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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

nach einem unbestimmten Friedensglück bangende ver­laffene Seele, wie jenes Bild der Jugendtage: Die Jusel der Glückseligkeit."

Schweigend stiegen wir den Berg hinab, und immer grüßte das Städtchen zu unseren Füßen und lockte und lachte so freundlich, als ob es sagen wollte: Hier müßt Ihr weilen, und Ihr werdet glücklich sein!"

Das erste Gebäude, an dem wir vorbeizogen, war ein prunkvoll aussehendes Gasthaus, das den stolzen Namen Zum deutschen Kaiser" führte. Dann führte die Straße über einen geräumigen, von Häu­sern umgebenen sandigen Platz hinweg, der wohl 31 Markizwecken dienen mochte, und sie leitete uns in eine lange, gekrümmte Gasse. Auf schmalem, alterthümlich unebenem Bürgersteige gingen wir ent= lang an niederen Wohnftätten, die mit ihren kleinen, aller Prahlerei baaren Schildtafeln den Eindruck erweckten, als würden in ihnen ganz in Gemächlich feit und solider Gediegenheit allerlei Kleinindustrien und Handelsgeschäfte betrieben. Die Bewohner hatten schon Feierabend gemacht; sie lehnten in ihrer schlichten Werktracht in den Fenstern oder standen mit verschränkten Armen, erzählend, schäfernd und uns neugierig betrachtend, in den Hausthüren; unsere Grüße erwiderten sie mit lauter Stimme. Einige Male aber glaubte ich zu hören, daß sie sich lustig über uns machten und besonders über unsere frumimgelaufenen Stiefel spotteten. Von nun an Das that mir erschien mir ihr Grüßen wie Hohn. Das that mir weh und zerstörte ganz das schöne Phantasiegewebe, das sich in meiner Seele zum Ruhme des von der Natur begnadeten Ortes gebildet hatte. Ich ging fortan mitten auf der Straße, senkte die Augen und wollte nichts mehr sehen weder die Stadt noch die Menschen. Mir war, als hätte ich eine schwere Enttäuschung erlebt, und als sei mein schönstes Hoffen jäh vernichtet worden. Die ganze Welt erschien mir wieder kalt und rauh und herzlos, und es überkam mich jene Todesbangigkeit, die mich schon wieder­holt beschlichen hatte, wenn ich an meine Armuth und Unwissenheit dachte und vor dem Kampfe zitterte, den ich in der Fremde um mein elendes bischen Leben zu führen hatte.

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Ueber einen großen Marktplatz hinweg kamen wir in ein enges Gäßchen; dort stand an einem fleinen Hause in großen Buchstaben zu lesen: Her­berge zur Heimath."

Franz fühlte sich von dieser Aufschrift heimath­lich berührt und schlug vor, in der Herberge zu übernachten; mein Widerwille gegen die Stadt aber war so groß geworden, daß ich am liebsten erst im nächsten Dorfe um Nachtquartier angesprochen hätte. Franz flagte aber über arge Müdigkeit, und so willigte ich zunächst ein, daß er hineingehe und sich nach den Preisen erkundige; auf Grund des Ergeb­nisses dieser Anfrage sollte dann ein endgültiger Beschluß gefaßt werden.

Während Franz in der Herberge war und ich nach einem zu kurzer Raft geeigneten Plätzchen Um­schau hielt, kam des Weges ein Mann, der in den Händen eine Säge, einen Hobel, einen Hammer und einen Stechbeutel trug. Auch ohne diese Attri­bute hätte ich in ihm den Kunstgenossen erkannt, die schiefen Beine, die ungleichen Schultern und die mit Leim und Holzstaub geblümte Schürze verriethen ihn. Er war zweifellos ein Meister, und das flößte mir Respekt und Ehrfurcht ein. Ich zog die Müze und grüßte höslich.

Er blieb stehen, sah mich prüfend an und fragte: Tischler?"

Jawohl!"

Woher?"

"

Kreis Neisse  ."

" Papiere?"

" Jawohl! Bitte schön, Herr Meister!"

Haben Sie Lust zu arbeiten?"

Hobelbank, und wenn Sie nicht über Nacht in der Herberge bleiben wollen, können Sie auch hier schlafen. Das Bett steht auf dem Boden."

Ich jubelte im Stillen. Nun war ich Arbeits­geselle; nun war ich nicht mehr obdachlos und heimath­los! Im Herzen that ich das heilige Gelöbniß, alle Kraft aufzubieten, um mich des Vertrauens würdig Kraft aufzubieten, um mich des Vertrauens würdig zu zeigen, das der Herr Meister in mich zu sezen schien.

Aber mein armer Freund! Was wird er sagen!... Ich bat den Meister um eine halbe Stunde Urlaub und theilte ihm mit, daß draußen mein Reise­genosse harre.

Für heute ist Feierabend und Sie können Aber machen, was Sie wollen," entgegnete er. um neun Uhr müssen Sie hier sein, wenn Sie nicht in der Herberge bleiben wollen."

Mit dem Versprechen, pünktlich zur Stelle zu sein, eilte ich von dannen. Franz stand auf der Straße und hielt ängstlich Umschau nach mir. Er machte mir Vorwürfe wegen meines Verschwindens und nannte mir die Herbergspreise; ich aber unter­brach ihn und erzählte ihm mein Erlebniß. In den ersten Augenblicken war er starr vor Schrecken; doch als ich die Bemerkung machte, daß er nun werde allein wandern müssen, brach er in Thränen aus.

Reines meiner Trostworte übte eine Wirkung auf ihn aus; er weinte immer heftiger, erklärte, daß er keinen Schritt weiter gehen könne, da seine Füße ganz wund und vertreten seien und bat zuletzt mit gefalteten Händen, ich solle ihm meine Stelle abtreten und statt seiner allein weiter wandern. Du kommst fort, aber ich nicht," schloß er.

"

Sein Schmerz ergriff mich so gewaltig, daß ich sogleich einwilligte und ihn einlud, mit zum Meister zu kommen. Er trocknete rasch die Thränen, mir aber ward nachtdüster zu Muthe; ich sah alle die Himmel, die mir nach langen Leidenstagen endlich die Pforten aufgethan hatten, in Nichts versinken.

Wir trafen den Meister noch in der Werkstatt; ich stellte ihm mit bebender Stimme den Kollegen vor und bat, ihn statt meiner als Gesellen anzu­nehmen.

Er antwortete schroff und ablehnend und fragte, ob ich etwa zu faul für Arbeit sei. Wenn dies der Fall sei, dann wolle er mir meine Papiere zurück­geben, und wir könnten unserer Wege gehen. Ich wollte mich gegen einen solchen Vorwurf vertheidigen, aber er schnitt mir das Wort ab und sagte: Ent­weder Sie bleiben hier, oder Sie gehen! Ich habe Sie angenommen und nicht den Andern."

Er drehte uns den Rücken zu und öffnete die Thür zum Nebenzimmer; wir aber zogen uns schnell zurück Franz voran.

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Auf der Straße sagte er, daß er bei einem solchen groben Manne nicht arbeiten möchte, und er bat, ich möge mit ihm weiter ziehen. Ich zog ihn nach der Herberge; dort bestellte ich Schnaps, für Jeden eine Suppe und ein Stück Käse. Die warme Suppe verlieh dem unglücklichen Jungen neuen Lebensmuth, und nun war es möglich, ein vernünftiges Wort mit ihm zu reden. Ich sagte ihm, daß das Scheiden doch früher oder später eine bittere Nothwendigkeit sei, und ich versprach ihm fest, mir vom Meister einen Vorschuß zu erbitten und ihm den Betrag als Reisegeld zu geben; ich schenkte ihm auch ein paar lederne Arbeitsschuhe und suchte ihm klar zu machen, daß er in den Schuhen auch wandern könne. Diese Troſtgründe halfen; er redete mir nicht länger zu, ihn zu begleiten, sondern fügte sich mit dumpfer Beklemmung in das Unvermeidliche.

Nach dem Abendbrot verabschiedete ich mich und Iud ihn ein, den anderen Morgen in die Werkstatt zu kommen.

Der Meister, der ein Grobian und ein wort­farger Herr zu sein schien, führte mich in eine ge­räumige Bodenkammer, in der ein Bett stand, und übergab mir die Lagerstatt mit den Worten: Ich ,, Kommen Sie einmal mit; vielleicht werden wir hoffe, daß Sie kein solcher Sauigel sind, wie der fertig miteinander."

" Jawohl, große Lust!"

Ich folgte ihm nach der in der Nähe befind­lichen Tischlerwerkstatt. Dort las der Meister mein Gesellenzeugniß und erklärte ohne Weiteres: Wenn Sie wollen, so bleiben Sie hier! Dort ist Ihre

Vorige; der hat mir das Bett ganz verpestet. Gute Nacht!"

Zum ersten Male seit vielen Tagen lag ich in einem Federbett. Gleichviel, ob es verpestet war­ich machte mir darüber keine Gedanken! In wohligem

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Behagen streckte ich die Glieder unter der warmen Decke, dachte an meine liebe Mutter und vergegen­wärtigte mir im Geiste, wie sie sich freuen und wie sie erstaunt sein werde, wenn ein Brief ihr die Kunde bringt, daß ich so weit so weit in der Welt sei und Arbeit gefunden habe. Ich sah sie mit dem Briefe zu den Nachbarsleuten eilen; ich sah, wie der tluge Schuster, in dessen Hause sie wohut, die Land­tarte hervorsuchte, um die geographische Lage der Stadt, in der ich weilte, festzustellen; ich ließ alle meine Wandererlebnisse an der Seele vorüberziehen, wunderte mich fast, daß ich der Held aller der selt­samen Begebenheiten und Abenteuer war, und kam mir als was Rechtes vor-- als ein Bursch, der in die Welt paßt. Dann faßte ich wieder die schönsten Entschlüsse für die kommenden Tage und für alle Zu­funft, betete dazwischen in der frommen, inbrünstigen Weise, wie ich es stets als guter Christ gethan hatte, und glitt langsam und unmerklich hinüber ins stille Traumland.

Elftes Kapitel. Der Meister.

" Heda, soll ich Ihnen etwa das Frühstück ans Bett bringen?"

Mit einem Sage war ich aus den Federn heraus, und im Nu steckte ich in den Kleidern. Ich komme schon, Herr Meister!"

Ich wills auch hoffen. Bet mir ists nicht Mode, daß ich die Gesellen wecke. Um fünf Uhr früh gehts los."

Wie ich mich ärgerte, daß ich verschlafen hatte! Was sollte der Meister von mir denken! Er mußte ja schon von vornherein eine schlechte Meinung von mir bekommen!

Ich trat an die Hobelbank. Der Meister machte ein paar Kommoden aus Fichtenholz, und ich mußte ihm behilflich sein. Mit Feuereifer stürzte ich mich in die Arbeit; ich war entschlossen, mir mein Brot redlich zu verdienen.

Um sechs Uhr erfolgte die Einladung zum Früh­stück. Der Meister hatte den Kaffee selbst gebraut, und zwar auf einem eisernen Defchen, das in der Werkstatt stand. Zu meinem Unbehagen wurde der Kaffee bitter getrunken. Ich war gewohnt, ihn füß zu trinken, und hatte von jeher eine Abneigung gegen bitteren Kaffee besessen. Wir aßen trockenes Schwarz­brot dazu.

Bei der Frühstückstafel wurden wir gestört durch eine Frau, die laut schluchzend in die Werkstatt trat und einen Sarg bestellte. Der Bedauernswerthen war in der Nacht der Mann gestorben. Der Meister begleitete die Frau, um an der Leiche das Maß für den Sarg zu nehmen. Als er nach einer Weile zurückkehrte, gab er mir den Auftrag, den Sarg zu verfertigen. Ich bekam einen Schreck, denn ich wußte mir feinen Rath, da ich nie eine solche Arbeit ver­richtet hatte. Als ich dies dem Meister zagend ein­gestand, schimpfte er auf meinen Lehrmeister und meinte, Sarg und Wiege seien zwei Dinge, auf die jeder Tischler eingefuchst" sein müsse, soust habe Er er nicht das Recht, sich Tischler zu nennen. begreife nicht, wie man einen Menschen zum Tischler= gesellen machen könne, der nicht im Stande sei, einen Sarg zu bauen. Ich sagte ihm, daß in der Werk­statt meines Lehrmeisters nie ein Sarg gemacht worden sei, da dort die Leute die Gewohnheit hätten, ihren Bedarf an Särgen aus den Sargmagazinen zu decken, allein er wich von seiner Meinung nicht ab. Wir machten uns nun daran, gemeinschaftlich das letzte Wohnhaus für den heimgegangenen Erden­pilger zu bauen.

Im Laufe des Vormittags tam Franz, um Ab­schied zu nehmen. Zag und furchtsam blieb er an der Thür stehen, jeden Augenblick bereit, zu retiriren, falls etwa der Meister grob werden sollte. Aber der Meister begnügte sich damit, ihm keine Beach­tung zu schenken. Ich bat den Gestrengen um einen Vorschuß von einer Mark, und zu meiner Verwun­derung gab er mir das Geld, ohne dabei ein Wort zu verlieren.

Ich drückte das Markstück dem Freunde in die Hand, worauf er sich, ohne ein Abschiedswort zu