222
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Oberfläche veröden und sich in eine trockene, aber eisigkalte Wüste verwandeln ein Seitenstück der jezigen Oberfläche des Mondes.
Daß dieses genau so vor sich geht, zeigt die neue Geologie, welche eine ganz erhebliche Verkleinerung des Areals des von Wasser bedeckten Gebietes, eine erhebliche Abnahme der irdischen Ozeane seit den Urzeiten unzweifelhaft konstatirt hat. Genau, wie erörtert, ist es nun auch dem Monde ergangen, derselbe hat jedoch, weil er erheblich fleiner ist als unsere Erde, alle Stadien der Entwickelung schneller durchlaufen, ist uns vorausgeeilt und mu bereits, wie erwähnt, auf dem Friedhofsstadium angelangt.
Sollte nun im Laufe der Zeiten der Optik die freilich fast unmögliche Aufgabe vielleicht doch einmal gelingen, unsere optischen Instrumente derart zu verschärfen, daß wir kleinere Gegenstände, etwa von der Größe irdischer mittelgroßer Organismen, thatsächlich sehen könnten, von welchem Ziele wir augenblicklich leider noch weit entfernt sind, denn die schärfsten Juſtrumente der Gegenwart zeigen nur noch solche Objekte auf dem Monde annäherud deutlich, welche mindestens einen Kilometer Durchmesser besitzen, so würden wir im günstigsten Falle ledig lich Reste von Organismen entdecken, aber wohl kaum noch irgend höheres Leben selbst vorfinden.
Es würde sich ein ödes Wüstenbild entrollen, ein Bild, welches im Großen und Ganzen dem Bilde gleichen würde, welches in allerdings noch ferner Zukunft auch die Oberfläche unserer Erde darbieten wird.
Wenn auch dem Menschengeschlecht der Erde noch voraussichtlich eine lange Dauer beschieden ist, der Tag des schließlichen Unterganges rückt dennoch langsam heran. Unabwendbar naht die Zeit, zu der auch unsere jetzt so schöne Erde eine öde und eisige Wüste ohne jegliches Leben sein wird.
"
Deutsche Sprachbeluftigungen. Fünfte Hampfel.
Von Manfred Wittich.
"
ieber Leser, schöne Lejerin, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß es doch recht sonderbar ist, wenn wir uns mit„ Sie" anreden, uns„ Siezen", wie man sagt, wenn man auch tlos eine Person so anredet? Zweierlei ist daran merkwürdig: eigentlich ist die geeignete Anrede für eine andere Person doch die Form der zweiten Person Dut, das„ Sie" aber ist die dritte Personbezeichnung und noch dazu in der Mehrzahl. Eigenthümlich! Sind Sie gesund?" heißt eigentlich: Sind sie( d. h. eine Mehrzahl von dritten Per sonen) gesund?" Das war bekanntlich nicht immer so. Andere Zeiten, andere Lieder, andere Moden, audere Anredeformen! Und auch heute noch sind verschiedene Arten der Anrede nebeneinander bräuchlich, die geläufigsten sind die des Siezens und Duzens. Die natürlichste Anredeform an eine zweite Person ist also das Personenbezeichnungswort Du. Man redet eine Person auch nur in der Form der Einzahl an, so im Griechischen und Lateinischen , wie auch im Gothischen, der ältesten Gestalt, in der deutsche Sprachdenkmäler vorliegen.
Wie kam man darauf, eine Person in der Sprachform der Mehrzahl anzureden, zunächst in der Mehrzahl von: Du, mit der Form: Ihr?
Nach Jakob Grimm nahm diese Verrückung in die Mehrzahl ihren Anfang in den königlichen Kanzleien, in welchen man die römischen oder byzantinischen Wendungen des Geschäftsstiles nachahnite. Die deutschen Könige Theodorich, Pipin, Karl und die folgenden gaben der Macht und Wichtigkeit, welche sie sich selbst zuschrieben, dadurch Ausdruck, daß sie von sich redend nicht einfach sagten: ich, sondern: wir. Als man später große und kleine Anfangsbuchstaben unterschiedlich brauchte, ward die Selbsthocheinschäßung noch dadurch auch für das
Auge in der Schrift gekennzeichnet, daß man schrieb: Wir. Dieses Wir scheint zu besagen:„ ich bin nicht allein, alle Leute meines Hauses und meiner Um= gebung sind nur ein Stück von mir, haben keinen eigenen Willen, sondern gehorchen dem meinen. Ihre ph fischen und geistigen Kräfte gehören mir und bilden mit den meinen eine unauflösliche Einheit, deren persönliches Zentrum mein Wille ist." Es ist dies ein bischen Vorschmack des bekannten Wortes: " Der Staat bin ich!"
Eine Person, die sich selbst nicht ich, sondern wir nennt, mußte man nun folgerichtig ihrzen, d. h. mit Ihr anreden.
Allmälig drang die Schreibung Wir, der sogenannte Majestätsplural vor in die Schreiben der Fürsten , Grafen , Bischöfe, Aebte und sonstiger vornehmer Leute und hoher Beamten, und von dem Pergament oder Papier ihrer Kanzleien ging es über in den Mund Derer, von denen sie angeredet wurden, indem es sich aus dem lateinischen nos, dem deutschen Wir, in vos und Ihr wandelte.
Vos und Ihr sind die Aureden des Untergebenen oder Tieferstehenden gegen den Herrn oder Höherstehenden; die Gleichen nennen sich in alter und einzig denkrichtiger Weise Du. Im Waltharilted, einem in lateinischen Versen geschriebenen Heldengedicht des zehnten Jahrhunderts, redet die Hunnenkönigin Dspirin ihren Herrn und Ehewirth Attila vos an, sie ihrzt ihn, ebenso der Held Waltharius den König; die sozial minderwerthigen, untereinander gleichen Helden Hagen , Gunther, Walther usw. duzen sich.
In deutscher Schrift begegnet uns die ehrende Aurede Ihr in der Form ir zuerst in der poetischen Widmungsvorrede des Weißenburger Mönchs Otfried, die dieser in seiner Bibeldichtung, der sogenannten die dieser in seiner Bibeldichtung, der sogenannten Evangelienharmonie, vorausgeschickt hat.
In den mittelalterlichen Dichtungen des 12. und 13. Jahrhunderts spricht der König von sich stets: ich, nie wir. Das Jhrzen ist auch im Leben noch nicht allgemein dem Herrscher gegenüber. Die neueren, vornehmeren Sitten hat das alte, einfache Du noch nicht aus seiner Geltung gebracht.
Geistliche Redner und Dichter reden die Fürsten mit Du an, obgleich sie zur„ guten" Gesellschaft gehören, offenbar in Nachahmung der Sprache der Bibel, wohl auch aus dem Grunde heimlich mit, daß sie damit andeuten wollen, ciner Organisation auzugehören, über die der König nicht so Herr und Gebieter ist, wie über die weltliche des Staates. Die weltlichen Dichtungen, die ritterliche Stoffe behandeln, wenden die Ihr Form durchaus an. Daß man eine Ehrung mit der Mehrzahlform aussprechen wollte, wird ausdrücklich im Amolied( Dichtung des elften Jahrhunderts) dargelegt, wo wir lesen, daß man den Julius Cäsar , den Staatsmann und Feldherrn, der im alten Nom die Monarchie vorbereitete, geihrzt habe, um ihn zu ehren". Im Allgemeinen redet der Höhergestellte, der Vater, die Mutter usw. den sozial ihm Untergeordneten mit Du an; Eheleute duzen sich. Sonderbar ist die höhere Angleichung der Tochter an die Mutter, diese duzen sich gegenseitig, während der Sohn die Mutter ihrzt. In der Kaiserchronit, einer Dichtung des zwölften Jahr hunderts, nennt der Kaiser den Papst ihr, während der Papst dem Kaiser du zurückgiebt.
Die Rhetoriken, d. i. Anweisungen zur Wohlredenheit des späteren Mittelalters, schrieben um= ständlich vor, wie es mit der Anredeform in den einzelnen Verhältnissen zu halten sei. Die Straßburger von 1511 lehrt: Der Kaiser duzt alle Geistlichen, bis an den Papst; ebenso ihrzen sich gleiche weltliche Herren und Grafen. Ritter werden von Fürsten geihrzt, und zwar zum Zeichen ihrer eigenen Standeserhabenheit über Jenen thun dies die Fürsten , wie alle Edelleute sich untereinander duzen, aber Denjenigen ihrzen, den sie nicht für edel halten, zu merken, daß es ein Burger oder nit tuzens von inen( ihnen) genoß sei"( b. h. als Ungleicher nicht mit eingeschlossen ist in den sie Alle umfassenden Duzkomment). Stein Unedler, sei er noch so verdient oder geachtet, darf einen Edelmann von noch so geringem Werth und Verdienst duzen, er sei denn nahe mit ihm verwandt.
Wie aber konnte man darauf kommen, eine
zweite angeredete Person statt mit Dn, überhaupt mit der dritten Personenform zu bezeichnen ihr selber ins Gesicht? Das hängt mit dem altrömischen und byzantinischen Titulaturivesen zusammen, bei dem der Name einer hervorleuchtenden Tugend als Benennung der verehrten Person angewendet wurde: Eure Heilig= keit, Eure Herrlichkeit, Eure fürstliche Gnade( oder Gnaden) usw., das heißt: Ihr Heiliger, ihr Herrlicher, ihr gnädiger Fürst oder ihr fürstlich Gnädiger usw. Trat dazu ein Zeitwort, so forderte der Sinu, es in die Mehrzahlform oder zweite Person zu stellen, also:„ Eure Herrlichkeit habt das und das gethan". Das widerspricht aber der Grammatik; diese verlangt:„ Eure Herrlichkeit hat das und das gethan," und so sagte man auch. Blieb aber der Titel weg, so brauchte man die entsprechenden Formen des Ihr noch anfangs allgemein.
Interessant ist es, wie aus der dritten Person der Einzahl, aus Redewendungen wie: Eure Herrlichkeit hat das gethan, sich der Brauch entwickelte, zur Aurede ohne Titel die Personenwörter er und sie als Anreden zu verwenden, je nachdem man ein Männlein oder ein Weiblein vor sich hatte. Von einer Dame redend konnte man also sagen: Eure Gnaden hat bestimmt, daß sie ausfährt. Das Erzen und Siezen( in der Einzelform) ist also nicht ursprünglich, wie wir es heute empfinden, herabsetzend, sondern geradezu ehrend, erhebend, eine höhere Stufe der Höflichkeitserweisung, es war höflicher als das alte Ihr. Hier siegte durch die Unterscheidung je nach dem Geschlecht der angeredeten Person die Logik über die Grammatik.
Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts erst fam die Verrückung der natürlichen Anredeformen auf, die heute herrscht, und zwar hat sie sich etwa um 1730-1740 fiegreich durchgesetzt. Sie besteht darin, daß man das Er und Sie der dritten Person in die Mehrzahl sezte. Ich denke mir( siehe oben bei wir, der Form des Majestätsplurals), daß der Nedende das Gefühl hat, daß er in dem Angeredeten diesen selbst, sein Haus, seine Umgebung, alle seine Diener und Vasallen in Eins zusammen genommen sieht als eine Macht und Krafteinheit, welche ihm, dem Anredenden selbst überlegen ist. Das Aufkommen dieser eigentlich unsinnigen Redeform ist in die Zeit von etwa 1680 und 1690 zu sehen, wo das à la mode- Stußerthum seinen Anfang nahm, jene volle Parteinahme für den französisch- italienischen Geschmack in Lebensführung und Lebensformen im einheimischen ,, altväterischen" Gegensatz zu der einheimischen„ altväterischen" Sitte, wie man jezt tadelnd dachte und sagte. Es war dies„ altväterisch" jetzt ein Wort des Tadels, wie man später auch sagte gothisch, um eine Sache als ungebildet, barbarisch zu bezeichnen, wie man heute noch von altfränkischen Sitten, Kleidern usw. spricht.
Um 1780 standen( immer nach J. Grimm) die Dinge folgendermaßen: Der Edelmann erzte seinen Gerichtshalter und Pfarrer, Friedrich der Große seine höheren Zivil- und Militärbeamten, der Amitmann den Büttel, der Pfarrer den Küster, der Schulmeister den Schüler, der Schwiegervater seinen Tochtermann( den er auch Herr Sohn anredete); der Ehemann ſiezte( in der Einzahl) seine Frau in vertraulicher Laune:„ Höre sie, bestelle sie mir dies und das!" Er war ehrende Anrede für den Handwerksmeister( schweizer Mädchen redeten den Fremden mit er an: Er tanzt wohl nicht gern?"), Sie wendete man an die kunstreichen Handwerker: Uhrmacher, Goldschmiede u. a., oder an die halbstudirten oder mit studirten verwandten Berufe der Barbiere u. a. Handwerksgesell, Fuhrmann, Gärtner, Soldat, Bauer, Knecht und Magd heißen ihr.* Das Du in solchem Falle galt als ehrende, gemüthliche Gleichstellung, welche der Redende dem Augeredeten angedeihen läßt. Das Sie der Mehrzahl dient dazu, Fremde und vom Redenden unabhängige Personen anzureden.
Zwei Motive geben die Richtung bei der Wahl der Anredeform: das soziale Motiv treibt an, die
* Wenn der Gast den Wirth, der Handwerksbursch den Herbergsvater ihrzt, klingt noch die Ehrung hindurch, welche alle Hausgenoffen dem Familien- und Hausvorstand" zubilligten in älterer Zeit.