Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Die religiösen Jugendstürme hatten noch lange nicht ausgetcbt; ich sollte ich Schreckliches erleben. Vorläufig aber herrschte Sonnenschein und Maicustimmung in meinem Gemüth.
Achtzehntes Stapitel.
Der Brief. Im Gesellenbunde.
Der Montag glich einem jener Sommertage, die von unerträglicher Schwüle sind, an denen fein Windhauch die durch; histe Luft bewegt und das finstere Wettergewölf am Horizont in unheimlicher Regungslosigkeit verharrt. Die Menschheit will, daß es heraufsteige; sie will Blitz und Krach und frisches Wehen , will Kühlung und Regen; doch der eigene heiße Wunsch läßt sie erbeben und erfüllt sie mit schwarzer Furcht, denn ein Gewitter nach solcher Gluth bringt oft Hagelschlag und Verderben.
Diese dumpfe Stimmung herrschte den ganzen Tag über in der Werkstatt. Der Meister war mürrisch und verschlossen; er redete kein Wort, nicht cinmal whrend des Frühstücks, wo er sonst regel mäßig seine Tagesbefehle fundgab. Alis das sicherste Zeichen, daß eine entscheidende Katastrophe bevor stand, erschien mir der Umstand, daß er mich nicht, wie scuft, zum Fleiß ermahnte, nicht zu fieberhaft wilder Thätigkeit hette. Ich zweifelte nicht, daß ich die Ursache der merkwürdigen Veränderung war, die sich in seinem Gemüthe vollzogen hatte, und ich zitterte in dem Gedanken, daß ein schweres, vernichtendes Unwetter losbrechen werde. Diese Er wartung wirkte beklemmend und lähmend auf meine Scele und machte mir den Montag zu einem wirklichen Schreckenstage. Aber Stunde um Stunde verrann, ohne daß eine Erklärung erfolgte, und auch während des Abendbrotes wurde das entsetzliche Schweigen nicht gebrochen. Den ganzen Tag hatte ich im Stillen herzlich gewünscht, das Wetter möge losbrechen, auf die Gefahr hin, daß ich dabei zerschmettert werde; als ich aber nach Feierabend in meiner stillen Bodenkammer saß, war ich glücklich, daß der grausige Tag in Frieden geendet hatte.
Am Vormittag hatte ich eine Postkarte von Franz erhalten; er meldete mir in wenigen Worten, daß er in Bunzlau Arbeit bekommen habe; auch theilte er mir seine Adresse mit.
Bei einem Stümpfchen Talglicht hockte ich am alten Kleiderfasten und schrieb einen Brief an die Mutter. Dabei horchte ich aufmerksam auf jedes Geräusch, denn es war mir wegen der großen Feuersgefahr streng verboten worden, ein Licht in der Bodenkammer anzuzünden, und ich durfte mich nicht erwischen lassen.
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Der Brief, den ich zu Stande brachte, war cine fleine Schuftigkeit vielleicht sogar eine große, oder eine ganz große. Ich begehrte einen neuen Anzug von der Mutter. Das war sicher nicht hübsch, denn ich wu te, daß ich der guten, lieben Frau mit einem solchen Begehr eine schwere Verlegenheit bereitete; doch eine Todsünde beging ich nicht, war doch die Mutter das einzige hülfsbereite Wesen, au das ich mich in meiner Drangsal wenden konnte. Das Böse und Bübische bestand vielmehr darin, daß ich den Thatsachen zuwider behaup ete, ich hätte ein moralisches Anrecht darauf, daß sie mir einen Anzug schenke. Ich bat nicht, ich for derte, und zwar in einem Tone, der sie tief verlezzen mußte.„ Jeder Junge, der Geselle wird, bekommt von seinen Eltern einen Gesellenanzug ge= scheuft; nur ich werde mir mein ganzes Leben lang sagen müssen, daß ich keinen bekommen habe." So schrieb ich mit erkünftelter Vinterfeit, und um die Hundsfötterei und Heuchelei auf die Spitze zu treiben, fribe: te ich mit meinem schmierigen Galläpfelsaft die giftigen Worte hinzu:„ Ich könnte mir selber einen taufen, ich verdiene hier schönes Geld, ich will ihn auch von meinem Gelde bezahlen, aber es soll doch heißen, ich habe ihn von der Mutter gekriegt."
Veim Abschied hatte mir die Mutter schluchzend gesagt, es schmerze sie, daß sie mir keinen neuen An ng schenken könne; sie verdiene so wenig, daß sie das Geld nicht aufzutreiben wisse; ich habe ihr während meiner Lehrzeit gar zu viele Ausgaben
verursacht. An diese Worte erinnerte ich mich beim Schreiben, und dennoch schrieb ich den Brief; ich war mir der Niedertr. chtigkeit meiner Politik vollauf bewußt; ich empfand, daß ich mich eines schweren Verrathes, einer Herzlosigkeit und Falschheit sondergleichen an meiner Mutter schuldig machte; das Gewissen ängstigte mich und mein Herz sch: ie in Lual und dennoch brachte ich das Verbrechen folgerichtig zu Ende. Die laut mahnende und heftig anklagende Stimme des Herzens suchte ich durch den sophistischen Einwand zu beschwichtigen, daß ich ja später, wenn ich eine Zeit lang kein Geld auf Kleidung brauchen werde, der Mutter das Geld zehnfach zurückerstatten könne...
Schon oft in meinem Leben habe ich jenes Briefes gedacht, und immer, wenn ich mich staunend Briefes gedacht, und immer, wenn ich mich staunend fragte, wie ich bei meinem frommen Gemüth einer solchen Schändlichkeit fähig war, und wenn ich dabei Beobachtungen zu Nathe zog, die ich bei anderen jungen Menschen gemacht hatte, fand ich stets nur die Antwort, daß angeborene Gitelfeit, sofern sich geistige Beschränktheit zu ihr geseilt, in ihrem Drange nach Selbstbefriedigung der gemeinsten Handlungen nach Selbstbefriedigung der gemeinsten Handlungen fähig ist. In meinem Falle fam noch einiges Be sondere hinzu. Ich war meiner Mutter mit aufrichtiger, schwärmerischer Liebe zugethan und mich beseelte das Verlangen, ihr zu beweisen, daß sie einen tüchtigen Sohn habe. Ich wollte vorwärts kommen in der Welt, ein hochgeachteter und berühmter Maun werden, und meine Mutter sollte sich in diesem Glücke sonnen, sollte den Abend ihres Lebens friedlich und sorgenlos in Freude über ihr Kind verbringen. Aus diesem Wunsche heraus erwuchs ein merkwürdiger Ehrgeiz, der nie fremden Menschen, sondern immer nur der Mutter gegenüber in Erscheinung trat. Vor anderen Lenten fonnte ich mich demüthigen, vor der Mutter nicht; in ihren Augen wollte ich schon frühzeitig kein Kind mehr sein, sondern ein freier, kühner, fluger Mann. Und aus diesem Grunde ließ es meine Eitelkeit unter feinen Ilmständen zu, sie un den Anzug zu bitten; da ich aber unbedingt eine neue Gewandung haben mußte, wenn ich in Thalungen bestehen wollte, zwang mich mein eitles Wesen, trotz allen Sträubens meiner besseren Seelenfräfte, jenen Brief zu schreiben, in dem ich mit meinem Geldverdienst prahlte und meire Forderung durch eine nichtswürdige Heuchelei zu begründen wußte.
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so entstand Vers auf Vers, bis mir allmälig das ganze Werk in herrlicher Vollendung vor der hochleglückten Secle stand und nur der Niederschrift harrte. Einzelne Strophen sfizzirte ich flüchtig auf Holzklößchen und verbarg sie unter der Hobelbank, und dabei frente ich mich kindlich auf den nächsten Sonntag, den ich gänzlich der Pflege meiner dichterischen lufterblichkeit zu widmen gedachte.
Dieser schöne Plan wurde mir leider durchkreuzt. Der Meister hatte mir schon wiederholt gesagt, ich misse mich beim Altgesellen melden und mich in die Krankenkasse eintragen lassen, und als der Sonntag Nachmittag herangekommen war, erflärte er mir, ich müsse unbedingt in die Herberge gehen und die Anmeldung besorgen; es sei die allerhöchste Zeit, anderenfalls müsse ich Strafe zahlen.
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Ich stieg hinauf in die Bodenkammer, nahm meinen Sonntagsanzug und betrachtete ihn. Die Augen gingen mir über, und das Entfeßen pacte mich bei dem Gedanken, daß ich in diesem Anzuge vor den Altgesellen hintreten sollte. Doch der Befehl mußte befolgt werden da gabs feinen Ausweg. Also holte ich einen Topf Wasser, nahm meine Kleiderbürste, die zugleich als Schuhbürste diente, und begann zu waschen und zu bürsten. Alle Mühe war indeß vergeblich; so wenig wie ein schwarzer Pudel sich weiß waschen läßt, so wenig ließen sich die zahllosen Schandflecken meiner Gewandung ausmerzen. Zum Glück war die Grundfarbe schwarz, und so konnte ich wenigstens die häßlichsten Bleichstellen, die von meiner Thätigkeit als Feuerlöschmanu herrühren mochten, mit Schuhwichse anfärben. Als ich die Entdeckung gemacht hatte, daß die feuchten Stellen ein frischeres und besseres Ausschen hatten als die dunklen, ließ ich dem ganzen An ng cine Wasserkur angedeihen, zog ihn an und machte mich schnell auf den Weg zur Herberge. Dort wollte ich mich rasch meiner Pflicht entledigen, bevor der Auzug zu trocknen begann..
Vor der Pforte des Gasthauses, in dem die Herberge sich befand, wandte ich mich fragend an ein paar Männer, die dort standen. Einer fragte zurück, ob ich Tischlergesell sei, und auf meine bejahende Antwort hin nahm er mich am Arme und sagte: " Da kommen Sie nur, es ist schon losgegangen!"
Ich folgte ihm in einen düsteren, fellerartigen Naum, in dem ein dichter Tabaksqualm herrschte; um eine lange Tafel versammelt saßen etwa zwölf bis fünfzehn Männer. Alle richteten die Blicke auf mich und Einer erhob sich und trat mir entgegen. Ich
Der Dienstag begann mit einer angenehmen fragte, ob ich den Herrn Altgesellen sprechen könne. Ueberraschung. " Der bin ich!" erwiderte er. " Entschuldigen Sie
Ich war zeitig aufgestanden; um Punkt fünf Uhr schon stand ich an der Hobelbank und hobelte und sägte, was das Zeug hielt. Dabei fürchtete ich, daß die peinigende Spannung, die mir den ganzen Montag verleidet hatte, noch weiter dauern und schließlich zu einer Explosion führen werde.
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Der Meister schlüpfte später als gewöhnlich aus seiner Kammer hervor, und er begrüßte mich mit den üblichen Worten: Morgen! Und heut' n Bissel Dschum und Pff!" womit er den freundlichen Wunsch ausdrückte, daß ich von meinem Fleiße den ganzen Tag über den ausgiebigsten Gebrauch machen möge.
Für mich war diese Ermahnung das überraschende Zeichen, daß der Meister anderen Sinnes geworden und der gewöhnliche Zustand wieder hergestellt war. Die Mahnworte flangen mir wie eine frohe Friedens botschaft, und mein Herz fühlte sich erleichtert.
Der Tag verging und die ganze Woche verging, ohne daß nennenswerthe Zwischenfälle eintraten, und da der Meister mit feiner Silbe den uner. nicklichen Vorfall vom Sonntag berührte, bildete sich in mir die Meinung, daß an seiner sonderbaren Veränderung vom Montag einzig nur die geheimnißvolle Frauengestalt schuld war, die in seiner Schlafkammer geweilt hatte.
Im Laufe der Woche vollendete ich meine großartige Dichtung von der„ Hermannsschlacht "; auch gedieh die„ Sage von den sieben Galgen" um ein Beträchtliches. So oft ich Arbeiten verrichtete, die keine bedeutende Aufmerksamkeit erforderten, spornte ich den Geist zu künstlerischer Lethätigung an, und
der Meister schickt mich her, ich soll Krankengeld zahlen."
Er begehrte zu wissen, wer mein Meister sci, wie ich heiße, seit wann ich in Thalungen arbeite und wo ich früher gearbeitet habe. Nachdem ich alle Fragen beantwortet hatte, setzte er sich nieder, schlug ein großes Buch auf und zeichnete meinen Namen ein. Sodann forderte er mich zu meinem Schrecken auf, eine Mark und zehn Pfennige zu zahlen- fünfzig Pfennig Einschreibegebühr, fünfzig 4 fern'g Kassenbeitrag und zehn Pfennig für die Vergnügungskaffe, wie er sagte. Ich bezahlte das Geld, das nahezu die Hälfte meines Wochenlohnes ausmachte. Ein anderer Mann nahm den Betrag in Empfang; der Altgesell aber erhob sich, reichte mir die Hand und sagte feierlich:" Willkommen in unserem Gesellenbunde! Ich wünsche, daß es Ihnen gut bei nus gefällt und daß Sie alle vierzehn Tage her= kommen. Alle vierzehn Tage ist Auflage."
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Darauf wandte er sich an die anwesenden Gesellen, stellte mich als neues Witglied vor und forderte sie auf, mich zu begrüßen; Alle erhoben sich, Jeder reichte mir die Hand und Einige riefen mir, das An der Tafel Bierglas schwingend: Prosit!" zu. ein Ehrenplatz ward mir ein Plaz eingeräumit sogar, gegenüber dem Altgesellen, und kaum saß ich dort, so erschien eine Frau und stellte ein Glas Bier vor mich hin. Die Herren stießen mit ihren Gläsern an das meine; ich sagte wohl dreißig Wal und öster " Profit!" trant einen Schluck nach dem anderen, wurde von drei bis vier Herren gleichzeitig angeredet hier um etwas gefragt, dort auf etwas auf
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