Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Als Lies das Geschäft verließ, verabschiedete sie sich von Allen, nur nicht von mir.

Walter war jetzt oft mit ihr zusammen, und sie kostete ihm Unsummen. Ob Eugen noch mit ihr verkehrte, konnte ich nicht erfahren.

Wochen und Monde vergingen, meine Militär zeit rückte immer näher. Schon begann meine für­sorgliche Mutter, Wäsche und Strümpfe für mich zu beschaffen, damit es mir an nichts fehle.

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Nein, er ist von hier!"

Verehrter Herr!

Verzeihen Sie, wenn eine Unbekannte sich an Sie wendet, aber um Himmelswillen haben Sie Mitleid mit einer armen, unglücklichen Mutter, die daran ist, ihr Liebstes für ewig zu verlieren.

Ich bitte Sie, morgen Abend, sobald es Ihre Zeit erlaubt, zu mir zu kommen. Dort werden Sie das Nähere erfahren, welches ich nicht dem Papier anzuvertrauen wage. anzuvertrauen wage. Sie sind noch meine einzige Hoffnung, und wenn auch Sie mich im Stiche lassen ,, Louise, Du sichst doch heute so schlecht aus, würden, wüßte ich nicht mehr ein noch aus. was weinst Du denn schon wieder?"

Als ich eines Abends nach Hause kam, saß Louise am Fenster und weinte.

Ach, Georg, fag' mir doch' mal, wann war es denn, wo Du ihn das letzte Mal jesehen hast?"

Ver zirka sechs Wochen, da ging er da drüben in die Eckdestillation. Er sah mich noch mit solchem stieren nimms mir nicht übel versoffuen Blick an. Ich weiß nicht, ob er mich erkannt hat. Hast Du wieder mal was von ihm gehört?"

Louise schluchzte heftig.

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Ja, ich bin heute draußen im Fried­ richshain   gewesen. Vor vier Wochen ist er jestorben. Donnerstag- vor vier Wochen." ,, Der arme Mann! Gott   hab' ihn selig! Du mußt bedenken, er war leider immer frank und ver­rückt. Wenn er gesund und bei Verstand gewesen wäre, hätte er Dich gewiß besser behandelt. Er konnte doch eigentlich nichts dafür, daß er verrückt war!"

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nicht

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Ach Gott

jarnichts

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besser-

für ihn

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ich trage ihm

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nach. Nur

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ja- auch daß ich ihn- mehr - behandelt habe. Nicht jesorgt habe, daß- ben er so ganz allein je- stor iſt." ,, Aber, Louise, sieh doch' mal! Du hast doch Dein Möglichstes gethan. Du brauchst Dir wirklich feine Vorwürfe zu machen. Du hast ihn gepflegt, wenn er frank war, haft für ihn gearbeitet, hast Alles gethan, was Du nur thun konntest. Wenn er aber in geistiger Umnachtung Dein Leben bedroht, kann Du unmöglich mit ihm länger zusammen sein. Niemand kann das von Dir verlangen, Niemand! Du hattest ganz Recht, daß Du von ihm weggegangen bist. Andere hätten nicht so lange ausgehalten!" Louise antwortete nicht. Ich ging und ließ sie sich ausweinen.

Ihre Ihnen ewig dankbare

Henriette Salle. Ja, was war da nur vorgefallen? Was wünschte Eugens Mutter von mir?

" Du hast doch auf einmal die Farbe gewechselt; was ist denn los?"

O nichts, nichts!"

Da brachte mir meine Schwester eine Postkarte. Da, die ist eben für Dich gekommen."

, Oller Junge!

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nicht von bewußten Zielen der Menge die Nede sein konnte und der ganzen Bewegung aus dem selben Grunde ein vielfach unreifer, barbarischer, recht mittelalterlicher Charakter aufgeprägt ist, so bietet sie doch in ihren Ursachen und Erscheinungen in mancherlei Hinsicht eine eigenthümliche Aehnlich­feit mit den großen und allgemeinen Erhebungen späterer Jahrhunderte, die ihr die Beachtung und das dauernde Interesse aller Geschichtsfreunde sichern muß. Klarer als irgendwo anders offenbaren sich dabei in diesen Ursachen jene Beweggründe, welche die materialistische Geschichtsauffassung für die Ent­wicklung der Wölfer überhaupt nachgewiesen hat, und der geehrte Leser wird dieselbe auch aus der nachfolgenden gedrängten Darstellung ohne Weiteres herausfinden.

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Die Stadt Erfurt   selbst zur Zeit 70000 Seelen stark beansprucht nicht nur durch ihr ehrwürdiges Alter und die bedeutsame Rolle, die sie mehrfach in der großen Landesgeschichte spielte, sowie durch ihre interessante Chronik überhaupt eine weit über ihre jezige Ausdehnung und Stellung hinausgehende

Leider ist es mir nicht möglich auszugehen. Be- Theilnahme, sondern sie erscheint uns auch heute suche mich' mal!

Dein Walter Schneider.

Es war draußen am äußersten Ende der Vor­stadt; in einer Straße, von der man überhaupt nicht annehmen konnte, daß dort schon Menschen wohnten. Grundlose Steige, ungenügende Beleuchtung, Bau­zäune, die mich zwingen, auf der Bordschwelle zu balanciren; halbfertige Neubauten, die so todt, reglos und finster ausschauen wie tausendjährige Ruinen.

noch als eine im höchsten Grade interessante, charakteristische Stadt, deren Bedeutung für sozial­

Straße 24 d No. 14 Rückgebäude III.' demokratische Leser noch dadurch gesteigert wird, Ich begab mich sogleich zu ihm. daß sie dem dort in den Tagen vom 14. bis 20. Oftober 1891 festgestellten neuen Programm der Sozialdemokratie den Namen gegeben hat. Aus der vorhistorischen Dunkelheit der grauen Dämme­der vorhistorischen Dunkelheit rung der deutschen   Geschichte tritt sie erst um die Zeit des Bonifazius, der ihr den Charakter eines Bisthums verlieh, das später dem Erzbisthum Mainz   einverleibt wurde. Die günstige Lage im Herzen Deutschlands   zeigte sich der Entwickelung der Kommune unerwartet günstig, sie gelangte bald zu Macht und Ansehen. Karl der Große   ernannte sie zum Stapelplatz, Ludwig der Deutsche   hielt 852 einen Reichstag in ihr ab, 1181 wurde wiederum auf einem hier abgehaltenen Reichstag ein Kreuzzug beschlossen, 1289 wählte sie Rudolph von Habs­burg zum Schauplatz seines Strafgerichts über den furz, die deutschen Könige raubsüchtigen Adel bewiesen der Stadt ihre Gunst bei jeder Gelegenheit, verliehen ihr Privilegien und Schußbriefe, sodaß Erfurt   zuletzt beinahe den Charakter einer freien Reichsstadt, wenn nicht erhielt, so doch behauptete, der nur durch die beständige Wühlarbeit zweier Mächte immer von Neuem beunruhigt und schließlich, da stetes Tropfen den Stein höhlt, untergraben wurde.

Wie ausgestorben! Kein Dienstmädchen, das in fleinen Schuhen und mit weißer Schürze, den Korb am Arm, an mir vorübertrippelt, kein Wagenrasseln, fein Kinderlärmen! Nur manchmal schlürft ein Bau­wächter in dickem Schafpelz, eine Laterne in der Hand, an mir vorüber, oder fährt ein bleffender Köter wie rasend gegen den Zaun, der mich von ihm trennt. Endlich fand ich das Haus.

Es war fast noch unbewohnt. Ueberall schwarze Fensterhöhlen; nur eine Destillation war erleuchtet, aus der das Schreien trunkener Arbeiter tönte. Miß­muthig zuften die Gasflammen auf dem holprigen Hof und verbreiteten so wenig Helligkeit, daß ich ,, Du, Mutter, weißt Du schon? Bergemann Hof und verbreiteten so wenig Helligkeit, daß ich beinahe in einen Kalkhaufen gefallen wäre.

ist gestorben."

"

Ach! So, na hm! Ihm ist wohl und ihr ist noch wohler."

" Sag' das nicht, Mutter, Louise scheint ganz untröstlich."

,, Ach, laß sie nur, das giebt sich! Gewöhnliche Leute haben gar fein so tiefes Gefühl."

,, Unbedingt ein fraglicher Punkt. Die Gefühle der gewöhnlichen Menschen sind natürlicher als unsere; denn sie sind nicht durch fremde Einflüsse verfälscht."

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Herr Gott, Mutter, Louise ist frank! Sie ist draußen in der Küche in Ohnmacht gefallen. Essig= äther ist links in meinem Fach; ich lauf zum Doktor."

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Ach, es wird schon nichts Schlimmes sein! Sie müßte ein bischen Eisen nehmen, dann giebt es sich wieder."

Mit schwerem Herzen rückte ich nach München  zum Militär ein; denn meine beste Freundin war gestorben, und meine Liebe war todt.

*

*

Als ich nach zwei Jahren

ein Jahr war ich noch im Ausland in Stellung gewesen zurückkehrte, trat ich sofort als Buchhalter in ein Geschäft ein.

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An einem der nächsten Tage kam ich Abends müde nach Hause und warf mich auf das Sopha. Du, Georg, da liegt ein Brief für Dich," sagte Mutter. Er scheint von einer Dame zu sein." Ich erschrak.

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"

Ist er aus Brüssel  ?"

Bater?! So etwas fonnte mich noch glücklich machen!

Nun noch durch einen hohen, dämmerigen Thor  = bogen. Wieder ein Hof, wieder zuckende Gasflammen und Schutthaufen, und dann ein Rückgebäude.

Wie konnte man sich nur hier einmiethen? Ich stieg drei Treppen hinauf. Kein Schild, fein Name zu lesen. Ich klingelte auf's geradewohl auf einer Seite. Nach einer Minute hörte ich eine auf einer Seite. Nach einer Minute hörte ich eine brummige Weiberstimme:

"

Wer ist da?"

" Möchte Herrn Schneider sprechen."

Ist nicht zu Hause."

"

Er hat mir geschrieben, ich solle kommen."

" Werde' mal nachsehen, ob er da ist."

Dann tam sie wieder und öffnete. Es war

stockdunkel.

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Diese feindlichen Mächte, die seltsamerweise auf einander feindlich gesinnt waren, weil sie Rivalen in ihrem Bestreben geworden, die berühmte Stadt ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen, waren das Erz­bisthum Mainz   und die sächsischen Landesherren. Beide hatten es verstanden, sich in der Stadt auf Grund zweifelhafter Besigtitel festzuseßen. Mainz  leitete aus der kirchlichen Zugehörigkeit, mit der die Regierungen in solchen Angelegenheiten manchmal auszeichnenden Weitherzigkeit, sehr bald gewisse Erb­rechte auf Erfurt   ab, die sich schnell genug in den Anspruch auf Landeshoheit verwandelten, die säch­

Gleich die zweite Thür, Sie werden schon sischen Herren hatten einige spezielle Rechte, wie die

finden."

Und damit war das Weib verschwunden.

Ich tappte, bis ich eine Klinke fand und öffnete die Thür. Das Zimmer war dunkel. ,, Walter!" Ja

"

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Georg! Guten Abend!"

ach Aber Walter, was bist Du denn hier im Dunkelu?" ( Fortsetzung folgt.)

Schirmvogtei über ein Stift, an sich gebracht, außerdem hatte die Stadt in bedrängten Zeiten mehr­fach ihren Schuß in Anspruch genommen und dafür Schußgeld gezahlt, Vorgänge, aus denen die edlen Herren natürlich ebenfalls im Laufe der Zeit die Die Erfurter  weitgehendsten Rechte ableiteten. Bürger zeigten indessen nicht die geringste Lust, sich von Mainz   oder Sachsen   verschlucken" zu lassen, sie trugen den höchsten Stolz auf ihre Unabhängig­feit zur Schau: durften doch ihre Bürger vor fein

Das tolle Jahr von Erfurt  . auswärtiges Gericht gefordert, sondern nur von den

Historische Skizze von Friedrich Thieme  .

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as tolle Jahr von Erfurt  " so lautet der historische Titel für eine Tragödie, welche eins der merkwürdigsten Beispiele einer Stadtrevolution zum Gegenstande hat, die wir kennen. Wenn auch naturgemäß in der in Betracht tommenden Zeit den Jahren 1509/10- noch

eigenen städtischen Gerichten abgeurtheilt werden.

Es versteht sich, daß die nach dem Besitz der ehrwürdigen Stadt lüsternen Fürsten   in derselben ihre bezahlten, stets gegen einander und die Ge­meinde agitirenden Anhänger unterhielten- agents provocateurs in mittelalterlicher Ausstattung. Es versteht sich ferner, daß sie der Stadt nöthigen Falles bereitwillig Geld vorschossen, weil der Um­stand der Gläubigerschaft ihnen bequeme Mittel an