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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

anzuwerben, war ihm freilich nicht gestattet, und doch war es eben seine Absicht, mit Leuten seines Stammes Versuche im modernen Bodenbetrieb zu machen und ihre Befähigung dazu zu beweisen.

Rizal begab sich in die Höhle des Löwen nach Manila  . Auf dem Zollamt wurde gemacht, daß man in seinem Gepäck spanienfeindliche Flugschriften fand. Man kennt ja auch in Deutschland   die Rezepte, wie solche Täuschungen der hehren Dame Justiz ins Werk gesetzt werden bei politischen Ten­denzprozessen. Gouverneur Despujols war über den Vertrauensbruch des verhaßten Philippiner- Patrioten augenscheinlich höchst sittlich entrüstet: man brachte Dr. Rizal   auf die Insel Mindanao   und internirte ihn in Dapitan.

Er beschäftigte sich hier wie bisher mit all den von ihm beherrschten Wissenschaften. Er richtete

eine Augenklinik ein und stellte seine ärztliche Hülfe überhaupt den Armen der Gegend unentgeltlich zur Verfügung, den Kindern der Armen richtete er zur unentgeltlichen Benutzung eine Anstalt nach Fröbel­schen Prinzipien ein, daneben bemühte er sich, Kennt­nisse in dem Betrieb der Landwirthschaft mit den Mitteln einer fortgeschrittenen Technik praktisch und theoretisch zu verbreiten. Eine Untersuchung über das tagalische Zeitwort ging dazwischen hinein. Europäische Gelehrte suchten ihm durch fleißigen Briefwechsel die Verbannung erträglich zu machen. lleberall auf seinen Neisen hatte ja der farbige Sohn der Philippinen   Freunde und Verehrer ge= wonnen durch seine erstaunlichen Kenntnisse, die Liebenswürdigkeit seines Benehmens und die Hoch­herzigkeit seiner Gesinnungen.

Vielfach legte man es Rizal nahe, sich aus dem Staube zu machen: er glaubte, und erklärte, sich seine Freiheit nicht stehlen zu dürfen. Er vergaß, daß es für einen farbigen Unterthan der Spanier ein Verbrechen ist, Genie zu haben, und ein noch größeres, sein Volk und sein Vaterland zu lieben; legteres nennen die Spanier separati­stische Bestrebungen", was im Spanischen   nach so etwas wie Hochverrath, Umsturz und dergleichen schmeckt.

Die klerikale und spanische Presse arbeitete unter­dessen mit Hochdruck in der Absicht, den verhaßten Tagalen, der als Philolog, Arzt, Dichter, Natur­forscher, Ethnograph, Historiker usw. die Fabel vou der Ungleichwerthigkeit der Philippiner mit ihren spanischen Unterdrückern so glänzend widerlegte. Nun hatte man ihn einmal in der Gewalt, nun

lechzte man nach Rache an dem unangene men Renner und Verkünder so vieler den Spaniern unwillkommener Wahrheit. Drei Kriegsgerichte wurden mit Rizals Sache befaßt; von Manila   ward er nach Spanien  , nach Mont nich bei Bar.elona, gebracht, während er selbst bei Ausbruch des fubanischen Aufstandes der Regierung seine ärztlichen Dienste angeboten der Regierung seine ärztlichen Dienste angeboten hatte. Fest glaubte und hoffte er, nach Aufklärung der Mißverständnisse, auf dem Schlachtfelde im Dienste der Menschlichkeit arbeiten zu können.

Da brach die Empörung in Manila   aus. Während seiner Fahrt nach Europa   nahm der Auf­stand immer weiteren Umfang an, und die wahn­sinnige Auflage, Nizal habe die Verschwörung in Manila   angezettelt, wurde von allen Spaniern fol= portirt und nach Rache geschrieen. Auch jezt hatte Rizal wiederholt Gelegenheit, sich seinen Feinden zu entziehen: er hielt es für ungefeßlich und nicht zu entziehen: er hielt es für ungefeßlich und nicht ehrenvoll, dies zu thun.

Vorläufig und zu Anfang war ein Todes­urtheil nicht zu erzielen, das Kriegsgericht sprach seine Verbannung nach einer überseeischen Insel aus. Wegen dieser allzugroßen Menschlichkeit" erhob sich unter den von den Offiziösen und den Mönchen fanatisirten Spaniern ein wahres Wuth­gebeul. Das dritte über seinen Fall eingesezte Kriegsgericht sprach das heißersehute Todesurtheil

aus.

Am 30. Dezember 1896 wurde der größte Sohn der Philippinen durch spanische Kugeln er­mordet. Die spanische Regierung hat zu ihren unzähligen Greueln und Verbrechen ein neues gefügt. unzähligen Greueln und Verbrechen ein neues gefügt. Ein jedenfalls Unschuldiger, dessen Vertrechen einzig darin bestand, daß er so viele Spanier an Geist und Tugend überragte und daß er sein Volk liebte, ist ein Opfer des fanatischen Rassenhasses und der brutalen Unterdrückungssucht geworden. Man hat freilich erklärt, daß die beiden Nomane Nizals für die Geschichte der Philippinen   von der selben Bedeutung seien, wie Rousseaus Werke für Frankreich   und die französische   Revolution.

Es ist allerdings wahr, daß die Wissenschaft, die Wahrheit, das Genie aller und jeder Gewalt­herrschaft gefährlich sind. Darum ist alle Gewalt­herrschaft ihrem innersten Wesen nach wissenschafts­herrschaft ihrem innersten Wesen nach wissenschafts­und kulturfeindlich und muß es sein. Da aber die nach dem Wahren, Guten und Schönen strebenden Menschen allen egoistischen Ausbeutern und herrsch­süchtigen Naturen ein Dorn im Auge, ein lebendiger Protest gegen die Infamien Jener sind, werden sie gefürchtet. In elenden, despotischen Staaten sind

darum Talente und Tugenden ihren Besizern ge­fährlich, oft verderblich.

Von der großartigen Vielseitigkeit Rizals giebt Zeugniß die Thatsache, daß er auch als feinfühliger Künstler, als Zeichner und Bildhauer sich bethätigt hat. Sein Biograph Blumentritt besitzt von ihm drei Statuen aus gebranntem Thon, von denen er sagt, daß sie füglich als Symbol seines Lebens betrachtet werden können; dann schildert er die Werke wie folgt: Die eine stellt den gefesselten Prometheus dar, die zweite den Eieg des Todes über das Leben, und diese Szene ist besonders originell erdacht: ein in eine Mönchskutte gehülltes Stelett schleppt in seinen Armen ein entseeltes juntyes Mädchen. Die dritte zeigt uns eine weibliche Ge­stalt, die auf einem Todtenkopf steht und in ihren hocherhobenen Händen eine brennende Fackel hält: es ist der Triumph der Wissenschaft, des Geistes über den Tod." Vor mir liegt ein mit Schreib­maschine und in spanischer Sprache geschriebener, begeisterter Nefrolog auf Rizal, welcher in Hong­ kong   entstanden und in vielen Eremplaren unter den zahlreichen Verehrern Rizals und unter seinen philippinischen Landsleuten verbreitet worden ist.

Die grenzenlose Verehrung der Philippiner für ihren großen Landsmann, das innigste Mitgefühl mit seinem traurigen Geschick und die schluchzende Klage über seinen Verlust spricht sich darin herz­erschütternd aus. Auch in Europa  , wo Rizals Name bei Sprachforschern, Naturgelehrten, Literar­historifern, Aerzten einen guten Klang hatte, haben viele Blätter Nachrufe ehrendster Art gebracht. Im internationalen Archiv für Ethnographie( Band X, Jahrgang 1897) hat Professor Blumentritt Rizal, den edlen Menschen und Mann der Wissenschaft, vorzüglich auch nach seinen ethnographischen Ver­diensten gewürdigt. Nach ihm hat Professor Razel ihn in der wissenschaftlichen Beilage der Allgemeinen Zei ung gebührend gewürdigt. Seinem in einer Au­merkung zu seinem Aufsaße ausgesprochenen Wunsche schließen wir uns an: daß es dringend zu wünschen ist, daß der menschlich und wissenschaftlich dent großen Tagalen am nächsten gestandene Professor Blumentritt aus seinem Schaße von Erinnerungen und Briefen ein größeres Lebensbild des mert­würdigen Mannes, vielleicht mit einer Auswahl aus dessen Schriften, entwerfen möge.*

* Wie wir inzwischen erfahren, wird das demnächst geschehen.

Die Dorfparzen.( Zu unserem Bilde.) Parzen hat der Maler unseres heutigen Bildes scherzhaft die drei alten Frauen genannt, die mit gewichtiger Miene prüfend den kleinen Weltbürger umstehen, den die junge Mutter vor ihnen glückstrahlend auf ihrem Arme hält. Warum Parzen?

Je nun, die drei Alten würden selbst am wenigsten wissen, wie sie zu diesem Namen der griechisch- römischen Schicksalsgöttinnen kommen, und doch, ist das, was sie beim Anblick dieses neuen, kleinen Wesens denken, was sie mit bedeutsam erhobenem Zeigefinger einander zuraunen, nicht auch so eine Art Zufunstdeuten, eine Art Lebens­fadenspinnen?

Und das war ja der hohe, heilige Beruf der grie­chischen Kataklothes( Spinnerinnen), der Nornen der nordischen Sage so gut wie der zahlreichen anderen ger­manischen Schicksalsfrauen, wie wir ihnen noch im deut­schen Märchen auf Schritt und Tritt begegnen.

Troß der vielen mächtigen Götter und Göttinnen ist des Menschen Leben zulest doch ganz in ihre Hand gegeben, und sie allein sind es, die über sein Schicksal zu beschließen haben.

So weit reicht nun freilich die Macht der trei Parzen auf unserem Bilde nicht, aber davon dürfen wir über­zeugt sein, daß eine jede von ihnen sest an Das glaubt, was sie unter wid tigem Etirurunzeln aus dem Schatz ihrer reichen, alten Erfahrung dem kleinen Weltbürger als Prophezeiung mit auf den Weg giebt.

Ob sie in ihrem Urtheil wohl einig sind, die Drei? Oder welche von ihnen Recht behalten wird? Ja, wenn man das noch erleben könnte!

Aus dem Papierkorb der Zeit.

Aber ach, wie lange noch, dann werden sie fein stille in ihrer letzten eugen Kammier schlafen, während der Kleine da als ein Mann, unbekümmert um die Weisheit aus Altweibermund, seinen Weg durchs Leben nehmen wird.

Despotisches. Turgenjew   berichtet über den Zar Paul, der in der Nacht vom 23. auf den 24. März 1801 von Mörderhänden( blaublütigen!) erwürgt worden ist, in seinen in einer russischen Zeitschrift veröffentlichten Aufzeichnungen: Die despotischen Allüren Pauls trugen schon in der ersten Zeit seiner Regierung den Stempel des Cäsarenwahnsinns, der sich alsbald maßlos steigern sollte. Schon während der letzten Stunden, als Katharina mit dem Tode rang, hegten Alle die Besorgniß, daß man einer Zeit entgegen gehe, da Niemand werde frei athmen können. Die erste Heldenthat der neuen Regierung war ein erbitterter, schonungsloser Kampf gegen die schlimmsten Jeinde des russischen Staates: die runden Hüte, die Fräcke und die Gilets( spr. Schileh Weste). Zweihundert Polizeisoldaten und Tragoner rannten in den Straßen umher und rissen allen Vorübergehenden die runden Hüte ab, den Fräcken wurden die Krägen abgeschnitten, die Gilets in Etüde zerrissen. Wer sich wehrte, wurde mit Faust und Stockschlägen mißhandelt. Den Schergen war ausdrüdlich eingeschärft, rücksichtslos vorzugehen. Am ersten Tage seiner Regierung ritt Paul an einem hölzernen Theater vorüber, das Katharina hatte erbauen lassen. Er befahl, es niederzureißen, und wenige Stunden später war von dem großen Gebäude keine Spur mehr zu er­blicken. Dieser Vorgang gab mir Gelegenheit, zu erkennen, wie weit sich die Macht der russischen Regierung erstrecke.

Berantwortlicher 9.cbatteur: Gustav Macasy in Leipzig  . Verlag: Hamburger Buchbruckerei und Verlagsanstalt Aaer

Die Fälle von Verbannung vom Hofe, aus der Haupt­stadt, über die Grenze und nach Sibirien   wurden so häufig, daß man schließlich kaum noch darauf achtete. Tem russischen Gesandten in London   wurde der Befehl ertheilt, feinem nach Rußland   reisenden Ausländer einen Paß zu verabfolgen. Bufurlin berichtet, starr vor Entseten, es sei alle Einfuhr ausländischer Bücher verboten worden. Bekannt ist, daß Kotebue in der Absicht, Verwandte in Esthland zu besuchen, unterwegs in brutaler Weise auf­gegriffen und nach Sibirien   geschleppt wurde. Nach seiner Begnadigung erfuhr er, es sei deshalb geschehen, weil er ein Schriftsteller sei.

Schnikel.

Auf Martin Molski. ( 1751-1822.)*

Eine Ode trägt Molski auf jeder Seite, Für Herodes   die eine, für Christus die zweite; Doch vorräthig hat er dreihundert im Schrein, Sie dem Antichrist, wenn er ankommt, zu weihn. Wie auch Polens   Loose fallen, Molski läßt die Leier schallen.

* Der polnische Dichter Molsti war der Mann und Lob­fänger aller Kurse und Regierungen in dem Polen   seiner Zeit.

Nachdruck des Juhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Herrn G. Macasy, Leipzig  , Oststraße 14, richten. Druck: Mar Bading in Berlin  . 60. in Hamburд.