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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Das Blut enthält bekanntlich in seinem Blutwasser oder Serum noch rothe und weiße Blutkörperchen. Die rothen kann man sich grob vorstellen, wenn nian angetrocknetes Blut zerreibt, es entsteht dann ein feines schwarzes Pulver: die vertrockneten, zerfallenen rothen Blutkörperchen. Die weißen nun können sich selbstständig fortbewegen und kriechen sogar aus den Adern durch feinste Oeffnungen heraus. Sie bilden die Polizei im Körper. Hat sich nämlich irgendwo so ein Pilz festgesezt, flugs kriechen sie dorthin und verschlingen die Bakterien, dabei jammeln sie sich in großen Mengen und bilden weiße bis gelbliche Haufen, den Eiter, der den Körper verläßt mitsammt den ein­geschlossenen Bakterien.

Aber nicht immer gelingt dieser Prozeß, nicht immer auch die Vernichtung durch das Blut­wasser oder Serum; dann entwickelt sich eben die Krankheit voll, der Kampf zwischen Bakterien und Körper tobt gewaltig, die Schlacht wird hißig: der Krante fiebert. Alle Hülfskräfte werden aufgeboten, den Eindringling abzuwehren und aus dem Lande zu jagen.

Hier müssen wir, um das große Ereigniß ver­stehen zu können, noch einmal zurückgreifen. Ist nämlich der Pilz schon so mächtig geworden, daß er die Krankheit voll entwickelte, so kommen noch die Torine in Betracht. Die Batterien schaden nämlich auf zweierlei Weise. Zunächst zerfressen fie den Körper: Knochenfraß, Ge­schwür, bei der Lun­ genschwindsucht zer = fressen sie die Lunge, durch Zerfressen der Herzklappen ent=

stehen die Herzfehler. Weiterhin aber scha­den sie durch ihre Torine. Indem sie nämlich wachsen und gedeihen, bilden sie ja ihre Stoffwechsel­produkte, eben die Torine und dies sind Gifte, schwere, sehr starke Gifte für den Körper, in den sie ja hinein ge= langen, ihn bis in die fernste Ecke durch­Jenchend. Sie lähmen den Herzmuskel, die Nerven, Nieren usw.,

somit ihre satanische Arbeit noch erhöhend.

Diesem jetzt doppelten Feind, den fressenden Bak­terien und ihren Torinen gegenüber, werden alle Organe des franken Körpers zur Landesvertheidigung aufgerufen, fein Glied ruht. Das Fieber giebt Kunde von der außergewöhnlichen Thätigkeit des heimgesuchten Körpers. Haut, Lunge und Niere arbeiten mit Ueberschicht, die Torine wegzuschaffen: die Haut giebt sie in übelriechendem Schweiß ab, die Lunge in stinkendem Athem, die Blase in giftigem Urin. Der Darm arbeitet mit doppelter Schnellig­keit, die schlechten Stoffe als Durchfall hinaus­zubringen. Die Schleimhäute sondern die vielfache Menge Schleim ab, an manchen Stellen sammelt sich Eiter, der den Körper verläßt.

Entweder siegt so der Körper, oder er stirbt. So giebt es harmlose Krankheiten, die stets mit dem Siege des Menschen enden. So auch solche, die stets mit der Uebermacht der Pilze zum Tode führen. Zwischen beiden stehen die, wo der Kampf allmälig ruhiger wird, die Krankheit wird chronisch. Der Körper wird schwächer und schwächer, oder aber er bleibt mehr oder weniger invalide und leistungs­unfähig.

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Schankers, des Schnupfens, der Spikpocken usw. rechnen. Hier gewinnt immer der Körper die Ober­hand: die genannten Leiden heilen. Zu der zweiten Gruppe gehört das Gift der Masern, des Scharlachs, der Diphtherie und vieler anderer Uebel. Es ist ja allgemein bekannt, daß es schwere und leichte Epi­demien der genannten Krankheiten giebt. Bei manchen sterben viele, bei anderen Epidemien wenige; hier waren die Rassen verschieden( giftig). Dann giebt es im Gegensatz hierzu Bakterien, die stets ungemein giftig sind und fast Jeden tödten: Wundstarrkrampf , Pest, Milzbrand, ihnen gegenüber ist der Körper ohnmächtig, wie die Neger dem Kleinkalibrigen gegenüber.

Nächst dem Pilz hängt der Ausgang des Kampfes ab vom befallenen Menschen. Gut genährte, wohl gebaute, gesunde Individuen überstehen mehr als Schwache, Kranke, deren Abwehrwaffen( siehe oben) nicht funktioniren. Hierher gehören Blutarme, Magen­krante, Engbrüftige, oder Solche, die ihre Lebens­fraft durch Entbehrungen, Sorgen und Verlegungen einbüßten, oder durch unzweckmäßige, ungesunde, überlange Arbeit usw. Ein Beispiel macht hier Alles klar: Der Tuberkulose -( Lungenschwindsuchts=) pilz kommt fast überall vor, wenigstens bei uns in den Kulturländern; er wird mithin auch fast Jeden ein­mal treffen. Thatsächlich hat man ihn auch bei

Scherzo. Nach dem Gemälde von H. D. Beer.

Gesunden, nach Aufenthalt in Krankenstuben, in dem Nasenschleim gefunden. Aber es erfranken nur Solche, wo er haften kann; Schwache, Schlecht­genährte, Uebelgeplagte, von allerlei, Trübsal heim­gesuchte Individuen. Gesunde, gut gepflegte Körper lassen sich nicht unterkriegen, für diese ist er harm­los: daher der Name Proletarierkrankheit. Genau so gehts mit der Cholera, der Diphtherie usw.

( Schluß folgt.)

Spielkinder.

( Fortsetzung.)

Roman von Georg Hermann .

m Nachmittag rief mich mein Chef, der es liebte, sich in vornehmen Ausdrücken zu be­wegen, ins Privatkontor, hielt mir eine salbungsvolle Männerrede, daß er in Rücksicht auf meine Anverwandten und auf meine Mutter, welche aus sehr guter Familie sei, mich einst genommen hätte, und daß es unrecht von mir wäre, seine Nach­sicht, die er jahrelang mit mir gehabt, derart zu leber den Ausgang des Kampfes entscheiden belohnen, daß ich seinem Prokuristen Grobheiten ins mancherlei Punkte:

Zunächst der Pilz. Ich sagte ja schon, es giebt mehr und weniger giftige Sorten, und mehr oder weniger giftige Raffen einer Sorte. Zu ersteren möchte ich den Pilz des Trippers, des weichen

Gesicht würfe. Ich müßte doch bedenken, daß er ein Mann sei, welcher mir an Alter und Lebenserfah­rung bedeutend überlegen.

Ich erwiderte, ich könnte wirklich nichts für meine Verwandten. Es thäte mir sehr leid, daß sie zu

den sogenannten besseren Kreisen gehörten, und sonst thäte es mir leid, mit Herrn Winder so ruhig aus­einander gegangen zu sein.

Mein Chef machte ein Gesicht, als ob er auf eine Natter getreten hätte, aber er hielt an sich und sagte nur ruhig: Sie sind eben derselbe Starr­schädel wie ihr Vater, junger Mensch!"

Damit hatte er nur Del ins Feuer gegossen.

"

Da ich sowieso die Absicht habe," fuhr ich fort, zu Oktober zum Militär zu gehen, so fündige ich Ihnen hiermit."

"

Wie Sie wünschen, Herr Geiger; Sie hätten es in meinem Geschäft zu etwas bringen können, und Sie selber verscherzen Ihr Glück. Machen Sie mir später keine Vorwürfe."

" Das brauchen Sie nicht zu befürchten. Jeden­falls bitte ich Sie, mich sofort in eine andere Ab­theilung des Geschäftes zu versezen, da ich sonst="

"

"

Da Sie sonst-?"

Da ich sonst für nichts einstehe!"

Der Chef lachte.

" 1

Soll geschehen, soll geschehen. Sie arbeiten von jetzt an im Kontor."

Damit entließ er mich mit einer huldvollen Hand­bewegung, und noch draußen hörte ich, wie er halb­laut vor sich hinsprach:" Solch ein Dickschädel! Solch ein Dickschädel!"

Die Herren im Kontor waren hoch­erfreut, als ich kam;

denn ich kam ihnen gerade gelegen.

Ach, hören Sie ' mal, da ist bei...." er nannte die Ma­schinenfabrik meines angeheiratheten Vet­ters, das Jukasso eines großen Wech­sels zu besorgen. Einem Hausdiener wagen wir so viel Geld nicht anzuver­trauen. Würden Sie vielleicht so freundlich sein und einmal dort­hin gehen?"

Ich spielte zwar nicht gern den Haus­diener, aber diesmal fam es mir zu paß, da ich mich nach der vorhergegangenen Aufregung freute,

ein wenig in die Luft zu kommen. Als ich aus dem Haus trat, war mir meine Bereitwilligkeit schon wieder leid geworden; denn Gluth lag über den Straßen; Gewitterschwüle brütete über dem Pflaster, das die Hize verdoppelt zurück­warf. Die Hunde trabten mit gesenktem Kopf und triefenden Lefzen; die Droschkengäule schienen den nuglosen Widerstand gegen die Sonnenhiße aufge= geben zu haben; wehmuthsvoll sentten sie ihre ehr­würdigen Häupter, wehmuthsvoll leckten sie ihre dicken Lippen, damit sie doch wenigstens etwas Feuchtes an sie brachten. Nicht einmal ein Spaß ließ sich sehen. Auf den Sonnenseiten waren die Straßen wie ausgestorben, nur hier und da drückte sich ein ächzender, pustender Briefträger oder Hausdiener an der Häuserreihe entlang. Das geschäftliche Treiben, welches sonst in diesem Stadttheil um die Nachmit tagsstunden pulsirte, war wie gelähmt. Im Westen erhob sich auch schon eine hohe, schwarze Wand mit drohenden Gewitterköpfen. Anscheinend regungslos stand sie da, und doch, wenn man schärfer hinsah, fonnte man bemerken, wie sie langsam vorwärts kroch.

Mich ergreift jene unheimliche, nervöse Gereizt­heit, die an das Zittern einer Uhrfeder gemahnt. Der Schweiß steht mir in dicken Tropfen auf der Stirn, und nur mit Mühe schleppe ich mich noch vorwärts, schleppe ich mich an den fast endlosen Ziegelmauern entlang, hinter denen Kohlenberge und die plumpen Halbfugeln der Gasometer hervorsehen. Vor mir stehen im planlosen Wirrwarr langgestreckte,