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Die Fünfhundertthalerscheine.
Von E. Zimmermann- Hirschfeld.
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
& war erst furz nach sieben Uhr des Morgens, doch brannte die Sonne schon heiß auf Warftplaz und Straßen der kleinen ostpreußischen Stadt Liebemühl herab, denn es war im Hochsommer.
Eben hatte die alte Rentière Ziegler , wie sie jeden Morgen und Abend das zu thun pflegte, nachgesehen, ob ihre fünftausend Thaler auch noch beisammen wären, die sie in wohlgezählten zehn preußischen Fünfhundertthalerscheinen in einem verschlossenen und vielmals umhüllten Kästchen auf dem tiefsten Grunde ihres Kleiderschrankes, unter Wäsche und Wollsachen wohl verwahrt, liegen hatte, und da keines der Papiere gefehlt hatte, auch alle dazu gehörigen Koupons vorhanden gewesen waren, machte sie sich nun befriedigt daran, sich zum Ausgange auf den Markt bereit zu machen, denn heute war Markttag im Städtchen.
Den schwarzen Rock legte sie an und die blaue Taille, band auch eine schwarze Schürze vor, und den Kopf bedeckte sie mit einem dunkelblauen, wollenen Tuche, und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß die von Außen in die Küche führende Thür und die Fenster gut geschlossen waren, auch nicht vergessen hatte, mit der von der Zunge befeuchteten Hand noch einige Male über Schürze und Rock zu fahren, um etwa darauf haftende Federfleckchen zu entfernen, ergriff sie den großen, braun lackirten Marktforb und trat aus der Thür ihres Wohnzimmers.
Sofort fuhr fie aber, giftig ausspeiend, zurück; denn eben ging die Bewohnerin der hinteren Parterreräume, die Hebamme Quint, vorüber, mit der die Alte, des Gartens auf dem Hofe wegen, beständig im Streite lag. Sie ärgerte sich stets, wenn sie jene Person sah, die stets gespreizt that und an ihr vorbeiging, als wäre sie Lust, warf ihre Thüre ins Schloß, blicb hinter derselben stehen und wartete, bis die Hebamme weit genug fort war.
Nun erst trat sie wieder auf den Flur, drehte zweimal den Schlüssel im Schloß herum und mühsam stieg sie dann die wenigen, aus Pflastersteinen hergestellten Stufen zur Straße hinunter, denn sie war schon schwach auf den Beinen.
Mit grämlichem Gesicht schob die Alte sich vorwärts, dem Markte zu. Auf ihrem Wege wurde sie von der verwittweten Steuerkontroleurin Ehm eingeholt, einer geschwäßigen, stets nach Neuigkeiten jagenden Dame, die, ganz außer Athem und nach Luft schnappend, hinter ihr her schrie, ob sie denn schon wisse, daß die letzte Nacht beim Fleischer ein Einbruch verübt worden wäre, daß eine ganze Anzahl Schinken und Würste fehlten, und daß man von den Dieben noch nicht die geringste Spur hätte. Den Mund aufreißend drehte die Alte sich um und dann erschrat sie heftig; sie dachte an ihre fünftausend Thaler im Kleiderschrank.
Obgleich sie beim Gedanken daran, daß sie eben noch Alles in Ordnung gefunden und zudem ihr Geld gut verwahrt hatte, sich etwas beruhigte, blieb doch noch einige Besorgniß in ihr zurück, und auf dem ganzen ferneren Wege flagte sie der Kontroleurin von den verderbten Zeiten, der verlotterten Jugend und den schlechten Menschen, und diese pflichtete Allem bei, indem sie mit überzeugtem Ernste dazu nickte. Auch erinnerte die Frau Kontroleurin an andere Diebstähle, die vor Jahr und Tag im Städtchen vorgekommen waren, und mit einem Seitenblick auf die Alte fügte sie hinzu, daß Der glücklich sein könnte, der kein Geld zu bewahren hätte.
Endlich kamen die Frauen auf dem Markte an und mischten sich unter die durcheinander wogende, rufende, schwißende, schimpfende und handelnde Wenge.
Da gingen Frauen von Stand zu Stand, betasteten das Geflügel, fragten nach dem Preise, machten niedrigere Gebote, gaben die zappeluden Thiere wieder zurück, kamen dann wieder und boten von Neuem; dort betrachteten Andere die Butter, die die Bauernfrauen in große, grüne Blätter eingeschlagen in Körben feilhielten, und die Käuferinnen
kosteten die Stücke, indem sie mit dem Nagel des Daumens ein Wenig von der weichen Masse herunterrissen und es prüfend auf der Zunge zergehen ließen. Noch Andere hielten die Gier gegen das Licht, ließen eine Mandel oder auch zwei sich einpacken, handelten dann und feilschten und drohten endlich, die Waare zurückgeben zu wollen, wenn sie nicht auf jede Mandel ein Stück gratis bekommen würden.
Die Alte machte Alles das eben so, denn sie verstand sich aufs Einkaufen, und als sie damit fertig war, schleuderte sie gleich den anderen Hausfrauen noch ein wenig auf dem Marfte umher; sie ging die Waare besehen", wie der Ausdruck dafür lautete.
Bei diesem Bummelu hörte sie überall von dem Diebstahl sprechen, jede der Frauen, die sie traf, erzählte den Vorfall anders, noch mehr ausgeschmückt und mit mehr Einzelheiten, und als die Alte heimging, dachte sie an weiter nichts, als an den Diebstahl, und fortwährend murmelte sie vor sich hin: „ Ja, es ist doch schlimm, bestohlen zu werden... das ist schlimm... ist doch sch imm...'
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Zu Haus angekommen, prüfte sie ängstlich Thüren und Fenster; da aber anscheinend Alles so war, wie sie es verlassen hatte, machte sie sich beruhigt an das Bereiten ihrer Mittagsmahlzeit.
Dabei fiel ihr ein, daß sie der Lehrersfrau im ersten Stock noch ein Ei schuldete, und sie eilte, es wiederzugeben, vergaß sogar im Eifer, die in die Küche führende Thür abzuschließen.
Die Rüdfehr verzögerte sich; denn die Lehrersfrau hatte den genauesten Bericht über den Einbruch, da des Fleischers ältester Junge bei ihrem Manne in die Schule ging, und als Frau Ziegler wieder in die Küche trat, waren wohl zwanzig Minuten vergangen.
Mit Schrecken nahm sie wahr, daß sie vergessen hatte, die Thür abzuschließen; alle Diebesgeschichten kamen ihr in den Sinn, und ohne einen Augenblick zu verziehen, stürzte sie sich auf den Kleiderschrank. Das Kästchen war noch da, Gott sei Dank, aber was war das?
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Die Alte zählte ihre Scheine und zählte, zählte, bis ihr dicke Schweißtropfen auf der Stirn standen, es half nichts, es waren nur noch neun Scheine vorhanden, einer fehlte, fünfhundert Thaler fehlten!
Eine dumpfe Verzweiflung bemächtigte sich der alten Frau; sie war bestohlen worden, bestohlen un fünfhundert Thaler! Und im Geiste sah sie schon den Dieb wiederkommen, sah ihn einen der Scheine nach dem anderen holen, bis sie zuletzt nichts mehr hatte, nichts... bis sie würde betteln müssen....
Sie stöhute wild auf, fing an zu schluchzen und schlug sich mit den Fäusten die Stirn. Was sollte sie nun machen, wer würde ihr helfen?..
Und sie saß und saß und vergaß das Essen, und sie zählte und zählte und fing immer wieder von Neuem an. Aber es half nichts, fünfhundert Thaler waren verschwunden, es waren nur neun Scheine noch vorhanden.
Die Sonne verschwand hinter den niedrigen Häusern der gegenüberliegenden Straßenseiten, aber noch immer saß die alte Frau wie betäubt, ohne bestimmte Gedanken....
Da tam auf einmal Leben in sie; hier durfte das Geld nicht mehr bleiben. Und nach kurzer Ueberlegung schloß sie Thüren und Fenster, setzte sich in die Küche, damit sie von der Straße her nicht beobachtet werden könnte, und beim Scheine einer Lampe nähte sie die Papiere in den Rock, den sie gewöhnlich trug.
Als sie damit fertig war, nickte sie befriedigt; da würde der Dieb das Geld nicht finden. Wenn sie nur den Dieb erst wüßte..
Im Hofgebäude des Grundstücks, in dem die Alte wohnte, hatte sich eine Kartenlegerin niedergelassen, zu der ging sie in der Dämmerungsstunde.
Die legte ihr die Karten und sagte ihr unter Anderem, daß sie durch eine ihr feindliche Dame in allernächster Zeit einen Verlust erleiden würde.
Die Alte nickte befriedigt. Einen Verlust hatte sie erlitten, und die feindliche Dame war keine andere, als die Hebamme. Sie erinnerte sich nun auch, daß sie hinten eine Thür hatte schnell zuschlagen hören, als sie Mittags die Treppe heruntergekommen war.
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„ So Cine" murmelte sie vor sich hin, als sie über den Hof ging sie über den Hof ging, kommt sie ihr das Geld wegnehmen! Aber sie sollte sich schon hüten," dachte sie, und warf dabei einen haßerfüllten Blick zu den Fenstern der Hebamme hinüber.
Und nun sie einmal Verdacht gefaßt hatte, fraß der Gedanke in ihr weiter wie ein Feuerflämmchen, das in einen Strohhaufen gerathen ist, und der Haß war der scharfe Windzug, der das Flämmchen zu heller Lohe aufschürte. Der Haẞ trieb sie auch in den Garten, als die Stadt zur Ruhe ging, an das Fenster ihrer Feindin, und scharf spähte sie durch den herzförmigen Ausschnitt in der Fensterlade in deren Stube hinein.
Sie wußte selbst nicht, wozu dies Beginnen nüßen sollte, aber ihr war, als könnte das ihr etwas helfen, als würde sie dabei ihren Schein wenigstens zu sehen bekommen.
Während sie da so auf der Lauer stand, zitternd wie der unerfahrene Jäger, der das Nahen des Hochwildes erwartet, vernahm sie auf einmal von der Seite her eine hämische Stimme:„ Na, da weiß man endlich, wo meine Birnen bleiben!"
Die Alte fuhr auf; die Hebamme stand nicht weit von ihr. Und wie sie die sah und die Beschuldigung hörte, da faßte sie eine solche Wuth, daß sie kaum zu sprechen vermochte; eine Zeitlang famen ihr nur unartikulirte Laute aus der Kehle. Dann aber brach sie los.
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„ Sie," fuhr sie die Hebamme an, wollte sie des Diebstahls beschuldigen! Da wäre gerade sie die Rechte! Und nun ergoß ein Strom von Beleidigungen sich über die Frau.
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Wie zwei Kampfhähne standen die beiden Weiber sich gegenüber; Beschuldigung auf Beschuldigung schleuderten sie einander ins Gesicht; das ganze Haus kam in Aufruhr, und schließlich rannte die Hebamme heulend zum Gendarmen.
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Der fam im Vollgefühle seiner Wichtigkeit und machte sich sofort daran, den Fall zu untersuchen". Neue Beleidigungen schleuderten die Frauen einander ins Gesicht; es folgten neue Beschuldigungen und Anklagen und nach Verlauf von einer halben Stunde warf sich der Gendarm endlich in die Brust und erklärte, daß ihm die Erzählung der Alten von den fünfhundert Thalern und der Deutung der Kartenlegerin sehr unwahrscheinlich vorkäme, daß dagegen Beleidigungen, schwere Beleidigungen auf beiden Seiten unstreitig gefallen wären. Wenn die Frau Ziegler aber ihre Beschuldigung aufrecht erhalten wollte, dann würde morgen eine genauere Untersuchung stattfinden.
Die Frauen aus dem ganzen Hause waren zusammen gekomen; tuschelnd und flüsternd standen sie beieinander. sie beieinander. Als verhöhnten sie sie, kam es der Alten vor, und mit einer vor Aufregung heiseren Stimme schrie sie, daß sie gegen alle Welt ihre Behauptung aufrecht erhielte! Man möchte nur kommen und untersuchen, möchte nur fommen. Sie wüßte, was sie wüßte, hätte Augen zu sehen, und kein Gericht der Welt würde sie übertölpeln. Dem Ehr lichen sähe sie schon an den Augen an, daß er ehrlich sei.
Wüthend fuhr die Hebamme auf; einen Augenblick stand sie mit geballten Fäusten, als wollte sie sich auf ihre Gegnerin stürzen und ihr das Gesicht zerkragen, dann spie sie der aber giftig vor die Füße, rannte in ihre Stube und ließ dabei die Thür krachend hinter sich ins Schloß fallen.
Die Alte sah ihr nach:" Wir werden morgen schon sehen!" rief sie drohend hinter der Feindin her und hob die geballte Faust, und dann schoß auch sie in ihre Wohnung. Kopfschüttelnd ging der Gendarm davon.
Am nächsten Morgen war er wieder in der Wohnung der Rentière, den Thatbestand eingehend zu untersuchen. Er ließ die neun vorhandenen Scheine sich vorweisen, wozu die Alte nach heftigem Sträuben sich verstand; dann begehrte er den Kasten zu sehen, in dem sie bis gestern Mittag gelegen hatten, und den Ort, an dem dieser Kasten gestanden hatte.
Die Alte öffnete beide Flügel am Kleiderschranke, ließ vor demselben auf die Kniee sich nieder und begann auf dem Boden des Schrankes unter den