Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

die eisglatten Wälle, zehn Schritt weit von einer Schildwache, erklimmten. Nie verlor bei solchen Gelegenheiten Strei matter seine Geistesgegenwart, mochte auch das Unerwartetste ihn überraschen. Bei Ausführung seiner Unternehmen war er der Thätigste, die Vorbereitung und Wegbringung der Beute überlicß er seinen Gesellen, die ihn nicht selten übervortheilten. Satte er Geld, so hatten es alle seine Kameraden; genußliebend, wie er war, verschwelgte und vertheilte er, was er besaß. Einen ihm geleisteten Dienst vergaß er nie, aber sein gefahrvoll errungenes Geld schmolz bei schönen Weitern, in Spiel und Trank ebenso rasch dahin, als er es erbeutet hatte.

Zweimal wollte Streitmatter die Räuberlaufbahn verlassen und zweimal stieß ein Unfall ihn zurück. Das erste Mal schnitt ihm ein Zigeuner, während er schlief, seinen Gurt mit hundert Lonisd'or ab, das zweite Mal, er hatte bereits Arbeit in einer Fabrik angenommen, verlor er sein Geld im Spiel und ließ sich von dem berüchtigten Müller zu neuen Diebstählen verleiten.

Manch sympathischer Zug leuchtet aus diesem ver­lorenen Leben. Nie hat er einen Kameraden ver= rathen, nie ließ er einen im Stich. Bei dem Poſt diebstahl in Mainz  , wo Schön- Mayer- Moses durch einen Schuß in den Kopf schwer verwundet worden war, verließ Streitmatter diesen nicht, wie es Hessel und Ibig Kugler thaten. Er war schon um die Ecke entkommen, sprang aber, trotz des Lärms, den der Schuß auf der volfreichen Großen Bleiche" erregt hatte, zurück, nahm den Verwundeten auf seine Schultern und brachte ihn, trotz der nachseßenden Gendarmen, in einstweilige Sicherheit.

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Nach seiner Gefangennahme hatten die Richter ihm gegenüber einen schweren Stand: kein Geständniß war von ihm zu erschmeicheln oder zu erpressen. Alle kleinen Liste, durch welche sich der schlaue Hessel fangen ließ, waren bei Streitmatter bergebens: er prahlte nicht, erzählte nicht und for= respondirte nicht. Obgleich Liebhaber von gutem Essen und Trinken, widerstand er doch allen Ver­suchungen. Durchbrechen war sein einziger Gedanke, und auf die kühnste Art ließ er sich hundert Fuß hoch an einem aus zerrissenen Bettüberzügen ge­drehten Seil hereb, und als schon die Wache her­beifam, unterbrach er seine Operationen nicht eher, bis ihm die Kugeln um die Ohren sauſten. Als er sah, daß keine Rettung mehr war, setzte er sich auf einen Stein und sagte:" C'est ajourné".

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Mit Unwillen und Verdruß, aus diesem elenden Kerker nicht loskommen zu können, nachdem er aus den sichersten Gefängnissen Frankreichs   und der Schweiz   entflohen sei," gab er sich endlich verloren und gestand Einiges gegen sich selbst, aber lange war er nicht zu bewegen, was er im Ge­spräche gesagt hatte, zu Protokoll zu geben.

Unzufrieden über sich selbst, daß ihm Einzelnes entschlüpft war, sagte er zu dem Untersuchungs­rich er: Ich will und mag nicht mehr mit Ihnen reden, Ihre verdammten Konversa=

durch unverhoffte Umstände wider Willen Menschen verlegen zu müssen."

So sonderbar und befremdend bei einem hand­werksmäßigen Räuber und Dieb derartige Aeuße­rungen sind, so ist es doch wahr, daß er bei dem Baldowern sich immer sorgfältig nach den kleinsten Umständen der Familien erkundigte, denen er einen Besuch abzustatten gedachte, um nie in den Fall zu kommen, Widerstand zu erfahren. Ein geschickter Dieb," sagte er, muß wissen, wo die Leute schlafen, ob sie alt oder jung sind, denn alte Leute wachen leicht auf, zumal nach Mitternacht  , jungen Leuten hingegen kann man eine Stunde, nachdem sie sich gelegt, ohne Furcht eine Visite abstatten.."

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Gefaßt hörte er sein Todesurtheil an, verwies Hessel sein Toben und Rasen. Juhig speiste er zu Nacht, schlief sanft und lächelnd trat er seinen Todesgang an. Seiner Geliebten, einer Jüdin, gab er die herzlichsten und rührendsten Lehren und Warnungen, als sie auf ewig von ihm Abschied nahm. Sein Söhuchen wurde mit seinem Willen in der Religion der Mutter erzogen. Als er zum Blutgerüste schritt, blieb fein Auge trocken, nur das ſeinige. Noch auf dem Schaffot erklärte er mit fester Stimme: Mein Tod ist verdient, wenn auch meine Hände rein von Blut sind." Seine Worte zu bezweifeln liegt kein Grund vor, denn während der strengen und langwierigen Unter­suchung ließ er sich nie eine Lüge zu schulden kommen; manche seiner Charaktereigenschaften ließen selbst seine Richter bedauern, daß sie ihm, der so viel Geistesgegenwart, Muth und Todesverachtung gezeigt, nach den damaligen Gesezen das Todes­urtheil sprechen mußten.

Bose Rizal.

Ein genialer Malaie.

Von Androclus.

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ie Philippinen  , Inseln des malaiischen Archi­pels, welche unter spanischer Zivil- und Militär- Mißwirthschaft und Herrschaft stehen und seit längerer Zeit schon im Aufstande gegen ihre Bedrücker stehen, sind im 67. Nachtragsheft zu Petermanns Mittheilungen ethnographisch und geo­graphisch geschildert von dem berufensten Kenner Ferdinand Blumentritt  , Realschul- Professor in Leit­meriz.

Unter den daselbst geschilderten Stämmen von Eingeborenen ist besonders derjenige der Ta­galen interessant: ihm entstammt Jos  : Rizal, den der oben angeführte Gewährsmann als den bedeu­tendsten Malaien zu bezeichnen nicht ansteht.

Jedenfalls werden unsere Leser aus der fol­genden Lebensskizze die Lieberzeugung gewinnen, daß die so vielfach behauptete Inferiorität* der nicht­europäischen Rassen" in das Gebiet der Fabeln zu europäischen   Rassen" in das Gebiet der Fabeln zu verweisen ist.

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José Rizal  , der Sohn armer Neisbanersleute,

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Nach beendigter Vorbereitung am Ateneo   bezog Rizal   die Universität zu Manila   und zwar widmete er sich der Heilfunde. 1882 ging er nach Madrid  , um an der Zentraluniversität seine Studien ruhm­voll abzuschließen und Licenciado en Filosofia y Letras( Doftor der Philosophie) zu werden. Der dichterisch hochbeanlagte Mediziner vernachlässigte aber auch seine philologischen und ästhetischen Stu­dien keineswegs; er trieb Englisch  , Französisch, Ita­lienisch, Deutsch  , Lateinisch, Gricchisch, Hebräisch, Japanisch, namentlich dem klassischen Drama der Japaner widmete er viele Nächte.

Darauf begab er sich nach Paris  , auch dort allseitige Studien zu treiben, in seinem Berufsfache zog ihn besonders die Augenheilkunde an. Dann ging er nach Deutschland  , studirte fleißig in Heidel­ berg  , Leipzig   und Berlin  . Hier schrieb er seinen ge­waltige Aufregung verursachenden politischen Roman: Noli me tangere( lateinisch, übersetzt: Rühr' mich nicht an).

Rizal   hatte schon als Schüler seine spanischen und anderen Genossen aufmerksam beobachtet und war zu dem Schlusse gelangt, daß Talente und Tugenden nicht an die Abstammung gebunden und etwa nur natürliche Vorzüge der herrschenden Nasse seien. Die Geschichte seines heißgeliebten Vater­landes war ihm genau vertraut, auch die der spani schen Besignahme. Von dieser gefährlichen Wissen­schaft ging sehr viel in seinen Roman über, der in allen spanischen Kreisen größte Unzufriedenheit erregte. Gleichwohl erklärt der mit ihm persönlich befreundete Professor Blumentritt: ein Feind Spaniens   ist er nie gewesen.

Seine Freunde in der Heimath riethen ihm, nicht wieder dorthin zurückzukehren. Trotzdem fam er 1887 nach Manila  , wo ihm freilich der Auf­enthalt unerträglich gemacht wurde, so daß er wieder nach Europa   zu gehen beschloß, und zwar über Japan   und Nordamerika  .

Von da fuhr er nach London  , wo er im British Museum   eifrigen Studien oblag. Das Haupt­ergebniß derselben war die Neuauflage und gründ­liche erläuternde Bearbeitung eines äußerst selten gewordenen Werkes des Dr. Antonio Morga über die Philippinen  , das 1609 in Meriko erschienen war. Auch in diesem Werke nöthigte die Wahrheit ihn zu Erklärungen und Notizen, die nicht schmeichel­haft sein konnten für die Spanier, welche außerdem auch noch durch die scharfgeschliffene geistreiche Fassung des Ausdrucks deren Wuth gegen den gehaßten genialen Tagalen noch mehr erhizte.

Nebenher gingen kleinere philologische Arbeiten über die Rechtschreibung, über die Sprichwörter und. die Poetik seiner Muttersprache. Je gediegener diese Arbeiten waren, um so wüthender wurde die spa­nische Gesellschaft über den tagalischen Patrioten, der ihre Schwächen und Sünden so gut kannte. So ists bei den Spantern, leistet ein Eingeborener der Kolonien etwas, so muß er für einen europä­ichen Spanier zu gelten trachten, am liebsten in Spanien   leben. So gelten eine Menge hervor­

tionen sind schuld an meinem Verderben. ist zu Calamba in der Provinz La Laguna de Bay ragende Malaien, z. B. der Maler Juan Luna  ,

Mit bloßen Verhören hätten Sie nie ein Wort von mir herausgefragt."

Aber fein Zureden, feine Versprechung konnten ihn veranlassen, flüchtige Kameraden zu verrathen oder Jemanden anzugeben, den Hessel oder andere Räuber genannt hatten. Er war, selbst im Anfang der Untersuchung, zu einer Zeit, wo die Richter noch keine Möglichkeit einer Todesstrafe für ihn sahen, fest überzeugt, man müe cinen so gefährlichen Menschen, wie ihn, aus der Welt schaffen. Keinen Augenblick täuschte er sich mit leeren Hoffnungen. " Für mich," sagte er, giebt es nur Gnade und Verbannung in serne Gegenden, oder Tod. Jeder Mittelweg würde unheilbringend für mich und den Staat sein. Und auch die bestimmteste Versicherung der Gnade würde mich nie dazu bringen, ein Wort weniger oder mehr zu reden."

Bis zur letzten Minute behauptete er, seine Hände rein von Blut gehalten zu haben:.. wenn ein Kind wein: e, ein Hund bellte, so ent= sagte ich den vortheilhaftesten Unterneh mungen, weil ich die Möglichkeit ahnte,

auf der Insel Luzon   geboren. In der Schule er­regte er die Aufmer samkeit eines seiner Lehrer, eines tüchtig gebildeten Theologen, ebenfalls taga­lischer Abstammung, und seine erkannte Begabung liſcher Abstammung, und seine erkannte Begabung bestimmte seine Eltern, ihn auf das Ateneo muni­cipal( etwa Gymnasium) von Manila   zu schicken. Dort zeichnete sich der talentvolle Stnabe durch erfolg reichen Fleiß in hohem Grade aus, erregte aber auch schon Aergerniß dadurch, daß er bei einer feierlichen Schulgelegenheit ein von ihm verfaßtes Gedicht vortrug, in welchem er, der Tagale, die Philippinen sein Vaterland nannte. Dazu ist die Erklärung nöthig, daß die Unterthanen und Ausbeutungsobjekte der Spanier  , die eingeborenen Kreolen, Tagalen und die üb igen der 51 ver­schiedenen Stämme, welche die Philippinen bewohnen, fein Vaterland haben sollen, das haben nur die herr­schenden Spanier, und jene sollen ihre Heimath nur " ihr Land" nennen als wenn das noch ihnen gehörte und ihnen nicht von eben diesen Spaniern gestohlen pardon, wegannektirt worden wäre!

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Minderwerthigkeit.

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von dem wir auf deutschen Ausstellungen Bilder sahen, und Andere für europäische Spanier, in den Katalogen und den Zeitungen werden sie einfach als Spanier bezeichnet. Von London   ging Nizal nach Paris  , Brüssel   und Gent  , wo er den zweiten seiner Romane: , El Filibusterismo", schrieb, eine Fortsetzung des ersten und in gleichem Geiste und gleicher Tendenz mit diesem. Er erschien 1891.

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Cbwohl nan Rizal wieder ernstlich gewarnt hatte, nicht nach der Heimath zu fommen, konnte dieser der Sehnsucht nach seinen Philippinen nicht widerstehen.

Er wendete sich schriftlich an den Guverneur Despujols und erhielt die Zusage freien Geleites und persönlicher Sicherheit. Vorläufig wartete er in Hongkong  , dem Zufluchtsort aller Philippiner, welche mit den Spaniern in Konflikt geriethen. Auf Britisch- Borneo wollte er eine land­wirthschaftliche Kolonie mit tagalischen Landsleuten gründen, zu der man ihm freilich nicht nur nicht

förderlich war seitens der Spanier, sondern des Gegentheil. Noch einmal wollte Rizal   nach Manila  , um seine Vermögensverhältnisse zu orduen; Bauern