Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

zugehen pflegt, aber dafür mehr sinnfällige, sich dem Ohr sogleich einschmeichelnde Melodik zu eigen ist. In der Folgezeit tritt das Polfa- und Rheinländer­tempo mehr in den Vordergrund, dessen scharf poin= tirte, rhythmische Einschnitte eher eine scharfe, deut­liche Deklamation ermöglichen und zum Ausdruck überraschender, pikanter Tertwendungen, zumal im Refrain, vorzüglich geeignet sind. Als Muster einer derartigen beispiellos leichtfertigen, aber scharf poin­tirten und darum einen ausdrucksvollen Sprachgesang ermöglichenden, für das musikalisch ungeschulte Ohr wirkungsrollen Deklamation sei die Gigerlkönigin genannt.

Wir sind am Ziele unserer Wanderung ange­langt. Die Eindrücke, die wir auf ihr gewonnen haben, sind wenig tröstlich. Die musikalische Kost weitester Streise unseres Volkes ist herzlich fade und unschmackhaft, und doppelt trübe muß uns diese bedauerliche Thatsache stimmen, wenn wir bedenken, daß der Gassenhauer die einzige Brücke ist, die das Bedürfniß Unzähliger nach musikalischem Genuß mit der Tonkunst verbindet. Die Pflege des deutschen Volksliedes von der Hausmusik ganz zu schweigen

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ist längst im steten Rückgang begriffen, nicht zum mindesten deshalb, weil der veränderte Zeitgeschmack auch eine starke Rückwirkung auf die deutsche Lied­komposition ausgeübt hat. Auf welchem Wege und mit welchen Mitteln eine Besserung aller jener Streise unseres Volkes zu erhoffen ist, die ihr Kunstbedürfniß aus Mangel an gesunder, kräftiger Kost mit dem Abhub von der reichbesetzten Tafel der deutschen Ton­kunst zu befriedigen genöthigt sind, soll an anderer Stelle in diesem Blatte dargethan werden.

Pfingstplauderei.

Von Detlev Roberty.

nd als der Tag der Pfingsten, des Schabuoth, des jüdischen Ernte festes sich erfüllete, waren die Jünger des als Hochverräther und Gottes­lästerer gefreuzigten Nazareners alle einmüthig bei­einander. Und es erhob sich ein Brausen wie von einer gewaltig dahinfahrenden Windsbraut und er= füllete das ganze Haus.

Den Jüngern aber war es, als sähen sie feurige Zungen, einer auf des anderen Haupt, und, ge= trieben vom Geiste, der in ihnen war, fingen sie an zu reden, ein jeder in einer anderen Zunge. Es war aber um diese Zeit viel Volks beisammen in Jerusalem  , aus aller Herren Länder, und als es das Brausen vernommen hatte, eilte es herbei und war verwirrt, denn es hörte ein jeder seine eigne Sprache reden. Und es waren da beieinander Parther   und Meder und Elamiter, und Leute, die in Pontus und Asien  , in Egypten und Lybien wohnen, und Leute aus Rom   und aus den Gegenden des Euphrat   und Tigris, und alle standen da und fragten einer den anderen erstaunt: Was soll doch das bedeuten?"

Andere aber machten sich lustig über sie und sprachen spöttisch:" Sie sind voll süßen Weines."

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So etwa schiltert der Verfasser der Geschichte Der heiligen zwölf Apostel" die Gründung der Kirche, deren Anhänger sich Christen nennen. Und heute noch feiern diese in Dom- und Kirchenhallen die Ausgießung des Geistes, der die Anhänger des Nazareners hinaustrieb, aller Welt, allen Armseligen und Unterdrückten, allen Mühseligen und Beladenen die frohe Botschaft von der endlichen Erlösung und Befreiung zu verkünden.

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Das war vor nun bald zweitausend Jahren. Und heute?- Auch heute noch, auch noch im Jahre Eintausendachthundertsiebenundneunzig treibt Männer im Talare jener Geist, um von den Kanzeln und Altären die Botschaft jener Tage zu verkünden, zu ihren Glaubensidealen die Menschheit zu bekehren. Aber die Masse der Mühseligen und Beladenen, der Elenden und Unterdrückten, wo ist die geblieben?

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Strömt sie noch heute wie vor zweitausend Jahren, voll gläubigen Vertrauens den Kündigern Jahren, voll gläubigen Vertrauens den Kündigern der Christenbotschaft zu? Nein, nein, und sie wird es niemals wieder.

Denn mit mächt'gem Brausen, gleich jener Windsbraut, von der der gläubige Chroniſt erzählt, ist längst ein neuer Geist ins Land gezogen, die Menschheit aufzurütteln, die Köpfe zu erhellen, mit Muth und Hoffnungsfreude die Herzen zu erfüllen. Und dieser neue Geist ist's, dem die Menge der Mühseligen und Beladenen allein vertraut.

Mensch sein und leben, leben!" das ist der Sehnsuchtsschrei, der sich der Brust von Tausenden, Millionen hent entringt, und leben hier, auf dieser schönen Erde, die sich aufs Neue wieder in bunte Festgewänder kleidet, zu seligem Genießen der tausend Güter lockt, die Allmutter Natur in reicher Fülle unseren Augen ausgebreitet.

Und so geplagt, ermattet und verhärmt auch die Millionen sein mögen, die heute noch unter schwerem Sklavenjoche seufzen, das Menschenthum, der Wille, als Mensch sich auszuleben, ist nicht ertödtet worden.

So dünn das Blut auch sein mag, das den Gequälten noch durch Hirn und Adern kreist, es ist doch warmes rothes Menschenblut und anderer Art als das, das die Kanäle des weltentfremdeten, lebensfeindlichen Asketen durchrinnen mag.

Aus dieser Erde quillen meine Freuden, Und diese Sonne scheinet meinen Leiden.

Dies Denken und Empfinden ist es, das heute wieder mächtiger denn je die Welt beherrscht; und das sehnende Verlangen, sich diese Quellen zu er= schließen, aus denen erst noch wenige Mächtige selbst= süchtig unermeßlich schöpfen, das ist es, was den Unterdrückten Muth und Kraft verleiht zum Kampfe um die höchsten, edelsten Güter des Menschenlebens.

Und dieser Kampf tobt noch, wogt heftig noch herüber und hinüber. Und wieder will es scheinen, als sollte doch der alte Feind das Feld behaupten. Schwer lastend ruht die Eisenfaust der Reaktion auf allen Landen, und finstere, mittelalterliche Ge­stalten und Gespenster gehen um. Sie schleichen durch die Säle der Gerichte, sie huschen über die öden Korridore der Gefängnisse, und in menschlichem Gewande siten sie neben uns am Tische, mit gierigen Ohren jedes Wort erlauschend, das über unsere Lippen tommt.

Und während draußen Feld und Wald in zartem jungen Frühlingsgrün, in neuer Lebensfrische prangen, indeß ein warmer, blauer Himmel auf die Erde her­niederlächelt, die Vögel, die einzig freien Sänger unserer Zeit, aufs Neue ihre fröhlichen Weisen rings ertönen lassen, sizt so manch anderer, der sist so manch anderer, der zu keck gesungen, der im Kampfe für einen neuen Frühling auch der Menschheit zu kühn des Geistes Schwert geschwungen, ein stiller Mann, einsam, ver­lassen hinter schwarzen Eisengittern.

Und doch, so viele ihrer auch hinter den stummen, düsteren Mauern des Sterkers noch verschwinden werden, so rauh und fest die Hand der Mächtigen zufassen mag, der Mächtigen, die nichts vom Hauche einer neuen Zeit verspüren, die, gleich jenem übermüthigen Tyrannen von Babylon, nicht die Flammenzeichen ihrer Zeit zu deuten wissen, der Geiſt ist stärker doch als sie, ihn können sie nicht fesseln, nicht in Bande schlagen.

Und gleich dem Geiste, von dem der gläubige Chroniſt der Geschichte der heiligen zwölf Apostel" Chroniſt der Geschichte der heiligen zwölf Apostel" zu erzählen weiß, der, einer Windsbraut gleich, das Haus der Jünger erfüllete, so fährt auch dieser Geist Haus der Jünger erfüllete, so fährt auch dieser Geist des ausgehenden Jahrhunderts mit mächtigem Brausen durch die Lande und packt und ergreift die Apostel des neuen Menschheitsevangeliums, daß sie laut und vernehmlich reden vor allem Volfe, und jeder in vernehmlich reden vor allem Volfe, und jeder in einer anderen Zunge.

Und alle, als da sind Franken und Germanen, und Russen und Italiener  , und Leute, die in Japan  und Asien  , im fernen Westen und auf den Inseln der heißen Meere wohnen, sie eilen herzu und hören ein jeder seine eigene Sprache.

Andere aber, die nichts verstehen von diesem neuen Geiſte, sie spotten ihrer und sagen:" Sie sind voll süßen Weines."

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Und wenige Jahrhunderte nach dem Tage, da in Jerusalem   Parther   und Meder und Elamiter und Leute, die in Pontus und Asien  , in Egypten und Lybien wohnen, das neue Wort vernommen hatten, war eine alte Welt in Trümmer gesunken und eine neue Welt erstand an ihrer Statt.

Deutsche Sprachbeluftigungen. Vierte Hampfel.

Von Manfred Wittich.

och ein paar Nedensarten, wenns gefällig ist, will ich den Lesern zu erläutern suchen, die so schlechthin wohl kaum Einem, der sie braucht oder der sie von Anderen anwenden hört, verständlich sind.

Da hat der dumme Junge einen tollen oder ungezogenen Streich gemacht, so daß der Vater zornmuthig ein fühlbares Strafgericht zu halten sich anschickt. Da fällt ihm zu seinem Verdruß die sanftere Mutter des Uebelthäters in die Arme und er läßt von dem Delinquenten ab, indem er dazu brummt: Du mußt dem Burschen auch immer die Stange halten!"

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Wir wollen unsere Leser nicht mit den vielen falschen Muthmaßungen und Erklärungsversuchen für diese sonderbare Redensart aufhalten, sondern ihm gleich die zweifellos richtige darlegen. Die Wendung ist dem Verfahren des gerichtlichen Zweikampfes entnommen. Bei demselben war jedem der Kämpfer ein Helfer beigegeben( wie man noch heute den Duellanten einen sogenannten Sekundanten zur Seite stellt), welcher die Aufgabe hatte, bei einem regel­widrigen Zwischenfall die Kämpfer zu trennen. Zu diesem Zweck ward ihm eine Stange, ein Baum" gegeben, welche er vor seinen Schußbefohlenen stellte oder hielt, wenn dieser etwa gestolpert und zu Fall gekommen war. Im Sachsenspiegel lautet die dies­bezügliche Rechtsvorschrift: Ihr jeglichem( jedem der Zweikämpfer) soll der Richter einen Mann geben, der einen Baum trage.. ob ihr einer( wenn einer von ihnen) fällt, oder ob er gewundt wird oder des Baumes bittet( wenn er verwundet wird oder um den Schutz des Sekundanten durch den Baum bittet). In einer zu München   gefundenen Handschrift wird dieselbe Sache beschrieben mit den Worten: Ihr jedwederen soll der Richter einen Mann geben, der eine Stange trage, die soll der über den haben ( halten), der da fällt usw." ( halten), der da fällt usw." Da haben wir die Wendung in voller lebendiger Klarheit! Der Sekun­dant hält seinem Schußbefohlenen die Stange! Er hat davon auch einen gut deutschen Namen, man nannte ihn Stanger oder Stängler. Der Familien­name Stängler oder Stengler findet so seine lebens­volle Erklärung.

Krieg und Kampfspiel lieferten überhaupt der Umgangssprache eine große Menge von bildlichen Ausdrücken und Wendungen aller Art. Auch vom Kampfspiel des Turniers her sind viele Redensarten entnommen; der oben angeführte Ausdruck Stängler  wird bei Wilwolt von Schaumburg gebraucht von Sekundanten bei einem solchen. Vom Turnierplaz sind die Nebensarten entnommen: Für Einen in die Schranken treten, für Einen eine Lanze brechen, d. h. ihm geradezu die ganze Arbeit des Kampfes mit seinen Gefahren abnehmen, für ihn mit eigener, ganzer Person eintreten, ihn vertreten, wie man auch sagen kann. Vom Ueberwundenen im Wortgefecht oder im Rechtsstreite sagt man noch heute, er ward aus dem Sattel gehoben, auf den Sand gesezt, also schwebt dem bewußt das Bild anwendenden Redner ein Turnier zu Noß mit Lanzen vor, bei dem der Besiegte ganz wirklich durch den Lanzenstoß des Gegners genöthigt wird, den Sattel zu räumen oder sich in den Sand zu sezen.

Dieselbe Sache, welche mit der Wendung: Einem die Stange halten, bezeichnet wird, kann man auch bezeichnen mit der anderen: Einem die Brücke treten. Rudolf Hildebrand   erklärt die Redensart so, daß mit dem Treten die aufgezogene, den Zu­