Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

aus, daß die russischen Gutsbesitzer zu englischen Land- Persönlichkeit genöthigt ist, mit dem Kopf die Mauer lords werden sollten. einzurennen, um gegebenenfalls für sich einen Aus­weg zu suchen.

Die Gräfin bemühte sich auch nicht wenig um die Veredlung der Provinzsitten. Sie fühlte sich verpflichtet, kostbare Toiletten aus Petersburg zu bestellen. Das Haus der Baranzow war für Gäste immer offen. Das Diner wurde nach städtischer Art spät genommen und alle Hausgenossen mußten sich ror Tische, wie es bei den Engländern geschieht, umkleiden. Zum Dejeuner reichte man nicht ein­fachen Schuaps, sondern Englisch - Bitter.

Das Haus der Baranzow war ein schwerfälliges altes Gebäude mit Steinmauern von zwei Arschin Dicke; äußerlich erinnerte es an einen großen, vier­eckigen Kasten, bei den man, Gott weiß weshalb, an verschiedenen Seiten phantastische Laternen und kleine Balkons angebracht hatte. Im Allgemeinen war es von jenem ausgesprochenen, obgleich noch in feinem Lehrbuch der Architektur vorkommenden Stil, den man den Stil der Leibeigenschaft hätte nennen sollen. Ueberall war viel Material verbraucht, aber Alles war plump. Aus Allem ging hervor, daß das Haus zu der Zeit gebaut wurde, als die Arbeit umsonst war und da man Alles mit häuslichen Mitteln bestritt. Die Ziegeln brannte man in der eigenen Ziegelei, die Parquets verfertigten Leib­eigene aus dem eigenen Holz; selbst der Baumeister, der den Plan entworfen, war ein Leibeigener. Im Innern unterschied sich die Lage der Zimmer im Hause der Baranzow wesentlich nicht von der Mehr zahl der Gutsbesizerhäuser jener Zeit: Oben wohnten die Herrschaften, unten befanden sich die Kinder­zimmer; das Souterrain war für die Küche und die Dienerschaft bestimmt. Jus Souterrain fam die Gräfin nur zum Auferstehungsfest, um mit dem Gesinde die Osterküsse zu tauschen; ins Kinderzimmer aber blickte sie manchmal auch an gewöhnlichen Tagen, wenn die Zeit es ihr erlaubte, d. h. wenu keine Gäste da waren oder wenn sie keine Besuche machte; das kam übrigens nicht sehr oft vor.

In der Kinderstube des Baranzowschen Hauses wuchsen heran und entwickelten sich drei Fräulein, die unter der Obhut von zwei Gouvernanten standen, von denen die eine, Mlle. Julie, groß, sehr lebhaft

Im Allgemeinen dachte und flüsterte und träumte man nicht wenig von Liebe sowohl in den oberen wie in den unteren Stockwerken des Baranzowschen Hauses. Und wahrhaftig, außer den Freuden und Leiden der Liebe konnte, wie es schien, nichts den geraden Weg durchkreuzen, der sich vor den drei Fräulein Baranzow eben und glatt wie Leinenfäden ausbreitete.

Nach jeder Richtung war ihr Leben vorher be­stimmt und vorhergesehen. Papa und Mama waren fest entschlossen, Lena Mistino, Lisa Stepino und der jüngsten, Wjera, Borki als Mitgift zu geben. Der Graf und die Gräfin wußten auch, daß nach drei, vier Jährchen zur rechten Zeit zweifellos i.gend ein Husar oder Dragoner erscheinen und Lena holen wird, und übers Jahr wird ein anderer Husar kommen und entführt Lisa. Und dann ist die Reihe an Wjera. Die Kinder werden nicht in Vorki wohnen, sondern anderwärts, in einem anderen Hause, nicht Anisja wird sie bedienen, sondern irgend ein anderes Stuben­mädchen; von diesen kleinen Veränderungen abge­sehen, wird Jede den gleichen Lebenslauf wiederholen, wie die Mutter den Lebenslauf der Großmutter wiederholt hat. Das Alles war sehr einfach und sehr wahr und verstand sich von selbst, ohne daß man darüber nachzudenken brauchte, etwa wie man weiß, was man morgen und übermorgen zu Mittag essen wird.

Aber alle diese richtigen und sicheren Pläne wurden durch ein unerwartetes Ereigniß vereitelt, das heißt, thatsächlich kam dieses Ereigniß garnicht so unerwartet, da man schon zwanzig Jahre vorher davon gesprochen, ganz Rußland darauf vorbereitet hatte; aber wie alle großen Ereignisse hatte es die Eigenthümlichkeit, daß es, als es sich endlich ver­wirklichte, Allen als etwas plöglich Dahergeflogenes erschien und Alle unvorbereitet fand.

( Fortsetzung folgt.)

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deren der Verfasser des ersten Kapitels mit feiner Silbe gedenkt.

Jahrtausende lang hat sich nun die jüdische und christliche Menschheit mit dieser biblischen Schöpfungs­geschichte nothgedrungen beholfen, allgemein etwa bis zu der das Alte stürzenden Periode, welche die neue Zeit einleitete und sich durch die Erfindung der Buchdruckerkunst, großartige geographische Ent­deckungen und eine Reihe aus dem Dunkel auf­tauchender Koryphäen der Wissenschaft, Kopernikus , Kepler , Galilei u. A., sowie die für den Fortschritt ziemlich gleichgültige Reformation martirte.

Die neue Zeit stellte jedoch höhere Anforderungen und es hat daher seit der erwähnten Periode eine stattliche Reihe Forscher ihre besten Kräfte ein­gesetzt, das Geheimniß der Entstehung des Alls und seiner Bewohner zu entschleiern.

Wenn auch der dunkelen Punkte noch manche vorhanden sind und noch viele Räthsel der Lösung harren, so ist aber dennoch nicht zu bestreiten, daß die Menschheit auf diesen Gebieten großartige Fort­schritte gemacht und daß die verschlungenen Pfade, auf denen der Stoff durch die ihm innewohnenden Kräfte zu seinem Ziele gelangt, Gebilde zu schaffen und wieder zu zerstören, in großen Zügen klar­gelegt sind.

Der Erste, welcher im Lichte der neuen Er­fenntniß eine allumfassende Lehre über die Ent­stehung der Welt aufstellte, war unser berühmter Landsmann, der Philosoph Immanuel Kant zu Königsberg ( 1755), welche Lehre später( 1796) der französische Astronom Laplace in mehrfacher Hinsicht eingehender begründete und ausbaute.

Wenn es auch vereinzelte Forscher giebt, welche derselben nicht anhängen, so steht die Mehrzahl doch unzweifelhaft auf Seiten von Kant und Laplace, und es ist auch unbestreitbar, daß die Kant­Laplacesche Hypothese über die Weltentstehung, die sogenannte Nebularhypothese, die einzige Lehre auf fosmogenischem Gebiete ist, welche mit allen bis jetzt bekannten Erscheinungen des Alls in Ueber­einstimmung sich befindet; ruhig können wir daher auch annehmen, daß sie im Großen und Ganzen das Richtige getroffen und etwaige Fehler höchstens

und eine gesprächige Brünette unbestimmten Alters, Wanderungen durch Beit und Raum. bei nebensächlichen Punkten möglichenfalls in Frage

die andere, Mme. Night, eine stattliche Wittib mit einem strengen, monumentalen, von dicken grauen Locken umrahmten Gesicht war.

Außer diesen zwei Erzieherinnen umgab überdies nicht wenig anderes Volk die Kinder: die alte Njanja ( Kinderfrau), das Stubenmädchen Anisja und ein Laufmädchen.

Kurz, Alles war so bestellt, wie es in einem Herrschaftshaus sein soll. Die drei Fräulein waren für ihr Alter groß, hatten herrliches, dichtes Haar, das man des Morgens zu einem Zopf flocht und zum Diner frei wallen ließ, und alle drei versprachen, mit der Zeit Schönheiten zu werden.

Die zwei älteren, Lene und Lisa, standen schon sozusagen auf der Schwelle, um bald aus der Kinder­stube in den Salon zu eilen. Die Eine von ihnen war vierzehn, die Andere dreizehn Jahre alt. Beide lauschten mit leidenschaftlichem Interesse jedem Ton, der von den oberen Stockwerken zu ihnen drang, und Beide murrten gewaltig, daß man sie noch kurze Kleider tragen ließ.

Das dritte Fräulein, Wjera, noch ganz klein, ein Mädchen von acht Jahren, mit rundem, rosigem Gesicht und mit jenem seltsamen, beschaulichen Blick, der fast immer in den Augen der Kinder vorkommt, die ihr eigenes findliches Leben haben, murrte bis nun noch gegen nichts. Wie bei allen Kindern, deren Leben regelmäßig verläuft, waren bei ihr die fonservativen Instinkte stark entwickelt; sie war Allem, was sie umgab, unbewußt mit der thierischen An­hänglichkeit eines gepflegten Hausthierchens ergeben, und ihr kam es nie in den Sinn, an dem Verdienst eines ihrer Nächsten zu zweifeln. Ihre Mutter war die beste der Mütter, ihre Kinderstube die beste der Kinderstuben.

Ja, im Hause ging es überhaupt herrlich zu. Ein Jeder kannte seinen Platz und Alle lebten fried­lich und ruhig, wie immer in einer Gesellschaft, wo es zuverlässige Stüßen giebt und nicht jede einzelne

A

Don Th. Dverbeck.

II.

Das Werden im Weltall .

m Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüste und leer und es war finster auf der Tiefe."

Mit diesen einfachen Worten findet sich der Verfasser der Genesis mit der Thatsache ab, daß die Welt nun einmal vorhanden ist.

Allerdings kann man der biblischen Schöpfungs­geschichte poetischen Werth nicht absprechen; der Verfasser des ersten Kapitels, wahrscheinlich ein alter Chaldäer, war für seine Zeit offenbar eine geistig hochstehende Persönlichkeit mit dichterischer Begabung, aber Positives bringt die Genesis nicht.

Die ersten beiden Kapitel sind nun so gut wie sicher zusammengestückelte Werke zweier Autoren, was sich aus Stil und Inhalt nahe zur Evidenz ergiebt, denn nicht allein, daß der Mensch in der Bibel zweimal erschaffen wird, einmal im ersten Kapitel Vers 27 und dann im zweiten Kapitel Vers 7, spricht dafür, sondern auch der stilistische Unter­schied zwischen dem ersten nebst einem Theil des zweiten Kapitels und dem zweiten Kapitel von Vers 4 an, der sogar noch in der Ueberseßung charakteristisch hervortritt.

Das erste Kapitel nebst Vers 1 bis 3 des 2. Kapitels sind dichterisch gehalten und deuten auf ein tieferes Naturempfinden, offenbar bildet dieser furze Theil nur ein Fragment einer größeren Arbeit, deren Fortsetzung verloren gegangen ist.

Mit dem 4. Verse des zweiten Kapitels jedoch beginnt eine völlig neue Schöpfungsgeschichte, die aber im Gegensatz zum ersten Kapitel unzweifelhaft viel nüchterner erscheint und die Erzählungen vom Erdenkloß, der Rippe und der Schlange bringt,

kommen dürften.

Diese Nebularhypothese führt nun den ersten Ursprung des Alls, speziell der einzelnen Stern­systeme, auf zerstreut im Weltall berbreitete glühende Nebelmassen von unendlich hoher Temperatur zurück, welche letteren ihre Entstehung und Zerstreuung wiederum dem Untergange alter erstorbener Welten verdanken, welche vor Aeonen ihren Lebenslauf vollendeten.

Diese zerstreuten Nebelwolken mußten nun, der Attraktion folgend, sich vereinigen, zusammenfallen und größere Bälle bilden, wodurch der Weltenraum auf große Entfernungen sich von gröberen Stoffen befreite. Natürlich bildeten sich bei derartigen Ge­legenheiten viele solcher größeren Stoffballungen, aber stets in solchen Entfernungen voneinander, daß die gegenseitige Anziehung nahezu oder ganz unwirksam ward.

Die sich vereinigenden und fallenden kleineren Nebelbälle nun trafen die anwachsende Hauptmasse, da sie stets durch seitwärts stehende und dem Zen­trum zueilende Massen abgelenkt wurden, fast nie oder nie, genau senkrecht zum Schwerpunkt, sondern mehr oder minder seitwärts( tangentiel); das Resultat mußte also nothgedrungen, nach Beendigung der Ballung, eine Rotation, eine Umdrehung des Balles um seine Achse sein.

Die erste Folge dieser Rotation war eine Ab­plattung der Polar- und eine Anschwellung der Aequatorialregion, und zwar deshalb, weil die Zug= kraft des Schwerpunktes an den Polen durch den Umschwung des Weltkörpers, welcher am Aequator am schnellsten ist, am wenigsten geschwächt ward. Mit fortschreitender Abkühlung dieses Urballes, be­dingt durch Wärmeausstrahlung in den eisigen Welt­raum, verringerte sich natürlich auch der Durch messer desselben, die rotirenden Theile behielten aber ihre ursprüngliche Geschwindigkeit, die Folge war eine Abkürzung der zu durchlaufenden Bahn und