Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

cher freigelassen, bis er einen Refruten für sich gestellt, dessen Anwerbung tausend Thaler fostete. Nicht die Jugend einmal war den Werbern heilig. Die Schulfuaben erhielten Militärpässe und rothe Halsbinden, um sie damit als für das Heer ge­worben zu bezeichnen. Die Kommandeure schenkten den Neugeborenen, die sich durch Kraft und Größe auszeichneten, die rothe Halsbinde als Pathengeschenk und bestimmten sie so von vornherein zu Soldaten.

Das halbe Volk gerieth in die bunte Jacke. Die Handwerker fanden keine Gesellen mehr, das ganze Gewerbe ging zurück, verschlungen von dem Unge­heuer Militarismus". Für das Leibregiment des Königs, welches in Potsdam stand, mußten die Werber die längsten Riesen aus aller Herren Länder zusammen trommeln. Einer der Größten war der Norweger Jonas. Je länger der Riese, desto höher war seine Löhnung. Die Flügelleute bekamen sechzehn bis zwanzig Thaler monatlich.

Jm lebrigen waren die Riesen sehr theuer, ein Kerl von fünf Fuß zehn Zoll kostete siebenhundert Thaler, einer von sechs Fuß tausend Thaler, die größeren noch mehr. Für den Rekruten Joseph Große zahlte der König 7233 Thaler 8 Groschen; die genauen Rechnungen darüber sind noch vorhanden.

Die Kniffe, welche die Werber zur Heranschaffung ,, langer Kerle" im Auslande anwandten, spotteten jeder Beschreibung und erregten bald den Unwillen der anderen Fürsten . Der Kurfürst von Bayern ließ die preußischen Werber schließlich hängen, wo er sie antraf, der Landgraf von Hessen und andere Herrscher folgten seinem Beispiel, sehr zum Zorne Friedrich Wilhelms.

Nebenbei wußten sich die auswärtigen Höfe die verrückte Liebhaberei des Königs auch zu Nuze zu machen. Als man merkte, daß man für einen großen Soldaten in der Politik Alles von ihm er­reichen konnte, trafen von allen Seiten Refruten­geschenke ein. Mit Katharina I. von Rußland tauschte der König fortwährend Unterthanen aus. Die Kaiserin schickte Riesen nach Preußen, der König sandte geschickte Arbeiter nach Rußland ; wer gutwillig nicht gehen wollte, wurde mit Gewalt erpedirt. Der Menschenhandel blühte in entsetzlichster Weise.

Hätte Friedrich Wilhelm indessen am liebsten das ganze Volf in die Uniform gesteckt, so zog er seine Soldaten auch andererseits allen übrigen Menschen vor; die Welt fing bei ihm überhaupt erst mit dem Soldaten an. Die wahnsinnige Ueberhebung, der maßlose Eigendünfel, mit dem die preußische Solda­teska noch immer auf die bürgerliche Kanaille" herabgesehen hat, unter Friedrich Wilhelm I. wurden sie geboren. Er ist der Vater der Brüsewißerei, der Vater des Herz und Geist ertödtenden Kasernen drills, der jede freiere Entfaltung des preußischen Volfes auf lange, lange Zeit unterdrückt und ver= hindert hat. Seine Offiziere durften die Bürger brutalisiren und mißhandeln, wie es ihnen gefiel; seinen Riesen, den lieben, blauen Kindern", war Alles erlaubt. Wer bei den Richtern kein Recht mehr fand, der ließ dem König durch einen der langen Kerle eine Bittschrift überreichen, und ihre Erfüllung war gewiß.

Trotzdem war der Dienst unter dem Soldaten­fönig nicht leicht. Von Morgens früh ein Uhr bis in die sinkende Nacht hinein mußten die Soldaten üben und ererziren; fast jede Parade forderte einige Menschenleben. Bei dem geringsten Vergehen gab es Stockprügel, jedes lose Wort wurde mit Spieß ruthenlaufen bestraft. Die Soldatenselbstmorde häuften sich, der Deserteure wurden immer mehr. Hatte man einen der unglücklichen Flüchtlinge wieder ergriffen, so wurde er einfach gehängt oder der Scharfrichter schnitt ihm Nase und Ohren ab.

Obgleich selbstherrlich durch und durch und keinen anderen Willen neben sich duldend, war Friedrich Wilhelm dennoch ein Spielball in den Händen seiner Günftlinge. Wer seinen Eigenheiten zu begegnen wußte, der hatte ihn. Als die Bedeutendsten der damaligen Nebenregierung" kommen drei vor Allen in Betracht: Leopold, Fürst von Anhalt- Dessau , General von Grumbkow und Kammerdiener Eversmann.

Grausam, brutal und unkultivirt, wie sein könig­licher Freund selber, hatte Leopold von Dessau sich

völlig in der Gunst Friedrich Wilhelms festgenistet. Grumbfow war ein Lump schlimmster Klasse, der für Geld zu jeder Schandthat bereit war. Von Eversmann schrieb die Markgräfin von Bayreuth : ,, Er war ein wahrer Satansgesell, der nur daran Vergnügen fand, Böses zu thun und bei allen Kabalen und Intriguen die Hände im Spiel hatte."

Mit den Intriguen, welche die drei biederen Kumpane gegeneinander und gegen alle Welt spannen, ließen sich Folianten füllen. Wer bei Hofe etwas ausrichten wollte, wandte sich an Eversmann; für einen wohlgefüllten Beutel machte er Alles.

Ueberhaupt sah es damals mit der Gerechtigkeit beinahe noch schlimmer aus als heute. Friedrich Wilhelm hat sich allerdings einmal das schöne Wort geleistet: Die schlimme Justiz schreit zum Himmel und wenn ichs nicht ändere, lade ich die Verant­wortung auf mich," in Wahrheit setzte er aber au die Stelle der Justiz nur seinen eignen Willen. Die Urtheile, welche ihm nicht paßten, stieß er einfach um und verhängte nach Gutdünken die grausamsten Strafen.

Der Kommandant von Berlin , General von Glasenapp, berichtete einst dem König nach Potsdam , daß mehrere Maurergesellen vom Bau der Petri­kirche am blauen Montag die Arbeit verweigert hätten. Friedrich Wilhelm sandte eine eigenhändige Stabinetsordre zurück, die Glasenapp nur dahin ent­ziffern konnte:" Rädel früher hängen lassen, ehe ich komme." Beim Leibregiment stand ein Lieutenant Rädel, der einzige Mensch dieses Namens in Ber­ lin . Glasenapp ließ ihn verhaften und die Hin richtung vorbereiten, obgleich der arme Mensch gar= nichts verbrochen hatte, am wenigsten aber mit den renitenten Maurergesellen in Verbindung stand. Kurz vor Vollzug des Urtheils entzifferte man die Ordre noch dahin: Rädelsführer hängen lassen usw." Natürlich ließ man Rädel frei, aber guter Rath war theuer, die Maurergesellen hatten keinen Rädels­theuer, die Maurergesellen hatten keinen Rädels führer gehabt. Hängen sollte Einer, so wollte es der König und so hängte man denn schließlich den Einen der Arbeiter, der Einen der Arbeiter, derrothe Haare hatte. Ver­brochen hatte auch dieser Unglückliche nichts, aber der König war mit dieser gerechten Justiz" sehr zufrieden.

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Als ein Musketier vom Regiment Dönhoff, einer der schönsten langen Kerle", wegen Einbruchs zum Tode verurtheilt war, ließ Friedrich Wilhelm die Richter früh Morgens aus dem Bette ziehen und vor sich schleppen. Scheinbar ruhig stellte er sie wegen des Urtheils zur Rede, als sie sich verthei­digen wollten, schlug er mit dem Stock auf sie ein. Der Eine verlor bei dieser königlichen Prügelei" zwei Zähne, die Anderen hatten blutige Köpfe; als sie fliehen wollten, lief ihnen der König nach bis an die Treppe, immer mit dem Stock auf sie ein schlagend. Der Musketier wurde begnadigt. Neben­bei verdankte Preußen dem gerechten Friedrich Wil­ helm auch noch die Berufung und Einführung des ersten Spizelthums", des Fiskalats. Die Fiskale sollten Verbrechen aufspüren, hatten aber im Uebrigen dieselbe Beschäftigung wie die Leckert- Lüzow, Tausch und ähnliches Gelichter der modernen Zeit. Nur wer an die Rekrutenkasse zahlte, war vor ihren Denunziationen sicher.

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Wie schon erwähnt, besaß Friedrich Wilhelm neben seinen anderen trefflichen Eigenschaften auch noch die gründlichste Verachtung für alle höheren geistigen Bestrebungen. Selbst dumm und unge­gebildet wie der dümmſte Bauernknecht, haßte er Alles, was Kunst und Wissenschaft hieß. Die Zei­tungen wurden verboten, da die Bürger nicht nöthig Die hätten, sich um Politik zu kümmern." Akademie der Wissenschaften wurde vom König bei jeder Gelegenheit in der rüpelhaftesten Weise ver­spottet und verhöhnt. Den Beamten der Königlichen Bibliothek wurden die Gehälter gestrichen, Jahre lang kam kein neues Buch in die Sammlung. Nur zwei Wissenschaften flößten dem König Achtung ein, die Medizin, weil Medizin, weil die Soldaten im Kriege gute Wundärzte brauchten, und die Theologie, denn Seine Majestät war fromm, sehr fromm sogar.

Dem Respekt des Königs vor der Medizin ver­dankt Berlin die Gründung der Charité. Vermuth­

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lich hat sich das große Krankenhaus von damals her noch den Kasernengeist bewahrt.

Am schlimmsten famen am Hofe Friedrich Wil­helms noch die Gelehrten fort. Die anständigeren Charaktere hielten sich dem Prügelfönig fern, nur verkommene Subjekte, wie der vielbe- rühmte Gun­deling, gaben sich dazu her, der wüsten Säufergesell­schaft des Tabakskollegiums zum Zielblatt toller Späße zu dienen. Was Gundeling von Friedrich Wilhelm und seinen Zechkumpanen aushalten mußte, ist zum größten Theil nicht wiederzuerzählen. Als der Tod den Unglücklichen von seinen Qualen er= löste, ließ der fromme" König die Leiche in einem Weinfaß beisezen. Also nicht einmal vor einer Leichenschändung scheute sich der edle Herrscher Preußens.

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Die Akademie der Künste wurde in jeder Hin­sicht beschränkt, nur eine einzige Kunst fand vor dem König Guade , die Malerei. Wenn das Regenwetter ihn in das Zimmer bannte oder Podagra ihn im Rollstuhl hielt, malte er selbst. Als Modelle für seine Klerereien benutte er die Grenadiere oder die Bauern. Wenn ihm das Bild nicht gelang, bekamen die Vedauernswerthen Prügel oder er goß ihnen die Farbentöpfe über den Schädel und schrie wüthend: ,, Nun bist Du gewiß getroffen!"

Im llebrigen waren die Künste alle todt.

In Blüthe stand nur die Bauwuth, vielleicht die einzige der föniglichen Leidenschaften, welche noch einigermaßen Nußen getragen hat. Berlin ver= dankt ihr die Anlage der Friedrichstadt . Potsdam das eigenthümliche holländische Viertel.

Allerdings baute Friedrich Wilhelm nicht selbst, die Bürger wurden dazu angehalten. Wer nur irgend Geld hatte, mußte Häuser errichten, gleichviel ob er darüber zu Grunde ging.

Litt das Volk unter den franthaften Neigungen seines Herrn schon bedeutend, so litt die königliche Familie, die täglich an seine Nähe gebunden war, noch mehr. Nie hat ein Tyrann Weib und Kinder grausamerer mißhandelt als dieser Mann, der sich in verblendetem Eigendünkel für den besten Gatten und den treneſten Vater hielt.

Vielleicht wären viele seiner schroffen Seiten gemildert worden, wenn eine weiblicher empfindende Frau an seiner Seite gestanden hätte. Aber diese Sophie Dorothea , hochmüthig, ränkesüchtig und voll eigensinniger Herrschbegier, war seinem eigenen Cha­rafter zu ähnlich, als daß sie ihn hätte beeinflussen können. fönnen. In den Wirrwarr der damaligen Hof­intriguen hinabzusteigen, würde zu weit führen. Wer sie kennen lernen will, lese die Memoiren ber Markgräfin von Bayreuth . Es stand eben Alles wider Einen und Jedes gegen Jeden. Die Mutter hezte die Kinder auf den Vater, der Vater die Günſtlinge auf die Kinder. Der Stock regierte im Hause wie im Reich und oft genug versammelten sich die Berliner auf der Schloßfreiheit, um zu hören, wie hinter den hohen Parterrefenstern des Schlosses der König seine Söhne und Töchter schlug. Allein genug davon, die unglückseligen Jugendtage Friedrichs des Großen sind bekannt.

Am 31. Mai 1740 ereilte den König der Tod in seinem Lieblingsschlosse Potsdam . Sein letter Wunsch und Befehl entsprach seinem Leben. Dem Fürsten von Anhalt und dem Generaladjutanten v. Haacke schenkte er zum Andenken je ein Pferd. Als die Stallknechte dem Roß des Dessauers eine falsche Chabracke auflegten, rief der König wüthend: Ach, wenn ich doch gesund wäre, ich wollte die Stallknechte derb abprügeln," und Herrn v. Haacke befahl er: Gehen Sie doch hinunter und prügeln Sie die Schurfen!"

Wenige Stunden später war Preußens grausamer Sklavenmeister eine Leiche. Die Peitsche war seiner Hand entfunken und das Volk athmete auf.

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Die moderne Zeit steht einer Gestalt wie der Friedrich Wilhelms I. beinahe verständnißlos gegen­über. Im neunzehnten Jahrhundert hätte man ihn vielleicht in ein Irrenhaus gesperrt. Es liegt zu viel Krankhaftes, Anormales in seinem Gebahren, als daß er völlig geistig gesund gewesen sein kann.

Im Lustgarten zu Potsdam erhebt sich seit einigen Jahren das Denkmal des Soldatenkönigs, es ist