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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

auf den Kopf und legte von Neuem Los: Wir haben seit drei Tagen keinen vernünftigen Bissen in den Mund gekriegt.... Gi der Tausend, junge Frau, ist das blizblanke Mädel da Ihre Tochter? Bei Gott, junge Frau, schon eine solche Tochter? Garnicht möglich. Nann weiß ich, was ich zu thun habe! Wenn ich Meister sein werde, und von meinem Alten das große Grundstück hinter der Hasenheide geerbt habe, hol ich mir das Mädel zur Frau... Aber als Schwiegermutter müssen Sie heute schon einmal den Schlüssel in die Fleischkammer stecken, das geht nicht anders! Gehn Sie und holen Sie uns ein gutes Stück Schinken oder Speck, damit wir wieder zu Kräften kommen.... Pozz Donner­feil, was für'n strammes, hübsches Mädel!"

Mir wurde bei dieser Rede zum ersten Male völlig klar, daß ich wirklich ein ganz dämlicher, dummer, unbeholfener Bursche war. Wer so zu reden wußte, ja, das war ein Geist, der brauchte sicherlich nicht zu hungern in der Welt! Gleichzeitig entsegte sich mein frommes Herz über die schauderhaften Lügen, die der Mensch hervorsprudelte, ohne schamroth zu werden, und ich gedachte meiner lieben Mutter, die oft 31 sagen pflegte, daß es in der Welt viele schlechte und verlogene Menschen gäbe. Unter der Welt ver­stand sie jedesmal die Ferne, nicht die Heimath.

Die Bäuerin war noch immer verblüfft. Sie wußte nicht recht, ob sie schimpfen oder lachen, ob sie uns fortjagen oder freundlich behandeln sollte. Sie murmelte halblaut einige Worte, die ihrent Töchterlein galten, das sich bei der Lobrede des Schulmeisters verschämt hinter dem breiten Körper der Mama geborgen hatte und nur ab und zu einen neugierigen Schelmenblick hervorgucken ließ.

Der Schulmeister merkte, daß seine Rede noch nicht genügend auf die zähe, bäuerische Natur ein­gewirkt hatte, deshalb begann er weiter zu schwaben. Er fragte nach dem Ausfall der vorjährigen Ernte, wie die Kartoffeln im vergangenen Jahre gerathen seien und was die Butter gegenwärtig koste. Ohne eine Antwort auf alle diese Fragen abzuwarten, er­zählte er, was die Butter in Breslau , was sie in Berlin und was sie in Amsterdam koste, und plöß­lich von diesem Thema abbrechend, erging er sich aufs Neue in Lobeserhebungen über das in der That hübsche Mädel.

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Na, hören Sie," schloß er endlich seine Rede, Sie werden doch nicht sein wollen wie die anderen Bauersfrauen hier am Orte. Den Geiz dieser Weiber wollen wir in der ganzen Welt verkünden. Nicht wahr, Kollege? Auf ein hübsches Stück Speck tommt es doch einer hübschen, reichen Bauersfrau gewiß nicht an, besonders, wenn sie eine so wunderhübsche Tochter hat. Seien Sie dem lieben Gott dankbar dafür und haben Sie Erbarmen mit ein paar ganz armen Schluckern, er wirds Ihnen neunundneunzig Mal vergelten. Wir wollen auch beten, daß bis zum Herbst Ihre Schweine recht fett werden."

Jetzt wurde der ſtarre Mund der Frau durch ein gewährendes Lächeln bewegt; sie wandte sich langsam zu der hinter ihr stehenden und verlegen mit dem Schürzenzipfel spielenden Tochter und mur melte ein paar Worte; das Mädel hüpfte freudig in das Innere des Hauses und kehrte nach wenigen Minuten mit einem großen Stück Speck zurück, bei dessen Anblick mir zu Muthe ward, als würde mir plöslich die Seligkeit aller Seligkeiten zu Theil.

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Aber Himmel, o Himmel steh mir bei! Es ge­schieht ein Unglück. Die Bänerin sieht den Speck, erschrickt, reißt ihn dem Mädel zornig aus der Hand, versetzt dem geliebten Kinde einen Puff mit dem Ellbogen und will in das Haus eilen. Da dem furchtbaren Augenblick vollbringt der Schulmeister ein Meisterstück. Mit einem Sprunge, wie die Staze auf ihre fliehende Beute springt, steht er auf den Thürstufen und hat ein Schürzenband der Bäuerin erfaßt. Erschrocken wendet sie sich um, sie fürchtet einen Angriff und will fliehen, aber schon hat der Schulmeister mit beiden Händen ihre Linke ergriffen, und schon schnattert er abwechselnd inständige Bitten, fürchterliche Drohungen und moralische Lehren. Wollen Sie mitten hinein in die Hölle kommen?" ruft er mit unheimlicher Betonung. Wollen Sie Ihre wunderhübsche Tochter zum Geiz erziehen? Dieses

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Mädel fennt die göttlichen Gebote; sie weiß aus der Religionslehre, was sie zu thun hat, wenn sie Jemanden verhungern sieht. Geben Sie nur her den Speck, es ist nicht zu viel! So, wir danken auch recht schön! Dafür wird der liebe Gott dem Mädel einen recht hübschen reichen Mann schenken. Sie sind eine brave Frau; die beste, die wir hier am Orte getroffen haben. Vielleicht haben Sie auch noch ein Stück Käse? Es ist wegen der Verdauung. Also bitt schön, ein Stück Käse, ganz gleich, was für welcher. Sie sind ja eine so reiche Frau, daß es Ihnen auf ein Stück Käse nicht ankommt. In Berlin kriegt man solchen Käse garnicht, wie ihn hier die feinen Dorffrauen machen. Bitte, bitte, recht schnell!"

Die Bäuerin ist augenscheinlich betäubt und ver= wirrt von diesen Reden; sie hat willenlos den Speck hergegeben, und jetzt geht sie schweigend in die Vor­rathskammer, um Käse herbeizuholen. Sie bringt zwei Kuhkäse herbei, die der Schulmeister dankend in Empfang nimmt. Im nächsten Moment versucht er, dem zutraulich und zugleich verschämt lächelnden Mädchen das Kinn zu streicheln, und gleichzeitig fragt er, ob wir nicht auch ein Stück frische Butter bekommen könnten, damit wir wieder einmal erführen, wie eine Butterſtulle schmecke. Nun ergreift jedoch die Bäuerin das Mädel am Arme, zieht es mit raschem Ruck in den Hausflur und schlägt mit der anderen Hand die Thür zu. Ich höre, wie von innen ein Riegel vorgeschoben wird und wie die Frau schimpft.

Vorwärts! hier sein wir fertig!" erklärt der Schulmeister, und wir marschiren im Schnellschritt unter dem Gekläff der Köter zum Thore hinaus. " Das war eine dufte Winde; nicht zum Aller­besten, aber immerhin dufte!"

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Achtes Kapitel.

Eine mieße Winde".

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Haste gesehn, wie's gemacht wird?" fuhr der Schulmeister fort. Du mußt nur nicht wie ein Maulaffe hinter mir stehn und wie ein Frosch die Leute anglozen! Du mußt ein helles Wort mit­reden.... Immer fir, rin zum Thore! Du mußt voran; ich bin in Dallas und Du in Kluft. Die Kaffern findens anständiger, wenn Du zuerst kommst."

Wieder bekam ich einen so kräftigen Puff in den Rücken, daß ich zum nächsten Hofthore hineinstolperte.

Diesmal trat uns ein Bauer entgegen. Er zog seine gestickte Börse und gab uns schweigend und bedächtig Jedem eine Kupfermünze. Wir dankten und schoben weiter.

Mit solcher Sorte is nichts!" belehrte mich der Schulmeister; das muß man den Leuten schon an der Landkarte ansehen." Ich vermuthete, daß er unter dieser Bezeichnung das Gesicht verstand.

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Nachdem wir noch einige Bauerngehöfte besucht und überall Kupfermünzen empfangen hatten, ge­langten wir in einen großen Gutshof, dessen eine Langseite einen fesselnden Ausblick gewährte auf einen weiten, prächtigen Park. Rechtwinkelig vom Park stand das Schloß, rings umgeben von geräumigen Blumengärten. Hier sah ich die erste Blumenpracht des Jahres; in kunstvoll verschlungenen Reihen leuch­teten die farbenfrohen Kinder des Frühlings Krokus, Narzissen, Primeln, Veilchen, Hyazinthen ach, was weiß ich, was es für Blumen waren! ich weiß nur, daß der Garten einen märchenhaften Ein­druck auf mich machte, und daß ich am liebsten bewun= dernd und beglückt stehen geblieben wäre, troß meines schweren Hungers. Auf einem Sandplage des Vor­gartens spielte ein junger Kavallerieoffizier mit einer sehr schönen Dame ein Spiel, das ich in späteren Jahren als Croquet kennen lernte. Ich zog ehr­erbietig den Hut, erhielt jedoch keinen Dank, sondern erntete nur eine halblaute Verwünschung aus dem Munde des Schulmeisters, dem ich viel zu langsam ging.

Beim Eintritt in das Schloß raunte er mir zu: Hier aber feste druf! Wir müssen die Köchin er­wischen."

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Wir gelangten in einen weiten Flur, der mit bunten Steinplatten belegt war. Mein Begleiter

zögerte ein Weilchen, musterte aufmerksam die vielen Thüren, schritt dann beherzt auf eine der Thüren zu und pochte. Er pochie stärker und stärker, doch von innen erscholl kein Laut.

Na, denn nicht!" brummte er. Ausgestorben kann doch das Nest nicht sein."

Er huschte nach der gegenüber liegenden Thür und klopfte dort erst leise, dann heftiger und immer heftiger, bis er mit der Faust andonnerte. Da plözz­lich ging die Thür auf, an die er zuerst gepocht hatte, ein weiblicher Kopf kam zum Vorschein und fragte keck und unwirsch, was wir im Schlosse zu suchen hätten. Ich, der ich an jener Thür stehen geblieben war, brachte stotternd und erschrocken unser Anliegen vor.

,, Hier giebts nichts, es ist Niemand zu Hause!" goh der Kopf zur Antwort.

,, Aber hübsche Jungfer, Sie sind ja zu Hause," rief der Schulmeister, schnell herbeifommend. Er versuchte, zärtlich zu lächeln, so daß sein häßliches Gesicht sich völlig zur Teufelsfraze verzog. S Sie werden doch zwei hübsche Jungen..."

Er brachte den Satz nicht zu Ende; die Jungfer schrie etwas von Frechheit und schlug krachend die Thür zu.

Hier kriegen wir nichts," sagte ich beklommen, und wollte mich entfernen.

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,, Esel, biste verrückt?" fauchte er mich fragend an und ballte drohend die Faust. Eine solche Winde willst Du liegen lassen? Du bist mir der rechte Jakob!"

Er klopfte an die Thür, keine Antwort. Er flopfte wieder er flopfte in einem fort, so lange, daß mir die Zeit wie eine bange Ewigkeit erschien. Endlich ging die Thür abermals auf, und wieder kam der weibliche Kopf zum Vorschein.

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Wenn Sie nicht auf der Stelle das Schloß ver­lassen, binde ich die Hunde los!" schrie das Frauen­zimmer wüthend, verschwand im Augenblick, die Thür schloß sich mit lautem Schlag, und wieder waltete be= ängstigende Stille in dem stolzen Prachtgebäude.

Der Schulmeister stuzte unschlüssig und that einen Schritt nach der Hausthür zu; aber er besann sich schnell, trat zurück an die weiße Thür und nahm seine Klopfarbeit wieder auf. Er zeigte sich dabei so ruhig und gelassen, daß mich das Entsezen packte und ich an seiner Vernunft zu zweifeln begann. Er klopfte in einem fort, wohl zehn Minuten lang und länger, während ich, auf ein großes Unglück gefaßt, fluchtbereit am Ausgange stand. Ach, wie gerne wäre ich davon gerannt! Doch ich fürchtete den schweren Zorn des unheimlichen Menschen, und außer= dem fühlte ich mich durch die magnetische Kraft des Speckes, der in seiner Tasche steckte, an ihn gefesselt.

Endlich kam das Gefürchtete, das Schreckliche. Nachdem er einige Male mit der Faust an die Thür gehanen hatte, ging sie zum dritten Male auf, und diesmal sprang das weibliche Geschöpf in weißer Küchenschürze wie eine Furie heraus und stürmte wild an uns vorbei.

,, Herr Lieutenant, schnell, bitte, schnell!" schrie sie von den Stufen der Eingangsthür aus. Helfen Sie mir, es sind zwei ganz freche Bummler da!"

Der Unhold, mein Fechtschulmeister, schien in meiner Seele zu lesen, denn bevor mir der große Schreck Zeit ließ zum Entsp: ingen, fühlte ich eine feste Hand im Nacken, die mich am Kragen hielt. Hier bleiben, oder der Satan holt Dich!"

Schon kam der Herr Lieutenant mit zorn­glühendem Gesicht herbeigerannt. Die Köchin war ihm entgegengeeilt und berichtete ihm keifend und schimpfend von unserer großen Frechheit. Ich ergab mich augstvoll bebend in mein Schicksal und empfahl meine arme Seele dem heiligen Geist und meinem Schußengel. Der Schulmeister zog seinen Hut, stellte sich in die Hausthür und empfing den Herrn Lieutenant mit einer tiefen Verbeugung. Dieser wagte indeß nicht, nahe heranzukommen; er schnaufte etwas von unverschämtem Lumpengesindel und schrie nach den Knechten. Ich zupfte den Schulmeister voll Todesangst an Aermel, um ihn zum Gutfliehen zu bewegen, allein er versezte mir einen Stoß mit dem Elbogen , verneigte sich abermals und bat in gelassenem Tone um eine Reiseunterstützung.