Die grene Welt
Nr. 18
Illustrirte Anterhaltungsbeilage.
Der Zukunft.
Von Georg Freiherr von Ompteda.*
Wir Alle erkämpfen das Licht und den Tag, Wir ahnen, wir fühlen die große Zeit,
Wir ringen in Nacht und Dunkel,
Wir wollen vergessen, was hinter uns lag, Wir sehnen den Tag, wir suchen den Tag Bei ängstlichem Sternengefunkel!
Wir vergessen versunkene Sorgen, Wir warten auf künftige Herrlichkeit, Wir grüßen, wir feiern die kommende Zeit, Wir singen den dämmernden Morgen.
Wir Uebergangsmenschen, wir wollen das Mahl Den kommenden Glücklichen rüsten! Die leeren im Siegesrausch den Pokal,
Die thun sich dann gut am bereiteten Mahl Und leben im Ernten, in Lüsten!
1897
Und gehen wir auch, eh' die Sonne gelost, Ehe Tag es wird über der Erde: Wir besiegeln durch unseren freudigen Tod, Daß wir wußten, daß endlich die Sonne geloht, Daß wir ahnten das lösende„ Werde!"
Sie werden einst, wenn sie die Frucht in der Hand, Die wir nur gesehen im Reifen,
Unsere Träume von einem Zukunftsland, Unfre Kämpfe, die Feder, den Stift in der Hand, Unfre glühende Sehnsucht begreifen.
* Aus der„ Gesellschaft", Monatsschrift für Literatur, Kunst und Sozialpolitik, VIII. Jahrgang, Heft 8, 1892, Leipzig , Verlag von Wilh. Friedrich.
I.
ch war zweiundzwanzig Jahre alt, als ich mich in Petersburg niederließ. Drei Monate vorher hatte ich eine der ausländischen Universitäten absolvirt und war mit dem Doktordiplom in der Tasche nach Rußland zurückgekehrt. Nach einem fünfjährigen zurückgezogenen, beinahe völlig einsiedlerischen Leben in einem kleinen Universitätsstädtchen erfaßte mich auf einmal das Petersburger Leben wie ein Rausch. Für eine Zeit lang vergaß ich die Begriffe von analytischen Funktionen, Raum, vier Dimensionen, die noch vor Kurzem meine ganze innere Welt erfüllten, und gab mich mit der ganzen Seele den neuen Jnteressen hin; ich machte lints und rechts Bekanntschaften, bemühte mich, in die verschiedensten Kreise einzudringen und verfolgte mit brennender Neugier die Erscheinungen dieses verwickelten, im Grunde so leeren, aber auf den ersten Blick so verlockend aussehenden Chaos, das man Leben heißt. Alles interessirte und freute mich jetzt. Es zerstreuten mich die Theater und die WohlthätigkeitsSoiréen und die literarischen Kreise mit ihren endlosen, zu Nichts führenden Disputen über alle möglichen abstrakten Themata. Die gewöhnlichen Besucher dieser Kreise waren der Dispute schon überdrüssig, für mich hatten sie noch den ganzen Reiz der Neuheit. Ich gab mich ihnen mit dem Enthusiasmus hin, dessen nur der von Natur gesprächige Russe fähig ist, welcher noch dazu fünf Jahre hindurch ausschließlich in Gesellschaft zweier, dreier Spezialisten lebte, die von ihrer engen, sie gänzlich ausfüllenden
Beschäftigung in Anspruch genommen sind und nicht begreifen können, wie man seine kostbare Zeit mit müßigem Tratsch vergeudet. Das Vergnügen, welches ich an dem Verkehr empfand, theilte sich auch der Umgebung mit. Indem ich mich selbst hinreißen ließ, brachte ich neue Bewegung und neues Leben in jenen Kreis, den ich frequentirte. Der Ruf einer gelehrten Frau umgab mich wie mit einer Art Aureole; die Bekannten erwarteten irgend etwas von mir, man hatte bereits in zwei, drei Zeitschriften aller hand über mich ausposaunt, und dieſe mir noch völlig neue Rolle einer berühmten Frau hat mich, wiewohl sie mich etwas verwirrte, im Anfang dennoch belustigt. Kurz, ich befand mich in der seligsten Stimmung, ich durchlebte in dieser Epoche meines Lebens sozusagen den Honigmonat meiner Berühmt heit; ich wäre bereit gewesen, auszurufen:„ Alles ist auf das Beste bestellt in dieser besten der Welten!" Heute war ich besonders guter Laune. Gestern hatte ich eine Abendunterhaltung in der Redaktion einer neuen, eben erschienenen Zeitschrift mitgemacht; auch ich wurde zum Mitarbeiten aufgefordert Dieses neue Unternehmer beschäftigte alle Mitarbeiter außerordentlich, und die Redaktions- Samstage zeichneten sich durch ungewöhnliche Lebhaftigkeit aus. sich durch ungewöhnliche Lebhaftigkeit aus. Gegen drei Uhr Morgens kam ich nach Hause; ich stand daher heute spät auf, verbrachte lange beim Morgenthee und durchflog mit Interesse einige Zeitungen. Ich las die Anzeige von dem Gelegenheitsverkauf eines geschnitten Bücherschrankes und fuhr hin, um ihn zu besichtigen. Auf dem Wege dahin traf ich in der Pferdebahn eine bekannte Dame, die, wie ich, Comitémitglied der gerade vor Kurzem eröffneten höheren Frauenkurse" war, ich sprach mit ihr von „ Geschäften", besuchte noch zwei, drei Bekannte und kehrte gegen vier Uhr nach Hause zurück; ich saß
jett ruhig im Stuhl vor dem geheizten Kamin und betrachtete mit Vergnügen mein hübsch eingerichtetes Arbeitszimmer. Nach fünfjährigem Herumwandern in verschiedenen möblirten Zimmern bei deutschen Wirthinnen war ich jetzt wirklich froh über das mir: neue Vergnügen an meinem eigenen, gemüthlichen: Winkelchen.
Es klingelte im Vorzimmer. Wer mag das: sein?" dachte ich, im Geiste alle Namen meiner verschiedenen Bekannten aufzählend, und mit einer ge wissen Unruhe warf ich einen Blick in den Spiegel, um mich zu vergewissern, daß meine Toilette in Ordnung ist. Eine hohe, junge Frau in einem einfachen Tuchpelz trat ins Zimmer ein. Infolge meiner Kurzsichtigkeit konnte ich nicht gleich unterscheiden, ob ich diese Person tenne und ich konnte dies umsoweniger, als ein schwarzes Kopftuch beinahe völlig ihr Gesicht verhüllte und nur ein kleines, regelmäßiges, vom Frost leicht geröthetes Näschen frei ließ. Ich erhob mich, um freundlich, aber mit einem gewissen Erstaunen im Blick dem Gast entgegenzugehen.
,, Entschuldigen Sie, daß ich mich entschlossen habe, Sie zu belästigen, obgleich ich Sie nicht persönlich kenne," sagte die Eintretende.„ Ich bin Wjera Baranzow. Sie werden sich meines Namens kaum erinnern, obschon unsere Eltern Gutsnachbarn waren. Ich habe von Ihnen in den Zeitungen unlängst gelesen. Ich weiß, daß Sie lange im Auslande studirt haben, und überall erzählt man sich, daß Sie ein guter, ernster Mensch seien. Da fiel es mir ein, daß Sie mir mit einem Nath beistehen könnten."
Das Alles sprach sie in einem Athem und hastig, mit voller, überaus angenehmer Bruststimme. Ich war verwirrt und geschmeichelt von diesem Beweis