Die reue Welt
Mr. 27
Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Und ich ging und ließ die Andern lachen, Denn ich trug mit mir ein Paradies, And ich lernte meinen Stolz entfachen, Als der Sturm mir in den Mantel blies.
Auf der Walze.
Aus den Papieren eines Fechtbruders. Von F. Riebeck.
( Fortsetzung.) Fünftes Kapitel.
Johann verschwindet.
Is wir dem Bannbereich der Stadt entronnen waren, verloren wir unseren Freund Johann. Ein Wagen fam des Weges gefahren, und scherzhaft warfen wir dem Fuhrmann die Frage zu, ob wir mitfahren dürften. Wider Erwarten lud er uns durch eine Handbewegung zum Aufsteigen ein, fuhr jedoch im Trabe weiter. Wir rannten dem Wagen nach und versuchten aufzuspringen; Franz kam dabei heftig zu Fall und lag auf der Straße, während Johann schon den Wagen erflommen hatte. Er rief uns zu, daß er im nächsten Dorfe auf uns warten wolle.
Franz hatte sich aufgerafft, und wir zogen weiter, den lustig dahin fahrenden Freunde neidisch nachblickend, bis er vor unseren Augen verschwand.
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Im nächsten Dorfe fanden wir ihn nicht, obgleich wir uns sorgfältig nach ihm umsahen. Weiter einem anderen Dorse zu! Johann war auch dort nicht zu finden, und nun erfaßte uns die Angst, daß er für uns verloren sei. Wir waren müde geworden und sehnten uns nach einem Stündchen Naft, doch die Hoffnung, daß Johann weiter mitgefahren sei, als er beabsichtigt hatte, und nun irgendwo am Wege auf uns wartete, verlieh uns Kraft und Ausdauer. Johann war der Kühnste und Herzhafteste von uns, ihn glaubten wir nicht entbehren zu können.
So legten wir eine weite Strecke Weges zurück, bis Franz stehen blieb, sich an meine Schulter lehnte und zu weinen begann. Er konnte nicht mehr weiter, und so ließen wir uns im Chauffeegraben nieder. Juständig bat er, ich möge mit ihm umkehren und nach Hause wandern; er habe sich die Fremde ganz anders vorgestellt. Indem ich ihn tröstete und seinen Muth aufzufrischen versuchte, schöpfte ich aus seinent Kummer und seinem Zagen neue Entschlossenheit. , Sie würden uns auslachen zu Hause," sagte ich. Und außerdem sind wird schon viel zu weit fort!" „ Mich hungert!" ſtöhnte er.
Klatschend schlug der Regen auf und sprühte, Bis zur Stirn mir war mein Hut durchnäßt, Doch im Innern meine Seele glühte, Die Such nicht zur Ruhe kommen läßt.
O, mich hungerte auch, ganz entsetzlich sogar! Mein Magen fragte mit entse slicher Ernsthaftigkeit, ob ich gesonnen sei, ihm sogleich Beschäftigung zu geben, oder ob ich für immer auf seine Thätigkeit verzichten wolle. Bei dieser Frage war mir zu Muthe, wie etwa einem zum Tode verurtheilten Missethäter, den ein naives Gemüth fragt, ob er nicht lieber seine Schuld durch fleißige Arbeit und freiwillige Buße werde tilgen wollen, anstatt sich löpfen zu lassen. Ach, er wollte schon arbeiten und Buße thun, wenn nur der Staatsanwalt und der Henfer nicht wäre!
Obgleich wir Beide vor Hunger kaum noch zu kriechen vermochten, hatten wir keiner ein Wort über diesen Zustand gesprochen, aus Angst, daß dann wieder die Frage erörtert werden müßte, wer von Beiden im nächsten Orte für Bettelbrot zu sorgen habe. Nach den ersten trostlosen Fechtversuchen war unser Vertrauen in die Ergiebigkeit dieser Kunst tief gesunken, und selbst die stolze, ruhnreiche Thatsache, daß ich einst ein Ei erfochten hatte, vermochte uns nicht ein Fünkchen Muth zu verleihen. Gerade die Erinnerung an jenes Ei war die, die mir stets den bösen Empfang ins Gedächtniß rief, den mir die Bäuerin bereitete, als ich mit gutem, arglosem Herzen bittend vor sie hintreten wollte. Eine solche Abweisung hätte ich nicht wieder erleben mögen, daher meine unüberwindliche Schen vor dem Fechten. Franz war erst recht ein Hasenfuß; er besaß eher die Fähigkeit, elend im Chauffeegraben zu verhungern, als einen fremden Menschen um eine Gabe anzuflehen. Diese Eigenschaften steckten bei uns im Blute; das war der anerzogene, nichtswürdige, falsche Stolz, die Eitelkeit des Narren, vermischt mit einer starken Dosis Feigheit und einent Uebermaß von Unbeholfenheit.
Wir hatten Keiner unseren Hunger verrathen, in der Hoffnung, mit Johann zusammenzutreffen und mit ihm gemeinsam auf Erlösung zu sinnen. Nun, da Franz halbtodt am Straßenrande lag, hielt ich mich für moralisch verpflichtet, unter allen Umständen für Nahrung zu sorgen. Mein erster Gedanke war, mit den zwei oder drei Pfennigen, die wir noch besaßen, in ein Wirthshaus zu gehen und für den Betrag ein Stückchen Brot zu kaufen. Was dann weiter geschehen sollte, wußte ich vor der Hand nicht.
1897
Ia ich wandre durch die Mächte weiter, And Ihr lärmt und Haß verbindet Euch, Aber ich bin wie ein Sturmgefeiter, Denn mein Schweigen überwindet Euch.
Nach vielem gütlichen Zureden gelang es mir, den schwergeprüften Freund auf die Beine und auch vorwärts zu bringen. Ein Stück weit führte ich ihn sorgfältig, wie eine zärtliche Mutter ein Kind bei dessen ersten Gehversuchen leitet; allmälig aber gewöhnte sich der schwache Körper wieder an die Bewegung, und Franz schleppte sich ohne meine Unterstübung weiter.
2 or uns lag eine Ortschaft, in der zwischen niederen Häusern und Gärten eine Anzahl villen artiger Gebäude prunkend und trahlerisch emporstrebten. Zu beiden Seiten der Eingangsstraße befanden sich mehrere niedliche Landhäuser, bei denen weder Scheunen noch Ställe zu sehen waren, und die daher im Verein mit den Villenbauten dem Orte ein städtisches Ansehen verliehen. Vielleicht, daß uns Johann hier erwartete.
Wir hielten Einzug. Mitten in dem Dorfe oder dem Städtchen wohnte in einem schönen Hause ein Tischlermeister. Ueber der frischgestrichenen Hausthür hing ein mächtiges Schild mit fußhohen Buchstaben. Die Größe dieses Schildes erweckte in mir die Vorstellung, daß in dem Hause ein großer Meister über viele Gesellen herrsche, und plößlich kam ich auf den Einfall, unterthänigst anzufragen, ob er vielleicht auch für meinen Freund und mich Beschäftigung habe. Ich theilte Franz meinen Plan mit, vnd er ermunterte mich, bei dem Meister vorzusprechen.
„ Ich werde sagen, daß wir ganz billig arbeiten!" " Ich arbeite umsonst, blos für's Essen," erklärte mein Freund mit matter Stimme. Für ihn hatte nur noch das Essen Wrth und Reiz.
"
Zagenden Fußes trat ich in das Haus. Ein Mädchen zeigte mir die Werkstatt. Leise pochte ich an, und ein scharfes Herein!" ertönte. Ich öffnete, und ein bärtiger Mann kam mir entgegen. Er hatte schwarze, stechende Augen, und er lächelte mich so kalt und herzlos an, daß mir ein Schuer durch die Seele lief. Kaum hatte ich die ersten Worte gestammelt, so drängte er mich mit den Worten: ,, Hier kommt Jeder' rein, der vorbeilänft; Sie sind heute schon der Zehnte!" hinaus und schlug die Thür heftig zu.
Ich wankte wie im Taumel zurück auf die Straße, wo mein Freund mit sehnsuchtsscharfen, faſt brechenden Augen meiner harrte. O, daß ich in die