Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

bekannte Stern Toliman, im Sternbilde des Gen­tauren auf der südlichen Hemisphäre, 4034 Billionen Kilometer, d. h. 275 000 mal weiter als unsere Sonne, von uns entfernt ist.

Wenn man nun bedenkt, daß eine sogenannte Sternenweite, d. h. die Entfernung, in welcher der Durchmesser der Erdbahn von zirka 40 Millionen Meilen als eine Bogensekunde( gleich 1/1800 des schein­baren Durchmessers der Mondscheibe) erscheint, etwa 200000 Sonnenweiten à 20 Millionen Meilen ent­spricht, und nun die größte Tiefe der Milchstraße am Himmel auf 2000 bis 2500 solcher Sternweiten geschätzt wird, eine Entfernung, welche zu durch laufen das Licht, welches doch bekanntlich in einer Sekunde 300 000 Kilometer durcheilt, etwa 6000 bis 7000 Jahre erfordern würde, so wird man klar darüber werden, daß jede Vorstellung solcher Ent­fernungen in sich zerfallen muß.

Nach Ansicht aller neueren Astronomen bildet nun die ungeheure Zahl der Sonnen, welche an unserem Firmamente erstrahlen, welche im Bereiche unserer Fernrohre, wie schon erwähnt, auf minde­stens 100 Millionen geschäßt werden, im unendlichen Raum eine große Anhäufung, ein System ähnlich unserem, gegen dieses gerechnet natürlich unendlich winzigen Sonnensystems.

Nicht um eine monarchische Zentralsonne, sondern republikanisch um einen gemeinsamen Schwerpunft, welcher in der Nähe des Siebengestirnes, des Ple­ jaden im Sternbilde des Stiers, etwa bei dem Haupt­stern dieser Gruppe, der Alcyone, zu vermuthen ist, wandeln die ungezählten Schaaren ihre einsamen Wege.

Die scheinbar für alle Ewigkeit festgefügten Sternbilder des Himmels sind daher auch nur ver= gängliche Gebilde, ebenso gut der Auflösung ver= fallen, wie alles Materielle; langsam verschieben und verwirren sich die leuchtenden Punkte und nur das Riesenhafte der Verhältnisse bedingt, daß ein kurzes Menschenleben nicht genügt, irgend welche erhebliche Aenderungen der Gruppirungen erkennbar zu machen. Die scharf beobachtende und messende Astronomie da­gegen hat diesen Wechsel längst erkannt.

Für unsere Sonne, welche dem erwähnten ge= meinsamen Schwerpunkt relativ ziemlich nahe steht, also eine noch verhältnißmäßig kurze Bahn zu durch= laufen hat, hat die Beobachtung nun eine sehr excentrische Bahn und eine Umlaufszeit von entweder 224 oder 28 Millionen Jahre ergeben; ganz sichere Zahlen waren wegen der mangelhaften Beobachtung und der großen Schwierigkeit des Objeftes bis jetzt nicht zu erlangen.-Wie winzig erscheint gegen ein solches Sonnenjahr das Jahr der Erde, das Zeitmaß der Menschheit.

Merkwürdigerweise deutet nun Alles darauf hin, daß die dem Zentrum der großen Sterneninsel nahe­stehenden Sonnen nun nicht, wie unsere Planeten, nahezu in einer Ebene sich bewegen, sondern in den verschiedensten Richtungen den Raum durcheilen, da­gegen die Milchstraßenregion, wie aus der Gestalt des ganzen Sternhaufens sich zu ergeben scheint, ähnlich unserem Planeten sich verhält.

Dieser ungeheure Sternhaufen besitzt nun an­scheinend annähernd die Gestalt einer Linse oder, durch Häufung der Sonnen in der Richtung der Schneide, die eines Ringes, und sind daher von uns, vom Zentrum aus gesehen, in der Richtung der Milchstraße die größten Massenanhäufungen, die Lichtwolken.

Jenseits der Grenzen dieses Riesenringes gähnt der ungeheure Abgrund des eisigen, nahezu stoff­leeren Weltraumes, doch aus dämmernder Ferne schimmern die Ufer anderer Welteninseln herüber, die zum Theil von ähnlicher Größe und Gestalt wie diejenigen sind, in der unsere mächtige Sonne und ihre winzigen Anhängsel, darunter unsere Erde, voller Hochmuth und Selbstüberschäzung, als Nichts verschwinden.

Wäre es uns vergönnt, einen Blick von dort nach hier zurückzuwerfen, so würde nur ein schim merndes Nebelwölfchen das Vorhandensein von hun­dert Millionen von Sonnen verrathen.

In welchem Lichte erscheint bei einem solchen Blick menschliche Eitelkeit, welche sich nicht scheut,

weil ein linfischer Zufall einen Menschen vielleicht das Licht der Welt von Reichthum umgeben oder gar in einem Palaste erblicken ließ, sich, im Wider­spruch mit der täglich im Munde geführten christ­lichen Religion, für etwas Anderes und Höheres zu halten als den armen Menschenbruder, wie unbe­deutend das Behängen mit glizerndem Tand und den himmlischen Sternen nachgebildeten Karrikaturen, oder das Brüsten mit nichtssagenden, oft grundlos verliehenen Titeln verliehenen Titeln und das Alles auf wie lange?

Von einer Messung oder auch nur genaueren Schäßung der in Frage kommenden Entfernungen kann natürlich keine Rede sein, nur Vermuthungen fann natürlich feine Rede sein, nur Vermuthungen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen deuten auf Entfer­nungen, zu deren Durcheilung der Lichtstrahl Hundert tausende, ja viele Millionen von Jahren nöthig hat.

Eine große Anzahl solcher Lichtwolfen, welche meistens dem unbewaffneten Auge überhaupt nicht sichtbar sind, ist nun durch die Kraft der Niesen­fernrohre in Sterne aufgelöst; aber immer noch troßen eine erhebliche Anzahl, und zwar darunter die größten, der raumdurchdringenden Kraft unserer Instrumente, z. B. der wunderbare Riesennebel im Sternbilde des Orion.

Hier nun haben, wie schon im vorigen Artikel angedeutet, das einfache Spektroskop und auch die Photographie eine noch vor nicht gar langen Jahren ungeahnte Klarheit gebracht, denn sie haben erwiesen, daß viele derartige Lichtwolfen, die sich am Himmels­dome zeigen, nicht etwa nur Anhäufungen von Sternen sind, die lediglich infolge der Riesenentfernung als Lichtschimmer erscheinen, sondern daß wir thatsächlich hier unendliche Räume erfüllende, in furchtbarster Gluth befindliche Gas- und Dunstmassen vor uns sehen, die ersten Stoffballungen, zum Theil noch Chaos, zum Theil schon rotirend, die ersten Ent­wickelungsformen neuer Welten, auf welchen letzteren nach Aeonen von Jahren vielleicht, ja gewiß, vieler­orten ein warmes Leben pulsiren wird, wenn die Herrlichkeit des Menschengeschlechts der Erde und diese selbst, ja unsere ganze Welteninsel längst in Atome zerstiebt als Meteore das All durchirren, oder in wiederbeginnender Neuentwickelung als glühender Nebel seinerseits das Weltall durchleuchten.

Was wir brauchen.

Bon Hans Ostwald.

elber Nebel lag noch in der Morgenluft, als ich durch die mit Leder beschlagenen Thüren in den Kölner Dom eintrat. Eine weiche Dämmerung lag in den hohen Säulengängen, an deren Ende auf und von den Altaren viele hohe Kerzen schwelend leuchteten. Die Priester, angethan mit violetten, schwarzen, braunen und weißen Talaren, gingen hin und her. Aus den Schwingen der Chor­knaben quoll der Rauch und legte sich verschleiernd über das Treiben. Die Menge lag in den Bet­bänken auf den Knien, und ein leises Schurren bänken auf den Knien, und ein leises Schurren tönte verhallend durch die hohen Gewölbe. Dann setzte die Orgel an, die Chorherren fielen ein mit ihrem Gesang und kamen hervor hinter den großen Gittern.

Ich stand abseits bei einer Säule und sah und hörte mit seltsamen Empfindungen der Messe zu. Als die Orgel mit gewaltigen, jauchzenden Tönen den Schluß des Gottesdienstes verkündete und die Menge sich auflöste und hinausstrebte, fielen durch die hohen, bunten Dürerschen Glasfenster volle, helle Lichtstrahlen vielfarbig über diese sich bewegende Masse, auf das graue Gestein der Säulen und des Bodens und auf die nachgebräunten Holzbänke. Mit einer sonderbaren Ergriffenheit folgte ich den Nach­züglern ins Freie, wo jezt die Herbstsonne den Nebel zerstreut hatte und mild und freundlich das bewegte Leben erhellte.

Was war es, daß ich so erschüttert wurde von dem Kirchlichen, da ich doch kein Rechtgläubiger war und auch kein Wort von der Andacht, von der

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Predigt und von den Gesängen verstanden und be­griffen hatte? Draußen in der Sonne, am strömenden Rhein fand ich bald die Antwort.

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Es war die Kunst, die Kunst, die auf mich, den Ungläubigen und mit dem Ritus Unbe­fannten, unvermittelt und ursprünglich ihre Wirkung ausgeübt hatte.

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Welche Wirkung mußte dies erst auf einen Men schen ausüben, der mit getrübtem Gewissen oder mit anderen Gemüthsschmerzen hierher kam um Ver­gebung der Sünden zu finden, wie die Gläubigen sagen. Die ganze Zeremonie, diese machtvollen Stim­mungswirkungen mußten ihn bis ins lezte geheime Gefühl ergreifen, mußten ihn zermalmen bis zur vollständigen Zerknirschung um nachher in die Rückwirkung überzugehen, um folgerichtig durch die gewaltige Sinneserregung von dem Niedrigkeitsgefühl in Erhebung, höhere Heiterkeit und eine gewisse Be­friedigung zu führen. Man kennt das Lettere auch unter dem Begriff:" Von seinen Sünden sich befreit fühlen." Für diese Wirkungen aus zweiter Hand, nämlich aus der der Priester, sind wir Niemand weiter Dank schuldig als dem Künstler und dem Künstlerischen.

Und ebenso, wie diese Dom- Zeremonien auf die verwöhnten Großstädter wirken, erfüllen die Kirchen­und Kapellendienste der kleineren Gemeinden ihren Zweck. Dazu wird noch beigetragen durch die öffent­lichen Umzüge u. v. A., so daß jeder Katholik stets durch irgend eine Zeremonie an seinen Glauben er­innert und durch die Empfänglichkeit der Sinne auch an ihn gebunden wird. Muß nicht Jeden, und be= sonders die Minderbegüterten, die in engen, dumpfen und ohne Geschmack hergerichteten Zimmern hausen, eine gewisse Andacht überfallen, wenn sie in die hohen, mit Malerei und Schniß- und Steinarbeit ausgeschmückten Hallen treten, wo Gebräuche, die sie schon in ihren Kinderjahren mit heiliger Scheu zu betrachten angehalten wurden, ihren Bann auf sie ausüben?

Dies Alles gilt auch von Protestanten, nur daß die Katholiken die ihnen überlegenen Meister der Stimmungserzeugung sind. Sie haben sich auch darum einen wichtigen Faktor in dieser Absicht mit instinktiver Erkenntniß gewahrt, den sie mit jesuiti­schem Können in eine verlogene, widerwärtige Wider­natürlichkeit drängen. Es ist der in gewissen Jahren gefährlichste, weil stärkste Haupttrieb: die Sinnlich­feit. Der künstlerisch ausgerüstete Marienfult wie der Heilandskult erfüllen den versteckten Zweck, auf das Geschlecht im Sinne der Kirche zu wirken und durch Verwirrung der Gefühle zur Ausscheidung von wichtigen Verstandeskräften zu führen.

Das Alles sind Mittel, deren sich alle Religions­Verbreiter und-Anhänger bedient haben, bald in feinerer Weise, wie die modernen Staatskirchen, bald in roherer Weise, wie z. B. bei den afrikani schen Völkern die Fetischpriester ihre bunten Gößen­fraßen usw.( Selbstverständlich gehören Wunderglaube und noch mehr Aehnliches auch zu den Mitteln aller Pfaffen.) Alles dies jedoch mehr im Instinkt, als in wohlüberlegter Berechnung.

Nun aber hatte ich an dem Herbstmorgen in Köln auch die Lösung gefunden, warum selbst Menschen, deren Verstand schon vollkommen befreit gewesen, sich trotz der Empfindung, daß ihr Verstand das nicht gutheiße, sich dem kirchlichen Wesen zuwenden. Es sind also Menschen, die längst die niedrige Stufe des Wunderglaubens hinter sich haben. Die augen­blickliche Befriedigung des Gemüths, die Erhebung der Sinne ist es einzig und allein, was sie zu theo­logischen, kirchlichen Wesen macht. Und all das voll­bringt nicht der Glaubenssaz, die Buchstabenreligion, sondern die mit Kunst ausgestattete Zeremonie.

Jene sonderbare Epoche der Menschengeschichte, des Menschheitslebens überhaupt, in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, wo sich aus der Aufklärungs­zeit, aus der Aufklärungsdichtung die sogenannte Romantik entwickelte, ist nicht anders zu erklären, als dadurch, daß den führenden Geistern ihr Glauben an die Fruchtbarkeit und Verwirklichung ihrer An­schauung an den ungünstigen politischen Ereignissen geraubt ward und sie nicht mehr in diesem Glauben Befriedigung ihres Gemüths finden konnten. Da