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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

meiner Berühmtheit. Zum ersten Mal hat sich an mich ein Unbekannter um Rath gewendet.

" Ah, ich freue mich sehr! Bitte, setzen Sie sich. Legen Sie doch Ihren Pelz ab," stammelte ich freund­lich und sehr verwirrt.

Wjera warf das schwarze Tuch vom Kopfe ab. Ich war erstaunt, eine solche Schönheit zu sehen.

Ich bin allein auf der Welt und hänge von Niemandem ab. Mein persönliches Leben ist abge­schlossen. Für mich erwarte und will ich nichts mehr. Aber mein leidenschaftlicher, flammender Wunsch ist, der, Sache nüßlich zu sein. Sagen Sie, lehren Sie mich, was zu thun," sagte Wjera plötzlich ohne Einleitung sogleich auf den Zweck ihres Be­fuches übergehend. Von jeder Anderen hätte dieser sonderbare, unerwartete Anfang unangenehm, wie eine Effekthascherei berühren können, aber Wjera sprach so einfach, in der Stimme hörte man einen so aufrichtigen, flehenden Ton, daß ich garnicht daran dachte, mich zu wundern. Dieses hohe, schlanke Mädchen mit dem blassen Gesichte und den sinnenden blauen Augen war mir mit einem Male außer ordentlich nah und sympathisch. Ich befürchtete nur Eines: daß ich ihr Zutrauen nicht rechtfertigen, auf ihr Ansuchen in nicht entsprechender Weise antworten und ihr keineu nüßlichen Nath werde geben können. Und mein eigenes Leben der letzten drei, vier Mo­nate erschien mir mit einem Male so leer und un­bedeutend; alle. Jnteressen, die mich erfüllten, ver­loren an Sinn und Bedeutung. Plötzlich schnitten mir Gewissensbisse ins Herz. Was werde ich ihr sagen? Womit ihr helfen?"

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Da ich nicht wußte, womit beginnen, bat ich Wjera, Plaz zu nehmen und ließ Thee bringen. In Rußland   kann kein herzliches Gespräch ohne den Samowar geführt werden. Was mich bei Wjera gleich überraschte, war ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber allen Aeußerlichen. Sie glich denjenigen Hellseherinnen, deren Blick von einem einzelnen Gegen­stande so sehr absorbirt ist, daß sie unfähig sind, andere Eindrücke aufzunehmen.

Ich fragte sie, ob sie schon lange in Petersburg  weile, ob sie in ihrem Hotel gut untergebracht sei? Aber auf alle diese Fragen antwortete Wjera zer­streut, mit einer gewissen Unzufriedenheit. Die Klein­lichkeiten des Lebens haben sie augenscheinlich gar nicht interessirt. Wiewohl sie noch nie in Petersburg  gewesen war, überraschte und interessirte sie das hauptstädtische Getriebe nicht. Sie war blos von einem Gedanken ganz eingenommen: einen Inhalt und Zweck des Lebens zu finden. Es zog mich mächtig zu diesem jungen Mädchen, das so wenig den Anderen glich, die ich vorher kennen gelernt hatte. Ich bemühte mich darum, ihr Vetrrauen zu gewinnen, in ihre geheinisten Gedanken einzudringen. Auf ihre Frage erwiderte ich, daß ich ihr keinen Rath geben könne, ehe ich sie nicht näher kennen lerne. Ich bat Wjera, mich, wenn möglich, oft zu besuchen und mir ihre ganze Vergangenheit zu er= zählen. Wjera selbst hatte daran gedacht, sich ganz mitzutheilen und antwortete auf alle meine Fragen mit ungezwungener Offenherzigkeit. Nach wenigen Wochen drang ich in ihr Herz ein und las darin so klar, wie eine Frau nur in den Herzen einer anderen lesen kann.

II.

Die Familie der Grafen Baranzow ist eine vor­nehme, obgleich man nicht sagen kann, daß sie sehr alten Geschlechts wäre. Ihr offizieller Stammbaum fann allerdings bis Rurik verfolgt werden, aber es ist an der völligen Glaubwürdigkeit dieser Urkunden 311 zweifeln erlaubt. Ganz festgestellt ist nur, daß ein gewisser Jwaschka Baranzow als Gemeiner in der Garde Ihrer Majestät der Kaiserin Katharina II.  stand; im Gesicht war er Milch und Blut und von Gestalt eine gute Stlafter hoch, und er verstand es so gut, der Landesmutter zu dienen, daß er wegen seiner treuen Dienste sofort zum Korporal ernannt und mit einem Grundbesiß von fünfhundert Bauern­seelen und tausend Nubeln belohnt wurde Seelen waren dazumal billig und das Geld theuer. Seit jener Zeit datirt die Blüthe des Baranzow- Geschlechtes.

Mit dem Grafentitel wurde er von Alexander I.   aus­gezeichnet, au dessen Hof die schöne Gräfin Varanzow einige Zeit eine sehr angesehene Rolle gespielt hatte. Uebrigens sind in den Familienchroniken dieses Ge­schlechtes in den letzten hundert Jahren nicht blos Erfolge zu verzeichnen, es hat auch manches Miß­geschick erfahren. Alle Baranzows zeichnen sich durch Heftigkeit und Zügellosigkeit im Wünschen aus, und diese Eigenschaft hat sie oft genug in Gefahr ge= bracht. Mehr als ein bedeutendes Gut, mehr als ein einträgliches Gebiet wurden zu dieser Zeit im Kartenspiel, für Pferde und schöne Frauen vergeudet. Das Glück der Baranzow- Familie begann sich zeit­weilig zu trüben, aber die leichte Wolfe hellte sich in der Sonne der kaiserlichen Huld bald auf. Irgend Einer von den Baranzows hat es immer so einzu richten gewußt, daß er zur rechten Zeit seinem Kaiser einen Dienst erwies und dann traten an die Stelle der verschwendeten und verlorenen Güter neue große, so daß im großen Ganzen die Familie eigentlich so daß im großen Ganzen die Familie eigentlich fortfuhr zu wachsen und zu gedeihen. Wenn aber auch die Güter schnell verschwendet und wieder er­worben wurden, ging dagegen unveränderlich ein kostbares Erbe: die ungewöhnliche, sozusagen die Familienschönheit von Geschlecht zu Geschlecht, vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Tochter über. Es hat unter ihnen nicht einen einzigen Ab­stoßenden, Mißgestalteten oder überhaupt Einen ge­geben, der unschön gewesen wäre. Als ob sie einen natürlichen Hang zum Schönen gehabt oder Darwins Theorie vorausgeahnt hätten, heiratheten alle Grafen Baranzows Schönheiten, fanden alle ihre Töchter schöne Männer. Demzufolge hat sich der Familien­typus erhalten und ist in der russischen Aristokratie so bekannt, daß wenn man von Jemandem sagen wird: Er oder sie hat ein Baranzow- Gesicht" und in der Vorstellung nicht gleich ein bestimmtes Bild erscheint eine große, stattliche Gestalt, mattweißes, ovales Gesicht mit durchsichtigen, rosigen Farben auf den Wangen, eine niedere, breite Stirne, mit fein gezeichneten blauen Adern an den Schläfen, wie Rabenflügel schwarzes Haar und blaue, schwarz be= wimperte Augen wimperte Augen fo bedeutet das, daß man nicht zu den Aristokraten gehört und in den Dingen, die die obersten Zehntausend in Rußland   betreffen, gar­nichts versteht.

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Dieser Baranzow- Typus war stark und zäh; man konnte in der guten, alten Zeit der Leibeigen­schaft an ihm auch die Fähigkeit bemerken, auf die Bauern und das Gesinde der gräflich Baranzow­schen Güter überzugehen. Es war doch merkwürdig! Der Herr oder die jungen Herren brauchten nur auf einem der Güter zu Gast zu sein, so kam nach­her gewiß in der einen oder der anderen Bauern= hütte und zwar in derjenigen, wo es junge und hübsche Weiber gab ein Kind zur Welt mit dem Gesicht eines kleinen Baranzow, mit denselben edlen Zügen der Kinder im Herrschaftshause.

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Graf Michail Iwanowitsch Baranzow war ein verdienstvoller Sprosse seiner Familie. Außer seiner Schönheit hatte er das Glück, zu Beginn der Re­gierung Nikolais geboren zu werden, in der Periode der vollen Blüthe der Petersburger Garde. Nachdem er einige Jahre in einem Stürassierregiment gedient, viele Frauenherzen gebrochen hatte, erwarb er sich unter seinen Kameraden redlich den schmeichelhaften Spiznamen: Schrecken der Ehemänner".

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Noch in jungen Jahren verliebte er sich leiden­schaftlich in eine entfernte Verwandte, Marie Dimi­triewna Kudrawzewa, die auf ihrem schönen, wie von einem großen Künstler gemeißelten Gesicht den deutlichen Stempel des Baranzowschen Geschlechtes trug. Da er Gegenliebe fand, heirathete er und ſezte seinen Dienst fort. Er hätte vielleicht auch einen hohen Rang erlangt, aber zu Beginn der Regierung Alexander II.   widerfuhr ihm eine kleine Unannehmlichkeit, deren Ursache auch in dem stürmi­schen Blut der Baranzow und in der verhängniß­vollen Baranzowschen Schönheit lag. Er war auf seine schöne Frau eifersüchtig, forderte einen Garde­offizier zum Duell und tödtete ihn.

Die Affaire wurde schlecht und recht vertuscht, aber dem jungen Grafen ward es nach diesem Vor­fall ungemüthlich, in seinem Regiment zu verbleiben;

er war genöthigt, um seine Guriassung zu bitten und reiste auf sein Gut, das er vom Vater, der gerade gestorben war, geerbt hatte. Das war im Jahre achtzehnhundertsiebenundfünfzig. In Peters­ burg   gingen schon vage Gerüchte von der Bauern­befreiung umher, aber bis nach Borki, so hieß das Gut des Grafen Baranzow, waren diese Gerüchte nicht gedrungen. Dort ging Alles noch nach der guten, alten Ordnung. Wie groß zu jener Zeit das Vermögen des Grafen Michail Iwanowitsch war, wußte Niemand genau, am wenigsten er selbst. Das Gut war groß, wenn auch nicht mehr von der früheren Ausdehnung. Der Papa seligen Angedenkens liebte es gleichfalls, recht vergnügt zu leben, und unter ihm noch wurde ein großer Theil des Waldes aus­geholzt und nicht wenige Deßjatin* Grund Wiesen verkauft. Michail Iwanowitsch verließ nach ungefähr fünfzehnjährigem Dienst bei den Kürassiren Peters­burg, selbstverständlich nicht ohne Schulden. Seine Verwaltung begann er damit, daß er zur Deckung alter Sünden noch ein gut Stück Grund verkaufte und auf den Rest des Gutes eine Anleihe machte. Bis nun ließ sich Alles gut einichten und der Graf wurde nicht beunruhigt. Der Dorfälteste war tüchtig, er verstand es, Alles ohne Lärm zu arrangiren, ohne überflüssige Gespräche: wenn der Herr Geld nöthig hatte, war es immer zur Hand.

Zur Zeit ihrer Uebersiedelung aufs Land hielten sich der Graf Michail Iwanowitsch und die Gräfin Maria Dimitriewna, troß ihrer drei erwachsenen Töchter, für sehr jung. Sie nahmen weder Sorgen noch Pflichten auf sich, und Niemand bestritt ihnen das Recht, ganz nach Belieben zu leben. Alles nahm hier seinen früheren Lauf, frei und fröhlich. Noch zu Lebzeiten des seligen Herrn war das ganze Haus auf großem, herrschaftlichen Fuß geführt worden: dreißig Pferde zum Ausfahren im Stall, ein eng­ lischer Garten  , Orangerien und Treibhäuser, eine Menge müßigen und faulen Gesindes.

Die einzige Veränderung, welche die jungen Herr­schaften mit sich brachten, bestand darin, daß sie zu den Einfällen des alten Sybaritenthums viele ver­schiedene hauptstädtische, verfeinerte Liebhabereien hin­zufügten, von denen man sich früher auf dem Lande nichts träumen iieß. In den Paradezimmern waren alle Möbel mit Seidenstoff überzogen, die Fenster und Dielen waren früher unbedeckt, jezt wurden überall Teppiche aufgelegt und Porti ren angebracht. Die Diener trugen früher fettglänzende, von den Herrschaften abgelegte Röcke, jezt nähte man ihnen Livréen. Die Küche übergab man der Verwaltung eines Kochs, der im englischen Klub gelernt hatte, und in der Gesindestube fügte man noch zu der Menge der Stubenmädchen, die im Hause aufgewachsen waren und sich mit Nähen, Sticken, Spizenklöppelei beschäftigten, eine elegante, bezahlte Kammerzofe.

Die junge Herrschaft übte auch mit ihrem Bei­spiel einen wohlthätigen Einfluß auf die Nachbar­schaft aus. Der Gouverneur hat nicht ohne Grund in der Rede, die bei dem Diner zu Ehren der Neu­angekommenen gehalten wurde, gesagt, daß sie ein neues Leben ins Gouvernement gebracht haben. In der That begann mit ihrer Ankunft die Aera der Festlichkeiten, Schmausereien und Vergnügungen. Niemand wollte sich vor den Gästen aus der Haupt­stadt blamiren.

Die Gutsbesitzer und Gutsbesißerinnen schüttelten ihre ländliche Faulheit ab. Die früheren harmlosen Zeitvertreibe, die schwerfälligen Geburtstagstafeln, Kartenspiel und Tanz veränderten sich jetzt zu feineren, sozusagen intellektuellen Genüssen. Nach Ankunft des Grafen Baranzow auf seinem Landsiz entstanden im ersten Jahr in ihrer Gouvernementsstadt ein Dilet tantentheater, Konzerte mit lebenden Bildern und Kostümabende auf Subsfription.

Und Michail Iwanowitsch und Maria Dimi­triewna waren entzückt von dem Eindruck, den sie im Gouvernement machten, und Beide waren von der Bedeutung ihrer sogenannten Zivilisationsmission ganz durchdrungen. Der Graf hielt sogar bei einem offiziellen Diner einen Speech über die Bedeutung der englischen Gentry  ( Adel) und drückte den Wunsch

* Russisches Feld.naß 109 Ar.