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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Augen und fünf gesunde Sinne, aber was sie mit Hülfe dieser einfachen Mittel bereits entdeckt und vor­geahnt haben, verdient unsere höchste Bewunderung.

Es dürfte von allgemeinem Interesse sein, ein­mal die wesentlichsten dieser Ergebnisse näher zu betrachten. Wir begegnen ihnen schon frühzeitig, in Perioden, welche weit vor der historischen Zeit liegen. Aus dem grauen Nebel einer versunkenen, wohl 5000 Jahre zurückliegenden Kultur taucht majestätisch das größte und höchste Bauwerk der ganzen Welt vor uns auf: die Cheopspyramide. Ihre Höhe be­trug 146, ihre Breite an der Basis 233 Meter.. Auf gewaltigem Felsengrunde ruhend, erheben sich die 203 Steinschichten des Riesenbaues, welche zu­sammen über 2300 000 Steine von je 40 Kubik­fuß Inhalt in sich schließen und aus denen man eine Mauer, 24 Fuß hoch und 6 Fuß stark, von 90 deutschen Meilen Länge herzustellen vermöchte. Die ine, deren jeder einzelne 3000 Pfund und mancher fast das Doppelte wiegt, mußten aus den entfernten Steinbrüchen von Thorra hergeschafft und zum größten Theil in die Höhe gewunden werden, die oberen bis 400 Fuß. 100 000 Menschen ar= beiteten zwanzig Jahre lang an diesem Werke. Doch was uns hier vor Allem interessirt: die Kanten der ungeheuren Pyramide, deren Festigkeit dem Sturme von 5000 Jahren getrost hat, sind genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet! Der Unkundige wird meinen, dabei sei weiter nicht viel, deshalb sei daran erinnert, daß es selbst heute nicht leicht ist, einem Bauwerke eine solche Stellung zu geben. Wir müssen deshalb voraussetzen, daß die Egypter damals bereits gut unterrichtete Astronomen gehabt haben.

Solche

Ebenso die Chinesen, die bereits von der Ne­gierung zu dem ausgesprochenen Zwecke angestellte Gelehrte besaßen, die Sonnen- und Mondfinsternisse vorher zu verkündigen. Außerdem hatten diese kaiser= lich- chinesischen Hof- und Staatsastronomen, von denen uns die Geschichte nicht meldet, ob sie eben­falls zu Geheimräthen und Hofräthen ernannt wurden, über alle außergewöhnlichen atmosphärischen und astronomischen Ereignisse, Kometenbesuche, Wolken­brüche, Gewitter, Sternschnuppenfälle und ähnliche Erscheinungen, sorgfältig Buch zu führen. Solche Register find noch heute erhalten. Ob sie dafür gute Gehälter bezogen, ist nicht bekannt, dagegen - scheint ihre Austellung andererseits ihre sehr un­gemüthlichen Seiten gehabt zu haben. Wie nämlich berichtet wird, büßten zwei Hofastronomen, Hi und Ho, weil sie infolge der Theilnahme an einem fröhlichen Zechgelage es unterlassen hatten, cine gerade stattfindende Mondfinsterniß gehörig zu ver­melden, ihre Unterlassungssünde mit dem Tode. So waren denn vor mehreren tausend Jahren die For­scher bereits im Stande, Sonnen- und Mondverfinste­rungen zu berechnen, und in späteren Perioden thaten sich sogar Frauen in dieser Art Weissagung hervor. Den thessalischen Heren schrieb man die Fähigkeit zu, den Mond vom Himmel herunter zubeschwören, ein Glaube, dem eine von einzelnen flugen Weibern in Szene gesetzte Komödie zu Grunde liegt. Sie wußten, wie Plutarch   erzählt, wann die Verfinsterung des Mondes eintreten mußte, und täuschten ihre abergläubischen Mitbürger mit der Vorspiegelung, sie würden zu einer bestimmten Zeit den Mond vom Himmel wegheren.

Die Kunst, oder sagen wir besser die Wissen schaft der Verkündigung von Sonnen- und Mond­finsternissen, stammt vermuthlich aus Chaldäa, wo man bercits in alter Zeit den Zyklus von 1805 Jahren, nach welchem die Mondfinsternisse in der früheren Ordnung wiederkehren, gekannt zu haben scheint. Sicher erscheint, daß man die Periode von 6585 Tagen ( 18 Julianischen Jahren und 11 Tagen) kannte, nach deren Ablauf die Finsternisse von Sonne und Mond fast genau in derselben Ordnung wieder­fehren, und diese zur Bestimmung derselben benutte. Oppert entdeckte in einer Keilschrift einen Vorher fager einer Mondfinsterniß aus dem Jahre 523 v. Chr. Die Chaldäer erblickten auch im Monde bereits den der Erde nächsten Stern; sie wußten, daß die Conne ihn mit Licht versehe und daß der Erdschatten seine Finsternisse verursache. Auf der Insel Kos   hatte

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ein Priester aus Chaldäa, Berosos, zu Lebzeiten des für seine Kriegsgrenelthaten mit dem Beinamen der Große" ausgezeichneten Macedonierkönigs Alle ander eine Schule gegründet, in welcher er astronomischen Unterricht, vor Allem auch in der Kunst der Finsternißprophezeiung ertheilte.

Die alten Babylonier kannten aller Wahrschein lichkeit nach unseren zwölftheiligen Thierfreis; auch die fünf Planeten: Merkur, Venus  , Mars  , Jupiter  und Saturn waren bereits den Gelehrten einer ge­schichtlich nicht mehr erreich- und nachweisbaren Zeit vertraut. Besonders zu beachten ist hierbei die Kennt niß des fast ganz in den Sonnenstrahlen verschwin­denden winzigen Planeten Merkur, den sogar von un Lebenden( die Astronomen natürlich aus­genommen) die Wenigsten je zu Gesicht bekommen. Selbst die erst von Galilei  , dem großen Italiener, mittelst des Fernrohrs entdeckten winzigen vier Jupiter  monde dürften die Babylonier mit bloßen Augen aufgefunden haben, denn der Gott des Jupiterſterns ist in ihrer Mythologie von vier Hunden begleitet gedacht, was doch, wenn es nicht auf diese Weise zu gedacht, was doch, wenn es nicht auf diese Weise zu erflären ist, ein mindestens wunderbares Zusammen treffen genannt werden müßte.

Man darf wohl annehmen, daß gerade die für die Völker beunruhigenden Erscheinungen der Mond­oder Sonnen- Verfinsterung die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf die Naturbetrachtung geleukt haben. Allmälig entwickelte sich durch fortgesetzte Beob achtung eine größere Bertrautheit mit den Himmels­erscheinungen, sodaß bereits zum Theil nicht un­wichtige Hypothesen über Ereignisse und Phänomene aufgestellt wurden, deren genaue Erklärung erst viele hunderte oder gar ein paar tausend Jahre später mit Hülfe großartiger Juſtrumente gelang.

So lehrte bereits Pythagoras   die Kugelgestalt der Erde, Thales von Milet  , ein Zeitgenosse des weisen Solon  , soll die Natur des Magnets erkannt und eine Sonnenfinsterniß vorausgesagt haben. Aristarch von Samos stellte bereits um 270 v. Chr. die Theorie eines Weltsystems auf, in welchem die Erde bewegt und der Firsternhimmel ruhend gedacht war. Ferner suchte er bereits die Entfernung des Mondes und der Sonne von der Erde zu ermitteln und kam zu dem treffenden Schlusse, die Firsterne müßten unendlich weiter als die Sonne von der Erde entfernt sein. Heraklit der Dunkle von Ephe­ sus  ( gestorben um 480 v. Chr.), dessen Philosophie Lassalle   in seinem Werke: Die Philosophie Heraf leitos des Dunklen von Ephesus" behandelt, hat bereits eine Ahnung der fortlaufenden Entwickelung der Dinge. Alles fließt", spricht er sich aus, alles ist in ewigem Flusse der Veränderung, in den das selbe Wesen nie wieder hineinsteigt." Anarimander von Milet   entwarf bereits eine Land- und Himmels­karte, führte die Sonnenuhr von den Babyloniern ein und nahm einen Urstoff an, in dem alle Einzel­dinge unvermischt durcheinander ruhen. Dieser Ge­lehrte warf sogar schon die interessante Frage nach lehrte warf sogar schon die interessante Frage nach der Art der Entstehung von Lebewesen auf, welche der Art der Entstehung von Lebewesen auf, welche er( nach Kirchner, Philosophie) wie folgt beant wortete: Aus der Mischung des Warm- Trockenen und Feucht- Kalten haben sich in sumpfigen Orten durch der Sonne   Einfluß die Thiere gebildet, die sich mit der Erde zugleich höher entwickelten; selbst der Mensch habe durch Fisch- und Landthiergestalt hindurchgehen müssen. Aber die Bewegung des Stoffs ist ewig, immer neue Vermischung und Entmischung findet statt, so daß sich wohl die Einzeldinge ändern, aber nicht das Ganze." Anaragoras( gestorben um 425 v. Chr.) erklärte, daß die Sonne kein Gott, sondern eine glühende Mineralmasse( ein glühender Stein) sei, ja Demokritos  , der lachende Philo­soph" geboren um 460 v. Chr. in den berüchtigten Abdera), erblickte bereits in der Milchstraße   eine Auhäufung von Sternen. Derselbe Philosoph stellte Grundsäge auf, welche dem Materialismus nake kommen und noch heute frappirend wirken: Aus nichts wird nichts; nichts, was ist, kann vernichtet werden. Veränderung bedeutet nur Verbindung oder Trennung von Theilen. Nichts geschicht zufällig, alles aus Grund und Nothwendigkeit. Das einzig wirklich Eristirende sind die Atome und der leere Raum, alles Andere ist Vorstellung; die Atome sind

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unendlich an Zahl und Formverschiedenheit; sie fallen beständig durch den Raum, prallen gegeneinander und erzeugen Wirbel, aus denen Welten entstehen; zahllos sind diese Welten, die bald sich bilden, bald wieder zerfallen."

Plutarch   erzählt schon von dem Schatten der Mondberge, arabische Gelehrte entdeckten den größten kosmischen Nebelfleck, die Magelhanische Wolfe, während der Grieche Strabo   die prophetische Muth­maßung fundgiebt, daß sich zwischen Spanien   und Judien noch bewohnbare Erdtheile befänden, und der Chor in einem römischen Drama die Erforschung der Erde und das Herannahen eines Zeitpunktes weis­sagt, wo Thule( wahrscheinlich das heutige Island  ) nicht mehr das äußerste der Länder sein wird.

Diese Beispiele, die ich noch vermehren könnte, werden genügen, meine anfangs ausgesprochene An­schauung zu belegen. Fast unglaublich erscheint es uns, wie die Alten zu einem so staunenswerthen Wissen ohne alle mechanischen und physikalischen Hülfsmittel gelangen, wie sie mit ihrer prämitiven Technik jene gigantischen Kolosse errichten und mit der eng begrenzten Sehkraft der Augen weit in die unermeßlichen Tiefen des Himmels dringen konnten. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß wir das Wissen des Alterthums in seinem vollen Umfange möglicher­weise nicht einmal zu würdigen vermögen, insofern als wir von mancher Errungenschaft seiner Gelehrten gar keine Ahnung haben, ja vielleicht, wie dies bei der Galvanoplastik der Fall war, selbst noch nicht einmal im Besiz derselben sind. Man fand näm lich in Egypten unter den hinterlassenen Schätzen einer längst versunkenen Kulturepoche hölzerne Lanzen­spizen und hölzerne Klingen von Schwertern, die durch einen starken Kupferüberzug vor Verweſung geschüßt waren. Die Möglichkeit der Herstellung dieses Ueberzugs vermochten sich die Techniker nicht zu erklären; erst als man die Kunst der Galvano­plastik entdeckte, begriff man das Geheimniß der Methode und erkannte nun, daß die alten egyptischen Weisen bereits im Besize derselben gewesen sein müssen. Auch andere Erscheinungen im alten Wunder­laude des Nils deuten auf Kenntniß und Anwen­dung der Elektrizität hin. Wahrlich, das sind Schäße, welche sie der bewundernden Nachwelt hinterließen, Schäße, fruchttragend in ihrer Wirkung auf Jahr­tausende hinaus, gewaltige Ecksteine im Riesenbau der menschlichen Entwickelung. Welchen Nußen haben dagegen die blutigen Greuelthaten eines Alerander und Cyrus hinterlassen? Diese beschränkten Cr­oberer haben ihre Völker elend gemacht und sich selbst das Brandmal des Verbrechens auf die Stirn gedrückt. So wird wenigstens eine Zeit urtheilen, welche die Geschichte der Vergangenheit im Lichte der Humanität und Vernunft liest und sich nicht bethören läßt von den Dünsten falschen Weihrauchs und der Erbärmlichkeit eines Nuhmes, der auf Menschen­elend gegründet ist. Wie ruft doch J. von Müller treffend aus: Scepter brechen, Waffen rosten, der Arm des Helden verwest, was in den Geist ge= legt ist, ist ewig!"

Drei Kraftproben.

Eine kulturhistorische Skizze aus dem Leben Jwans des Schrecklichen.

Mit Benutzung authentischer Mittheilungen Th. v. Lengenfelde. Von Josef Maertl.

( Schluß.)

er Zar sprach: Fürst Boris Tulupoff! Du haft Gott Deinen Herrn vergessen und, unsere große Dir und Deinem Geschlechte erwiesene Gnade mißachtend, aus, unserem Reiche zu unserem Feinde Sigismund August flüchten wollen. Deine Mutter hat Deinen Fluchtversuch unterstützt. Gott  hat uns aber Deinen Verrath geoffenbart; Du bist auf dem Wege nach Polen   zusammen mit Deiner Mutter ergriffen worden und hast deshalb eine grau­same Strafe erwirft. Spießt ihn auf den Pfahl!"

3ar Gosudar!" crwiderte der Verurtheilte ruhig. ich bin fein Verräther an Dir, sondern wollte nur Dein Reich aus großer Bekümmerniß verlassen, weil