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Die Neue Welt. Illustrirte Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Wohnsiz mit der herrlichen, allerdings etwas ent fernteren Stadt Wjatka zu vertauschen.
Drei Tage und drei Nächte werden ihm zur Ordnung seiner Angelegenheiten gewährt. Nach Ablauf dieser Frist ist er nach dem Befehl an den bestimmten Ort zu befördern.
Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck diese Nachricht auf die ganze Familie Baranzow heroor rief. Am meisten erschraf der Graf. Er besaß die in Rußland nicht gerade seltene Eigenschaft, bei geschlossenen Thüren den Liberalen zu spielen und sich auf Rechnung der Regierung die Zunge zu wezen; allein es brauchte blos ein blauer Kragen am Horizont aufzutauchen, so schrumpfte er alsbald zusammen und gab sich als friedlichsten, ergebensten Diener des Reiches.
Im vorliegenden Fall machte er sich daher, feige, wie er war, die heftigsten Vorwürfe: Wie hat er eine solche Annäherung zwischen seiner Tochter und dem Freidenker zulassen können? Wo hat er seine Augen gehabt?
Wasilzew, gestern noch ein ehrenhafter, wohl habender Gutsbesizer, eine gute Partie, hat sich heute mit einem Male in einen obdachlosen Vagabunden, in einen Menschen verwandelt, mit dem bekannt zu sein nicht ungefährlich ist. Von einer Ehe zwischen ihm und Wjera kann jezt selbstverständlich nicht mehr die Rede sein und das Mädchen ist nun für immer kompromittirt.
Wie es so oft in allen Schwierigkeiten des Lebens zu geschehen pflegt, beeilte sich auch jetzt der Graf, das Gefühl der eigenen Verantwortlichkeit durch Vorwürfe für Andere zu ersticken.
Sichst Du, Madame, Du verstehst nur, Dich mit Deinen Nerven zu beschäftigen, nnd auf die Tochter konntest Du nicht Acht geben!" hielt er der Frau vor.
Die Gräfin selbst sah genau, welche Schmach dieser Vorfall auf ihre Familie werfen wird, und sie hatte schon jetzt den Vorgeschmack von der Süße der harmlosen Fragen und Beileidsbezeugungen, mit denen die Damen aus dem Gouvernement fie bei der ersten Versammlung in der Stadt überhäufen würden.
Im ganzen Hause herrschte jene eigenartige, instinktive Panik, die der Anblick einer blauen Uniform in Rußland hervorzurufen im Stande ist.
Alle waren in Erwartung eines unvermeidlichen Unglückes.
" Die Polizei! Die Polizei kommt zu uns!" Mit dieser Meldung kam einmal das Mädchen Fenja schreiend gelaufen, als sie auf der Landstraße die Postglocke hörte. Bei dieser entsetzlichen Nachricht verloren Alle geradezu den Kopf. Die Gräfin lief in ihr Schlafzimmer und legte sich ins Bett, als den am wenigsten gefährlichen Zufluchtsort. Der Graf stürzte in Wjeras Zimmer, packte mit beiden Händen ohne Wahl alle Bücher und Schriften, die ihm unterkamen, und warf sie persönlich in den Ofen, in dem zum Unglück grade Feuer brannte. Die Dienerschaft lief auseinander. Es zeigte sich jedoch, daß der Aufruhr umsonst war: ein Steuerbeamter war blos vorbeigefahren. Indessen konnte sich lange Keiner von der durchgemachten Aufregung erholen. ( Fortsetzung folgt.)
Nuf der Walze.
Aus den Papieren eines Fechtbruders von Friedrich Riebeck.
Erftes Kapitel.
Wie wir Dichter und Gesellen wurden.
ns war der Meister fortgelaufen. Fürchterliche Erregung herrschte im ganze Hause. Die Leute tuschelten einander seltsame Dinge zu, und die alte Marketenders frau, die in einer eigens für sie hergerichteten Abtheilung unseres Bretterschuppens hauste, behauptete voll heiliger Ueberzeugung, der Teufel habe ihn geholt. Mutter Holitschke glaubte nicht nur an den Teufel, sondern sie wußte mit voller Bestimmtheit, daß das höllische Scheusal sehr oft durch den Schlund eines feuerspeienden Berges aus der gräßlichen Tiefe empor
steige, um seine Anhänger bei lebendigem Leibe abzuholen; sie habe in ihrem langen Leben schon zahlreiche solcher Fälle miterlebt. Ein heftiger Gegner ihrer Höllengläubigkeit war der in unserem Hofe ansässige Schneidermeister; diesmal aber stimmte er der Mutter Holitschke mit ehrlichen Herzen bei, indem er gleichfalls sagte, unseren Meister habe der Teufel geholt. Er meinte allerdings den Schuldentenfel.
Droben am Fenster des Wohnzimmers saß Cäcilia, die allmächtige Köchin, bedeckte ihr hübsches Gesicht mit beiden Händen und weinte.
Die Aermiste! sie hatte alle Ursache, sich dem Jammer und der Trauer hinzugeben. War sie doch die Gebieterin ihres hohen Gebieters gewesen; hatte sie doch eine unbeschränkte, tyrannische Herrschaft geübt über sein Herze, über das gesammte Hauswesen und über uns armselige Stifte, die wir Pagen-, Wasserträger- und Küchenjungendienste bei ihr zu verrichten hatten. Nun war die ganze Herrlichkeit vergangen, und unerfüllt blieb das lieblichste ihrer Traumbilder, indem sie sich als Frau Meisterin mit ihm vom Standesamt kommen sah. Alles war vorbei; verlassen und hülflos, wie eine machtlos ge= wordene Königin, saß sie nun da mit rothgeweinten Augen... ihre Strone war zerschellt.
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Ach, und die Schmach die furchtbare, seelendie furchtbare, seelen zermarternde Schmach! Sie wußte, daß die Leute nun mit Fingern auf sie zeigen würden, sollte doch bald die Stunde schlagen, in der sie Mutter wurde. " Ich geh in die Loge!" hatte er ihr am Sonntag Morgen gesagt, dann war er fortgegangen und nicht wiedergekehrt. Das war nun schon acht Tage her. In den ersten Tagen hatte sie geglaubt, er habe in seiner Eigenschaft als Freimaurer von der Loge irgend einen geheimen Reiseauftrag erhalten; einige Logenbrüder aber hatten ihr bestimmt versichert, daß dieser Glaube falsch sei. Als sie bald darauf die Als sie bald darauf die Entdeckung machte, daß er Alles mitgenommen hatte, was er an Geld und Werthsachen und wichtigen Papieren besaß, war sie zu der Ueberzeugung ge= langt, daß er ins Ausland entflohen set.
O, daß er davongegangen war, wie der Dieb in der Nacht! Daß er ohne Abschied gegangen war und ohne ein Wort des Trostes zu ihr zu sprechen! Hätte sie das verdient?
In der Werkstatt war Alles außer Rand und Band. Band. Von den fünf Gesellen hatten sich drei empfohlen; nur der lange Lorenz und der polnische Lukas waren zurückgeblieben. Diese Beiden saßen auf ihren Hobelbänken, soffen Grunewälder" und auf ihren Hobelbänken, soffen„ Grunewälder" und fluchten in einem fort auf den verschwundenen Meister. Der lange Lorenz, der gern und mit großem Stolz in den Erinnerungen einer großartigen Vergangenheit schwelgte, gab unter Fluchen zum so und so vielten schwelgte, gab unter Fluchen zum so und so vielten Male ein Stückt seiner reichen Lebensgeschichte zum Besten. Er sei ein großer Kapitalist und Fabrifbefizer gewesen; er habe sein ganzes Vermögen mit Champagner und Rothwein fortgeschwemmt und sei schließlich betteln gegangen, doch für seine Leute habe er bis zum letzten Augenblicke gesorgt, und er würde sich sein ganzes Leben lang tief in den Rachen hinein schämen, wenn er damals nach dem gewaltigen Krach feige fortgelaufen wäre.
Der polnische Lukas, eine heißblütige Natur und ein Saufbold ersten Ranges, hörte nicht zu, wenn der lange Lorenz erzählte; er beschäftigte sich ausschließlich mit sich selbst, schüttelte den Kopf, knirschte mit den Zähnen und hieb ab und zu in seinen raschen und furzen Wuthanfällen mit dem Hammer auf die Hobelbank. Diese Anfälle wurden von Tag zu Tag ärger, und am achten oder neunten Tage nach dem Verschwinden des Weisters ward er plötzlich so wüthend, daß er den Hammer ergriff und das kunstvoll zusammengefügte Gestell eines Zimmer- Springbrunnens, das er gebaut hatte, in kleine Stücke zerschlug." Psakrew, die Bestie," schrie er, frieg ick doch nir bezahlt, soll sich holen Diable die ganze verfluchtige Arbeit!.."
Uns Stifte ließ die ganze Geschichte so ziemlich falt. Wir saßen versteckt im Ofenwinkel und dich teten nach Herzenslust.
Wahrhaftig, wir dichteten!
Franz reimte eine Art Elegie, in der er seinen Stiefvater einen Geizfragen nannte und ihm die
angenehme Prophezeiung machte, daß er für jeden Nickel Taschengeld, den er ihm, dem poetischen Stiefsohne, auf Erden zu wenig gegeben habe, in jenem Leben ein halbes Jahr lang im Fegefeuer braten müsse.
Johann dagegen, der der realistischen Richtung huldigte, beklagte in Versen, daß heutzutage dem Käseleim aus Billigkeitsgründen der Vorzug vor dem Kölner Leim gegeben werde. Ich dagegen dichtete eine Tragödie in fünf Alten, betitelt:„ Das vertauschte Kind."
An
Und wie war diese Begeisterung über uns gekommen? Durch Zufall waren wir in den Besitz eines Bandes von Schillers Werken gelangt. Ich hatte„ Die Räuber ", den„ Fiesko " und die Gedichte gelesen. Mit welcher Gier sog ich damals in fliegender Haft Zeile für Zeile auf! Und wie namenlos glücklich machte mich jenes Buch! Eine ungeahnte Zauberwelt voll strahlender Schönheit erschloß sich mir, und ich war der Glücklichen einer, die in diesem Paradiese lustwandeln durften. dem Tage, an dem ein Lackirer mir das Buch geliehen, hatte ich kaum den Feierabend erwarten fönnen. Und als er endlich angebrochen, als die Gesellen die Werkstatt verlassen hatten und meine Gefährten zu Bett gegangen waren, da bedeckte ich die Fenster der Werkstatt dicht mit Brettern, damit von außen kein Lichtschimmer gesehen werden konnte, und las. kroch unter die Hobelbank und las Ich achtete nicht der Stunden, welche die Rathhausuhr verkündete, nicht darauf, daß mir die Glieder vor Kälte erstarrt waren, sondern schwelgte mit unersättlicher Wollust im Himmelreiche der Kunst, das sich mir zum ersten Male offenbart hatte. Am frühen Morgen klappte ich das Buch zu, entfernte die Bretter von den Fenstern, zündete Feuer im Ofen an und stieg auf das Dach, um den in der Nacht gefallenen Schnee fortzuschaufeln. Dann gings frischen Muthes an die Hobelbank... Hei, wie lustig flogen die Spähne aus dem Hobel! Bei jedem Stoße flog mir ein Schillerscher Vers durch den Sinn. Wie wunderherrlich strahlte die Februarsonne durch die bestaubten Werkstattfenster. neues Leben pulsirte in mir...
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Noch von dem naiven Wahne befangen, daß das Schöne, Hohe, Gewaltige bei allen Menschen den gleichen Eindruck hervorrufen müsse, deklamirte ich am nächsten Feierabend meinen beiden Genossen " Die Glocke" und das Lied An die Freude " und las ihnen darauf die in der Vorrede enthaltene Biographie Schillers vor. Die Vorrede machte EinDaß es Schiller , der druck, die Gedichte nicht. nur durch Sohn eines armen Regimentsarztes Gedichte und Schauspiele, sonst durch gar nichtszum berühmten Manne, ja sogar zum Professor gebracht hatte, erschien sonderbar und nachahmenswerth.„ Das Dichten kann doch nicht gar so schwer sein!" meinte Johann.
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Aber die Reime müssen klappen und das ist nicht so leicht!" warf Franz dazwischen.
Ich für meinen Theil hielt das Dichten auch nicht für allzuschwer und wunderte mich nur, daß so wenig Menschen dem Beispiele Schillers folgten und berühmte Männer wurden.
Wir dichteten also. Der Meister war spurlos verschwunden, unsere Arbeiten hatten wir vollendet- wir konnten dichten vom Morgen bis zum Abend. So lange loderte jedoch das Feuer der Begeisterung nicht. Es wurde durch den langen Lorenz auf heftige Art gedämpft. Schon war Johann mit seinem Opus beinahe fertig, es fehlte ihm nur noch ein Reim auf„ Schrankthürfüllung" als der lange Lorenz den struppigen Kopf in den Ofen= winkel steckte und uns anschrie:" Bengels, was treibt Ihr für Faren? Heizt lieber ein, es ist falt in der Bude!"
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Wir haben kein Holz mehr, Herr Lorenz," entgegnete Johann als ältester Stift.
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Kein Holz mehr? Verbrennt doch das Springbrunnengestell, und wenn das verbrannt ist, zerhadt Alles, was nur von Holz ist und wenns die Hobelbänke find. Zum Erfrieren hab ich keine Lust!"
Plöblich bemerkte er den Bogen Papier , auf dem Johann seinen dichterischen Erstling entworfen hatte. Kaltblütig riß ihm der lange Lorenz den