Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
im Klassen- und Ständestaat gesellschaftsübliche Höflichkeitsform zu wählen. Dieses Motiv, welches die anfänglich nur einer bevorzugten Auswahl von Perfonen zugebilligte Ehrenform wählen läßt, ist unbe= dingt nicht verwerflich: sie zeigt einen Fortschritt der geselligen Sitte, giebt demokratijirend jedem Mitglied der Gesellschaft durch die Anredeform zu verstehen, daß man ihm Achtung zolle.
Das andere Motiv ist die Vertraulichkeitsempfindung, die ihrerseits aber auch wieder demokratifirend eine gemüthliche Gleichheit der Werthschäzung aussprechen will.
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Gegensäße sind nicht ausgeschlossen. Wenn Einer zu einem Anderen sagt:„ Mein Herr, Sie sind ein Esel!" so beweisen die ersten Worte, daß der Sprecher weiß, daß gesellschaftsüblich ist, jedem Anderen von vornherein und im Allgemeinen gesellschaftlich gleiche Ehre zu Theil werden zu lassen; aber der besondere Fall, seine äußeren Umstände und die den Sprecher bewegenden Empfindungen verlangen, daß das Gegentheil ausgesprochen werde. Eigentlich könnte und dürfte man einen zu siezenden Menschen nicht Esel, und einen Esel nicht ehrend Sie nennen. Es kommen eben hier, wie so oft in der Sprache, eigentlich zwei verschiedene, ja zwei sich widersprechende Dinge zur Andeutung: Achtung und Tadel zugleich! Der naturwüchsige Mensch wird deshalb oft noch Einen duzen, wenn er ihn einen Esel nennt, auch wenn er ihn sonst zu siezen pflegt. Die Anrede:" Sie Esel," ist nur möglich dadurch, daß in dem Sie der Ehrungsgehalt garnicht mehr gefühlt wird, weil das Wort eine bloße Formel, eine taube Nuß geworden ist. Sowie aber die Schmeichelei ausgesprochen ist, regt sich beim Sprecher oder dritten Zuhörer wohl in den meisten Fällen das Gefühl: hier ist etwas Lächerliches, Komisches gesagt worden. Das beruht auf dem Grund alles Humoristischen: auf dem Gefühl eines Widerspruches.
Wer wollte nun behaupten: Das ist eine Lüge, eine unerträgliche Verlegung der Logif? Das wäre gerade so, wie wenn ich mein Kind tadelnd berich tigen wollte, in dessen Begleitung ich neulich bei einem Spaziergang zweimal einer Heerde Schafe begegnete und das bei der zweiten Begegnung fröhlich ausrief:„ Sieh, Vater, hier sind unsere Schäfchen wieder!" Mein kleiner Knirps hatte eben die Schäfchen nicht juristisch, sondern nur gemüthlich sich angeeignet. Ein und dasselbe Wort kann eben zu= weilen verschiedene Begriffe enthalten, verschiedene Deutungen erlauben.
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In der Gegenwart stehen im Allgemeinen die Dinge so, daß das kalthöfliche Sie mit dem ursprünglichen und allein logisch richtigen Du vertauscht wird bei wachsender Vertraulichkeit und lebhafter Empfindung, wie sie z. B. der Schwung der Dichtung voraussetzt. Man denke sich eine Ruhmesode mit der Anredeform Sie! Naturalistischer" wäre das Sie vielleicht, aber schön könnte ich es an solchem Plaze nicht gerade finden. Im Grunde genommen kommt ja auf den Klang oder Lufthauch Du oder Sie garnichts an, aber bei genauem Nachdenken deutet jede der beiden Formen bei verschiedenen bestimmten Verhältnissen zwischen je zwei miteinander redenden Personen etwas ganz bestimmtes Anderes an.
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In unserer Familie hatten wir einen alten Großonkel, einen langgedienten Militär, der sehr herablaffend mit uns junger Brut verkehrte, so daß wir uns eines schönen Tages zu dem Antrag aufschwangen: Herr Onkel, wollen wir nicht miteinander Brüderschaft machen?" Er antwortete:„ Jawohl, Ihr Jungen, ich will Euch ganz gern Du nennen, aber Ihr nennt mich Sie, wie bisher. Bei den Brüderschaften kommt nichts heraus als Grobheiten und die lasse ich mir nicht sagen, das geht night!"
Der Alte war Offizier gewesen, und wenn er auch keineswegs auf dem Standpunkt stand, eine besondere Ehre seines Standes zu beanspruchen, so schien ihm doch das angetragene gegenseitige Duz verhältniß unpassend und wider die Ordnung der Natur.
Die ganze Sache ist eine Formensache und nicht d.s Aufhebens werth, aber immerhin ist wohl aus
Vorstehendem klar geworden, daß alle diese Formen ihren Gefühls- und Gedankeninhalt haben. Und die in verschiedenen Zeiten und Verhältnissen üblichen Anreden spiegeln uns eben die Verschiedenheiten und Wandlungen dieses Gefühls- und Gedankeninhalts wieder. Das zu zeigen war eben meine Absicht beim Abfassen dieser Sprachbelustigung.
Bweierlei Maß.
Eine Geschichte aus unseren Tagen. Von F. Wichmann.
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ehmt Euch vor Dem in Acht, Liese, Ihr wäret nicht die Erste, die er betrügt."
Der Finanzassessor ließ die Hand von der Wange der Kellnerin gleiten, rückte den Zwicker zurecht und musterte verächtlich den unberufenen Warner.
Das Gedränge, das nach Schluß der Ausstellungsräume im Restaurationsgarten entstanden war, hatte ihn gerade vor den Tisch geschoben, an dem die beiden Harzer Bergleute, die mit den Produkten ihres Landes gekommen waren, in ihrer schmucken Kleidung saßen. Er hatte sie nicht beachtet und die ihm gerade mit gefüllten Gläsern wehrlos begegnende Kellnerin mit einem Scherzwort gestreichelt. ,, Unverschämtes Volt!" murmelte er ziemlich ver
ständlich.
Ueber Julius Lautenthalers duntles Gesicht flammte der helle Zorn. Er hatte den Verhaßten sofort erkannt. Wenn er auch damals Uniform ge= tragen, dieses Gesicht vergaß er nie. Volk ist ein Ehrenname," fuhr er auf ,,, mehr werth als mancher hochgeborene Lump!"
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Um Gotteswillen, sei doch still," mahnte Konrad Jberg, sein Kamerad, mit den großen Herren ist nicht zu spaßen."
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Richard von Windheim war zusammengezuckt und blickte einen Augenblick unsicher um sich. „ Soll das mir gelten?" fragte er mit möglichst schneidigem Tone. Was versteht das dumme Volt von Ehre." Er wollte weiter gehen.
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Aber Lautenthaler schüttelte mit der Gewalt des Zornes den Arm Jbergs, der ihn zurückhalten wollte, ab und trat dem Finanzassessor entgegen.
, Dem gilt es, der die Marie Dörell verführt hat! Dem Armen sein Gut stehlen, um es in den Schmutz zu treten das ist Eure Ehre!"
Der Assessor wich erblassend vor der drohend erhobenen Faust zurück. Ist denn keine Polizei hier, Einen vor solchen Frechheiten zu schützen! Ich lasse mich nicht beleidigen, ich bin Lieutenant der Reserve."
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der Tochter eines Straßenaufsehers, die in der ,, Krone" diente, verlobt gewesen. Bei einem Manöver, das vor zwei Jahren in der Gegend stattgefunden, hatte der Assessor von Windheim als Reserveoffizier mehrere Wochen in der„ Krone" in Quartier gelegen. Das auffallend hübsche Mädchen hatte dem Lebemann gefallen und eines Tages löste Marie unter einem nichtigen Vorwand ihre Verlobung auf. Bald nachdem das Militär abgezogen, war auch sie aus dem Orte verschwunden. Der Vater, ein alter, ehrlicher Mann, sollte sie aus dem Hause gejagt haben. Niemand wußte, wohin sie sich gewendet hatte.
Wegen vorsätzlicher Körperverlegung verurtheilt, Laß Lautenthaler schon im zweiten Jahre im Gefängniß. Er hatte gehofft, infolge seines stillen, willigen Betragens vor Ablauf der vollen Frist be= gnadigt zu werden, aber sein Warten war vergebens. Draußen glänzte das lachende Sonnengold des Leuzes über der erwachenden Natur. Er sah es nicht, er sehnte sich nur heraus aus dieser engen Zelle in den finsteren Schooß seiner heimathlichen Erde, in dem er doch frei gewesen war. Wit dumpfem, au Wahnsinn grenzendem Zorne über die Ungerechtigkeit der Welt wühlten sich seine Gedanken nach innen, je mehr ihn die Außenwelt zu vergessen schien.
Und doch war in seiner Nähe ein Geschöpf, das seiner dachte, freilich ohne sein Unglück zu ahnen. Seit einem Jahre war Marie Dörell als Zimmermädchen im Hause des Assessors. Aus dem Vaterhause in die Stadt geflohen, war sie dort in Noth gerathen, hatte die Wohnung ihres Verführers erkundet und ihm gedroht, eine Szene zu machen, wenn er nicht für sie sorge. Herr von Windheim war schlecht bei Kasse, so blieb ihm nichts übrig, als sie als Dienerin anzunehmen. Seine Gattin wurde in solchen Angelegenheiten nicht befragt.
Näheres über die Verwundung des Assessors hatte sie nicht erfahren. Sie kam selten aus dem Hause und der Vorfall war in der Stadt möglichst vertuscht worden. Nicht darum also dachte sie an Julius, sondern weil es sie bitter reute, ihm die Treue gebrochen zu haben. Diese Gewissensbisse und Mitleid mit ihrer guten, stillen Herrin trieben sie endlich zu einem offenen Geständniß.
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Armes Kind", sagte die schöne Frau in mildem Tone, Deine Offenheit ehrt Dich, Du hast Dir trop Allem ein gutes Herz bewahrt. Aber Neues sagst Du mir nicht ich wußte es längst und -". Du bist nicht die Einzige
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Verwundert blickte das Mädchen auf.„ Lieben Sie ihn denn nicht, gnädige Frau?"
Frau Martha schüttelte langsam den Kopf.
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Und doch können Sie bei ihm bleiben?"
" Das verstehst Du nicht, nicht wahr? Du hast auch Recht, eigentlich ist es ein unsittliches Verhältniß, aber die Gesellschaft zwingt uns dazu. Dut
Die Uniform macht keinen Schuft zum Engel!" hast Dein Glück verscherzt, aber Du konntest frei rief der Bergmann in wachsender Wuth.
Das war zu viel. Der Assessor hob den Spazier stock und holte zum Schlage aus.„ Niederträchtiger Kerl, das sollst Du mir büßen!"
Ein paar Frauen unter den herandrängenden Neugierigen freischten auf. Aber Lautenthaler war dem Angriff zuvorgekommen. Seine Hand umkrampfte das metallbeschlagene Bierglas. Als der Stock ins Leere niederfuhr, sauste das Glas durch die Luft. Splitter flogen umher. Mit blutender Stirn stürzte Herr von Windheim lautlos zusammen.
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Starren Auges, zu Tode erschrocken, blickte der Bergmann auf den am Boden Liegenden. Es war Nothwehr er griff mich an Haß und Zorn raubten mir die Besinnung."
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Rings war Geschrei und Tumult entstanden. Ein an einem benachbarten Tische fißender Marinearzt war aufgesprungen, um dem Verletzten die erste Hülfe zu leisten.
Konrad versuchte, den Kameraden fortzuziehen. Aber zwei Schußleute drängten sich durch die Menge und nahmen den Thäter in ihre Mitte. Traurig blickte der Zurückbleibende dem unglücklichen Gefährten nach.
Einem biederen Handwerker, der mit am Tische saß, erzählte er auf seine Fragen, was er wußte. Julius war daheim in Andreasberg mit der Marie,
wählen. Nicht Jedem geht es so gut. Auch ich habe geliebt, tief und innig
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Den Herrn Doktor?" plagte Marie heraus. Eine Blutwelle schoß über das Gesicht der blassen Frau.„ Du hast es gemerkt? Aber ich schwöre Dir, daß nie etwas Unrechtes geschah, daß ich meinem Gatten stets die am Altare gelobte Trene hielt, obwohl er mich täglich hintergeht." Ihr Herz öffnete sich dem armen, gefallenen Mädchen. Mit bitterem Lachen erzählte sie, wie ihre Eltern sie an den Meistbietenden verhandelt. Martha war reich gewesen und der leichtsinnige Assessor brauchte Geld. Dafür bot er den Adel seines Namens. Der bürgerliche, vermögenslose Arzt mußte verzichten und Herr von Windheim verlangte ja keine Liebe. Nun hatten sie sich nach Jahren noch einmal wiedergesehen. Der Marinearzt Dr. Volkmann, der dem verwundeten Assessor beigesprungen, hatte seinen Urlaub benutzt, um Den, der ihm sein Glück geraubt, wiederherzustellen. Die Seligkeit, noch einmal in der Nähe der Geliebten sein zu dürfen, hatte ihn Alles vergessen lassen. Nun aber war seine Zeit um, heute weilte er den letzten Tag in der Stadt und morgen wollte er gehen, um sie nie mehr wiederzusehen. Als ehrenhafte Menschen hatten sie Beide entsagt. Zum letzten Abschied nur wollten sie noch einmal sich sehen, noch einmal allein sciu.
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