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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

liche Gebände zu errichten, und da suchten viele Handwerksmeister die Gunst des machtgebietenden Sekretärs zu erringen. Auch meinem Meister ge= lüftete es nach städtischen Aufträgen, und da es ihm trotz aller Mühe nicht gelungen war, von dem Herrn Sekretär beachtet zu werden, mußte ihn die That­sache, daß sein Gesell nicht nur die Beachtung, sondern sogar die Freundschaft des großen Herrn gefunden hatte, mit Bewunderung erfüllen. Vielleicht reute es ihn bereits, daß er mir gekündigt hatte- viel­leicht sagte er sich, daß ich ihm hätte nüßlich sein fönnen, und vielleicht hegte er den Wunsch, daß ich bei ihm bleibe. Mein fester Wille war jedoch, zu wandern; die Lust, noch länger auf dieser Insel der Glückseligkeit" zu verharren, war mir durch die an Albert verübte Scheußlichkeit gründlich verleidet worden. Lieber in der Fremde umkommen, als noch länger in einem solchen Hause zu verweilen!

Am Vormittag des Sonnabends brachte eine alte Fran dem Meister einen Brief. Er las ihn und gab ihn dann mir. Er ist von dem Audiat, den wir gestern' rausbesorgt haben," sprach er." Lesen Sie, was er über Sie schreibt!"

Albert bat in dem Schreiben um Uebersendung sciner Sachen und des ihm zukommenden Lohnes, falls der Meister nicht gesonnen sei, ihn weiter zu beschäftigen. Er sei kein Sozialdemokrat und er wisse garnicht, weshalb er so schrecklich geschlagen worden sei. Wahrscheinlich sei er von Friedrich ver­flatscht worden, weil dieser gern seine Stellung be­halten möchte. Kein Abend sei vergangen, ohne daß Friedrich auf den Meister geschimpft habe, und nun sei der Friedrich wieder liebes Kind...

Ich las den Brief nicht zu Ende; der hündische Ton flößte mir zu großen Ekel ein, und die Be­schuldigung, ich hätte den Kameraden beim Meister verklatscht, war so albern, daß sie mich falt ließ. Tief dagegen berührte mich die Frage, wie es möglich war, daß ich mich in Albert so bodenlos hatte täuschen können. Alles hätte ich daran gewettet, daß er eine durch und durch edelsinnige Natur sei, und nun offen­barte er sich als der giftigste Wurm, der mir jemals begegnet war. Der Haß, den ich nun für ihn empfand, war stark durchsetzt mit Mitleid, und ich wünschte dem armseligen Teufel, daß ihm der Meister gnädig gestatten möge, weiter zu arbeiten und sich auch noch die unbeschädigten Knochen mürbe schlagen zu lassen. Die Weisheitsschlüsse, die ich aus der aufgeworfenen Frage zog, gipfelten in der Erkenntniß, daß ich kein Menschenkenner, wohl aber ein erzdummer Kerl sei.

Der Meister that ihm nicht den Gefallen, ihn in die Werkstatt zurückzurufen; er sandte ihm mit der alten Frau den Koffer und das verdiente Geld nach der Herberge.

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Hätte der Meister mich gefragt, ob es wahr sei, daß ich öfters auf ihn geschimpft habe ich wäre in schwere Verlegenheit gerathen, denn Albert schrieb in diesem Punkte die Wahrheit. Doch er fragte nicht, und so blieb mir eine peinliche Antwort er= spart. Er war noch freundlicher als am vorher gegangenen Tage; doch berührte mich seine Sucht, liebenswürdig zu erscheinen, unangenehm und wider­wärtig, da sie mir erkünftelt vorfam.

Der Tag verging in Frieden; der ersehnte Feier­abend kam. Am Tische stand der Meister, schnitt das Abendbrot und füllte die Biergläser. Holen Sie sich Ihre Schnitte!"

Noch ein paar kräftige Stöße mit der Säge, dann spannte" ich sie ab und hing sie an den Nagel, um sie nie wieder zu berühren. In Eile steckte ich die Hobel, die Feilen, die Stechbeutel und Stemmeisen in den Zengrahmen und säuberte mit dem Borstenwisch" die Hobelbank; ein Auflug von Scheideweh wurde schnell verscheucht durch die ge= diegene Butterftulle, die schier doppelt so groß und fett gerathen war, als ihre zahlreichen Vor­gängerinnen. Vollkommen gesättigt und mit dem Wohl­behagen eines Menschen, der nur den lieben Gott läßt walten, ging ich zu Bett und dichtete mich rasch in den Schlaf.

Am frühen Sonntagmorgen stand ich, zum Ab­schied gerüstet, vor dem Weister. Sie wollen gehu?" fragte er verwundert.

,, Die vierzehn Tage sind ja um?"

Sie können noch acht Tage hier bleiben." Einen Augenblick war ich unentschlossen; der Ge­danke an Albert und den Kirchendiener aber verhalf mir zu der rechten Antwort.

" Ich möchte heute schon gehen," sprach ich.

"!

Wenn Ihnen acht Tage zu wenig sind, können Sie auch noch länger da bleiben meinetwegen über den Winter."

Beinahe zwei Wochen lang hatte ich mit wahrer Todesbangigkeit den fommenden Schicksalen entgegen gesehen, und die Vorstellung, daß ich obdachlos und hungernd werde in der Fremde umherirren müssen, hatte mich bis in die Träume der Nacht verfolgt und gemartert; nach den geschilderten Vorkommuissen jedoch betrachtete ich die Vogelfreiheit als eine Er­lösung aus nichtswürdiger Sklaverei. Zur rechten Sefunde erinnerte ich mich an alle die Grobheiten und Niederträchtigkeiten, die ich erduldet hatte, und ich fühlte es fast als Wohlthat, daß ich den Meister zu einer Zeit, in der er meine Hülfe am nöthigsten brauchte, im Stich lassen konnte. Ich schüttelte zu seinem Vorschlag verneinend den Kopf.

" Haben Sie anderswo Arbeit angenommen?" forschte er.

" Ich will nach Görlik wandern." ,, In Görlitz   kommen Ihnen die gebratenen Tauben auch nicht in den Mund geflogen. Bleiben Sie lieber hier!"

,, Nein!" erklärte ich kurz.

"

Aber Sie sehen doch, daß ich jetzt keinen Ge­sellen habe und daß die Arbeit drängt!"

und doch ganz anders als sonst; viel reiner und flangvoller, viel lauter und feierlicher. Wohl hemmt das finstere Gemäuer enger Gassen den Klang, der zu Ohren dringen will, und wohl bleibt er unbe­achtet im Lärm und Getose der Stadt; allein der freie Sohn der Lüfte dringt ungehindert hinaus in freie Weiten, um in seiner eintönigen und doch so unendlich reichen und vielseitigen Sprache zu jenen Herzen zu reden, die er einsam auf stillen Wegen und Fluren findet.

Zu mir sprach er wehmüthige Worte. Er erzählte mir, daß jezt der Meister nach dem Deutschen Kaiser" gehe, daß es dort Schmorbraten mit Dämpf­kohl und Klößen und obendrauf Obstkompot gebe, und er bedauerte mich, daß ich nicht mitgehen dürfe, sondern fasten müsse. Er sprach von dem gefräßigen Schneider, wie dieser sich ärgern werde, daß er nicht mehr Gelegenheit fand, die Hälfte meiner Portion mit zu verschlingen, und er meinte, der Meister werde bei Tisch nicht günstig von mir reden, damit die beiden Schneider glauben sollten, er habe gutte Ursache gehabt, mir den Laufpaß zu geben. Eine solche Schlechtigkeit trante ich dem Meister ganz gern zu, und ich wünschte daher sehnlich, die Schneider möchten erfahren, daß ich zu dem großen Feste des Beamtenvereins eingeladen worden sei; sie würden dann so sagte ich mir nicht mit Verachtung, sondern mit Bewunderung an mich zurüddenken. Doch der hierdurch gewete frische Zorn gegen den Meister hielt nicht lange an; das mir ertheilte Entlassungszeugniß übte einen versöhnlichen Einfluß aus. Ich konnte mit diesem Papier aller Welt be­

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Ju mir jubelte die Schadenfreude. Man ist beweisen, daß ich von Anfang März bis Anfang

hier nicht des Lebens sicher," sprach ich.

"

leber sein dunkles Wettergesicht ging der Schatten des Unmuthes. Der Herr Stadtsekretär hat Ihnen wohl eine Stelle verschafft?" fragte er lauernd. Nein, ich geh nach Görliz. Sind Sie so gut und geben Sie mir den Lohn!"

Ich

Sie brauchen mich nicht zu mahnen!" entgegnete er grob. Mich hat noch kein Mensch mahnen dürfen!" Er holte das Geld herbei und bezahlte. dankte und bat um ein Entlassungszeugniß. " Wollen Sie wirklich?"

" Ja, ich will!"

"

Wenn Sie denken, daß ich Sie bitten werde, täuschen Sie sich!"

Er wandte sich falt ab und ging in sein Zimmer. Nach einer geraumen Weile brachte er das Zeugniß. Nach einer geraumen Weile brachte er das Zeugniß. Noch ein Dankeswort und dann ein kurzes Adieu!" Adieu!"

"

Geschwind schob ich zur Thür hinaus und ranute zur Treppe hinab, beglückt, daß ich auf leichte Weise losgekommen war.

" Heda, halt!" erscholl es hinter mir drein. Ich hielt inne und wandte mich zurück. " Wie können Sie denn so fortrennen! Ich weiß ja garnicht, was Sie in der Bürde, die Sie da fortschleppen, Alles mitgenommen haben!"

"

Von Ihnen nichts! Ich bin kein Spitzbube!" gab ich zur Antwort und lief, so schnell ich fonnte, zum Hause hinaus.

Wohl erklang seine Stimme nochmals; doch ich verstand nicht, was er sagte und kümmerte mich nicht datum.

So schied ich von meinem Meister in Thalungen.

Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Herberge. zur Heimath.

Zur Stadt hinaus, auf der Chaussee fort, und danu links ab in den Wald! Derselbe Wald, durch den ich gegangen war, als die Feuersbrunst mich ins Unglück verlockte. Abseits vom Wege, in einer kleinen Lichtung, fand ich einen stillen Lagerplaz. Beschirmt und beschützt vo.1 hochragenden Tannen und dichtem Untergebüsch, fonnte ich meine Kleider und Papiere ordnen, mein Nänzel schnüren und die Sonn: ags­toilette vollenden, die einer besonderen Sorgfalt be= durfte, da ich ja berufen war, das Sedanfest des vornehmsten Vereins der Stadt mit meinem Besuche zu beehren; sie fiel, soweit ich das ohne Spiegel beurtheilen konnte, tadellos aus. Die Mittagsglocke ertönte

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so liebvertraut,

!!

September zu seiner Zufriedenheit bei ihm gearbeitet hatte. Hätte er eine üble Gesinnung gegen mich gehegt, so wäre das Zeugniß gewiß ungünstiger ausgefallen. Vom Hunger getrieben begab ich mich nach der Stadt und strebte auf Schleichwegen der Herberge zur Heimath" zu. Die geraden Wege mied ich des­halb, weil ich mein schweres Ränzel unter dem Arm trug; es wäre peinlich gewesen, wenn mich einer der vornehmen Herren, mit denen ich am Abend, gleich­falls als vornehmer Herr, zusammen in Gesellschaft sein sollte, als reisefertigen Walzbruder gesehen hätte.

Der Herbergsraum war ein geräumiges Zimmer im ersten Stock, das zugleich eine Schneiderwerkstatt bildete. Zwei Kunden und der Herbergsvater waren anwesend; der Lettere saß wie ein Türke auf seinem Schneidertische und nähte mit einer Emsigkeit, als müsse er bis zum Abend noch Festkleider anfertigen für sämmtliche Mitglieder des Beanttenvereins. Zu meiner Verwunderung kannte er mich, und er fragte mit einem Tone, der mich tief verlegte: Nu, hat Sie der Meester fortgejagt?"

"

Ich laẞ mich nicht fortjagen; ich geh von selber, wenns Zeit ist," sprach ich, und ich fand hinterher, daß mir die Antwort gut gelungen war.

Die Herberge nanute sich, christlich", und daß sie es in der That war, davon zeugte ein Stoß frommer Bücher und Zeitungen, der auf einem Tische lagerte; hingegen machte der Arbeitsfleiß des Her­bergsvaters am Sonntag Nachmittag einen weniger christlichen Eindruck.

Ich bat um Brot und Käse und Vier. Gleich!" entgegnete der Herbergsvater und schneiderte unver= drossen   weiter. Nach einer Weile rief er mir, nach der Uhr blickend, spöttisch lachend zu: Sie werden ja nicht gleich verhungern! Es ist ja erst drei Ihr und noch lange Zeit zum Vespern!"

Hätte er nur meinen Hunger besessen, er wäre vielleicht vor Mattigkeit auf seiner Pritsche umge­juufen. Aber ich sagte nichts, denn ich merkte, daß er in der Arbeit nicht gestört sein wollte.

Die beiden Kunden unterhielten sich im Flüster­tone; meine Versuche, ein Gespräch mit ihnen anzut­fuüpfen, scheiterten kläglich. Auf meine Frage, ob Giner von ihnen nach Görlig reise, erhielt ich den beleidigenden Bescheid: Nee, nach Bu tehude!"

Der Herbergsvater brach in ein widerliches Lachen aus und rief mir schadenfroh zu: So gehts Einent, wenn man neugierig ist!"

Dieser christliche Ton berührte. mich äußerst un­angenehm, wie überhaupt die ganze Atmosphäre der Herberge, und ich hätte am liebsten die Flucht