Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Da kein Knecht erschien, befahl der Lieutenant der Köchin, eine Peitsche zu holen. Am Gartenzaun erschien das schöne Fräulein, mit dem er gespielt hatte, und fragte, was geschehen sei.

Entschuldigen Sie mich, Fräulein Isolde, ich habe hier etwas zu thun," rief er, anstatt einer Antwort und richtete sich hoch auf, als gelte es einen Kampf auf Tod und Leben und als wollte er seiner Dame einen Beweis von seiner großen Tapfer feit liefern. Er sah so gefährlich aus, daß ich gar­nicht anders konnte, als mit fühnem Sprunge die Freiheit zu suchen. Am Schulmeister vorbei und am Lieutenant vorbei, suchte ich die Straße zu ge= winnen und gewann sie; Steiner war so flink, mich festzuhalten. Als ich mich an der Schloßpforte flüchtig umblickte, sah ich die Köchin mit einer großen Peitsche über den Hof gerannt kommen. Ich lief eine Strede weit auf der Dorfstraße fort und stellte mich dann hinter einen großen Baum, der am Wege wuchs. Lange hatte ich auf den Schulmeister nicht zu warten. So' ne micße Winde ist mir ja in meinem menschlichen Dasein nicht begegnet!" hörte ich ihn schon von Weitem schimpfen.

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Als er mich erblickte, kam er zornig auf mich zugestürzt, versezte mir ein paar derbe Schläge auf den Kopf und nannte mich erbärmlicher Feigling. Ich hätte mir eine solche Behandlung sicher nicht gefallen lassen, wenn es nicht unter den obwaltenden Umständen dringend nöthig gewesen wäre, daß ich mir seine Freundschaft noch auf kurze Zeit bewahrte. Außerdem that er mir sehr leid, denn über sein Gesicht zog sich ein blutender Striemen, der jeden falls sehr schmerzen mußte. Also ließ ich geduldig eine Fluth von Schimpfreden über mein armseliges Haupt ergehen.

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Wenn Du nicht ein Hase gewesen wärst, hätten wir den Kerl durchgehauen, daß er seine Knochen nicht mehr gefühlt hätte!" sagte der Berliner. Haut mich der Bursche übers Gesicht. Aber einen Hieb hat er von mir gekriegt, daß er fünf Schritte weit an den Zaun flog!"

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Ich glaubte bestimmt, der Offizier würde uns von den Knechten verfolgen lassen und schlug daher vor, das Dorf zu verlassen. Der Schulmeister ant­wortete abermals mit Grobheiten und befahl mir, das Dorf bis zum Ende mit ihm abzufechten. Ich gehorchte und wider mein Erwarten famen wir unbehelligt und mit gefüllten Taschen am Ausgang des Dorfes au. Dort lagerte Franz im Chaussee­graben und sah uns mit gespannter Erwartung ent­gegen. Wir lagerten uns zu ihm, und es erfolgte die Vertheilung der Beute. Zuerst wurde das Geld getheilt, und der Schulmeister versetzte uns dabei in das allergrößte Erstaunen und zugleich in starke Verlegenheit. Er zählte das Geld genau in drei Theile ab und behielt nur den einen für sich. Da ein Pfennig übrig war, mußte das Loos entscheiden, wem er zu Theil werden sollte. Wir verlangten, er sollte wenigstens zwei Theile des Geldes nehmen, da wir ja nur ihm das große Glück zu danken hätten; allein er erwiderte grob und hohnvoll, daß er ein ganz miserabler Kunde sein müßte, wenn er nicht ehrlich theilen wollte.

Nun wurde im Chauffeegraben getafelt. O, ein köstliches Mah!! Leider fehlte es uns au Salz. Da ich mich beim Dalfen" unzünftig" benommen hatte, wie der Schulmeister sagte, erhielt ich den Befehl, in die nächste Winde" zu laufen und Salz und Pfeffer zu dalfen". Ich kam dem Auftrage nach und löste ihn glänzend. Beim Schulmeister hatte ich in der letzten Stunde sehr viel gelernt. Die Nährmittel wurden gleichfalls, redlich vertheilt, und ich fühlte mich bei dem nahrhaften Schmause sehr glücklich. Franz, der den größten Hunger empfunden hatte, faute mit solchem Eifer und ernst haftem Fleiße, daß die Pupillen seiner großen Augen in seinem Stindesgesichte beängstigend hervortraten.

Neuntes Kapitel.

Ende mit Schrecken.

Während des Weitermarsches fiel es dem Schul­meister ein, mich noch einmal wegen meiner feigen Flucht aus dem Schloßhofe zur Nede zu stellen. Er

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meinte, es sei eine Schande für die gesammte Kunden­welt, daß wir dem Husarenoffizier nicht die Peitsche welt, daß wir dem Husarenoffizier nicht die Peitsche entrissen und ihn für seine Frechheit fürchterlich durchgepeitscht hätten. Wenn wir nicht Strohwische, sondern tafte" Kunden wären, würde er mit uns umkehren und das Versäumte nachholen.

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Diesen Stenz," fügte er, auf seinen Stock deutend, hinzu, habe ich nicht blos abgeschnitten, um damit zu tippeln" und die Hunde zu jagen er ist auch für Jeden bestimmt, der die Kundenehre nicht wahrt."

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Bei den letzten Worten warf er mir einen haẞ­vollen Seitenblick zu und fuchtelte mit dem Stocke so grimmig in der Luft, daß wir ihm weit aus dem Wege gingen.

Halblaut wechselte ich mit Franz ein paar Worte über das Benehmen des Schulmeisters; das hörte dieser, ohne die Worte, die harmloser Art gewesen ivaren, zu verstehen. Er sah mich scharf an, offen bar, um auf meinem Gesicht zu entziffern, was ich gesagt hätte. Er las falsch und schrie mich, von plötzlicher Wuth erfaßt, an: Noch so'n Ton, und plötzlicher Wuth erfaßt, au: ich stopf Dich hier in das Wasserloch unter der Brücke, daß Du elend frepirst!"

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Er fügte noch eine Reihe unfläthiger Schimpf­worte hinzu, über die sich mein sittliches Empfinden heftig empörte. Lassen Sie mich zufrieden!" rief ich. Komm, Franz, wir gehn allein weiter!" Ich ging einige Schritte zurück, Franz jedoch blieb unschlüssig stehen.

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Seht doch, seht doch diesen Kunden!" Höhnte der Lackirer, sich zu mir umwendend. Er lachte heiser und unheimlich, und ich sah, daß er mühsam gegen seine Wuth ankämpfte.

" Jezt will der Dingerich noch frech werden!" fuhr er fort. Komm, Kleiner, mit mir! Lassen wir die Kreatur verhungern!"

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Franz war noch immer im Zweifel, was er thun sollte; erst als ich ihm zurief:" Wir gehören zu sammen!" sagte er entschuldigend zum Lackirer: Er ist mein Lehrkollege, nehmen Sie's nicht übel!" und er kam zu mir.

Nehmen Sie's nicht übel!" äffte der Lackirer

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Wieder kan er mit geschwungenem Stocke und blutendem Schädel hinter uns drein gerast; wieder hieß es: siegen oder sterben.

Am Wege lag ein Haufen zerkleinerter Steine. Franz stürzte drauf los und begann auf den an­stürmenden Feind ein Wurfbombardement; ich folgte dem Beispiel, und wir schleuderten unsere Geschosse so behend und sicher, daß der Unhold stußte und fich nicht heranwagte. Er zog sich zurück und be= gnügte sich, uns mit dem Stocke zu drohen und Rache zu schwören. Ihr entgeht mir nicht, und wenn Ihr bis dorthin lauft, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist," lautete eine seiner Drohungen.

Jezt erst erfuhr ich, daß Franz mein Retter war; er hatte dem Lackirer, als dieser mich am Halse packte, einen schweren Stein an den Kopf ge= schleudert und ihn dadurch auf Augenblicke kampf­unfähig gemacht. Ohne diese Tapferfeit des treuen Kameraden hätte ich vielleicht auf jener fremden Erde mein junges Leben beschließen müssen, denn die Wuth des Lackirers hatte den Grad der Sinnlosig­feit erreicht.

Wir schlugen den erwähnten Seitenweg ein und suchten alsbald Deckung in einem Gebüsch, um als vorsichtige Strategen von dort aus die Bewegungen des Feindes zu beobachten. Wir trauten ihm nämlich nicht, sondern glaubten, er werde auf Umwegen unserer habhaft zu werden suchen, allein er wich nicht von der Chaussee ab, und wir verfolgten ihn mit den Augen, bis er an einer Biegung des Weges verschwand. Dann erst wagten wir einander zu unserem Heldenmuth zu gratuliren. Wir fanden Beide, daß wir tüchtige Leute seien, und das Baro­meter unseres Selbstvertrauens stand höher, als am Tage unseres Abmarsches von Neisse . Ich hatte im Kampfe Beulen und Wunden erlitten, und sie mochten auch wohl schmerzen, aber diesen Schmerz empfand ich im stolzen Bewußtsein meines Helden­thums als eine Wohlthat. ( Fortsetzung folgt.)

meinem Freunde nach und brach abermals in sein Wanderungen durch Beit und Raum.

heiseres, abscheuliches Lachen aus.

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reden sie mit Sie" an, und mit solchen Mücken hab ich mich abgegeben."

Ohne weiter auf den schimpfenden und höhnenden Kollegen zu hören, vereinbarte ich rasch mit Franz, ein Stück Weges zurückzugehen und dann einen feitab nach einem entfernten Dorfe führenden Weg einzuschlagen. Festen Trittes marschirten wir, ohne uns umzuwenden. Auf einmal nahmen wir wahr, daß uns der Lackirer nachgerannt fam. Ein paar flüchtige Blicke nach rückwärts belehrten uns, daß er in feindlicher Absicht kam. Wir sahen uns nach Hülfe um, doch kein Mensch, der uns helfen konnte, weilte in der Nähe. Wenn er haut, müssen wir uns wehren," sagte ich zu Franz. Es geht auf Es geht auf Tod oder Leben!"

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Wenn er uns umbringt!" sagte Franz im Tone des Entseßens, und ich sah, wie eine furchtbare Angst ihren Bann auf ihn ausübte.

Wir gingen rascher, doch es gab fein Entrinnen. Der Feind war uns schon auf den Fersen und gellend schlugen mir die schrecklichen Worte ans Ohr: Einen Denkzettel zum Abschied mußt Du kriegen, Du Schuft!"

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Rasch wollte ich eine Vertheidigungspositur ein­nehmen, aber schon traf mich ein wuchtiger Schlag nehmen, aber schon traf mich ein wuchtiger Schlag mit dem Eichenknüppel auf den Kopf und bald darauf ein zweiter auf die Schulter. Ich war betäubt, ich glaubte hinfinken zu müssen, doch das dunkle Empfinden, daß ich mein Leben zu vertheidigen hätte, verlieh mir Kraft und Festigkeit. Mit barbarischer Rücksichtslosigkeit und mit der Riesenstärke der Ver­zweiflung hieb ich blindlings auf den Gegner ein;

ich traf ihn ins Gesicht; ich sah, daß er blutete, sah, wie seine Züge gräßlich waren von der Wuth, fühlte, wie er mich an der Gurgel faßte; ich stammelte ein Gebet und plöglich fühlte ich mich frei...

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Der Lacirer taumelte und preßte beide Hände an die Schläfen. Wir aber wählten den besseren Theil der Tapferkeit und entflohen.

Von Th. Dverbeck.

VI.

Anser Mond.

n der Poesie fast sämmtlicher Völker alter und neuer Zeiten ist eine ständige Erscheinung der treue Mond, der stille Freund der Lic­benden sowohl wie der Bekümmerten.

Thatsächlich übt ja auch dessen ruhiges und mildes Licht eine zauberische Wirkung aus, welche sich bei empfindsamen oder nervenschwachen Naturen sogar bis zur Hypnose, dem Schlafwandeln, der Mondsucht steigern kann.

Eine klare Mondnacht stimmt unbewußt friedlich und träumerisch, wirkt besänftigend auch auf den leiden­schaftlich Erregten, einer finsteren, zumal sternlosen Nacht dagegen wohnt stets etwas Erdrückendes inne.

Diese magische Wirkung des Vielbesungenen ist nun zum großen Theil auf die unveränderliche, ernste Ruhe des leuchtenden Mondbildes zurückzuführen.

Wäre der Mond gleich unserer Erde von einer dichten Lufthülle umgeben und durch stets wechselnde Wolfenzüge verhüllt, so würde das Besäuftigende, Stimmungsvolle seiner Erscheinung mit einem Schlage vernichtet sein.

Aus dem Monde spricht eben die ernste Nuhe des Friedhofes, und thatsächlich ist er ja auch ein solcher, ein Riesengrab, welches täglich als gewaltiges memento mori über unseren Häuptern dahinzieht. Der Mond, jest nahezu ohne Wasser und ohne Luft, -nur Spuren deuten darauf hin, daß noch minimale Mengen dieser belebenden Stoffe in freiem Zustande vorhanden sind, dessen Oberfläche jetzt eine furchtbare, von mächtigen, große Gebirge durch­seßenden Abgründen zerrissene Felsenwüste, eine eisige,

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* Die Dichtigkeit der Mondluft ward zu etwa 1/800 der irdischen ermittelt.