Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Eine Minute nach der anderen verging; ich stand an der Thür und überlegte, ob ich den Herrn anreden oder geduldig warten solle, bis es ihm ge= fällig sein werde, mich anzureden. So verging wohl eine Viertelstunde, ohne daß ich zu einem Entschluß gelangte, und ich kam mir dabei wie ein regelrechter Narr vor.
Dann legte er das Buch beiseite, griff nach einem Papierbogen und tauchte die Feder in die Tinte. Plötzlich jedoch wandte er mir das Gesicht zu und fragte schroff: Was wollen Sie?"
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Ich trat einen Schritt vor und begann:„ Vorhin haben sie meinen Freund eingesperrt und er hat nichts gethaner ist ganz unschuldig. Der Kirchendiener Jakob Kattner hat gesagt, er wäre ein Sozialdemokrat und er hätte den Meister ermorden wollen. Das ist aber Alles nicht wahr; es ist meinem Freunde ein ganz schreckliches Unrecht geschehen und..."
Der Herr Sekretär schüttelte den Kopf, schlenkerte mit beiden Händen und gebot mir Schweigen. Ich schwieg, und er fragte scharf: Wer sind Sie?"
Ich nannte Namen und Stand. Da betrachtete er mich mit sichtlicher Ueberraschung und fragte in völlig verändertem Tone: Sie sind doch nicht etwa der Mann, der das Eisenbahngedicht gemacht hat?" " Ja, der bin ich!"
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„ Wirklich? Na, das ist mir interessant." Ich hob den Kopf höher; ein mächtiger Dichterstolz regte sich in meiner Brust. Um den von einem dunklen Schuurrbart beschatteten Mund des Herrn Stadtfekretärs spielte ein freundliches Lächeln.
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Nehmen Sie einen Augenblick Play!"
Er deutete auf einen Stuhl, und ich setzte mich nieder. Welch eine Ehre, welch eine große Ehre, daß mir in der Königlichen Polizeidirektion und obendrein von dem zweithöchsten Manne der Stadt ein Stuhl angeboten wurde! Wenn das der Meister sähe! Und wenn alle die Anderen es sähen, die in ihrer Dummheit mein Gedicht und mich selber beschimpft hatten! An dem Herrn Stadtsekretär hätten sie sich ein lehrreiches Beispiel nehmen können, wie man mit einem Dichter umgeht! Ob die Mutter mir glauben wird, wenn ich ihr dieses Erlebniß schildern werde? Oder ob sie mich für einen Prahl= haus halten wird? Vielleicht! Doch was schadet das! Um so größer ist dann die Genugthnung für mich, wenn die Kunde von meinem Dichterruhm in ihre Heimath dringen wird und andere Leute ihr davon erzählen werden. Wenn erst die gelehrten und studirten Leute wissen werden, daß ich ein Dichter bin, dann ist mein Glück gemacht. Nur solche Herren - das lehrt das Veispiel des Herrn Stadtsekretärswissen den Dichter und seine Werke zu schäßen....
Eine jähe Sturzwelle von stolzen und hoff nungsherrlichen Empfindungen ergoß sich über mein schwaches Seelchen, und ihr liebliches Nauschen verwirrte meine Sinne, so daß ich faum wußte, was Der Herr Stadtsekretär zu mir redete. Ich wußte nur, daß er von der Eisenbahn sprach, doch den Sinn der Worte vermochte ich nicht zu fassen; sie berührten mich wie süßschmeichelnde Musik.
Meinen Sie nicht auch?" fragte er und sah mich erwartungsvoll an.
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Ich erschrat, denn ich wußte nicht, was ich meinen sollte; aber ich besaß die Geistesgegenwart, mit dem Kopfe zu nicken und„ Ja“ zu sagen. Nun war es Zeit, die zerstreuten Sinne zusammenzuraffen. Die Hausbesizerpartei will nicht!" fuhr er fort. „ Aber sie wird müssen!- Sie haben sich doch nicht etwa über das Gedicht im„ Anzeiger" geärgert?"
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Ich betheuerte, daß ich mich durchaus nicht geärgert habe.
" Machen Sie getrost noch ein Gedicht! Im Beamtenverein haben wir uns über Ihr erstes sehr gefreut. Wollen Sie übermorgen zu unserem Sedaufest im„ Schwarzen Adler" kommen?"
Ich fand keine Antwort. Eine neue Sturzfluth von Seligkeiten brach über meine Poetenseele ein. Er deutete mein Schweigen falsch und beeilte sich, zu sagen:„ Es fostet Sie keinen Pfennig, höchstens das Bier, das Sie trinken. Kommen Sie nur!"
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Er zog eine Karte aus der Tasche, schrieb etwas darauf und überreichte sie mir. Ich stammelte Worte des Dankes.
,, Nun leben Sie wohl! Uebermorgen sehen wir uns beim Sedanfeste!"
Er bot mir die Hand und geleitete mich zur Thür.
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Sie verzeihen, ich wollte meines Freundes wegen mit Ihnen reden. Er ist unschuldig eingesperrt worden und
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,, Ach ja, so! Sie erzählten ja vorhin eine wahre Räubergeschichte. Wer ist denn Ihr Freund?"
Ich begann aufs Neue, die trostlose Geschichte zu erzählen, fam aber nicht weit. Der Herr Stadtsekretär unterbrach mich mit der Frage, wann der Gesell eingesperrt worden sei.
„ Eine halbe Stunde wirds her sein," erwiderte ich. Davon ist mir nichts gemeldet worden."
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Er schlug ein großes Buch auf und ließ sich von mir den Namen meines unglücklichen Freundes nennen. ,, Noch keine Meldung da!" sprach er.„ Aber wissen Sie," fuhr er, auf mich zutretend, fort,„ ich lasse Sie rufen, sobald mir der Mann vorgeführt wird. Sie haben eine wichtige Zengenaussage zu machen, Sie haben eine wichtige Zengenaussage zu machen, wenn ich Sie richtig verstanden habe?"
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, Eine sehr wichtige!"
" Na schön! Auf Wiedersehen übermorgen! Machen Sie noch ein hübsches Eisenbahngedicht!"
Er drückte mir die Hand und schob mich sauft zur Thür hinaus.
( Fortsetzung folgt.)
as Atelier der Madame Le Brun war überfüllt. Auch sonst drängte sich in diesen Räumen die große Pariser Gesellschaft. Madame Le Brun galt für die beste Poträtmalerin der Hauptstadt. Mit Vorliebe malte sie Frauen. Sie malte sie nicht, wie sie sind, sondern wie sie zu sein wünschten. Die Alten wurden unter ihrem Pinsel jung, die Plumpen schlank und die Mageren üppig. Noch niemals hat man auf den Bildern von Madame Le Brun eine Häßliche gesehen.
Solch ein Bild stand dicht am Fenster auf einer Staffelci. Die Farben glänzten noch frisch und feucht. Kritisirend, plaudernd, lachend, auch mit Kenneraugen, stand die Gesellschaft herum, die Berühmtheiten des Adels, der Armee und der Feder. Das Bild stellte einen Frauenkopf dar, ein Wunder an Schönheit. Haar und Augen braun, die Nase fein und von griechischer Geradheit, die Stirn gewölbt und von den Locken, die ein Band zusammen hielt, halb verdeckt; der firschrothe Mund klein und schwellend; ebenso winzig das Ohr, das Kinn voll und oval gerundet; hinreißend war das Lächeln und der Liebreiz auf dem Gesicht.
Umiringt von der Gesellschaft stand das lebendige Original des Bildes. Es war unendlich schöner als die Kopie. Madame Le Brun hatte ihre Unzugänglichkeit gefühlt. Sie hatte sich geweigert, diese Frau zu malen. Das Feuer des Südens, die Milde des Nordens, die Grazie Frankreichs hafteten an ihr, eine wandelnde Natur der Schönheit aller Himmelsstriche; sie hatte, was sich sonst nie in einer Hand vereint, die Hoheit, die Ehrfurcht gebietet, und die Zierlichkeit, die verführt; ihr Antlig war Freude, Poesie und Liebe... so schilderten sie ihre Zeitgenossen.
Diese Frau war die Marquise von Fontenay. Madame Le Brun stellte an diesem Tage das Bild zur Besichtigung ans und darum stürmte die Pariser Gesellschaft herbei.
Therezia von Fontenay war geboren zu Madrid und war eine Tochter des Grafen Cabarrus: Graf Cabarrus war ein Finanzgenie. Sein Vaterland stand trotz der Minen in Peru , in Merifo, in Chile am Abgrund des Bankerotts. Graf Cabarrus erfand die verzinslichen Staatsschuldscheine, verbreitete seine Erfindung durch ganz Europa und rettete sein Vaterland. Er gab seinen Kindern eine sorgfältige Erziehung. Therezia lerute italienisch, französisch und mit ihren Brüdern Latein . Noch ein Kind, bezauberte sie Madrid . Die vornehmsten Granden warben um ihre Hand. Graf Carrabus aber ging
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mit seinen Kindern nach Paris , dort ihre Erziehung zu vollenden. Es war die Zeit, als die Königin Maria Antoinette in Trianon Kühe weidete und die Salons für den Naturzustand und die christliche Tugend schwärmten. Auch Paris umfeierte die schöne Fremde. Therezia hatte einen bedeutenden Geist. Sie sprach viel und gut. Sie sang sevillanische Liedchen und tanzte, die Castagnetten in der Hand, im Karneval die Jota. Im Hause der Marquise von Boisgeloup begegnete Therezia dem Marquis von Fontenay. Der Marquis war Mitglied des Parlament von Bordeaur und schon bejahrt, doch war sein Aeußeres noch stattlich. Sein Auftreten war ernst und würdig und er erfreute sich der Freundschaft zahlreicher berühmter Personen. Am Pharaotisch und im Kreise schöner Frauen thaute er aber auf. Er besaß sehr viel Geist und Wiz, die Frauen hatten ihn gern. Der Marquis lernte Therezia kennen und bewarb sich bei dem Grafen Cabarrus, ohne nach der Mitgift zu fragen, um ihre Hand. Gleichzeitig mit ihm warb um sie auch Fürst Lichtenay. Der Fürst war sehr liebenswürdig, aber sentimental; er langweilte Therezia, während der Marquis sie unterhielt. Im Alter von kaum sechzehn Jahren wurde Therezia die Gemahlin des Marquis und unter prunfvollen Festlichkeiten wurde auf Schloß Fontenay die Hochzeit gefeiert. Das Paar wohnte abwechselnd auf Schloß Fontenay und in seinem Pariser Hotel in der Nue de Paradies. Die vornehmste Gesellschaft, die Blüthe der Kunst und der gelehrten Welt verkehrte in dem Salon der Frau von Fontenay, die Montmorrencys, die La Nochefoucaulds, die Lafayettes, die Chamforts, die Champcenetz.
Das Atelier der Madame Le Brun lag in der Straße St. Honoré. Einige Tage vorher war durch diese Straße der Pariser Pöbel nach der Vorstadt St. Antoine gestürmt und hatte dort die Reveillonsche Tapetenfabrik zerstört. Man sprach von diesem Ereigniß und von der Revolution. Man fühlte in den Pariser Salons, scitdem der Adel freiwillig auf einige seiner Privilegien verzichtet hatte, eine gewisse Brüderlichkeit für das Volk, das war Mode, man ließ sich deshalb in seinem festlichen Vergnügen noch nicht stören. Man sprach auch von Louis David , der die neue Zeit verherrlichte. Ami lautesten sprach Herr von Rivanol. Herr von Rivanol war ein Edelmann aus dem Languedoc . Er schrieb. Seine Feder war wie seine Unterhaltung wißig und glänzend. Improvisationen, die schärfsten Epigramme und Bonmots entsprudelten ihm. Sein Stil war geschliffen wie eine Klinge, sein Urtheil fein und treffend, sein Geschmack sehr delifat. Die Berliner Akademie hatte eine Arbeit von ihm über die französische Sprache mit dem Preise gekrönt. Doch war er manchmal oberflächlich und flüchtig und immer ging er auf den Effekt. Sein Ehrgeiz war, auch in der Gesellschaft der Erste zu sein. Soeben gab er bei Panckoucke, dem berühmten Buchdrucker, ein Blatt heraus, gerichtet gegen die Umsturzbewegung. Panckoucke druckte gerade den Prospekt, den Herr von Rivanol an diesem Morgen eilfertig hingeworfen hatte. Fort mit dieser chimärischen Gleichheit," hieß es in dem Prospekt, denn diese Gleichheit wird stets das Geheimniß der Philosophen sein. Sie wird die Reichen vernichten und die Armen nicht bereichern. Statt der Gleichheit der Güter werden wir nur die Gleichheit des Unglücks besitzen." Von Mirabeau sagte Jean von Rivanol: Dieser Mirabeau ist für Geld zu Allem fähig, selbst zum Guten." Er führte das Wort.
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Sie werden sehen," sagte Herr von Rivanol, ,, daß diese stolzen Römer, die Herr David mit seinem eisigen Pinsel wieder in die Mode gebracht hat, uns ein Zeitalter des Cato und Brutus bescheeren wird. Das ist das Gesetz der Gegenfäße. Nach Ludwig dem Feierlichen Ludwig der Ungenirte. Nach der Tafel Sardanapals das Wilchbrotfrühstück des Titus. Das französische Volk besaß zu viel Geist, jezt kommt die Dummheit wieder an die Reihe. Es will sich stählen und härten."
,, Und Sie bilden sich ein, daß David diese Mode gemacht hat?" sagte Madame Le Brun. Nicht David! Ich hab sie gemacht. Ich habe ein griechisches