute Maun sähe! Oh! Ihr haust ja wie die Vandalen in seinem geliebten Heiligthum!"

,, Nein, ich sage auch, Ihr habt auch gar keinen Respekt vor den Theuersten Eurer Eltern!" sprach zürnend die junge Frau. Ihr seid doch gar zu pietätlos!"

Sie öffnete die Kouverts und zählte die Staats­schuldenscheine auf das Bett über die Kniee des

, Vaters goldene Uhr," sagte er, und steckte sie Todten, die scharf hervorstanden.

in seine Westentasche.

Es waren wirklich nicht genug, um von deren

Willy drängte sich vor:" Die goldene Kette be= Zinsen noch die gewohnten Reisen mit dem Freund komme ich aber!"

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Rus dem Papierkorb der Leit

machen zu können.

Die Blinde.( Zu unserem Bilde.) Inmitten einer blühenden Landschaft sigt sie unter dem tiefblauen Himmel des Südens. Sie lauscht dem leisen Rauschen der hohen Pinien, dem melodischen Murmeln der Wellen; weiche Winde tragen den Duft der Blüthen über den See, und von den fernen Bergen ziehen Schaaren von Vögeln herüber und ihr Flügelschlag schallt hoch über dem lichten Marmorbau. An die Säulen gelehnt, sizt die Blinde auf der Terrasse. Sie hört die tausend Stimmen der Natur, die zu ihr sprechen. Langsam ordnet sie die Blumen zu einem Kranz und ein mildes, friedliches Lächeln liegt auf den jugendlichen Zügen. Sie weiß ja nicht, was ihr versagt ist, sie weiß nicht, daß die Natur ihr das Schönste und Höchste verweigert hat: das Augenlicht. Wohl ahnt sie die große Welt da außer ihr, wohl ahnt sie die Pracht, die sie umgiebt aber was es ist, wie diese Welt aus­sehen mag, die Berge in der Ferne, die Sonne hoch oben, die Bäume mit ihrem dunklen Grün das Alles ist für sie, die Blinde, verloren. Ihre Welt ist eine andere, als die Welt der Sehenden. Ihre Welt ist eine einzige, lange Nacht, in der seltsame Töne und Geräusche blos ihr sagen, daß noch Leben darinnen ist und aus der Nacht des Lebens wird sie einst hinübergehen in die große Nacht des Todes, ohne je die Schönheit des Lebens er­fannt zu haben.

Schnihel.

Der Adelige.

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Dieser Mann mit wicht'ger Miene, Einen Orden auf der Brust, Trägt die Nase hoch und rümpft sie Ueber die gemeine Lust.

Wie sie plaudern rings und lachen,

Er bleibt immer ernst und stumm; Er hat zweinnddreißig Ahnen Und ist ungeheuer dumm. Weiter ist er nichts hienieden, Doch ist sein Verdienst nicht klein; Wenn er selig einst verstorben, Wird er auch ein Ahne sein.

Adolf Glasbrenner.

Innerhalb und außerhalb der Mauern. Gründlich vergründen sie drin des Volks zu begründendes Grundrecht,

Draußen indeß grundschlecht wird es dem Volfe zu Muth. F. Dingelstedt.

Borgerath.

Mußt du dir den Borger suchen, Weil der Hunger dich bedroht, Lüg ihm vor, du brauchst für Kuchen, Sage nie, dir fehlet Brot.

D. Hant.

Ein guter Ruf ist wie ein stattlich Haus; Das baut sich Stein um Stein allmälig ans, Doch mit gewissenloser Hand

Im Nu steckt es ein Lump in Brand. Was schiltst du immer auf die Welt, Da Alles doch so schön bestellt?

Dem Einen ward Tugend, dem Anderen Wissen, Dem Dritten ward ein zart Gewissen; Und wer nicht achtet auf diese Drei, Der verfällt der himmlischen Polizei. Du staunst und weißt es nicht zu denten, Daß X so vielen Spott verdant. Doch wer sich pflegt um Geld zu häuten, Der fährt nicht gratis aus der Haut.

Du hast einen viel zu geschmeidigen Rücken, Mein Freund, um die Menschheit zu beglücken! Die Zeit will Männer, die sich erheben, Nicht solche, die sich mit Anstand bücken. Unsterblichkeit.

Die größte Unbescheidenheit Ist Anspruch auf Unsterblichkeit, Die Zumuthung an die Natur, Diese dürftige Menschenkreatur,

Selbst in den mißlungensten Exemplaren, Für ewige Zeiten aufzubewahren. Das ist ein Fürst, der das Talent Huldvoll verschont. Wem keins geworden, Dem deckt er gnädig und dezent Die Lücke zu mit einem Orden.

H. Leuthold.

Wer ist flüger?

Die Maus, als dummes Thier bekannt, Fängt man mit gebrannten Schwarten. Den Menschen aber, das Thier mit Verstand, Redensarten. Erwischt man mit S. Kraßberger.

mz Räthsel- Ecke. Räthsel.

Wie Mancher hofft von Jahr zu Jahr Durch Eins und Drei auf Wohlstand gar, Und doch, er macht ihn nicht, den Fang, Er bleibet Zwei sein Leben lang.

Noch Andre werden Zwei dabei, Weil sie versäumt, was nöthig sei; Selbst zu Verbrechen trieb die Gier Nach Eins und Drei schon Manchen schier. Durch eigne Zwei mußt du das Glück Kraftvoll abringen dem Geschick. Denn Alle spotten heut der Narren, Die thöricht auf das Ganze harren.

Auflösung des Zahlen- Räthsels in Nr. 10:

Muskau

Menelik

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Umberto.

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Nabob Epigramm Lugger

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Euterpe

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Ingolstadt Kladno .

Briefkasten.

Elegante Einbanddecken für Jahrgang 1896 der Neuen Welt" nebst Inhaltsverzeichniß sind durch die Buchhandlung Vorwärts, Berlin SW., Benth. straße 2, zu beziehen.

Nachdruck des Jnhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Edgar Steiger , Leipzig , Oststr. 14, richten.

Verantwortl. Redakteur: Edgar Steiger , Leipzig.-Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg . Druck: Mar Bading, Berlin .