Die Neue Welt. Jilustrirte Unterhaltungsbeilage.

Marquis und die Marquise nach Bordeaur. Am Tage ihrer Ankunft lag im Hafen von Bordeaug ein englisches Fahrzeug mit dreihundert Passagieren, Aristokraten und Royalisten. An dem Fahrpreise, den der Kapitän verlangte und zu dem die Passagiere Alles gaben, was sie hatten, fehlten noch dreitausend Franken. Die Marquise trifft in Bordeaux   ihren Lufel und erfährt das von ihm. Sogleich wirft sie sich, ohne auf die Warnung ihres Onkels und ihres Mannes zu hören, in einen Wagen, sucht Der den Kapitän auf und giebt ihm das Geld. Kapitän will ihr eine Quittung geben. Nein," sagte die Marquise, geben Sie mir lieber ein Ver­zeichniß Ihrer Passagiere." Der Kapitän schreibt der Marquise in aller Gile zwanzig der vornehmsten Namen auf, geht nach dem Hafen und erzählt den Vorfall. Einige Jakobiner hören ihn, dringen auf ihn ein und wollen ihn zur Guillotine schleppen. Der Kapitän zieht ein Pistol, verwundet drei, flieht auf das Schiff und sticht mit den dreihundert Passa­gieren in See. Wüthend suchen die Verwundeten jezt nach der Frau. Der Kapitän sagte, sie war schön. Indessen ging die Marquise mit ihrem Onkel Cabarrus und zwei anderen Herrn, heimlichen Giron­disten, auf dem Theaterplay spazieren und sprach von ihrer bevorstehenden Abreise. Da stürzt der Haufe auf sie zu. Das ist sie," schreit er, die hat die Aristokraten gerettet!" Ein Theil jagt ihre Begleiter die Straße hinunter, der andere umringt sie und packt sie. Die Marquise bleibt ruhig; an ihrem Hut trägt sie die grüne Kokarde der Revolution.

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" Was wollen Sie von mir?" sagt sie, ich bin feine Feindin des Volfes. Sie sehen meine Kokarde, ich bin eine Patriotin."" Die List!" brüllt das Volk. Die Marquise merkt, daß sie verrathen ist. Ein Patron will ihr das Mieder abreißen. Blut roth stößt ihn die Marquise zurück. Darauf zieht sie selbst den Zettel mit dem Verzeichniß hervor. Hier ist sie," ruft die Marquise, wenn Ihr sie haben wollt, so müßt Ihr mich tödten!" Mit diesen Worten steckt die Marquise den Zettel in den Mund und zerbeißt ihn mit ihren Zähnen. Das Volk brüllt auf. Da kommt Tallien   über den Plaz. Auf einen Wink seiner Hand weicht die Menge zurück. Er erkennt die Marquise nicht wieder. Gr erfährt den Sachverhalt und spricht: Wenn diese Frau schuldig ist, so gehört sie der Justiz. Ich hoffe, Ihr seid zu großmüthig, einen entwaffneten Feind noch zu mißhandeln, zumal eine Frau." In diesem Augenblick erscheint ein Trupp Gendarmen La ombe, der Präsident des Revolutionsgerichts von Bordcaur, hat den Vorfall erfahren und läßt die Mar nise suchen. Die Gendarmen ergreifen die Marquise und führen sie ins Gefängniß. Auch ihr Gemahl, der Marquis, wird gefaßt und in Gewahr­sam gebracht.

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Eine Stunde später begiebt sich Tallien ins Gefängniß und befiehlt dem Schließer, daß die Gefangene ihm vorgeführt werde. Die Marquise erscheint. Einige Augenblicke stehen sich Beide gegen­über. Tallien ein Mann von vierundzwanzig, die Marquise eine Frau von zwanzig. Tallien deutet auf einen Stuhl, die Marquise und er nehmen Platz. ,, Sie erkennen mich?" fragt die Marquise. Ja, Bürgerin," erwidert Tallien  , wieso sind Sie in Bordeaur?" Weil in Paris   Alles ins Gefängniß kommt, sogar die Republikaner  , denn ich bin auch Republikanerin."" Wir sind nicht blind," entgegnete Tallien   sanfter, wir bekriegen nur die Feinde der Republik."" Dann ist das Gefängniß blind," lächelt die Marquise, denn hier und in Paris   schmachten die Republikaner   in Fesseln." Wessen sind Sie angeklagt, Bürgerin?" fährt Tallien   fort. Wahr­scheinlich wegen alles Möglichen," spottet die Mar­quise, weil es nichts giebt, was man mir vor­werfen kann." Ich habe gehört, Sie wollten mit dem gewesenen Marquis von Fontenay auswandern?" Auswandern? Das ist mir nicht eingefallen. Wir wollten nach Spanien  . Dort ist mein Vater." Der Schließer wartet indessen, um die Gefangene wieder nach ihrer Zelle zu bringen. Mit mißtrauischen Augen wacht der Terrorismus, auch über den Pro­fonsul von Bordeaur. Finsteren Blickes, mit ge­runzelter Stirn spricht Tallien  :" Gut, Bürgerin,

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ich will veranlassen, daß Ihr Prozeß so schnell wie möglich an das Tribunal fommt. Ist der Bürger Fontenay unschuldig, so werden auch Sie es sein. Dann können Sie Ihren Vater in Madrid   immer­Dann können Sie Ihren Vater in Madrid   immer hin besuchen." Die Marquise schreit auf. Großer Gott! Ich komme vor das Tribunal! Ich, die Tochter eines Grafen, die Frau eines Marquis, mit einer solchen Hand, die nie gearbeitet hat, die mit einer solchen Hand, die nie gearbeitet hat, die nur einmal Charpie gezupft hat für die Verwundeten des zehnten August! Dann bin ich schon verurtheilt. Mit einer solchen Hand!" Mit dieser ihrer Hand berührt sie die Talliens. Tallien zittert. Sie thun Unrecht daran, Bürgerin," erwiderte er, an der Gerechtigkeit unseres Tribunals zu zweifeln. Wir haben es nicht errichtet, um zu morden, wir haben es errichtet, um die Republik   zu schüßen und die Unschuld ausfindig zu machen." Das Pathos, selbst Auch gab der im Gespräch, war wode geworden. Auch gab der Prokonsul cine Wochenschrift heraus, den Bürger­freund"; er schrieb und sprach im rhetorischen Stil. Tallien wendet sich jetzt an den Schließer mit einem Austrag und schickt ihn fort. Er ist mit der Gefangenen allein und erfaßt ihre Hand. Wir find feine Tyrannen," sagt er zärtlich. Ich nehme an," erwidert die Marquise, daß, wer mit solcher Beredtsamkeit den Bürgerfreund schreibt, daß der auch der Freund der Bürgerinnen ist. O, lassen Sie mich nicht vor diesem verhaßten Tribunal er­scheinen." Unmöglich, Frankreich   beobachtet mich. Verriethe ich meine Pflicht um einer so schönen Frau wie Sie, so würde mich Robespierre zerschmettern." " Sie tädten also, weil Sie Furcht haben, getödtet zu werden?" Was verlangen Sie?"" Sie wissen Auch die Frei­es, die Freiheit.  " Ich weiß es." heit meines Mannes." Aber Sie lieben ihn nicht" " In diesem Augenblick bin ich sein Weib."" Aber wenn er schuldig ist und Sie nicht?"" Ich will schuldig sein."" Nun, Madame, in unseren Zeiten opfert sich eine Bürgerin nicht mehr ihrem Gatten, sondern der Nation. Wenn ich Ihnen die Freiheit verschaffe, so stelle ich eine Bedingung. Werden Sie die Egeria des Berges, wie die Roland die der Gironde war."" Ich kenne keinen Berg und keine Gironde  , ich kenne nur das Volk, ich liebe es und diene ihm. Geben Sie mir ein härenes Kleid und ich will in die Hospitäler gehen und die kranken Jafobiner pflegen." Als barmherzige Schwester? Nicht übel!" Tallien   ergreift ihre Hand und führt sie an die Lippen. Dann spricht er: Nein, Ihre Aufgabe soll größer sein. Auf die Tribüne sollen Sie steigen und allen Denen, die für die Republit noch nicht entflammt sind, das heilige Feuer ein­hauchen. Ich schüre schon den Flammenbrand Ihrer Rede." Tallien tritt an seine Gefangene dicht heran. Abgemacht," sagt die Marquise," Bürger, nicht wahr? Wir reisen noch heute Abend nach Spanien  ab und Sie werden niemals wieder etwas von mir hören." Talliens Gesicht verändert sich, er lächelt spöttisch und frostig. Ich sehe mit Vergnügen, Bürgerin," entgegnete er, daß, wenn Sie einmal zur Macht gelangen, Sie sehr gnädig sein werden." " Ich möchte auch nur die Macht für die Guade. Ich aber verlange keine Gnade von Ihnen, nur Gerechtigkeit."" Die Gerechtigkeit ist die Sache des Volkes," erwidert Tallien   falt. Die Marquise blickt ihn stumm einen Augenblick an, dann lächelt sie holdselig. holdselig. Es ist wahr, ich täuschte mich. Die Gerechtigkeit wäre auch zu langsam, die Guade aber ist schnell! Gnade! Gnade!" Mit diesen Worten fällt die Marquise dem Prokonsul zu Füßen und umschlingt mit ihren Armen seine Knie. Tallien beugt sich zu ihr hinab, zieht sie empor und drückt Stehen Sie auf, Madame," sie an seine Bruſt. flüstert er, ich setze meinen Kopf aufs Spiel, aber was thuts, Sie sind frei!" In diesem Augenblick ertönt Geräusch, der Schließer tritt ein. Adieu, Bürgerin," sagt Tallien   wieder mit seinem strengen Gesicht, ich begebe mich sofort zum Comité und werde dort den Irrthum aufklären, dessen Opfer Sie geworden sind." Der Schließer führte die Marquise in die Zelle zurück. Darauf schrieb er dann an Robes pierre folgende Zeilen: Alles verräth die Republik  . Der Bürger Tallien   begnadigt die Aristokraten."

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Am folgenden Tage wurde der Marquis aus dem Gefängniß entlassen und floh nach Spanien  . Um seine Gattin kümmerte er sich nicht, die War­quise blieb in Bordeaur. Sie saß im Kabinet des Prokonsuls, dessen Geliebte sie jetzt war, prüfte die täglich eingehenden Listen der Gefangenen und strich die Namen, die ihr darunter gefielen, ans. weinte, daß sie nicht Alle ausstreichen fonnte. Tallien war ihr Sfla. e. Auch die beiden anderen Kom­missarien, Lacombe und Ysabean, beherrschte sie. Bordeaux   athmete auf. Eine Frau, Therezia Ca­barrus, nicht mehr die Marquise von Fontenay, hielt das Beil der Guillotine in Ruh. Wo sich Tallien mit Therezia zeigte, im Theater, auf den öffentlichen Festen, im Wagen, jubelte das Volk ihm zu. Therezia trug die neue Mode, das griechische Kleid; durch die dufigen Falten schimmerten ihre schönen Glieder. Sie war wie eine Göttin der Varmherzigkeit und der Freiheit. Zuweilen begab sich Therezia in die Klubs, auf dem aufgelösten Haar einen Hut mit einem Federbusch in den Farben der Trifolore, und hielt Vorträge über die Republik  , die Freiheit und die Milde. Tallien war in Bor­deany der Herr über Leben und Tod, aber Therezia Cabarrus war seine Herrin und mit ihm beteten sie an die Geretteten und Befreiten. Tallien wohnte am Plaz, wo das Schaffot stand. Therezia empfand ein Grauen vor dem Gerüst. Eines Tages sagte sie zu ihm:" Ich komme nicht mehr in Ihr Haus." ,, Gut," erwiderte Tallien, so werde ich in Ihres ziehen." Nein," sagte Therezia, ich werde noch kommen. Nicht Sie sollen von hier fort, sondern die Guillotine."

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Im Anfang des Jahres 1794 berief Nobes­pierre, von seinen Spionen über das Benehmen des Prokonsuls fortdauernd unterrichtet, Tallien   zurück nach Paris  . Mit Tallien fam Therezia Cabarrus. Therezia war seit einiger Zeit von dem Marquis geschieden. Am 22. März wurde Tallien  , nunmehr. ein Fünfundzwanzig ähriger, Präsident des Konvents. Vierzehn Tage später, am 5. April, dem Tage der Verurtheilung Dantons und Camilles Desmoulins, legte er den Vorsiz bereits nieder. Am 24. April hielt Therezia im Konvent eine Rede. Wehe den Frauen," sprach sie, die die schöne Bestimmung, zu der sie ausersehen sind, verkennen und die, um sich von ihren Pflichten zu befreien, den falschen Ehrgeiz haben, die Pflichten des Mannes zu über­nehmen, die die Vorzüge ihres Geschlechtes so ver­lieren und die Vorzüge des Mannes doch nicht er­reichen. Aber wäre es für sie nicht ebenso schlimm, wenn sie, gehindert an der Ausübung der bürger­lichen Rechte, sich so in ihrem Vaterlande als Fremde betrachten sollten? In einer Republik muß Jeder Republikaner sein. Ob Bürger oder Bürgerin, Keiner darf sich, wer Ehre hat, von dem Dienst des Vater­landes ausschließen. Gestattet, Ihr Gesetzgeber hier, daß meine Schwestern von ihren Bestimmungen und Pflichten durch meinen Mund jetzt sprechen, daß sie Euch sagen, wie ungeduldig sie warten, von Euch im Namen des Vaterlandes endlich dazu berufen zu werden. Ihre Hoffnung ist, daß Ihr ihnen eine Stelle im öffentlichen Unterrichtswesen einräumen werdet. Unzählige ihrer kleinen Geschlechtsgenossinnen hat das Schicksal der mütterlichen Obhut beraubt. Vertraut sie ihnen an, ihren sanften Händen, ihrer freundlichen Stimme. Wer soll sie Scham und Sitt­samkeit lehren, wenn nicht eine Frau? Die Zufluchts­stätte der Verlassenen, der Unglücklichen, die Häuser der Waisen und Kranken... Da ruft die Frauen hinein. Hier ist die wahre Schule des Weibes, des heranwachsenden Mädchens. Hier lernt es seine Pflichten gegen die Kinder, die es selbst einst haben wird. Neiner und herrlicher wird es sich entfalten, geläutert durch verklärliche Barmherzigkeit. Die Wänner sind zu großen Thaten bestimmt, zu den Thaten der Kraft Aber den Kranken und Ver­lassenen klingt ihre Stimme rauh. Das Wort der Frau ist sanft und zart und tröstet. Wir stehen im Zeitalter der Freiheit und der heiligen Vater­landsliebe. Hört, Bürgerdeputirte, um was wir Euch bitten. Befehlt, daß alle jungen Mädchen, ehe sie sich verheirathen, in die Armenhäuser, in die