160
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
filden der Ethik hervorrufen. Der Appetit reizt Der Appetit reizt die Menschen zur Uebersättigung. Wenn erst meine Pillen eingeführt sein werden, wird sie der Verstand leiten, und ob sie satt sind, werden sie nicht nach ihrem Gefühl, sondern nach den Zahlen des Formu lars der Pillen beurtheilen. Darum wird es keine Uebersättigung mit all den unangenehmen Folgen mehr geben. Glauben Sie mir, mein Herr, zwei Drittel der menschlichen Gebrechen kommen von Ueberfüllung des Magens her. Meine Pillen werden Revolution in der praktischen Medizin her vorrufen."
" Aber wie," fragte ich, wollen Sie den Leuten genügende Garantie für die Reinheit der Ingredienzien geben?"
Der Staat, mein Herr, der Staat. Der Staat muß die Angelegenheit in die Hand nehmen und Pillen fabriziren, wie er jetzt Geld prägt. Fälschungen müssen streng bestraft werden. Jede Pille wird geprägt und ,, E Pluribus Unum" gestempelt sein. Ist das nicht ein vorzüglich passendes Motto für meine Pillen, Herr?
,, Sie werden auch die Arbeiterfrage lösen. " Ich habe eine Pille für Arbeitsleute. Sie ist billig. Niemand wird mehr nach Brot schreien. Wenn mein System schon in Anwendung gewesen wäre, würde eine Wagenladung staatlich garantirter Arbeiterpillen X 60 das ganze Elend in den Hungerdistrikten Rußlands auf einmal beseitigt haben.
,, Denken Sie an die Vortheile meiner Pillen auf langen Reisen. Sie werden die Entdeckungsreisen revolutioniren. Mit einer Tasche voll Peckinpaws Billen wird der Entdecker noch die Sterne und Streifen an den Nordpol nageln. Bei langen Seereisen
* Amerikanisches Sternenbanner.
und weiten Expeditionen sehen Sie ja den Werth theilen, werden Sie einfach für verrückt gehalten. meiner Idee sofort.
" Denken Sie, was für ein Segen für Hausfrauen! Die Dienstbotenfrage ist gelöst wie der gordische Knoten. Peckinpaw ist größer als Alerander.
„ Wenn meine Erfindung erst allgemein geworden sein wird, wie es ja kommen muß, wird sich sogar die Menschheit ändern. Die Zähne sind die Neste der Bestie. Nach jahrelangem Nichtgebrauch werden sie verschwinden. Da nur absolute Nahrung genommen wird, so hört der menschliche Körper auf, unrein zu sein. Die Menschheit wird eines Tages, mein Herr"- und hier stand Herr Peckinpaw auf und streckte seinen rechten Arm in rednerischer Geſte aus ,, die Menschheit wird eines Tages die Erbschaft der Bestie von sich streifen. Veckinpaws Pillen werden ihm helfen, den letzten Schritt auf der Leiter der Vollkommenheit zu machen. Das Sinnliche, das Körperliche, das Thierische wird vergessen sein. Wir werden in dem ewigen Glanze der wissenschaftlichen und geistigen Vergnügungen leben. Ich will nicht profan sein, mein Herr, aber ich muß Sie fragen, ist das, was ich sagte, nicht einleuch tend? Ist es zu viel gesagt, wenn man die Misere der Welt ansieht, die Krankheiten, die durch schlechte Nahrung verursacht werden, die Hungersnöthe, die durch Mangel an Nahrung entstehen, und die Unordnung vom Zu- viel- essen, und dann auf der anderen Seite die gemäßigte, dankbare Welt, die Peckinpaws Pillen zu sich nimmt, daß die ganze Menschheit bis heut in Schmerzen und Mühsal geseufzt hat?
"
Aber ich bin kein Enthusiast," und damit ließ sich Herr Peckinpaw nieder. ,, Diese erhabenen Gedanken sind wohl verständlich für Sie als einen Geistlichen, aber wenn Sie dieselben dem Volke mit
Darum habe ich meine Idee der Zeit angepaẞt. Ich bin ein Mann, der sich zu schicken weiß, Herr, eine Seltenheit für einen Erfinder. Zum Beispiel: Hier ist eine fin de siecle Bille X 14', die ist für das lustige, gesellige Blut. Sie enthält die Essenz von einem Korbe voll Champagner und zweiunddreißig Zigarretten.
" Sie sehen, auch das, was so zu sagen Mode ist, kann für viel weniger Ausgaben zu haben sein, als durch die fostspieligen Salonbesuche. Dadurch, sehen Sie, revolutionire ich augenblicklich die Salonfrage."
Hier wurden wir durch Klopfen an der Thür unterbrochen.
,, Ach, ich möchte Sie bitten," jammerte Herr Peckinpaw in Verwirrung, indem er hastig Pillen und Formulare in seine Tasche packte, lassen Sie Niemand für einen Augenblick herein."
"
„ Sicherlich nicht; wer es auch sein mag, wegen eines so außergewöhnlichen Mannes wie Sie, Herr Peckinpaw, fann Jeder warten."
" Danke Ihnen, mein Herr, danke! Aber verzeihen Sie, können Sie mir einen Dollar auf einige Stunden leihen? Ich erwarte jeden Augenblick eine Geldsendung von einem Kapitalisten, der sich für meine Idee interessirt, um zwei Uhr Nachmittags werde ich wiederkommen und Ihnen das Geld zurückg ben." Mit Vergnügen!" erwiderte ich.
Er nahm Abschied und den Dollar.
Ich schreibe dieses einige Tage später in der Hoffnung, falls es Herr Peckinpaw zu sehen be= kommt, er erinnert werden möchte, wie sehr er von seiner wunderbaren Idee eingenommen war, daß er darüber vergaß, mir meinen Dollar wieder zu geben.
16 Hus dem Papierkorb der Beit.
Der Mutter Todtenwacht.( Zu unserem Bilde.) Eine graufige Stätte, ein Ort der Qualen und des Todes ist es, zu dem uns der Maler unseres heutigen Bildes führt. Kreuz an Kreuz, Marterpfahl neben Marterpfahl sehen wir errichtet, und daran angeheftet die unglücklichen Opfer grausamer menschlicher nein, unmensch licher Rache.
-
Freilich, es sind vergangene, längst vergangene Zeiten, denen der Künstler seinen Stoff entlehnte, und die Staaten, die wir heute ost nur zu Unrecht Kulturstaaten zu nennen pflegen, sie kennen die grausame Marter des Kreuzestodes nicht. Nur hüte man sich ja, zu glauben, daß unsere Gegenwart darum schon himmelhoch über der Barbarei entschwundener Epochen, des finsteren" Mittelalters etwa oder noch früherer Perioden, erhaben sei. Wer auch nur einen flüchtigen Blick in die blutige Chronik moderner Kolonialgeschichte, der sogenannten Kulturarbeit zivilisirter Völker in Ländern der heißen Zone gethan hat, wird sich kaum zum Lober seiner eigenen Zeit berufen fühlen. Und nicht einmal in die Ferne braucht der Blick zu schweifen. Nein, inmitten der zivilisirten Welt, des zivilisirten Enropas selbst, bieten sich unserem Auge und das am Ausgange des 19. Jahrhunderts Greuelszenen dar, die die Kreuzesqualen unseres Bildes noch in den Schatten stellen. Oder in was unterscheiden sich von diesen die Folterwerke, wie sie die Schergen des christlichen Spanien vor den Augen des gesammten Europa in unseren Tagen erst vollbrachten!?
-
Doch kehren wir zu unserem Bild zurück; denn die Darstellung nur dessen, was die Bestie im Menschen vermag und vermochte, war sicherlich nicht das Motiv, der Beweggrund unseres Künstlers. Das ist vielmehr, den namenlosen, starren Schmerz der Mutterliebe zur Anschauung zu bringen, wie sie die weibliche Figur der Mittelgruppe uns verkörpert.
Das Weib, das wir dort verzweifelt über der Leiche ihres Sohnes hocken sehen, angstvoll bemüht, das schwärz liche Gesindel hungriger Aasvögel zu verscheuchen, das ist der eigentliche Inhalt des graujigen Bildes, das die Hand des Künstlers vor uns entrollt hat. Und wen sollte dieser Anblick nicht aufs Tiefste packen und erschüttern! Schön, schön nicht nur im althergebrachten Sinne, ist dieses Werk gewiß nicht, allein, daß es eine grandiöse Schöpfung fünstlerischer Phantasie ist, das, glauben wir, wird feiner unserer Leser zu bestreiten wagen.
Aristides von Athen erhielt von seinen Mitbürgern den Beinamen der Gerechte." Und nicht mit Unrecht. Denn unter allen Tugenden, die er besaß, machte sich seine Gerechtigkeit bei der Masse der Bevölkerung am meisten bemerklich, weil ihre Früchte am dauerndsten und allgemeinsten sind. So konnte ein armer und bürgerlicher Mann sich einen Beinamen erwerben, den kein
"
König und selbst kein Gott glänzender zu haben vermöchte: Der Gerechte!" Es ist dies ein Beiname, welchen von allen Fürsten und Machthabern kein Einziger begehrte, während sie sich dagegen ,, Eroberer" und„ Sieger" recht gerne nennen ließen, indem sie den Ruhm der Gewalt und Macht ganz augenscheinlich dem Ruhme der sittlichen Größe vorzogen. In der That ein großer Unverstand! Denn ein Leben in Macht, in hohem Glück und Herrschaft wird nur durch die Gerechtigkeit zu einem göttlichen Leben, während es durch Ungerechtigkeit zu einem thierischen herabſinkt!
Aber nicht nur dem Gefühle des Wohlwollens und der Gunst, sondern auch der Leidenschaft und der Feindschaft vermochte Aristides, wo es ein Recht galt, aufs Kräftigste zu widerstehen. Man erzählt sich z. B. Folgendes: Als er einmal einen Feind gerichtlich verfolgte und nach der Anklage die Richter den gefährdeten Theil garnicht hören wollten, sondern augenblicklich die Abstimmung gegen ihn verlangten, sprang Aristides auf, vereinigte seine Bitten mit denen des Angeklagten und rief:„ Man solle denselben doch anhören und ihm zulassen, was ihm gefeßlich gehöre!"
Ein anderes Mal hatte er zwischen zwei gewöhnlichen Bürgern zu entscheiden. Der Eine gab an, wie sein Gegner den Aristides schon so vielfach geärgert habe; aber Aristides sagte ihm: Guter Freund, gieb mir lieber an, was er etwa Dir Böses gethan hat; denn ich bin heute der Richter für Dich und nicht für mich!"
Bewunderungswürdig erscheint auch an Aristides die Festigkeit, womit er sich bei allen Wechseln seiner politischen Stellung gleichblieb. Keine Auszeichnung konnte ihn hochmüthig machen, wie andererseits fein unglücklicher Tag seine innere Ruhe und seine Freundlichkeit zu stören vermochte. In allen Lagen dies war seine Ueberzeugung müsse er den Volke seine Dienste widmen, ohne irgend weder an Geld noch an Ehre einen Dank oder Lohn für seine Thätigkeit zu erwarten. Daher kam ohne Zweifel jener Vorfall im Theater, als die bekannten Verse des Aeschylus gesprochen wurden:
-
-
ist gerecht; ,, Er will gerecht nicht scheinen, aber Gar tiefe Furchen durch die Stirne zieht er hin, Daraus so mancher edle Rath erwachsen ist!"
Bei diesen Worten blickte Jedermann auf Aristides, überzeugt, daß ihm diese Eigenschaften im höchsten Maße zukamen.
Aristides , welcher das Amt des Oberschazmeisters von Athen bekleidete und später die Würde des ersten Archonten erhielt, hatte nun das Schicksal, daß ihm sein Beiname, nach der anfänglichen Liebe, späterhin nur Haß eintrug. Er wurde in Folge dessen durch ein Scherbengericht aus seiner Vaterstadt verbannt.
Eine Verurtheilung durch das Scherbengericht war allerdings keineswegs eine Strafe für irgend welche un
1
sittliche Handlungen, sondern nur eine Demüthigung und Schmälerung allzudrückender Gewalt. Die Einrichtung dabei war im Allgemeinen etwa folgende: Die Leute kamen von allen Seiten in die Stadt zusammen. Jeder brachte eine kleine Tafel, schrieb denjenigen Bürger darauf, dessen Entfernung aus der Stadt er wünschte, und übergab sodann die Tafel an einem bestimmten Ort auf dem Markte, der ringsum mit hölzernen festen Schranken eingeschlossen war.
Die Archonten zählten darauf zuerst die ganze Summe der Stimmitafeln zusammen; denn wenn die Anzahl der Abstimmenden unter sechs Tausend betrug, so hatte das Urtheil keine Folgen.
Hierauf legten sie jeden Namen besonders; wer von den Meisten aufgeschrieben war, wurde durch öffentlichen Ausruf auf zehn Jahre verwiesen, doch unbeschadet der Nuznießung von seinem Vermögen. Als nun in vorliegendem Falle die Stimmen gleichfalls geschrieben wurden, soll ein Mensch, der eben auch nicht schreiben konnte und überhaupt ein roher Baner war, dem Aristides, als dem nächsten Besten, seine Tafel hingegeben und ihn gebeten haben:„ er möchte„ Aristides" darauf schreiben!" Dieser wunderte sich und fragte:„ ob ihm denn Aristides etwas Böses gethan habe?"„ Nein ( war die Antwort); ich kenne den Mann garnicht; aber es ärgert mich, daß man ihn überall den Gerechten heißt!" Wie Aristides das hörte, sagte er feine Silbe weiter, schrieb den Namen auf die Tafel und gabs ihm.
Bei seinem nunmehr folgenden Abschied aus der Stadt hob er die Hände gen Himmel und rief aus: Es möge niemals eine Zeit über Athen kommen, welche das Volk nöthige, wieder an Aristides zu denken!"
"
Als im dritten Jahre darauf der Bersertönig Xerxes mit einem ungeheuren Heere durch Thessalien gegen Attika und Athen heranrückte, hob man das Urtheil auf und ertheilte dem Verbannten die Erlaubniß zur Rückkehr. Plutarch .
Räthsel- Ecke.
Siterarisches Silben- Räthsel.
Aus folgenden 22 Silben: de, e, gie, go, gramm, heim, hu, lo, mos, nes, o, or, pi, ra, ri, ro, sen, the, tell, tho, to, um, sind sieben Wörter zu bilden, deren Anfangs- und Endbuchstaben, von oben nach unten gelesen, den Namen eines bekannten Gelehrten der Gegen wart nennen; die Wörter bezeichnen: 1. Lessingsche Bühnenfigur. 2. Französischen Schriftsteller. 3. Scherz gedicht. 4. Religiöses Gesangsstück. 5. Berühmten Redner. 6. Fremdwort für„ Richtigsprechen". 7. Lustspieldichter. Nachdruck des Inhalts verboten!
Verantwortl. Redakteur: Edgar Steiger , Leipzig.- Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg .
Druck: Way Bading, berun,