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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Symposion gemalt, man hat es zu einer römischen Orgie verwandelt. Die Mode ist weiblich, die Franen machen die Mode, hat Gräfin Dubarry gesagt."
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Apropos, haben Sie nicht ihr Bild angefangen?" Diese Worte sprach die Marquise von Fontenay. Ihre Stimme flang wie eine Glocke und ihre Augen strahlten wie Diamanten.
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Die arme Gräfin!" flagte Madame Le Brun, ,, ich malte sie, wie sie einen Roman liest in den Armen des Königs. Das ist vorbei!"
Später sprach man von den Stiergefechten. Fran von Fontenay hatte einige gesehen und erzählte lebhaft davon.
,, Auch im Leben muß man sich daran gewöhnen, den Stier bei den Hörnern zu packen," lachte sie. Herr von Fontenay, der viel gelesen und gesehen hatte, zitirte Cicero: ,, Erudite gladiatorum spectaculum haud sic an ita sit." Darauf verbeugte er sich vor seiner Frau und sagte:„ Die echten Spanier sind alle für dies Vergnügen entflamnit. Sie sehen etwas Heldenmüt iges darin. Die Blicke ihres Fürsten, ihres Vaterlandes, die Augen aller schönen Frauen haften an dem Stierfechter in der Die Spanier sollte Arena. Ganz wie in Rom . Die Spanier sollte Herr David malen. Das sind die neuen Römer." Fran von Fontenay neigte dankend den Kopf. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, ein junger Mann trat herein. Seine Kleider zeigten, daß er zur Gesellschaft nicht gehörte. Man begönnerte das Volk, aber in der Entfernung; in den Salons standen sich die Klassen noch so gegenüber wie am Hof der Königin. Der junge Mann ver beugte sich. Niemand erwiderte seinen Gruß. Nur Madame Le Brun trat ihm als die Dame des Hauses mit einem verivunderten Lächeln entgegen. Der junge Mann war zwanzig Jahre alt, seine Gestalt war schlank und kräftig, sein Gesicht schön.
„ Ich bitte um Verzeihung, Madame, daß ich unangemeldet eintrete," sagte er, aber ich habe feinen Diener gefunden. Ich suche Herrn von Rivanol."
Der Ankömmling sagte das mit einer leichten und furchtlosen Art. Er hatte etwas Plebejisches und doch auch etwas Edles. Er erblickte Herrn von Rivanol und sogleich trat er auf ihn zu. Auch Herr von Nivanol sah den Aufömmling. Er entsann sich, daß es ein Angestellter seines Druckers Banckoucke war und daß er ihn schon einmal in seiner Wohnung aufgesucht hatte. Dennoch erwiderte auch er nicht seinen Gruß.
,, Herr von Micanol," sagte der junge Mann, ich hate Sie in Ihrer Wohnung aufgesucht. Ihr Dienstmädchen sagte mir, Sie seien hier. Die Sache eilt, darum komme ich hierher."
" Was giebt es?" fragte Herr von Rivanol. „ Ich komme auf Veranlassung von Herrn Panckouce. Er druckt Ihren Prospett. In dem Manuskript sind drei, vier Stellen, deren Sinn wir nicht verstehen. Herr Panckoncke schickt mich zu Ihnen, Sie darnach zu fragen," erwiderte der junge Mann.
,, Sie verstehen nicht, Sie verstehen nicht?" fuhr Herr von Rivanol auf.
,, Nein, mein Herr, wir verstehen es nicht," entgegnete der junge Mann, weder Herr Panckoucke versteht es, noch unser Korrektor, der doch sonst Französisches ins Französische zu übersetzen versteht, noch ich, der ich die lateinischen Zitate sebe."
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" Ah! Also Sie verstehen es nicht?" spottete Herr von Rivanol, ich bin ganz untröstlich. Hab ich für die Anderen oder für Sie geschrieben? Mein Lieber, haben Sie lesen gelernt?"
Nicht die Schrift des Herrn von Rivanol," versetzte der junge Mensch sehr schnell.
Herr von Nivanol und sein Sezer standen einige Schritte von der Gruppe, die noch immer das Bild der Frau von Fontenay bewunderte, entfernt. Dennoch hörte Alles diese Antwort. Ein Seter stopfte Herrn von Nivanol den Mund. Man lächelte. Die Damen erheben ihre Lorgnetten. Der junge Mann hatte sehr große, glänzende Augen. Um seine Lippen lag ein Zug von Scherzlust, Hohn und Leidenschaft. Kraftstrogend, lässig wie ein junges Riesenkind und ungezwungen wie ein Marquis stand er vor errn von Rivanol. Seine Stimme war sehr
weich und angenehm, doch in den letzten Worten flang sie wie leiser Donner.
Die Gesellschaft hatte wieder von dem Bild ge= sprochen und tabelte es. Der Mund war zu groß gerathen und die Augen zu klein.
„ Ich glaube nicht ein Wort," sagte Madame Le Brun , ich bin wie Moliére , ich will mich nach meinem Dienstmädchen richten. Aber weil mein Dienstmädchen nicht da ist, so werde ich mich mit Ihrer Erlaubniß an diesen jungen Mann hier wenden. Wie ein Schmeichler sicht er nicht aus. Gr wird die Wahrheit sagen. Mein Herr," sprach Madame Le Brun zu dem Sezer, man sagt mir über dieses Bild so viel Beleidigungen, daß ich wahr haftig nicht weiß, hab ich wie ein Künstler oder wie ein Auftreicher gemalt. Was ist Ihre Meinung?"
Schnell und nicht schüchtern trat der junge Mann vor das Bild.„ Ich will es Ihnen sagen," er= widerte er mit einer gewissen Großartigkeit. Alles wurde still, die Gesellschaft lächelte, sie erwartete von diesem Menschen eine Dummiheit. Er betrachtete abwechselnd das Bild und die Marquise, die Marquise mehr als das Bild. Frau von Fontenay wurde roth bis zur Stirn. roth bis zur Stirn. Er hat die schönsten Augen der Welt!" sagte leise zu ihr Madame Le Brun. Er trug feinen Degen wie die anderen Herren. Aber seine Jugend, seine fraftgeschwellte Gestalt, das Fener in seinen Augen schienen nach einem Degen zu verlangen. " Nun, mein Herr, Ihre Kritik?" fragte Ma dame Le Brun .
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Meine Kritif, Madame?" versetzte der junge Mann. Nicht wahr, man hat Sie getadelt, weil der Mund zu groß und die Augen zu klein sind? Ziehen Sie das obere Augenlid ein bischen her unter und öffnen Sie ein wenig den Mundwinkel, so werden Sie den Charakter und den Liebreiz dieses Gesichtes schon eher treffen. Die Augen werden lebendiger werden, weil sie ihren Glanz dann auf die Wimpern werfen, wie die Sonne ihr Licht durch Wolfen. Der Mund wird sich vergeistigen, weil er sich bewegt. Vom Hutrande lassen Sie einen Schatten fallen und über das Gesicht werden die Lichter spielen wie bei Velasquez. Das ist meine Ansicht."
Madame Le Brun , die Marquise und die übrige Gesellschaft hörten dem Kritiker mit wachsendem Erstaunen zu.
" Sie sind der Einzige, der hier etwas versteht, mein Herr!" rief Madame Le Brun .
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Gewiß, Sie waren schon selber im Atelier des Velasquez!" sagte die Marquise mit einem verlegenen Scherz.
Paßt es Ihnen mun, mich zu Herrn Pandouce zu begleiten?" fragte Herr von Nivanol.
Der junge Manu verbeugte sich mit einem spöttischen Lächeln. Die ihm zugehört hatten, begrüßte er leicht, die Auderen beachtete er nicht. Vor Frau von Fontenay verbeugte er sich besonders. Darauf verließ er mit Herrn von Rivanol den Saal.
Niemand in der Gesellschaft fannte ihn. Er hieß Tallien, mit Vornamen Jean Lambert. Man sagte, er war ein Sohn des Marquis von Bercy . Wenigstens war er das Pathenkind des Marquis. Der Marquis schickte ihn auf das Colleg. Kaum fünfzehn Jahre alt, schon genährt mit der Philosophie der Encyklopädisten, entfloh er dem Colleg. Er wurde ein Spieler, ein Frauenjäger, ein Abenteurer, und haßte Gott , den König und den Adel. Der Ehrgeiz regte sich in ihm. Der Mann, der als sein offizieller Vater galt, ein Hausmeister des Marquis, drohte ihm mit seinem Fluch. Kuentwegt erwiderte der junge Tallien:" Vester Vater, das ist im Theater Sitte, nicht im Leben." Das Regiment führte die Mutter; sie beachte den Sohn zu einem Advokaten. Der junge Tallien lernte die Menschen kennen und die Kunst der Nede. Des Nachts durch streifte er Paris , von dem Gassengewirr am Stadthaus bis zum Boulevard de Temple. Wie das Colleg, so wurde auch die Basoche ihm zuwider. Er Colleg, so wurde auch die Basoche ihm zuwider. Er hatte einen Bekannten, einen Seger, bei Pandouce. Er fannte Griechisch und Latein und trat, wie sein Freund, in die Panckouckesche Offizin als Sever. Er sette uur griechische und lateinische Texte, sonst war er auch Korrektor. Mit Leidenschaft verfolgte er die nene Bewegung. Das war der junge Tallien.
Auch Frau von Fontenay erglühte für die neue Zeit.
" Ein sonderbarer Kunstfenner," sagte Frau von Fontenay lächelnd zu ihrem Gemahl.
Zum ersten Mal bemerkte sie, daß Herr von Fontenay alt war.
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Einige Zeit später stand die Marquise mit der Gräfin Charles Lameth auf der Garten- Estrade des gräflichen Hotels. Charles war der Bruder des Grafen Alerander Lameth. Graf Alexander Lameth hatte in Nordamerifa für die Freiheit der Kolonien gekämpft, erhielt dann in Paris ein ArtillerieRegiment und wurde vom Adel von Peronne in die Generalstaaten gewählt. Er gehörte zu den Aristokraten, die sich dem dritten Stand angeschlossen und die den Antrag auf Abschaffung aller adligen Privilegien unterschrieben hatten. Die Marquise und die Gräfin unterhielten sich von einem Unglücksfall; Frau von Lafayette hatte am Tage vorher bei einem Spazierritt ein junges Mädchen überritten. Während sie sprachen, kam ein junger Mann die Treppe herauf. Er hatte Briefe in seiner Hand und schien sehr beschäftigt. Es war Tallien . Er war der Sefretär des Grafen Alexander Lameth geworden. Die Wogen der Revolution gingen höher und warfen die Eriſtenzen auf zufällige Ufer.
,, Verzeihung, Frau Gräfin ," sagte Tallien , ,, haben Sie Graf Alexander hier gesehen? Ich suche ihn."
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„ Graf Alerander ist nicht hier," erwiderte die Gräfin, aber da Sie kommen, wissen Sie etwas über den gestrigen Unfall der Frau von Lafayette?" Tallien erkannte die Marquise. Er war überrascht.
„ Ich weiß nur," entgegnete er,„ das junge Mädchen ist eine hübsche, kleine Blumenhändlerin, sie heißt Manar. Das Abenteuer ist ihr Glück, es macht Reklamie für sie," fügte er mit einem etwas frechen Lächeln hinzu.
,, Darf ich Sie bitten, weil wir von Blumen sprechen," sagte die Gräfin, für diese Dame einen Strauß weißer Rosen unten zu pflücken?"
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Frau von Fontena) erkannte Tallien nicht mehr. Tallien ging in den Garten und kehrte mit dem Strauße zurück. Er übergab ihn der Gräfin.
,, Nicht für mich," lächelte die Gräfin,„ haben Sie nicht verstanden?"
Tallien wandte sich zu der Marquise und reichte ihr die Blumen mit der ihm eigenen, etwas theatralischen Grazie. Dabei fiel eine lose Nose heraus. Er hob sie auf, behielt sie aber in seiner Hand. Schweigend grüßte er beide Damen und ging. Die Marquise entsaun sich allmälig, ihn schon gesehen zu haben.
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Wer ist doch dieser junge Mensch?" fragte sie die Gräfin.
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Der Sekretär meines Schwagers," entgeguete die Gräfin, ein Bursche, der nicht dumm ist, aber ein Faullenzer und ein Mädchenverführer, wie Alexander sagt. Er wartet nur auf die Gelegenheit, ihn zur Thür hinauszuwerfen."
Die Marquise blickte nach den Kastanien hinüber, Tallien verschwand dort.
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Der 31. August 1792. Die Tribünen in der Nationalversammlung sind überfüllt. Seit dem zehnten herrscht das Proletariat. Seit dem fünfzehnten ar= beitet das Revolutionstribunal und die Guillotine- nur alle zwei Tage fällt ein Kopf. Die Gewalt hat der Gemeinderath. Seit dem achtundzwanzigsten stecken einige tausend Aristokraten in den Gefäng nissen. Von Verdun kommt die Nachricht, die Preußen rücken darauf zu. Danton , Robespierre , Marat und Billand geben eine Parole:„ Ganz Paris wird Verdun zu Hülfe eilen, aber vorher vertilge es die Nattern im eigenen Schooß." Sechzigtausend Pikenmänner rüsten sich, am nächsten Sonntag die Gefangenen zu schlachten.
Pethion, das Haupt der Stadtbehörde, hat gesprochen. In den oberen Reihen, wo der Berg sist, steht ein Anderer auf, cin junger Mann. Sein