Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Diese wohl kaum noch zweifelhafte Hemmung der doch ursprünglich vorhandenen Notation der Venus  und des Merkur   ist nun sicher, wie beim Monde, cbenfalls auf Fluthwellen, aber von der Sonne er­zeugte, zurückzuführen, und zwar wohl auf die Zeit, zu welcher der Sonnenball noch eine gewaltige Aus­dehnung besaß und daher den beiden kleinen Welten äußerst nahe war.

Bekanntlich haben die Funde der versteinerten Neste von Pflanzen heißer Zonen in Spißbergen den Nachweis geliefert, daß noch zur Tertiärzeit der Erde der Sonnenball nahe bis zur Merkursbahn sich er­streckte( vgl. Die Erdpole und das Leben," Neue Welt 1896).

"

Diese wohl unzweifelhaft als begründet zu be­trachtende Annahme, daß die Venus   stets dieselbe Seite der Sonne zuwende, ist nun von außerordent­licher Bedeutung für die Erforschung der meteoro­logischen und physikalischen Verhältnisse dieses Welt­förpers, da fie, natürlich unter der Voraus­segung der Richtigkeit der Beobachtungen des scharfsinnigen Schiaparelli, mit ab= soluter Sicherheit eine ganze Reihe von Schlüssen erlaubt, die zu nahezu staunenswerthen Ergebnissen führen und die Venus als eine wunderbare, märchen­hafte Welt erscheinen lassen.

luzweifelhaft sehen wir, trop mancher Unter­schiede, in der Venus   einen Weltförper vor us, welcher in mehrfacher Hinsicht der Erde ähnelt, auf dem Luft und Wasser vorhanden, worüb.r alle Astronomen einer Ansicht sind, und der, wie bereits erwähnt, von einem von der Sonne grell beleuchteten, dichten Wolkenmantel umhüllt wird.

Ein derartiger dicht r Wolken­schleier, wie ihn die Erde in solcher Ausdehnung nicht besigt, höchstens könnte der Wolfengürtel der tro­pischen Regenzeit einen Vergleich aushalten, weist aber wiederumt auf großen Wasserreichthum, also ausgedehnte Ozcane, und ferner auf wenigstens stellenweise große Wärme hin, welche riesige Wasser­massen in Dämpfe verwandelt.

"

Höchst eigenartig, völlig ab­weichend von unseren, sprüchwört­lich veränderlichen" irdischen, müssen sich nun infolge der Stel­lung der Venus   zur Sonne die meteorologischen Verhältnisse ge­ſtalten.

Auf der der Sonne stets zu­gewandten Hemisphäre ist eine Nacht unbekannt.

==

insel, an welche ein sicdendes Meer, konzentrisch von immerwährendem Orfane gepeitscht, brandet. Die hochgradig erhitzte, mit Wasserdämpfen be­

1, 2, 3 Richtung

der

Sonnenstrahlen.

Tagseite

Bahnuichtung

Nachtseite

Sonne

Wannepol

Sonne im Horizont

Sonne   in halber Jlohe

Sonne   nahezu Zenith

Sonne u Zenith

Couve vahern Lengthe

Some in halber Hoher.

Sonne un Horizont

Glutzone

Hesse Zone

Gemässigte Bone Dämmerangs Bone

| Nachtan falte mone

Kaltepel

Abbildung 1.

Die Zonen und Luftströmungen der Venus  .

279

abkühlend und, da sie allmälig Plaz gewinnen, langsamer strömend und sich über größere Gebiete ausdehnend, den Nandregionen, darauf der Nacht­seite und dann mit sich steigernder Geschwindigkeit dem Nachtpole zu, bei welchem sie erkaltet wieder zur Oberfläche der Venus hinabsteigen.

Auch dieses Hinabsteigen muß mit sehr beden-. tender Geschwindigkeit erfolgen, denn die von allen Seiten dem Nachtpole( Stältepole) zueilenden Luft­massen können diese mit der Annäherung zum Pole. sich fortwährend steigerude Kompression nur durch eine erhöhte Strömungsgeschwindigkeit überwinden. Beide Pole, der Wärme- und Tagpol sowohl wie der Kälte- und Nachtpol, sind daher Gebiete immerwährender Orkane, an dem ersten steigen wie d. Venua. in einem Schachte die Luftmassen erhist empor, am

( Die Pfeile geben die Richtung der Luftströme an.)

ladene Luft steigt hier, von einem Orkane nach­drängender fälterer Luft verdrängt, in einem be ständigen, rasenden Wirbel empor zu den oberen

=

Abbildung 2.

anderen stürzen sie erfaltet wieder zur Oberfläche des Weltkörpers hinab, von diesem Punite aus dann wieder der Tagseite und dem Gluthpole zueilend.

Der ganze Venusball ist demnach von zwei Lufthohlkugeln umhüllt, deren Strömungen ewig eine genau entgegengesezte Richtung verfolgen, denn in der der Oberfläche direkt auflagernden, wolken= losen strömt die Luft beständig zum Wärmepol, während die mit dichten Wolkenmassen erfüllte, dem Weltraume nähere Hohlfugel ihre Luft- und Wolfen­massen in gerade entgegengesetter Richtung zum Kälte und Nachtpole entsendet.

Man glaube nicht, daß diese Schilderungen etwa phantastisch sind. Würde die Erdrotation einmal gehemmt und die Erde gegen die Sonne firirt, gleich der Venus  , so würden sofort, dieses

T. 0.

wird kein Physifer bestreiten, auf der Erde genau die gleichen Ver­hältnisse unabweislich sich ein­stellen. Einen erhabenen Anblick, dem nichts Aehnliches auf der Erde an die Seite zu sehen, müssen die am Gluthpol in den höchsten Regionen der Atmosphäre munterbrochen stattfindenden Ver­dichtungen von Wasserdampf( siehe Abbildung 2), die Wolkennen bildungen, verbunden mit immer währenden, mächtigen elektrischen Entladungen darbieten.

Gewitter und andere elek= trische Erscheinungen treten auf der Venus   überhaupt unzweifel­haft mit einer Gewalt auf, von der uns wohl kaum die mächtig= sten elektrischen Entladungen der Tropenregionen der Erde ein schwaches Abbild vorführen. Bedenkt man, daß dauernd eine unverändert beleuchtete, erhigte, und eine beständig dunkle und fühle Halbkugel vorhanden sind, daß ununterbrochen zwei verschiedene Lufthüllen, eine heiße, mit Wasser­

Kondensirung der Wasserdämpfe am Gluthpol der Venus  . ( Hohlzylinder, innen von der Sonne beleuchtet, mit von demselben allseitig enteilenden, dem Kältepol zustrebenden Wolfenzügen, nach allen Richtungen Blize entsendend.)

Scheinbar fest angeheftet am Firmament strahlt die Sonne, etwa doppelt so groß wie auf der Erde, meistens allerdings, mit Ausnahme desjenigen Ge­bictes, welches sie beständig im Zenith hat, nur durch eine grellhelle Stelle des düsteren Wolkenhimmels angedeutet.

Der Mittelpunkt der beleuchteten Hemi­sphäre hat die Sonne unverrüdbar im Zenith, die Nandpartien haben sie im Horizont, auf der stets umbeleuchteten Seite folgt anfäng­lich ringförmig eine Dämmerungszone, dann ein freisförmiges Gebiet ewiger Nacht.( Siehe Abbildung 1.)

Die fortwährend im Zenith des Mittel­punktes der Tagseite verbleibende Sonne er­zeugt dort eine Temperaturhöhe der Luft, wie sie auf der Erde, wenigstens infolge der Besonnung, unbekannt ist.

Die Gewässer und Meere jener Gebiete, dem Siedepunkt nahe, vielleicht ihn erreichend, entwickeln mächtige Wasserdampfmassen, eine mit Salzen stark gesättigte Soole zurücklassend, leẞteres, weil sich an diesem Punkte sämmtliche im Wasser löslichen und vom Wasser er­reichbaren Verbindungen anhäufen werden.

Wahrscheinlich befindet sich daher in dieser Region, in der Umgebung des Gluthpoles, ein Kontinent oder doch eine große Insel von Salzen, erzeugt durch die, unendliche Zeiträume dauernde, Heran­schaffung und Ausscheidung von Salz, eine Salz­

Regionen der Lufthülle, hier durch Kühlung und Verdichtung der mit emporgehobenen Wasserdämpfe den mächtigen Wolfenmantel erzeugend, anfänglich einen ringförmigen, innen von der Sonne grell be­

9

Abbildung 3.

Ideales Vegetationsbild der heißen Zone der Venus.

leuchteten Schlot emporwirbelnder, aus scheinbarem Nichts entstehender, sich fräuse: nder Wolken bildend. ( Siehe Abbildung?.)

Allseitig von diesem Gluthschacht ausstrahlend, enteilen die gepreßten Luftmassen, sich fortwährend

dampf beladene, und eine kühle, trockene sich berühren und dazu noch in entgegengesetzter Richtung sich bewegen, daß fortwährend riesige Wassermassen verdampfen und bald darauf kondensirt als wolkenbruchartige Regen wieder venus abwärts stürzen, daß die oberen, heißen Lüfte sich zwischen dem eisigen Weltraume und der fühlen Oberflächenluft befinden, so fann man mit vollem Jug und Recht die gauze Venus als eine gigantische galvanische resp. elektrische Batterie bezeichnen.

Es ist daher auch durchaus nicht unwahr­scheinlich, daß die ewige Nacht der duntlen Hemisphäre durch beständige elektrische Leucht­prozesse, ähnlich unserem Nord- und Süd­licht oder den St. Elmsfeuer, und durch leuchtende Wolken, welche auch auf der Erde sich, wenn auch selten, zeigen, ge­mildert wird.

Auf derartige Lichtentwickelung deutet direkt die häufig zu machende Beobachtung hin, daß die dunkle Seite der Venus  , während ein Theil der beleuchteten Hälfte als Sichel erscheint, im Fernrohr ebenfalls deutlich sichtbar ist und einen aschgrauen Schimmer ausstrahlt, ähnlich der dunkeln Seite unseres, von der Erde  " durch reflektirtes