Die reue Welt

Nr. 17

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Es rollt und rüttelt und dröhnt und stampft, Und klirrt und rasselt und saust und dampft; Un kreisenden Feldern vorüber im Flug, Durch Pommerns Ebne rast der Zug.

Ich schaue und horche und weiß es kaum, Ich träume einen stolzen Traum, Wie, Form geworden, der Menschengeist Donnernd um Are und Are kreist.

Da schreit ein Kindchen neben mir Und übertönt das Eisenthier. Es klang so weh, mein Traum zerrinnt; So blaß, so mager ist das Kind.

Im Wagen schwankt die Dämmerung, Und Gaslicht schwankt und Schattensprung; Hus rothgewürfeltem Bettchen sticht So spitz heraus das kleine Gesicht.

Von Kisten und Kasten überdrängt, Von Säcken und Päcken eingezwängt, Schaukelt die Mutter ihr Kind zur Ruh Und summt ein Wiegenlied dazu.

Und rund herum, gedrückt und schwer, Verworrene Worte hin und her; Gesichter furchig, knochig, stumpf, Und Menschendünste, dick und dumpf.

Zusammengeduckt mit Hab und Gut, Mit ihrem letzten Bischen Muth, Hus Polen und Preußen sitzen sie da Und wollen nach Amerika .

Nur wenn das Wörtchen Drüben" fällt, Grünt eine ferne Hoffnungswelt, Und Alle athmen tiefer dann,

Und Alle sehn sich nickend an.

Vierter Klasse.

Don Richard Dehmel. *

und durch ihr Seufzen, ihr Geschwärm, Durch Rädergepolter und Eisenlärm, Wie Stimmen der Erlösung ziehn Der Mutter leise Melodien.

O heiliger Stall von Bethlehem , Dein Wunder ist noch heut zu sehn, Wenn eine Wöchnerin beglückt Ihr Kind in Armuth an sich drückt!

Nun schläft's, nun hüllt sie's ein recht warm, Und legt's behutsam aus dem Arm Und lehnt sich müd an ihren Mann Und sieht ihn bang und liebreich an. Und er versteht den Mutterblick Voll Sorge, Furcht und Mißgeschick, Und mit der breiten Schwielenhand Zeigt er hinaus ins finstre Land.

,, Sei ruhig, Marie, Du wirst schon sehn, Da drüben wird Alles anders gehn, Da schaff' ich uns eigen Feld und Vieh, Da wirst Du wieder gesund, Marie.

" Du brauchst nicht leben wie ein Hund, Ihr werdet Beide wieder gesund, Und unser Kind hat, wird es groß, Im neuen Land ein besser Loos!"

Und Sorge, Furcht und Mißgeschick Vergehen in dem einen Blick, Mit dem sich diese Bauernseelen Von ihrem Kinde stumm erzählen.

Es rollt und rüttelt und stampft und staucht, Und klirrt und rasselt und keucht und faucht; Durch's wirbelnde Dunkel in rasendem Flug Saust weiter und weiter der jagende Zug.

Aus der Gedichtsammlung Lebensblätter". Verlag der Genossenschaft Pan, Berlin 1895,

1897

Ich horche und horche und weiß es kaum, Ich träume einen gläubigen Traum, Wie Glück begehrend der Menschengeist Empor zu neuen Formen kreist.

Im Wagen schweigend schwebt die Nacht, Der Schlaf schwingt seine Spindel sacht; Die Bäuerin ist eingenickt,

Auf's Knie des Mannes hingebückt.

Der sitzt noch wach mit mir allein, Wir gucken uns still in die Augen hincin, Bis uns der Blick die Zunge löst Und hin und her das Flüstern döst.

Und er erklärt mir, wie es kam, Daß sie verkauften ihren Kram, Und wie sie der Agent gedingt, Der nun sie in den Urwald bringt.

Es war kein neues Wort dabei, Es war die alte Litanei Von saurem Schweiß und Hungerlohn, An der nur neu des Jammers Ton. ,, Und wie dann gar noch Weib und Kind Mir schwach und krank geworden sind, Da haben wir endlich das Schwerste gewagt, Dem Dörfchen Lebewohl gesagt.

Und hat sie auch zuerst geweint, So hat sie doch zuletzt gemeint: Fällt's uns auch schwer, wenn nur das Kind Ein ander Loos als wir gewinnt!"

So schwinden Stationen im Fluge vorbei Und Glockensignale und Kellnergeschrei, Und bleicher tanzen die Lichter schon: Der Morgen steigt auf seinen Thron.