Diegene Welt

Nr. 35

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Das sind die Nächte, da die Finsterniß Nicht ganz das Licht besiegt. So bleibt durch alle Stunden Ein zarter Schimmer unentschwunden. Es liegt

Wie eine keusche Sonnenahnung Die ganze Nacht am Horizont... Wie eine Mahnung:

D, wirf nicht alles Hoffen zu den Todken! Hat denn die Zukunft ihre Pfadbereiter Und ihre Heldenstreiter

Nicht schon entboten?

Auf der Walze.

Nächte.

Von Hermann Conradi  .

Wie dieser Nächte schwarze Trauerflaggen Nicht ganz der Tage leises Licht verhüllen, Also must es sich auch erfüllen: Nicht ganz

Wird dieser Geift, der durch die Lande geht, Allorts Verzweiflung und Verwesung fät, In alle Herzen biffre Trübnih bringk Und alle Sehnsuchtsflammen niederzwingt, Nicht ganz

Wird er den lekten bleichen Glanz, Den lekten Glauben

In meiner auserwählten Seele rauben.

Kopfe vor die offene Lade hinzutreten. Der vor mir stehende Kasten war aus starkem Eichenholz,

Ans den Papieren eines Fechtbruders.- Von F. Riebeck. und in den Deckel war das Tischlerwappen ein­

( Fortsetzung.)

iederholt schon hatte der Altgesell das mir damals noch fremde Wort„ Silentium!" ausgerufen, ohne daß Jemand ernstlich darauf geachtet hatte. Jezt nahm er aus einem vor ihm stehenden Kasten eine Klingel und begann heftig zu läuten." Silentium!" wiederholte er mit zorniger Stimme. Wenn ich als Narr dasigen soll, dann kommits zum Aeußersten dann schließ ich die Lade zu!"

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Diese Drohung wirkte; wie ein Schreck fuhr es in alle Glieder; Steiner regte sich mehr; alle Lippen waren verstumt. Der Altgesell hielt eine Rede, die sich auf die Verpflegung der Kranken, auf die Forderungen des Arztes und des Apothekers und auf ähnliche Dinge bezog; sie fesselte mich nicht, weil zu viel Zahlen darin vorkamen, und für die Debatte, die fich daran knüpfte, besaß ich kein Ver­ständniß.

Ich war dicht an die Wand gerückt, betrachtete meine Umgebung und überlegte dabei, wie ich es austellen sollte, um mit Anstand flüchten zu können. Auch beschäftigte ich mich in Gedanken mit der Drohung des Altgesellen, die Lade zu schließen. Ich vermuthete, daß der offene Kasten, der mitten auf dem Tische stand, die Lade sei, und ich betrachtete ihn mit größter Ehrfurcht. Aus meiner Lehrzeit her war mir bekannt, daß die Lade den Gesellen als ein großes Heiligthum gilt; ich hatte einmal erzählen hören, daß ein Gesell aus der Lereinigung ausgestoßen worden war, weil er sich nicht entblödet hatte, mit dem Hute auf dem

geschnitzt ein Hobel, ein Winkelhafen und darüber ein ausgespreizter Zirkel.

Die Debatte über die Krankenpflege währte nur kurze Zeit; der Altgesell erhob sich, forderte uns auf, in vierzehn Tagen ebenso pünk.lich und zahl­reich zu erscheinen und erklärte die Auflage für be­endet. Der neben ihm sigende Schreiber legte die Bücher, das Schreibzeug und die Klingel sorgfältig in die Lade und klappte den Deckel zu; der Altgesell schloß sie ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Mit dem Zuklappen der Lade trat eine lebhafte Bewegung ein; die meisten der Gesellen standen auf, traten in Gruppen zusammen, plauderten, lachten und scherzten, und ich vernahm öfters das Wort „ Stiefel". Ich achtete nicht darauf; mich interessirte noch immer die Lade, und als einer der Nachbarn fich zu mir wendete, fragte ich ihn, was in der Lade alles enthalten sei. Er fonnte mir feine Auskunft geben, übermittelte jedoch meine Frage dem Alt­gesellen, der uns just das Gesicht zuwandte, und dieser gab mir bereitwillig Aufschluß. In der Lade befänden sich die Protokollbücher, deren ältestes vor vierzig Jahren geschrieben worden sei; sodann ent­hielte sie einige Urkunden von der Bürgermeisterei, die noch viel älter seien. Das älteste Stück sei ein Becher aus Leder, halb gefüllt mit schwarzen und weißen Steinkugeln. Mit diesen Kugeln werde der Altgesell gewählt. Die Kugeln würden bei der Wahl ausgetheilt; jeder Gesell befomme eine schwarze und eine weiße, und eine davon werfe er in den Becher zurück. Scien alsdann mehr weiße, als schwarze

1897

Sie hält an lekter Hoffnung seft Und schürf

In Sabbathstunden Unüberwunden

Des Feuers kargen Rest

50 aber wird es sich erfüllen: Bu einem neuen perfeft Wird dieser zähentlohte Brand Dereinst die Menschheit führen. Entriegelt werden alle Thüren, Und alle Herzen thun sich auf.

Kugeln im Becher, so gelte der Kandidat als ge­wählt; überwiege die Zahl der schwarzen Kugeln, so müsse ein anderer Kandidat aufgestellt werden. In früheren Zeiten habe es auch bei der Aufnahme neuer Mitglieder einer solchen Abstimmung bedurft; jetzt werde jedoch jeder anständige Gesell ohne Weiteres als Mitglied aufgenommen.

Er sagte noch, an welchen Tagen der Becher gezeigt werden dürfe und sprach noch einiges andere; ich aber war nicht fähig, noch länger zuzuhören; ich fühlte mich betroffen von der Mittheilung, daß nur jeder anständige Gesell ohne Weiteres als Mitglied aufgenommen werde, und ich zitterte wieder in der Furcht, daß einer der Herren mich genau betrachten und den anderen verrathen könne, daß ich einen höchst unanständigen Rock anhabe.

Doch mir blieb keine Zeit zum Versinken in trübseligen Betrachtungen; die neuen Freunde zogen mich wieder in ihre Unterhaltung und einer fragte leis und mit freundlicher Miene: Wollen Sie den Stiefel heute schon geben?"

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Den Stiefel?

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,, Wenn nicht, so können Sie ja noch vierzehn Tage warten."

,, Giebts heute einen Stiefel?" rief lachend ein alter Gesell, der mir von Anfang an durch seine er= schreckliche Magerfeit und seinen langen grauen Bart aufgefallen war, über den Tisch herüber. Natürlich giebts einen Stiefel, das seh' ich dem neuen Kollegen schon an!" fügte er hinzu.

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Aller Augen richteten sich auf mich, und ich stammelte verlegen, daß ich nicht wisse, was die Herren meinten. Währenddem raunte mir der freund­liche Nachbar zu:" An Den drüben kehren Sie sich nicht, der will blos immer umsonst saufen!"