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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

dazu. Leider setzt das Werfchen zu einer vollendeten, stilgerechten Ausführung italienische Sänger und Sängerinnen voraus; das schnelle Tempo des gerade im Don Pas ,, uale" einen breiten Raum einneh­menden recitativo secco( nur vom Streich uartett begleiteten Rezitativs  ) fann bei einer Aufführung in deutscher Sprache unmöglich innegehalten werden. Auch wetteifern die Partien der Norina und des Don Pasquale   in der Häusnug vokaler Schwierig= feiten mit jenen des Almaviva   und der Rosina im ,, Barbier". Von den tragischen Opern Donizettis charakterisirt die Lufre ia Worgia" am besten die Donizettische Kunst. Das italienische   Publifum, dem noch im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts der veroperie Shakespearesche Othello" zu viel des Granfigen und Nervenerregenden erhalten hatte, war in weniger als zwei furzen Jahrzehnten ein anderes geworden. Tragische Stoffe", so heißt es in einer älteren, anonymen Charakteristik der Donizettischen Oper, waren vorherrschend geworden; Gift und Dolch durften nicht fehlen, Martern aller Art waren zum Hauptthema geworden, und die Neigung dafür erhielt sich im Auslande noch länger als in Deutsch  land. Dazwischen mußten finnliche Anregungen der Liebe und des Weines den Hörer unterhalten. Daß dadurch das Großartige zurückgedrängt und in heftige, äußere Reize und Schrecken, die einander ablösen, umgewandelt werden mußte, liegt flar am Tage. Der bunte Wechsel des Grausigen mit dem stark Sinnlichen, den der Inhalt der Fabel erstrebte, fonnte nicht ohne Einfluß auf die Musik bleiben." Mit der Häufung von Instrumentationseffekten war es unmöglich, dem Graus und Schrecken der Handlung musikalischen Ausdruck zu verleihen; alle Kunstgriffe einer ebenso prunkenden, rauschenden, effektvollen als freilich im Grunde genommen ebenso überaus dürftigen, armseligen Instrumentirung hatte bereits Rossini erschöpft. So mußte man denn nach anderweiten Reizmitteln greifen und fand solche in der französischen   Harmonit, die namentlich Auber in seinem Hauptwerk," Die Stumme von Portici  ", durch manche kühne, neue Akkordfolge bereichert hatte. Doch war auch die Melodik Donizettis seit seiner Anna von Voleyn" und mancher früheren Oper, in denen die Rührseligkeit und Weichheit Bellinis noch überboten erscheint, mit der fast aus­

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genannten Oper wie ein zarter Hauch liegt, in der " Linda" vielfach in eine langweilige, marklose Sen­timentalität über. Auch vermag sich das Textbuch mit dem zur Lucia" nicht zu messen, das doch, trotz des plumpen und ungeschickten Aufbaues der dramatischen Handlung, manchen schönen und fesseln den Zug aus dem Scottschen Roman herübergerettet hat, und zumal durch die sympathische Figur der Titelheldin steter Antheilnahme sicher ist. Donizettis für Paris   geschriebene Favoritin", in der der Toudichter deutsche musikalisch- dramatische Vorbilder und die französische große Oper zu einem Ganzen zusammenzuschweißen versucht hat, findet Kiehl nicht mit Unrecht imponirend langweilig. Nur der vierte Aft, in dem Donizetti   wieder sein Talent für den musikalischen Ausdruck empfindsamer, elegischer Situa tionen aufs Glänzendste zu entfalten weiß, vermag heute noch ein tieferes Interesse zu erwecken.

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Lebhaftes Bedauern verdient, daß die für Wien  geschriebene Maria von Rohan" längst gänzlich vergessen ist. Wenn die Regimentstochter" als glückliche Verschmelzung des italienischen und frau­zösischen Stils im Rahmen der komischen Oper noch heute immer neue Triumphe feiert, so veroient die tragische per Maria von Rohan", in der der Toudich er deutsche und italienische Kunstprinzipien mit ebensoviel Geschick wie Erfolg zu be. einigen ge­wußt hat, ein gleiches Loos. Donizetti   hat in der Orer, die das Lockroy und Ladonsche Trauerspiel

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Ein Duell unter Nichelieu" zum Vorwurf hat, seine früheren Unarten und schlechten Eigenschaften fast gänzlich abgestreift und dafür ein Werk ge­schaffen, das sich nicht minder durch Schönheit und Adel der Melodik, als durch dramatische Schlag­fertigkeit und weise Veschränkung in der Verwendung der Singstimmen und Instrumente aus eichnet. Na­mentlich der dritte Akt zählt zu dem Schönsten, was die gesammte neuere italienische Oper geschaffen hat.

" Don Sebastian", Donizettis letztes Werk, trägt alle Spuren der nahenden Geisteszerrüttung an sich. an sich. Alle Schwächen und Fehler des Kompo­nisten erscheinen in arger Verzerrung wie in einem Hohlspiegel. Nur der Trauermarsch im dritten Afte reiht sich neben das Beste, was Donizetti   geschaffen.

Zum Schluß möge noch mit einigen Worten auf den Gesammtcharakter des Donizettischen Kunst­

zu den führenden Geistern im Reiche der Tonkunft: er hat weder die Musik um neue Ausdrucksgebiete bereichert, noch im Rahmen der ihm überkommenen musikalischen Formen Kunstgebilde von kraftvoller Eigenart und hohem künstlerischen Werth geschaffen. Ein Zwiespalt zicht sich durch sein gesammtes Scha en: auf der eincu Seite das Streben, sich selbst zu übertreffen, Kühnes, Neues zu erzeugen, auf der anderen Seite das Unvermögen, die überlieferte Schablone der alten italienischen Virtuosenoper bei Seite zu legen und sich eigene Wege zu bahnen. So bemerkenswerthe Anläufe der Komponist auch mehrfach nimmt, seiner vorwärts strebenden Individua­lität freien Lauf zu lassen, für seine oft genug so originellen, reizvollen, sich aus der dramatischen Situa­tion ungezwungen ergelenden Melodien die entspre­chende musikalisch- dramatische Einkleidung zu finden

ſchließlichen Bevorzugung schrecklicher und grauſiger ſchaffens eingegangen werden. Donizetti   gehört nicht Operustoffe bunter und greller geworden. Melodien der Lufrezia Borgia" erscheinen im Ver­gleich zu Donizettis früheren Kompositionen und namentlich zur Rossinischen und Bellinischen Melodik zwar weniger edel und bestrickend, aber dafür um so lebhafter, farbiger, charakteristischer. Die Lukrezia Borgia" scheint zu jenen Werfen zu gehören, die das Kunstschaffen Verdis in seiner ersten und zweiten Periode endgültig beeinflußt haben; in ihr finden sich bereits alle jene Eigenschaften im Keime vor, die die Vertische Oper vom Nebukadnezar  " bis zum " Maskenball" charakterisiren: die rüdsichtslose Aus­bentung der Singstimme zu den gröbsten, aber packend ſten vokalen Effeften, die Bevorzugung von manchen Tanzrhythmen bei dem musikalischen Ausdruck ge= wisser öfters wiederkehrender dramatischer Situa tionen, die jäh hervorloderude, brutale musikalische Leidenschaftlichkeit, die freche, aber doch oft einer gewissen Bravour nicht entbehrende Verwendung des überreichlich besezten Orchesters, namentlich des Blas­und Schlagförpers, zu den rohesten Maeneffekten.

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Sanfter und abgeklärter, aber darum nicht leiden­schaftsloser, erscheint die Donizettische Kunst in seiner populärsten tragischen Oper, der nach dem be­kannten Scottschen Roman geschriebenen Lucia von Lammermoor  ". Ein wenig von der Sauft­muth und Resignation der stillen Dulderin Lu.ia scheint auch in die Melodik der Oper übergegangen zu sein; sogar in der berühmten Wahnsinnsszene, die freilich als dramatisches Gesangsstück belanglos ist, als eine der vollendetsten italienischen Bravour­arien aber noch lange Freunde und Bewunderer finden wird, girren und fosen die Melodien wie verliebte Schäfer.

Ein Seitenstück zur ,, Lu ia" ist die gleichfalls heute noch nicht vergessene Linda von Chamouniy", doch geht der edle, elegische Ton, der über der erst

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er vermag sich nach dem Erklimmen einer ge= wissen Höhe nicht auf ihr zu erhalten und sinkt auf das alte, niedrige Niveau herab. Das Sertett int zweiten Afte der Lu ia von Lammermoor" bildet nach dem Adel und Ausdruck seiner Melodien, seiner kraftvollen dramatischen Steigerung, einen musikalisch­dramatischen Höhepunkt der Handlung, um den der Komponist höchsten Lobes würdig wäre; leider leimt er an dieses prachtvolle Ensemblestück ein Finale in leierudem Sechsachtel- Takt, das auf den Hörer wie eine falte Douche wirkt und die hochgespannten Er­wartungen wieder auf das niedrige Niveau der italienischen Dukend- und Alltagsoper zurückschraubt. Auch manche der Don'zettischen Instrumentalwerke, wie die Ouverturen zur Linda von Chamounir" und zur Maria von Rohan", laffen in ihren ersten Theilen das Beste erwarten, bis der Komponist, wie von einem bösen Dämon getrieben, den Faden wie von einem bösen Dämon getrieben, den Faden der Ausarbeitung und Ausmnußung seiner pracht­vollen musikalischen Gedanken plößlich abreißt, und

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was cr eben noch Gutes geschaffen, in den lärmenden Tanz oder Marschrhythmen des blechgepanzerten Orchesters versinken läßt.

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Donizetti hat sich auf fast allen Gebieten der Opernproduktion der Reihe nach versucht: er hat komische und tragische, bürgerliche und Heldenopern geschrieben, er hat sich die deutsche und französische  Stilart diensibar zu machen versucht, er hat mit allen Schreibarten und Ausdrucks formen auf muſi­kalisch- dramatischem Gebiete zu kokettiren gewußt und doch verdankt ihm die moderne Cper feine Er­rungenschaft von bleibendem Werthe. Wenn trotz­dem cine stattliche Reihe von seinen Werken noch Werke, heute auf unseren Spielplänen erscheint- die einer Kunst angehören, deren Erzeugnisse wie die feiner anderen schnell welfen und vom Sturm­hauch des stets wechselnden Zeitgeschmacks geknickt werden so beweist dies, daß doch ein göttlicher Funke das Schaffen des Lielgeschmähten beseelen mußte. Und diese Eigenschaft, die uns immer von Neuem mit der Kunst des Italieners aussöhnt, so Vieles uns auch mit Recht daran veraltet und werth­los erscheinen mag, ist ihre blühende, sinnlich- schöne Melodik, wie sie namentlich in den Sologesängen und den kleineren, mehrstimmigen Gesängen eine so rührende und beredte Sprache zu uns führt. Als Großes, Ganzes, als Kunstwerk ist die ältere ita­ lienische   Oper längst dem Untergange geweiht; sie war bereits verschieden, bevor noch Wagner seine vernichtenden Streiche gegen sie führte, aber so lange unsere Chren für den Schmelz und Wohllaut ein­facher, ungekünstelter Melodik empfänglich sein wer= den, werden auch die Weisen des liederreichen Ber­gamasken ihren Weg zum Herzen finden. Mag auch der Griffel der Zeit noch manche der heute noch lebenden Opern des Komponisten vom Repertoire unserer Opernbühnen streichen unzählige seiner Melodien werden nach wie vor das Echo harmloser Freude und sanfter Schwermuth in jeder fühlenden Brust wecken.

Die Henkerin des Robespierre  .

Nach geschichtlichen Quellen. Von Heinrich Lee. ( Fortsetzung.)

ie Tribünen applaudirten. Auf einer Bank

saß die Marquise von Fontenay. Zum dritten Male erkannte sie ihn. Auch die Marquise flatschte in die weißen Hände. Sie schwärmte für die Freiheit. Einige Zeit vorher schwärmte für die Freiheit. hatte der Marquis auf seinem Schloffe den Mit­gliedern der Nationalversammlung ein Nachtfest ge­geben. Mirabeau  , Chamfort  , Vergniand, Nobes­pierre und Camille Desmoulins   erschienen. Man ſpeiſte bei Musik und Nachtigallengesang im Park. Ein plöglicher Windstoß stürzte die Tafel um und riß Robespierre   die Perrücke vom Kopf. Die Mar­quise galt für die Göttin des Festes. Die Königin" des Festes- das sagte man bereits nicht mehr.

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Ein Jahr später ging Tallien als Kommissarius nach Bordeaur, um diese Stadt, die sich gegen den Berg empörte, zu züchtigen. Die Guillotine von Bordeaur arbeitete. Das Beil wird nicht eher ruhen," schrieb Tallien an den Konvent, als bis alle Schuldigen ihr Verbrechen gebüßt haben." Sein Gericht war beschäftigt, die Berathung über einen Angeklagten durfte nicht länger als fünf Minuten dauern. Der Berg war mit seinem Kommissarins zufrieden.

In demselben Sommer verließen auch der Marquis von Fontenay und seine Gemahlin Paris  , um nach Bordeaux   und von dort mit dem Schiff nach Spanien  zu flüchten. Die Marquise ging nur unwillig. Sie war muthig, sie sürchtete nicht die Gefahr; vielmehr fand ihr abenteuerlicher Geist daran Gefallen. Sie liebte ihren Mann nicht mehr, denn jetzt, in der Stunde der Prüfung, zeigte er sich als Feigling. Die Beziehungen des Marquis zu Barére und Barras, den ehemaligen Gästen seines Salons, hatten ihn bisher beschützt, aber das neue Gesetz gegen die Verdäch igen trieb den letzten Adel aus der Bannmeile von Paris  . Wohlbehalten kamen der