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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ihm diese Kost in weit kleineren und magereren Portionen zuertheilt: sie bestand vornehmlich aus jenen zwei oder vier, selten mehr Seiten enthaltenden Flug-" oder fliegenden Blättern", die von neuen, erregenden Begebenheiten aller Art von furcht­baren Mordthaten, schrecklichen Geistererscheinungen, greßen Kriegsschrecken und staunenswerthen Natur­creignissen berichteten. In nächster Verwandt­schaft stehen diese fliegenden Batter" zu jenen be­druckten Papierfeßen, die die Aussteller von Mori­thaten" an Jahrmärkten und Kirchweihtagen

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einige Kupfermünzen feilbieten, und die zumeist die detaillirte Schilderung der letzten Mordthat neben einigen fürchterlichen, darauf verbrochenen Versen enthalten. Erst mit dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts wurde jedoch dem Volle Gelegenheit geboten, seinen Heißhunger nach der Darstellung von unerhörten, wunderlichen und gransigen Vor­gängen durch die Leftüre größerer, breit ausgeführter literarischer Produkte zu stillen. Und mit dem schnell erwachten allgemeinen Interesse des Volkes an der nenen Richtung in der Literatur nahm auch die Produktion für den literarischen Markt solche Di­mensionen an, daß die bloße Aufzählung der Titel dicke Bände füllen würde.

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Die Ritter, Räuber- und Gespenstergeschichten beherrschen das Gebiet der deutschen Hintertrerpen literatur fast ausschließlich bis zur Mitte unseres Jahrhunderts. Von dieser Zeit an wi.d das Stoff­gebiet der Kolportageromane durch das Umsichgreifen deutscher und ausländischer literarischer Einflüsse be= deutend reicher und mannigfacher. Der Nitterroman tritt von den fünfziger Jahren an fast gänzlich in den Hintergrund, doch läßt noch eine größere An­zahl der historischen" Romane dieser Zeit nach Aufbau und Charakteristik der handelnden Personen eine bedenkliche Verwandtschaft mit den alten Ritter= geschichten erkennen. Unter den fremdländischen Autoren haben namentlich zwei den deutschen Kol­beeinflußt: Alexander fortageroman entscheidend beeinflußt: Alerander Dumas und Eugen Sue . Der Erstere namentlich durch seinen noch heute viel gelesenen und in un­, Grafen von Monte zähligen Ausgaben verbreiteten Grafen von Moute Christo," der Zweite besonders durch seine Geheim­nisse von Paris" und den Ewigen Juden ". Dem Dumasschen Roman verdankt eine stattliche Anzahl von Abenteurergeschichten ihr freilich zumeist nur recht kurzes Leben: Der Graf von Monte Christo ist der Stammbater aller jener heldenhaften Aben­teurer in der Hintertreppenliteratur, deren Blick fein Mädchenherz und deren Klinge fein Mannesarm Stand zu halten vermag, die an allen europäischen Fürsten und Königshöfen unter allen erdenklichen Namen und Verkleidungen ihr Wesen treiben, die Millionen gewinnen und verlieren und nach einem an märchenhaften Abenteuern überreichen Leben end­lich in den Hafen der Ehe mit einer Herzogin oder Prinzessin einlaufen. Eugen Sues Romane, die au Erfolg die Dumasschen auch in Deutschland noch überirafen, waren die Vorläufer der Kriminalromane in der deutschen Kolportageliteratur: fie eröffneten den auf den sensationslüsternen Geschmack des Publi­fums spekulirenden Romanfabrikanten in der Dar­stellung der Verbrecherwelt ein ganz neues, dankbares Gebiet. Wie groß und nachhaltig Sues Einfluß, namentlich der seines bekanntesten Werkes, der Ge­heimnisse von Paris", auf die deutsche Kolportage­literatur war, erhellt am besten daraus, daß in diese mehrere der Sueschen Charaktere einfach herüber genommen und in ihr typisch geworden sind. Nament­lich gilt dies von der Fleur de Marie aus Sues Geheimnissen: man kann keinen der deutschen Kol­portageromane, die ihren Vorwurf der Verbrecherwelt entnehmen, aufschlagen, ohne der schönen, tugend­haften Jungfrau zu begegnen, die unter dem Aus­wurf der Menschheit herangewachsen ist und doch wie ein gütiger Engel unter ihrer verworfenen Umgebung schaltet und waltet.

Fortschritt.

( Schluß folgt.)

Einst in roherer Zeit, da warf der Krieger den Säbel In die Waage des Rechts, wenn er das Lösegeld wog. Jett den Geldsack legt auf die Waage der Krämer und wiegt Dem Säbel die Rechtsgewalt zu das ist die feinere Zeit.

Ein Lump.

Von E. Zimmermann- Hirschfeld.

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( Fortsetzung.)

älschung ein fürchterliches Wort, und ich fämpfte einen entsetzlichen Kampf; aber als ich meinen Bruder dann kommen sah, den sonst frischen, lebensprühenden Mann, müde und matt wie ein Greis, da sagte ich mir: Geholfen muß dir hilft werden; genug ist an einem, und dir schließlich eine barmherzige Kugel!"

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Wir wollen jetzt Deine Angelegenheit regeln," sagte ich ihm ruhig, als er nach eingeholter Er­laubniß bei mir eintrat.

Er sah mich an, als hätte er in mir einen Verrückten vor sich.

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Ich spreche ganz ernsthaft und vernünftig," setzte ich darum hinzu und fragte darauf: Wer sind die Herren, die zugegen waren, als Du dem Engländer Dein Ehrenwort gabst? Wer war an­wesend, als Du im Spiel verlorst?"

Mein Bruder nannte drei Offiziere der Garnison, uns zwar nicht befreundete Herren, mit denen wir aber auch nicht in Feindschaft lebten, und noch zwei Zivilisten, die Söhne reicher Grundstücksbesitzer.

Ich ersuchte ihn, sämmtliche Herren noch am selben Tage, aber möglichst bald, zu mir zu führen unter der Angabe, daß ihre Anwesenheit aufs Dringendste bei der Regelung jener Spielaugelegen heit nöthig wäre.

Binnen drei Stunden waren die Herren sämmt lich bei mir. Sie hatten alle ziemliche Summen an den Engländer verloren, und jedenfalls trieb sie die Hoffnung zu mir, über den angeblichen Engländer etwas zu erfahren, etwas, das auch ihnen von Nuzen sein könnte.

Nun, vorläufig wurden sie enttäuscht.

,, Sie waren zugegen, meine Herren, als mein Bruder an den Engländer eine sehr hohe Summe verspielte?" fragte ich, als mein Bruder uns ver­lassen hatte. Die fünf Herren bejahten.

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Und wenn ich Ihnen sage, daß nicht mein Bruder, sondern daß ich an jenem Abend der Spieler war, ich mein Ehrenwort gab?"

Alle gaben Zeichen des Erstaunens.

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Lassen Sie uns offen sprechen," sagte ich darum. Sie wissen jedenfalls schon, was heute geschehen ist, daß ich mit meiner Carrière fertig bin. Das wissen Sie vielleicht aber noch nicht, daß mir und meinem Bruder es unmöglich ist, acht­daß mir und meinem Bruder es unmöglich ist, acht tausend Thaler aufzutreiben, und daß ihm daher nichts Anderes übrig bleiben wird, als sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn nicht in Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn nicht in anderer Weise Nath geschafft wird.

Ich will Nath schaffen; ich sage, es ist nicht nöthig, daß zwei Offiziere zu Grunde gehen; an einem ist vollkommen genug, und nun frage ich nochmals: Hätten Sie noch Grund, zu behaupten, daß nicht ich, sondern daß mein Bruder der Ver­lierer war?"

Aber die Handschrift", sagte Einer, man hat zwar nicht gesehen, daß Ihr Herr Bruder eine solche ausstellte, aber der Lord sprach davon."

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Wenn es sein muß: Die Handschrift meines Bruders ist von mir gefälscht!... Einen Meineid brauchen Sie deswegen nicht zu leisten, meine Herren; denn der Herr wird sich hüten, mit dem Dokument vor Gericht zu gehen. Alles, was ich von Ihnen verlange, ist nur, daß Sie zu meinen Angaben und denen, die etwa mein Bruder machen müßte, schweigen, und daß Sie, falls es nöthig werden sollte, dieselben auch einmal unterſtüßten.

Ich frage Sie in ernster Stunde: Wollen Sie das thun? Wollen Sie Ihr Ehrenwort geben, also zu handeln?"

Man einigte sich mit mir; wir fertigten ein Protokoll an, in dem sich die Fünf schriftlich bei ihrer Ehre verpflichteten, und übergaben dasselbe dann meinem Bruder.

Der wollte es anfangs nicht annehmen, was ich ihm bot; nach längerer Weigerung sah er aber doch ein, daß es das Beste sein würde, so zu ver fahren. Wir riethen ihm übrigens, sofort einen längeren Urlaub zu nehmen, den er mit der Sorge

um das Gut wohl begründen fonnte, und in der Garnison würde man sein Verhalten angesichts meines Falles auch begreiftich finden.

Die Herren haben ihr Wort redlich gehalten.

Mein Bruder bekam seinen Urlaub und nach einiger Zeit einen ehrenvollen Abschied. Troß meines Falles reali rte sich sein Heirathsplau, und es war ihm vergönnt, das Gut in die Höhe zu bringen.

Ich ich wanderte auf lange Zeit auf die Festung. Der Engländer ging zwar nicht vor Ge richt, auch wurde er bald darauf eutlarvt; aber so viel hatte er doch zu Wege gebracht, daß ich allgemein als Ehrenwortbrüchiger und als Fälscher galt. Ich habe das mit dem Bewußtsein meiner Unschuld getragen."

Hier endete der Alte, und ich rief den Wirth und bestellte noch einige Flaschen Bier und auf Verlangen meines Gastes einige große Nordhäuser und ein kleines Vesper.

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Aber das Gefängniß?" fragte ich ihn, als wir wieder allein saßen. Ja, das Gefängniß." antwortete er mir, das kommt noch; meine Ge­schichte ist noch nicht zu Ende."

Wir saßen und tranfen und hingen dabei Jeder seinen eigenen Gedanken nach, bis der Alte endlich seinen Teller von sich schob und sich anschickte, weiter zu erzählen.

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,, Als ich meine Festungshaft abgemacht hatte," begann er von Neuem, war das Erste, zu meinem Bruder zu gehen. Wo sollte ich sonst auch hin; schienen mir doch alle Wege verschlossen.

Aus der Erbschaftstheilung her hatte ich ja Geld, besaß einige Tausend Thaler; aber ich, der ehemalige Offizier, was sollte ich damit anfangen! Ich muß sagen, mein Bruder empfing mich gut und bis zu seinem Tode hat er mich gut gehalten; er hat mir den Dienst, den ich ihm erwiesen, nie vergessen.

Ich wohnte bei ihm, wurde sein Verwalter. Ich lebte auch wieder auf, etwas von dem früheren flotten Offizier stellte sich bei mir ein, und gar oft sind wir zusammen ins nächste Städtchen oder auch in die Hauptstadt gefahren und haben dort gelebt und getobt wie früher.

Besser für mich wäre es allerdings gewesen, wir hätten das nicht gemacht, sondern ich hätte mich mit meinem kleinen Kapital irgendwo hinbegeben, wo mich Niemand kannte und wo ich hätte ein neues Leben beginnen können. Vielleicht wäre das auch für meinen Bruder besser gewesen.

Natürlich kannte man mich noch in der Haupt­stadt, und so konnte es nicht ausbleiben, daß es zu unliebsamen Szenen kam und schließlich auch einmal zu einem ernſten Zusammenstoß.

Wir waren eines Tages wieder in die Haupt­stadt gefahren, hatten uns recht vergnügt gemacht, und schon wollten wir uns am Abend auf den Heini­weg begeben, als mein Bruder vorschlug, ein be­fanntes und von den besten Streisen frequentirtes Weinrestaurant noch aufzusuchen.

Wir traten ein, ließen uns an einem Tischchen in der Nähe der Thür nieder, und dabei bemerkte ich nicht, daß an einem Nebentische Jemand saß, der mich kannte, und der dazu noch ein intimer Freund meines früheren Rittmeisters war.

Als ich seiner ansichtig wurde und eben meinen Bruder bitten wollte, einen anderen Platz aufzu suchen, da war es schon zu spät, unser Gegenüber war brüsk aufgestanden und rief laut dem Kellner zu:

,, Kellner, machen Sie mir einen anderen Tisch frei!"

Mein Bruder stellte den Mann zur Rede, und als der die Dreistigkeit hatte, laut zu bemerken, man könnte doch nicht gut von ihm verlangen, daß er neben einem Fälscher fizen sollte, da sprang ich auf und schlug ihm mit der Neitgerte ins Gesicht.

Seine Zeugen sandte mir mein Gegner indessen nicht; ich war ja nicht fatisfaktionsfähig; aber er ließ mich vor Gericht zitiren.

Das setzte neue Demüthigungen, rührte die alten Geschichten von Neuem auf, und da, junger Herr, da hab' ich's allmälig gelernt, das Trinken, Trinken bis zur Zewußtlosigkeit.

Mein Bruder suchte wieder gut zu machen; er