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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
soeben von schwerer Geisteskrankheit Genesenen erfordert liebevolle Nachsicht und Theilnahme. Darum sind gerade für die minderbegüterten Bevölkerungsklassen die Bestrebungen, geheilte Irre in der Begründung ihrer materiellen Existenz zu fördern, von großer Wichtigkeit; aber sie finden bei den Wohlhabenden, da solche Wohlthaten ja im Stillen geübt werden, bitterwenig Anklang und ruhen meist in den Händen geistlicher Kreise, die( wie auch in der Jrrenpflege) die Religion mit dieser völlig weltlichen Sache unangenehm verquicken.
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Läßt sich so die Frage nach der sozialen und materiellen Lage des Ersten" verhältnißmäßig leicht lösen, so stellen sich der Beantwortung der Frage: Was wird aus der Ersten"? weit größere Schwierigkeiten entgegen. Zunächst wird die stets mehr ausgebildete Gefühlsphäre des Weibes von der Erkenntniß, daß die Ehescheidung erfolgt ist, weit tiefer getroffen werden, weil für das Weib in seiner heutigen Stellung in der Ehe nicht nur sein physischer Beruf, sondern auch sein materielles Dasein begründet ist. Der Verlust der Kinder trifft das Weib deshalb viel tiefer, weil es nicht in der Lage ist, sich eine Position zu verschaffen, die auch ihr die Forderung gestattet, die Kinder der früheren Ehe zur Erziehnng zu erhalten. Hat die Frau nicht eigene Familienangehörige oder Freunde, die ihr das Haus öffnen, so ist sie auf die Mildthätigkeit des früheren Gatten
Zu unseren Bildern. Ist das eine Mainummer? Was soll uns die betende Jungfrau? Und was der phantastische Frühlings einzug auf der anderen Seite? Nur gemach, liebwerther Tadler! Die heiße Sehnsucht, die mit dem Nothschrei: Mehr Licht! von den Lippen des verwaisten Mädchens quillt, ist sie Dir so ganz unbefanut? Mehr Licht, um die ganze Schönheit der Welt in sich zu saugen, mehr Luft, um mit vollen Lungen nene Lebenskraft und Lebensfreude einzuathmen, ist das nicht der brünstige Wunsch all der Millionen, die der menschenfuechtende Kapitalismus mit seinen ehernen Fäusten niederzivingt, daß sie Tag für Tag im kalten Dunkel ihres irdischen Gefängnisses Staub schlucken müssen? Ach! So viele Tausende wissen sich noch keinen Rath, wie ihrem Elend ein Ende gemacht werden könnte. In stumpfer Verzweiflung verbringen sie ihre Tage, gleichgültig und verdrossen, weil sie wähnen, daß es immer so bleiben werde, und nur von Zeit zu Zeit, wenn die Wellen des Jammers über ihnen zusammenschlagen, ringt sich ein heiserer Schrei, ein brünstiges Gebet gleich viel an wen sie es richten
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aus ihrem Herzen, und Mehr Licht! stammelt ihr bebender Mund gleich dem betenden Mädchen, in dem uns der Künstler die tiefe Sehnsucht nach Erlösung und die gläubige Zuversicht auf Rettung verkörpert hat.
Und das ersehnte Licht kommt. Was Millionen dumpf ahnten, hofften und glaubten, das haben die großen Denker des wissenschaftlichen Sozialismus zur klaren Erfenntniß umgestaltet. Und siehe da! Die frohe Botschaft von der Erlösung der Arbeit, die sie verkündeten, fliegt tröstend und begeisternd von Mund zu Munde. Und wie Frühlingsbrausen tost es durch alle Lande! Das Volk der Arbeit, das eben noch ein gläubig betendes Kind war, das nicht wußte, woher ihm das Heil komme, ist jetzt zum denkenden Manne gereift und legt, vertrauend allein auf seine eigene Kraft, selber Hand an zum großen Werke der Befreiung. Hört ihr die Botschaft des 1. Mai, die jauchzend durch alle Lande hallt? Ein Frühlingssturm, der das Eis bricht und den Schnee schmilzt, braust sie über die ganze Erde, und der weißbärtige Winter duckt sich entsegt und flieht vor den Söhnen des Lichts zitternd von dannen. Das Menschenpaar aber, das die trübe Winterzeit dumpf brütend in der dunklen Höhle zugebracht, sehnsüchtig des Frühlings harrend, hört das Brausen des Frühlingssturmes und tritt heraus aus seinem Gefängniß und schaut geblendet ins klare Licht der Sonne, und athmet mit vollen Zügen die frische Himmelsluft.
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Nun muß sich Alles, Alles wenden!"
Offiziere in der guten, alten Zeit. Seume berichtet in seinen Apokryphen: In Dresden im„ Engel" war ein Dugend preußischer Offiziere, die eines Abends, wie uns der Marqueur( Kellner) erzählte, ihre Bacchanalien ( Bechgelage) feierten. Sie vergendeten den Champagner und Burgunder zu Dußenden, als ob sie das Land, wo er wächst, schon erobert hätten, oder doch gewiß übermorgen erobern würden, und blieben dann tapfer unter dem Tische liegen. Nur Einige machten noch einen späten martialischen( friegerischen) Ausfall auf ein Haus, wo sie Nymphen( Buhlerinnen) witterten, und setzten die
direkt angewiesen, ja es wird bei der Unkenntniß, in welcher sich die Frau über die erfolgte Scheidung befindet, sich eine Rückkehr in das frühere eheliche Heim nicht vermeiden lassen. Befindet sich nun der Mann in so günstiger äußeren Lage, daß er seiner früheren Gattin ein sorgenloses Dasein bereiten kann, geht seine und seiner zweiten Frau humane Gefin nung so weit, daß sie Jener den zeitweiligen Besuch oder einen irgendwie geregelten Antheil an der Erziehung der aus erster Ehe stammenden Kinder Erziehung der aus erster Ehe stammenden Kinder gestatten, dann gestaltet sich das Leben der geschiedenen Frau wenigstens nicht allzu düster. Wie aber, wenn der Mann nicht eine solche, verhältnißmäßig günstige Situation für die Erste schaffen kann? Die Frau ist alsdann ausgestoßen aus ihrem eigenen Familienkreise, sie steht völlig allein sie entbehrt die Gattenrechte und Pflichten, sie entbehrt die eigenen Kinder, und zu alledem gesellt sich die Sorge um die Eristenz, bald vielleicht die bittere Noth. Wie nahe liegt zur Lösung der Frage der Gedanke, die Frau wieder dauernde Aufnahme finden zu lassen in dem Hause ihres einstigen Ehemannes!
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Den Haupteinwand bildet die Frage, wie die Stellung der beiden Frauen zu einander sich gestalten soll. Darauf ist zu erwidern, daß bei zwei Frauen, die sich in einem so schweren tragischen Konflift befinden, feines seelisches Empfinden über kleinliche Bedenken hinweghelfen muß. Es dürfen außer
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Aus dem Papierkorb der Zeit.
Nachbarschaft in Lärm und prügelten die Nachtwächter. Da ward mir wieder nicht wohl zu Muthe, und etwas mehr von der Folge schwebte mir vor.
Die..... schen Offiziere machen sich sehr breit, das heißt, sie gehen sechs bis sieben Mann breit in den öffentlichen Spaziergängen, so daß sie sie ganz besetzen und es schwer wird, ihnen auszuweichen. Eine Ünschicklichkeit und Unanständigkeit, die ich nie bei den Franzosen oder anderen Fremden gesehen habe. Berührt man von ohngefähr einen der Herren, so blickt und spricht er mit einer unsäglichen altpreußischen Jmpertinenz, als ob er den Blocksberg zusammentreten wollte; und doch ists ein Mann von Halle, Magdeburg oder Prenzlau , der eine andere Kokarde aufgepflanzt hat. Die Gemeinen zerhauen die Pflanzungen um die Stadt herum mit echt bestialischen Zerstörungswuth, und wehe der Polizei, wenn sie es wagt, ihre Lindenalleen zu schüßen.
mer
Wer auf dem Fußsteige reitet, wird die Barrière brechen, die junge Pflanzung niederhanen, die Saat zerstampfen, den Garten berauben, den Hof plündern, den Eigenthümer mißhandeln, die Jungfrauen schänden, den Vater morden, das Land verrathen. Die Steigerung ist ganz natürlich. Wer nur anfängt, Gesetz und Ehre zu verspotten, hat schon den größten Schritt zur legten Niederträchtigkeit gethan. Der erste Keim ist der dumme Rausch: Wir haben das Privilegium. Das erste Privilegium ist die Thür zur letzten Schandthat.
" Ihr müßt euch mit den Bürgern hier nicht gemein machen," sagte ein..... scher Offizier zu seinen Leuten beim Verlesen, müßt euch nicht mit ihnen Du nennen, denn ihr seid mehr wie sie."
Friedrich der Große und die Titelsüchtigen. Ein Thierarzt, welcher gern einen klangvollen Titel haben wollte, wurde von dem oft recht sarkastischen König zum Viehrath ernannt. Ein Herr von Krosigk zu Peplig bei Halle, welcher ein Fräulein von Crone heirathen und ,, ihr konsiderables Vermögen ins Land ziehen" wollte, bat den König, ihm den Kammerherrenschlüssel„ allergnädigst zu akkordiren". Der König entschied durch Rand. bemerkung:„ Er hat keinen Schlüssel nöthig, um eine Heirath zu thun." Die Randentscheidung für das Gesuch eines Grafen von Sandraski, dem König seinen ältesten Sohn zu Füßen legen zu dürfen, auch daß Se. Majestät geruhen möchten, ihn zum Kammerherrn zu ernennen," lautet: Beim Kammernherrn kommt nichts heraus, denn das heißt nur auf gut Deutsch ein Hofschlingel." Der Buchhändler Kanter bat um den Titel Kommerzienrath. Der König entschied:" Buchhändler, das ist ein honneter Titel." Einem Bericht, nach welchem dem Kriegs- und Domänenrath Beyer der Titel eines geheimen Kriegsraths verliehen werden sollte, schrieb der König bei:„ Er hat sich durch nichts bekannt gemacht nichts!" Behufs leichterer Förderung gewisser Bezüge bat ein Herr von Bredow auf Görne bei Fehrbellin um den Kammerherrntitel, worauf der König resolvitte:" Vohr Schreiben ( d. i. Empfehlungsschreiben) will ich ihm geben, aber keinen Schlüssel Kammerherrn seindt Tag Diebe, die habe ich nicht nöthig." Der Oberauditeur Goldbeck zu Berlin fühlte sich bei einem Avancement übergangen und verwies auf seine zwanzigjährige Dienstzeit; ihm that der König durch
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ordentliche Rücksichten und Einflüsterungen solchen Frauen und vor Allem auch einem in solcher Situation befindlichen Mann nicht höher stehen, als ihre von wechselseitiger Toleranz abhängige Menschenwürde und soziale Stellung. Es kann ja natürlich nach Lage unserer Gesetzgebung von Rechten und Pflichten der ersten Frau in der Ehe keine Rede mehr sein, und darum soll hier auch nicht rechtliche Bigamie" vertheidigt werden, sondern nur vom Standpunkt echter, wahrer Humanität aus soll gefordert werden, daß in einem so großen Ausnahmefalle auch ein ganz besonderes Ausnahmegesetz Plaz greife.
Daß der Volksinstinkt für die seltenen Fälle, in denen ein Ehegatte Verpflichtungen zwei Anderen gegenüber hat, die Ausnahme der Doppelehe als zulässig hält, beweist die Sage vom Grafen von Gleichen ( und ihr Glück und ihre Liebe faßte selig eine Wohung, ein Bett und ein Grab). Daß Goethe keinen anderen Ausweg annahm, beweist die erste Fassung seiner ursprünglich als„ Drama für Liebende" bezeichneten Stella , nach welcher Fernando Gatte beider Frauen bleiben soll. Erst später hat Goethe, die Monogamie als Grundlage der herrschenden Sitte ansehend, den Schluß dahin geändert, daß Fernando sich erschießt, Stella sich vergiftet. Also unser größter deutscher Dichter fand keine andere Lösung für der= artige Ausnahmefälle, als Bigamie oder Selbstmord einer der betheiligten Personen.
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Randnote zu wissen:„ Ich habe einen Haufen alte Maulesel im Stall. Die Länge der Dienste machen aber nicht, daß sie Stallmeister werden." Einem Bereiter Molny, der zum Stallmeister aufrücken wollte, that der König fund: ,, Er hat brav bei seiner Einkauf gestohlen, er Sol zufrieden sein, das ich dazu Stille schweige aber ihm davor So närrisch bin ich nicht." zum Stallmeister machen Oberst von Forcade bat um den Adel für einen weitläufigen Verwandten, einen Geistlichen; der König entschied:„ Das geht nicht an, ich nobilitire, wenn einer sich durch den Degen Meriten( Verdienste) erwirbt, aber W. ist ein betriegerischer und intriganter Pfaffe, weiter nichts." Einem unermüdlichen Bettler um den Geheimrathstitel antwortete der König:" Nun ja, er soll ihn haben, aber Es ist es bleibt auch geheim zwischen ihn und mir." kein Wunder, wenn bei der erbärmlichen Knechtsseligkeit ihrer Lakaien die Großen der Erde Menschenverächter werden.
Schnikel.
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Sobald ich das Wort Gnade höre, fahre ich sogleich zurück, denn da hat die Vernunft ein Ende, und es hat nur unter Verbrechern und Dummköpfen Sinn.
Entsagen.
Entsagen, Dulden Tugend wird genannt, Durch solches Lob sucht Schwäche sich zu lohnen. Der echte Mann strebt nicht nach Märtyrkronen, Für ihn ist Tugend Kampf und Widerstand. L. Weiffer.
Die wahre Ehre. Das ist mir die wahre Ehre auf des Lebens wirrer Bahn,
Die der Mann sich selber geben und auch selber nehmen kann.
J. Vogel von Glarus. Weisheit des Morgenlandes: Menschenthat ist wie ein Traum, Wie eine Palme am Wüstensaum; Fäulniß wird an die Wurzel greifen, Ehe am Stamm die Datteln reifen. Weisheit des Abendlandes: Vertrau der Erde deine Saat Nur ohne langes Säumen; Im Kern der Welt, da steckt die That, Verslucht ist alles Träumen.
Kory Towska. Nur vorwärts frisch und frei den Blick, Darfst ihn nicht trübe ſenten: Dir ward beschieden Dein Geschick, Doch selber fannst Du's lenken.
W. Hasenclever.