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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Betternmichelei hielt den Zuzug frischen Blutes fern. Die wenigen Höherstrebenden unter der Meisterschaft drückte das Vestreben der Zünfte nieder, in Lehrlingshaltung, Umfang und Eigenart der Produktion, Einkauf der Rohstoffe 2c. die größtmögliche Einförmig feit obwalten zu lassen, damit Allen ein gleicher Gewinn zufiele.
So bietet denn das mittelalterliche Handwerk nach kurzer Blüthe einen nichts weniger als erfreulichen Anblick dar. Der Verdienst der Gewerbetreibenden war zumeist nur gering und genügte gerade zur Bestreitung der Bedürfnisse bei einer so niedrigen Lebenshaltung, wie sie der Handwerker während der zweiten Hälfte des Mittelalters besaß. Der Einzelne war bis zu einem derartigen Grade Bestandtheil des Zunftorganismus, daß von einer persönlichen Freiheit in modernem Sinne nicht die Rede sein konnte. Gang und Umfang der Produktion waren dem Meister genau vorgeschrieben; die Bethätigung individueller Eigenart beschränkte sich bei einer langen Reihe von Handwerken auf ein Minimum. Auf das Verhältniß zwischen Meistern und Gesellen lassen die Zunftaften in der Regel ein nichts weniger als erfreuliches Licht fallen; vielfach machte sich die Spannung und Zwietracht zwischen beiden Theilen in langdauernden, heftigen Gesellen aufständen" Luft; Streifs sind in der mittelalterlichen Gewerbegeschichte durchaus nicht etwas so Seltenes, als man heute gemeiniglich annimmt. Ein genauer Kenner der einschlägigen wirthschaft lichen Verhältnisse, Viktor Böhmert , trägt sogar kein Bedenken, die Handwerksgeschichte des gesammten vorigen Jahrhunderts schlechtweg als eine Geschichte von Gesellenaufständen" zu charakterisiren( Beiträge Das zur Geschichte des Zunftwesens S. 49). ,, patriarchalische" Verhältniß zwischen Meister und Gesellen und Lehrlingen ist zumeist nur derart zu verstehen, daß auf Seiten des Ersteren alle Rechte, auf Seiten der Letzteren alle Pflichten waren. Ge
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sellen und Lehrlinge standen unter doppelter, strenger Botmäßigkeit der Zunft und des Meisters; sie hießen im ganzen Mittelalter durchweg Knechte. Während in der ersten Hälfte des Mittelalters noch jeder Geselle Aussicht hatte, nach Ablegung seiner Lehrund Wanderzeit selbst Meister zu werden, wurde späterhin durch die Beschränkung der Meisterstellen ein Gesellenstand geschaffen, dessen Lage der der untersten Schicht des heutigen Proletariats nur wenig nachgiebt. Jede Aussicht, selbstständig zu werden, ein eigenes Heim zu gründen, war ihnen benommen; sie waren zum ewigen Gesellenstande, zu steter, drückender Abhängigkeit vom Meister, verdammt.
Dies sind in knappen Zügen die hauptsächlichsten wirthschaftlichen und sozialen Mängel des mittelalterlichen Handwerks, wie sie, aus eben dem System hervorgegangen, das unsere heutigen Zünftler und Zunftgenossen als erstrebenswerthes Ziel darstellen, in unzähligen Urkunden aus allen Zeiten des Mittelalters und aus allen deutschen Orten eine so beredte Sprache zu uns führen. Ueber das frühere Zunftwesen deshalb ohne Einschränkung den Stab zu brechen, hieße freilich zu weit gehen. Es ist historisch geworden und auf gewerblichem Gebiete der naturgemäße sozial- forporative Ausdruck einer isolirten Wirthschaftsform, während deren Dauer es blühen und mit deren Schwinden es gleichfalls in Verfall gerathen mußte. Jeder Versuch, unser gewerbliches Leben wieder in die engen Schranken des mittelalterlichen Zunftwesens zu drängen, würde in abschbarer Zeit auch zu ähnlichen Konsequenzen wie den oben geschilderten führen. Wenn übrigens eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Blüthe des Handwerks lediglich durch eine den früheren Zünften analoge Organisation möglich ist, so muß man sich immer wieder von Neuem verwundert fragen, warum der Handwerkerstand nicht schon längst aus eigener Initiative die Schritte gethan hat, von denen er Gesundung aller seiner llebel erwartet. Aber in der
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Aus dem Papierkorb der Zeit.
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Begründung des neuesten Gesetzentwurfes über die Abänderung der Gewerbeordnung ist ausdrücklich vermerkt, es sei den( jezigen) Junungen nicht gelungen, den größeren Theil der Handwerker in sich zu vereinen, und vielfach habe sich nur ein kleiner Bruchtheil zum Anschluß an sie bereit finden lassen: nach Maßgabe des vorhandenen statistischen Materials sei nur ein Zehntel der Handwerker den Innungen beigetreten. Inzwischen dürfte sich die angehörenden Zahl der freiwilligen Innungen Handwerker eher vermindert als vermehrt haben; um so größere Erfolge hat jedoch in der letzten Zeit die auf den Zusammenschluß sämmt= licher Handwerker zu Zwangsinnungen abzielende rücksichtslose und in der Wahl ihrer Mittel unbedenkliche Agitation unter den Handwerkern zu verzeichnen gehabt. Je heftiger sich freilich das Verlangen des Handwerkerstandes nach der Zwangsinnung und dem Befähigungsnachweis, dem anderen allheilenden Mittel, Ausdruck verschafft, um so mehr vermindert sich sein Vertrauen auf die eigene Kraft. So erklärt sich denn die bedauerliche Thatsache, daß der deutsche Handwerkerstand nicht schon längst den doch so naheliegenden Gründen für seine rasche leberflügelung durch den Großbetrieb nachzugehen bestrebt gewesen ist, sondern neuerdings unter Adoption der Parole des Bundes der Landwirthe:" Schreien, schreien und nochmals schreien!" alles Heil von der Verwirklichung wunderlicher Utopien auf dem Wege gesetzlichen Zwanges erwartet. Aber gewaltige wirthschaftliche Umwälzungen, die sich im Rahmen der gesammten Weltwirthschaft vollziehen, in einem zwar politisch, aber nicht wirthschaftlich geschlossenen Gebiet mit einigen Federstrichen vom grünen Tische aus beseitigen zu wollen, ist ein thörichtes und frevles Unterfangen, das sich an dem Staate, der sich zum Träger derartiger chimärischer Bestrebungen macht, früher oder später furchtbar rächt.
Nicht heimgekehrt.( Zu unserem Bilde.)" Nicht heimgekehrt", zwei kurze Worte nur, und doch welch' eine Welt von Schmerzen, welch' ein Meer von Thränen schließen sie nicht ein!
Also doch nicht. Wochen lang, seit sie den letzten Gruß von ihm empfangen, ist sie umhergelaufen, von der Kommandantur zum Bürgermeisteramt, vom Bürgermeisteramt zur Regimentsbehörde, um etwas nur, nur eine kurze, dürftige Kunde über ihn zu erhalten ſtets umsonst. Mit fiebernden Händen hat sie die Blätter ergriffen, die von neuen Stämpfen, neuen Bewegungen seiner Truppe berichteten von ihm stand nichts darinnen.
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Fünf, zehnmal hat sie brennenden Auges tagtäglich die Listen der Todten, der Verwundeten durchgelesen, Zeile für Zeile, Wort für Wort- sein Name befand sich nicht darunter.
Und nun war es zu Ende, das grauenhafte, blutige Morden in Feindesland, der Friede geschlossen. Mälig fehrten die Regimenter, start gelichtet, heim in ihre Garnisonen.
Und heute war der Tag, da auch die Schüßen mit flingendem Spiel, mit wehenden Fahnen wieder einzogen in die kleine, sestlich geschmückte Stadt. Wenn er vielleicht doch darunter wäre, troß alledem und alledem!
Klopfenden Herzens, mit heißen Wangen ist sie hinausgeeilt, dem Zug entgegen.
Taub für die schmetternden Weisen der Musik, tanb für die jauchzenden Willkommensrufe der Eltern, Schwestern, Bräute um sie her, ganz, ganz uur Auge, ist sie die Reihen auf- und abgeschritten, zweimal, dreimal Jezt sind sie Alle vorüber. Stumm, thränenlos schant sie ihnen nach. Und dann jagt sie noch einmal zurück. Noch einmal will sie es versuchen. Haftig, mit feuchender Brust ringt sie sich durch die Massen. Immer entlang dem schier endlosen Zug der Krieger mustert sie noch einmal Glied für Glied, Mann für Mann. Und wieder Alles umsonst. Er ist nicht darunter, nicht heimgekehrt!
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Und jezt ist sie wieder in der friedlichen, stillen Werkstatt. Wie sie die Kraft gefunden, sich bis nach Haus 311 schleppen sie weiß es selber nicht.
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Aber nun ist sie auch zusammengebrochen unter der Last der Schmerzen. Einsam, verlassen! Nie fehrt er wieder, nie, niemals.
Wo er wohl ruhen mag? Sie weiß es nicht und wird es wohl nie erfahren. Nur Eines weiß sie, daß er ihr genommen ist- hingestreckt, getödtet. Wozu? Wofür?
Was soll es denn, dieses Morden von Vätern, Söhnen, Gatten? Welch ein Wahnsinn ohne Gleichen dieser Krieg?
Was erheben sich ihre Schwestern nicht mit ihr, ein unermeßlich Heer von Frauen, und werfen sich zwischen die Reihen der Kämpfenden, ihnen die Waffen zu entreißen, die sie ein höherer Wille gegeneinander brauchen heißt?
O, wenn sie sie kennte, die ewig neu die Gluth des Hasses schüren, die zum Kriege trieben, der ihr den Gatten, den unmündigen Kleinen, die, nichts abnend, zu ihren Füßen spielen, den Vater, den Ernährer raubten! Wie wollte sie ihnen flnchen!
Freilich, was vermöchte sie denn, sie, ein einzeln schwaches Weib! Und doch, wenn sie auch selber nichts vermag, wird fertan wenigstens ihr Fühlen, Denken Denen zugehören, die, als Retter der gequälten Menschheit, auf ihr Panier in goldenen Lettern den großen Bruderbund der Menschen, den ewigen Frieden aller Völker geschrieben haben.
Gedankensplitter.
Historisch kann man einen Rechtsgrundsatz vielleicht erläutern, aber nie begründen. Die Geschichte führt nur Thatsachen auf und Millionen einseitiger Thatsachen machen nie nothwendig ein Recht, und wenn sie von der Sündfluth in ununterbrochener Kette herabgegangen wären. Was die Urbefugnisse der Menschen beleidigt, bleibt ewig Unrecht, und wenn man die Schrift( die Rechtsurkunde dazu) vom Himmel bricht.
Haben Sie die Gnade! heißt wirklich: Ich verdiene zwar das Zuchthaus, aber Sie werden mir schon einen anderen guten lukrativen Posten geben, den ich nicht verdiene.
Dem Himmel darf man Hohn sprechen, der duldets, denn er ist groß und seiner Allmacht und Weisheit gewiß. Der Menschen Dünkel und äffische Göttlichkeit autasten, bringt Ketten und Tod. Denn sie sind klein und fühlen den Ungrund ihrer Anmaßungen. Sie schüßen also Thor. heit mit Laster und Laster mit Verbrechen.
Unser Zeitalter ist eine Kette von öffentlichen In famien, die Niemand empören; ein Beweis, daß das Zeitalter die Infamie selbst ist.
Die Kriege sind meistens Völferinfamien, die erst durch die Friedensschlüsse recht liquid( durchsichtig, augenscheinlich) werden: oft auf einer Seite, oft auch auf beiden.
Der Staat sollte vorzüglich nur für die Aermeren sorgen; die Reichen sorgen leider nur zu sehr für sich selbst.
Schnihel.
Die Faustarbeiter sind verschwunden, Es schrieb die Hand der Faust das Recht, Die Hand hat ihre Ritter gefunden, Die Handarbeiter sind verbunden
Mit der Ritter vom Geist uraltem Geschlecht. Eins pflegt Ihr nicht zu bedenken, Ihr lieben Leute:
Was gestern gut war, ist es
Darum nicht heute.
Den Hund" übertreffen in Hundenatur, Fürwahr, das kann der Mensch doch nur. Und habt Ihr Soldaten, Kanonen und Geld, Die schönsten Erfolge in Gottes Welt, Und wärt Ihr Sieger in jedein Gefecht, So habt Ihr darum noch immer nicht Recht. Herren sind am meisten Dienern gewogen, Von denen sie am meisten werden betrogen. Hoffmann v. Fallersleben .
Ersaz.
Zu füllen die leeren Stöpfe Haben sie Prunk und Geld; Zu füllen das weite Herze Hast Du die weite Welt. Und haben sie Glanz und Ehren, Jegliches irdische Gut
So hast Du der himmlischen Schönheit Eelig am Busen geruht. Ludwig Pfau .
Nachdruck des Inhalts verboten!
Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Herrn G. Macasy, Leipzig , Oststraße 14, richten.
Berantwortlicher Redakteur: Gustav Macasy in Leipzig . Verlag: Hamburger Buchdruckerei und Berlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg .
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