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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

die Hand gab, ihre Rechte zu erweitern und die Gemeinde ron sich abhängig zu machen. Troßdem behauptete Erfurt bis in das 15. Jahrhundert hin­ein den Ruf einer mächtigen und auch finanziell blühenden Stadt. Wie Herr Karl Reinick in Arn stadt, dessen ausführlicher Darstellung des inter­essanten Ereignisses wir die historischen Facten unserer Skizze entnehmen, hervorhebt, vermehrte die Stadt nach und nach ihren territorialen Besiz um die Herrschaft Stotternheim , die aus 15 Dörfern bestehende Grafschaft Wieselbach und das Amt Stapellendorf mit 13 Dörfern, ferner begründete sie ihre altberühmte Universität und repräsentirte durch stolze Bauwerke ihre Macht und den Neichthum ihrer Bürger. Wie die Stadt ungeachtet alles dessen in verhältnißmäßiger Zeit tief verschulden fonnte, ist nicht begreiflich, oder vielmehr es ist nur erklärlich durch eine langjährige, gewissenlose Mißwirthschaft des Magistrats und der Gemeinde­verwaltung, die natürlich fast ausschließlich in den Händen der Patrizier war. Möglich, daß die so Möglich, daß die so zahlreichen feindlichen Einflüssen ausgefeßte Gemeinde erhebliche Opfer für die Abwehr der häufigen Angriffe auf ihre Selbstständigkeit bringen mußte- andererseits steht indessen auch fest, daß die Häupter der Gemeinde schlecht gewirthschaftet, auf Kosten des Bürgersäckels kostspielige Repräsentationspflichten - das heißt natürlich eingebildete oder vorgespiegelte Pflichten" wahrgenommen, prachtvolle Feste veranstaltet und auf noch andere Weise das Geld der Stadt todtgeschlagen haben. Die Verfasser der Chroniken beschuldigen den Rath ganz offen der Verschwendung und der Trunksucht. So ließ der= selbe unmittelbar nach dem großen Brand von 1472

wie Hartung in seiner Erfurter Häuserchronik berichtet ein Festpreisschießen ausschreiben und den durchreisenden Fürsten kostbare Geschenke machen; 1496, wo die Höhe der Schuld eine ungeheure war, gab er den Fürsten ein prachtvolles Turnier auf dem Anger. Bereits seit 1478 arbeitete der Magistrat mit Unterbilanz, die Stadt hatte. über 500 Gläubiger, denent sie bis 712 Prozent Zinsen zahlen mußte, die im Jahre 1509 den Betrag von 32 494 Schock( etwa 240 000 Mark) erreichten, während die Gesamteinnahme diese Summe um taum 8000 Mark überschritt. Sonderbarer Weise

sind alle Dokumente und Rechnungen aus jener Zeit beseitigt worden, und die aus vorhergehenden Jahren erhaltenen befinden sich in einem Zustande grenzenloser Verwirrung und Unordnung.

Der Rath machte, was ihm gefiel; die Lier­Herren, eine Art Tribune, welche die Rechte des Volfes im Rathe wahrzunehmen hatten, steckten mit den Patriziern unter einer Decke. Immer unhalt barer wurden die Zustände, und die öffentlichen Lasten mögen wohl ebenfalls nicht gering gewesen sein. Schließlich wurde es so schlimm, daß die sein. Schließlich wurde es so schlimm, daß die Bürger sich nicht mehr vor die Thore wagen konnten, weil die Mannen der Gläubiger sie ab= fingen, um sie als Geißeln zu behalten. Da ge­sellte sich der längst herrschenden Unzufriedenheit mit der Verwaltung noch Zorn und Haß zu, vor mit der Verwaltung noch Zorn und Haß zu, vor allem der Obervierherr der Stadt, Heinrich Kellner , eine autokratische und anmaßende. Natur, war der eine autokratische und aumaßende. Natur, war der Bürgerschaft ein Dorn in den Augen. Als es nun vollends gar hieß: Kellner habe eigenmächtig das Amt Kapellendorf an Kursachsen verpfändet, da kannte die Wuth der Bürger keine Grenzen. Jetzt endlich wurden sich die Herren des Raths der Gefahr der Situation bewußt, sie zogen eine Anzahl Ver­treter der Bürgerschaft zur Berathung über die mißliche Lage heran, eine Maßregel, die im Kleinen etwa derjenigen der Einberufung der Reichsstände bei Beginn der französischen Revolution gleichkam.

Die Stadthäupter huldigten der wunderlichen, aber ihresgleichen vielfach eigenthümlichen Ansicht, die einberufenen Vertreter sollten ihnen nur Mittel zur Beseitigung der Finanzkrisis an die Hand geben, zur Beseitigung der Finanzkrisis an die Hand geben, im Uebrigen jedoch sich jeder Einmischung in die städtischen Angelegenheiten enthalten. Damit zeigten sich die Deputirten jedoch keineswegs einverstanden, sie begehrten vielmehr klaren Einblick in den Stadt­haushalt. Der Rath legte hierauf das nieder­schlagende Geständniß ab, daß die Stadt mit einer Schuldenlast von 600 000 Gulden behaftet sei. Diese Enthüllung rief eine ungeheure Aufregung in der Stadt hervor. Die empörte Menge sammelte sich um das Rathhaus, einzig das Versprechen der Vierherren, daß eine Untersuchung der ganzen Au­gelegenheit stattfinden solle, vermochte sie zu be­ruhigen. Die Deputirten verlangten nun die Ab­legung einer 30 jährigen Rechnung, was von dem

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dem Papierkorb dereit

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Rathe mit dem Bemerken zurückgewiesen wurde, ,, es habe ja alljährlich ein Rath dem andern Rechnung abgelegt und sei daher keine weitere Rechnung vonnöthen." Dagegen erfüllten die Stadt­häupter aus Furcht vor der Nache der Bürger deren Perlangen, die Schlüssel zu den Stadtthoren und der Chriarburg auszuliefern, worauf bewaffnete Volkshaufen die Wälle und die Burg besetzten.

Trozdem damit die Gewalt in die Hände der Bürgerschaft übergegangen war, wäre vielleicht noch eine friedliche Beilegung der Differenzen möglich gewesen, wenn der Rath den ernsten Willen gehabt und es nicht den Bürgern an einsichtsvollen Leitern gefehlt hätte. So aber hoffte der Nath auf Hilfe von Sachsen , während zahlreiche Bürger eine Ge­sandtschaft nach Mainz schickten; dabei intriguirten alle Parteien gegen einander und jeder der be­theiligten Staaten suchte im Trüben zu fischen. So mußte es mit Nothwendigkeit zur entscheidenden Katastrophe kommen. Was für die Franzosen der Sturm auf die Bastille war, das war 400 Jahre früher für die Erfurter der Sturm auf die Naths­versammlung. Die Deputationen der Handwerker und Viertel, gefolgt von großen Zügen Bewaffneter, erschienen im Rath. Ihr Sprecher wandte sich kühn an den Obervierherrn Heinrich Kellner mit der Frage: Ist es wahr, daß Kapellendorf ver­kauft ist und daß Ihr es ohne Wissen und Geneh­migung des Naths und der Gemeinde verkauft habt?" Darauf erwiderte Kellner stolz: Das sagen schlechte Leute, daß ich das gethan habe," und fügte die Bemerkung hinzu," was sie denn eigentlich unter der Gemeinde verständen?" Als man ihm erwiderte: " Die gesammite Bürgerschaft", erhob sich der Ober­vierherr, schlug sich an die Brust und rief stolz: Hier steht die Gemeinde!" Wer gedenkt hierbei nicht des berüchtigten Ausrufs des vierzehnten Ludwig: L'état c'est moi"( Der Staat bin ich)? Der herrschsüchtige Monarch hatte also einen Vorläufer in Heinrich Kellner , dem Obervierherrn von Erfurt , sein stolzes Wert ist für die Geschichte kein Original mehr. tein Original mehr. Nur zog für ihn die Aeuße= rung nicht so schwere Folgen nach sich, wie für Kellner, der sich in jenem Augenblicke sein Todes­urtheil sprach.

( Schluß folgt.)

Scherzo.( zu unserem Bilde.) Der Frühling sitt im Gras und bläst die ersten, weichen Melodien der erwachenden Natur. In den dünnen, noch spärlich be­laubten Zweigen zwitschern die Waldvögel und üben sich ein für das Monstre Konzert im Sommer. Freund Langbein steht daneben, in ewiger, unveränderlicher Ruhe und Schlafsucht. Er hört nichts von dem Scherzo des fleinen Naturgottes, nichts von den schüchternen Impro­visationen der Freifänger. Ihm hat der Winter noch viel zu kurz gewährt und halb wachend, halb schlafend, denkt er über die Ungerechtigkeiten in der Welt nach: man hat doch wahrhaftig niemals Zeit, sich so recht nach Herzenslust auszuschlafen. Und allmälig fängt doch wieder der Hunger sich zu regen an, der leidige Hunger, und ob man will oder nicht dann muß man sich bewegen. Wie gut es doch die Schildkröten haben, und die Bären und all das Thierzeug, das den ganzen, vollen, schönen Winter durchschlafen kann! Warum leben die unter ökonomisch besseren Bedingungen? Und Freund Langbein zieht das eine Bein empor, blinzelt mit entrüsteten Augen umher und denkt: ob der Bub dort wohl bald sein Getute einstellen wird. Das fehlt gerade noch, daß man förmlich aus dem Schlaf posaunt wird! Aber der Bub jubilirt weiter und der Früh ling, der Frühling läßt sich nicht verschlafen, selbst von dem konservativsten aller Vögel.

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Allein auf der Welt.( Zu unserem Bilde.) Jugend und Alter, Kind und Greisin sind es, die das Schicksal hier zusammengeführt hat beide allein auf der Welt auf jener Welt, die vor der Einen schon die Pforte bald schließen wird, die vor der Anderen noch verschlossen steht und dunkel. Was sie Jener gebracht hat es ist Alles vorbei und allein ist sie zurückgeblieben, die Alte mit dem weißen Haar und dem gebeugten Rücken. Und

sinnend sigt die Junge da und träumt in ihrer Ver­lassenheit von Tem, was ihr die Welt einst bringen wird bis auch sie dereinst zurückbleiben wird, sorgen­gebeugt und müde und allein.

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Der naturwissenschaftliche Beobachter.

In der Deutschen med. Wochenschrift" erinnert Dr. Bardeleben( Bochum ) an ein altes Heilmittel bei Brandwunden, von dessen Wirksamkeit er sich bei einem achtjährigen Gebrauche überzeugen konnte. Ich mache davon Mittheilung, weil seine Anwendung so einfach ist, daß es selbst der Laie ohne jede Gefahr in Abwesenheit des Arztes benußen kann. Es ist im Handel desinfizirt und zugerichtet unter dem Namen Brandbinde" zum sofortigen Gebrauche zu haben, ein Wismuthamylum­verband. Wenn Blasen vorhanden sind, müssen sie vor Anlegung der Binde entfernt werden. Die Desinfektion der Wunde kann im Nothfalle fortbleiben. Ueber die Binde, die man sechs bis sieben Tage liegen lassen fann, werden noch ein bis zwei Lagen entfetteter Watte gelegt. Hippokrates.

Schnihel.-

Auf einen Pharisäer. Er hat keinen silbernen Löffel gestohlen, Er stand noch niemals vor Gericht, Und dennoch sag ich unverholen: Er ist ein ganz gemeiner Wicht.

G. Bleibtreu.

Einem Suchenden.

Suchst Du das Glück? Ach, es ist nur des Zufalls schönere Hälfte, Aber der Zufall hört auf den Namen Entschluß. H. Hopfen.

Gegner.

Jag das, was nur der Ruthe werth, Mit Wizen und Epigrammen, Doch ist Dir ein würdiger Gegner bescheert, Schlag drein mit guter Gedanken Schwert, Und Wunden gieb, nicht Schrammen.

Avenarius.

Bergebens predigt ihr den Wilden, Es gilt erst die Gebildeten zu bilden. " Ich wollt, es gäb keine Armen und Reichen"- Sie sind also Sozialist""

Daß die Brüder sich lieben als Jhresgleichen" Aha, Sie sind ein Kommunist."

Wie sie nur siegten bei Marathon,* Es ist den Wundern gleich,

Ohne Monturskommission

Und ohne Zapfenstreich.

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* Bei Marathon besiegten( 490 v. Chr.) die alten Griechen als Borfämpfer europäischer Gestitung die Perser und den orien= talischen Despotismus.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Edgar Steiger , Leipzig , Oststr. 14, richten.

Berantwortl. Rebatteur: Edgar Steiger , Leipzig . Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Berlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: Mar Bading, Berlin .